Читать книгу Akupressur in Pflege und Betreuung - Dorothee Wellens-Mücher - Страница 25

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3 Anleitung von Angehörigen

Da die einzelnen Bausteine sehr kurz und einfach auszuführen sind, ist es gut möglich, Angehörige mit einzubeziehen. Das ist aus verschiedenen Gründen sehr sinnvoll.

• Die Hilflosigkeit, die Angehörige von schwerstkranken Menschen häufig empfinden, kann durch die Möglichkeit, Akupressur durchzuführen, zum Teil überwunden werden. Da ein wesentlicher Aspekt der Akupressur die einfühlsame und mitfühlende Berührung ist, können auf diesem Wege Liebe und Zuneigung zum Ausdruck gebracht werden. Das Erleben, dem Patienten wohl zu tun, wird besonders von Angehörigen oft dankbar angenommen.


Abb. 3.1: Akupressur als eine Form der liebevollen Zuwendung

• Da es besonders im Umgang mit Schwerstkranken und Sterbenden Berührungsängste insbesondere in Bezug auf die körperliche Ebene gibt, kann der formalisierte Kontakt dazu beitragen, eine Berührungskultur zu entwickeln. Die Wirkung der Akupressur ist für die Ausführenden taktil erfahrbar und in der Reaktion des Patienten ersichtlich. Daraus können sich ein Verstehen und eine Kommunikation auf einer verbalen und nonverbalen Ebene entwickeln.

Berührung überwindet Sprachlosigkeit

Ein 32-jähriger Gast im Hospiz war aufgrund seines Krebsleidens körperlich sehr verändert. Vor seiner Erkrankung war er ein sehr gutaussehender Mann gewesen. Nun waren Bauch, Beine und Geschlecht aufgrund starker Ödeme massiv angeschwollen. Für seine Frau war der Anblick kaum zu ertragen und neben der allgemeinen Sprachlosigkeit zwischen den beiden hatte sie große Abneigung, ihn zu berühren. Der Patient hatte von Akupressur gehört und erhoffte sich eine Entlastung in Bezug auf seine Ödeme. Auch wenn die Chancen dafür sehr gering waren, wurde ein Versuch gemacht und die Ehefrau gleich mit einbezogen. Die Pflegekraft hielt die Punkte auf der einen Körperhälfte und wies die Ehefrau ein, die Punkte gleichzeitig auf der anderen Seite zu halten. Dies tat sie mit abgewandter Körperhaltung. Nach einer Weile schaute sie erstaunt und fragte, ob es möglich sei, dass sie ein Strömen unter ihrer Fingerkuppe spüre. Die Pflegkraft bejahte dies und ermutigte sie, genauer hinzuspüren. Die Angehörige rückte näher und wendete sich mehr zu. Nun begann auch der Patient, über seine Wahrnehmung zu erzählen. Unter weiterer Anleitung kamen die beiden in einen Austausch darüber, was sie jeweils erlebten. Beide freuten sich und fragten, ob es noch andere wohltuende Akupressursequenzen gebe. Das war der Durchbruch. Die Ehefrau erlernte die Schulter- und Nackenpunkte und für beide wurde die Akupressur eine Brücke zur Überwindung ihrer Berührungs- und Kommunikationsprobleme.

• Pflegepersonal wird durch das Einbeziehen von Angehörigen entlastet, und so kann eine Kontinuität in der Anwendung erzielt werden. Dies kann zum Teil zu einer Reduzierung von Medikamenten z. B. bei Angst und Unruhe oder zur Vermeidung von Komplikationen z. B. bei Obstipation und Atembeschwerden führen.

Familienritual

Ein zehnjähriges Mädchen mit einem Nierentumor und Lungenmetastasen hatte im Rahmen ihrer Chemotherapie gute Erfahrung mit der Dauerstimulation von Pe 6 bei Übelkeit ( Kap. 11) gemacht. Die Eltern machten sich aufgrund der Lungenmetastasen Sorgen über die zu erwartenden Folgen in Form von Atemeinschränkungen. Sie fragten nach Möglichkeiten der Akupressur. Die gesamte Familie, Eltern und Geschwister erlernten zwei Bausteine, einen zur Unterstützung der Atmung inkl. Lösen von Schleim und die Schulter-Nacken-Punkte. Es wurde zum Ritual, dass die Familie sich abends nach dem Essen zusammensetzte und zwei Familienmitglieder die Punkte bei dem Mädchen hielten. Dabei wurde vom Tag erzählt. Das behielten sie noch mehrere Monate nach Beendigung der Therapie bei. Der Pulmologe und der Onkologe waren erstaunt darüber, wie wenig Atemeinschränkung das Mädchen zurückbehalten hatte.

Anleitung in der Praxis

Gemeinsam Schritt für Schritt

Am einfachsten ist es, wenn beim ersten Mal die Akupressursequenz von dem Angehörigen gemeinsam mit dem Anleitenden ausgeführt wird. Dazu werden die Punkte auf beiden Körperseiten gleichzeitig gehalten. Die Anleitende lokalisiert einen Punkt auf ihrer Seite. Dabei werden die einzelnen Schritte erklärt und die Angehörige geht diese Schritte mit. Wenn möglich werden die Lokalisation und Druckstärke mit dem Patienten genau eingestellt und die Seiten verglichen. Da manche Angehörige es sich nicht zutrauen, die Punkte alleine zu finden, können diese mit einem wasserfesten Stift angezeichnet werden.


Abb. 3.2–Abb. 3.8: Schrittweise Anleitung

Andersherum geht es auch

Angehörige leitet Pflegeteam an

Im Frühsommer lernte ich Familie Steffens mit ihrem Sohn Matthis kennen. Er war 6 Jahre alt. Frau Steffens war auf der Suche nach Möglichkeiten, Matthis zu unterstützen. Ich besuchte die Familie für einen Tag und zeigte ihnen einige Punkte, die Matthis vielleicht helfen konnten. Wir sprachen über die grundlegende Art der Berührung.

Hier der Bericht von Frau Steffens:

Matthis ist ein sehr ruhiges und genügsames Kind mit Mehrfachbehinderung und einer komplexen Epilepsieerkrankung. Er ist blind und stark schwerhörig und dadurch zusammen mit seiner ausgeprägten Epilepsie sehr empfindlich gegenüber äußeren Reizen, auf die er mit starker Anspannung, Gegenwehr oder Zähneknirschen reagiert. Das sind seine Mittel, sich zu äußern; sprechen kann er nicht. Matthis benötigt eine nächtliche Atemunterstützung durch eine Beatmungsmaske, da er eine Verengung in der Luftröhre hat und seine Lunge nicht vollständig ausgebildet ist. Zudem hat er eine Herzerkrankung. Matthis hat einen sehr niedrigen Muskeltonus und kann diesen nur sehr schwer regulieren und koordinieren. Er kann seinen Kopf für einige Sekunden selber halten, schafft aber keinen Oberarmstütz oder eine selbstständige Lageveränderung seines Körpers.

Matthis ist am meisten geplagt durch Kopfschmerzen, ständige Infekte und seinen Verdauungstrakt.

Die Kopfschmerzen entstehen vermutlich durch kurzzeitige Hirndruckerhöhung, bedingt durch seinen Hydrozephalus oder durch die schweren epileptischen Anfälle.

Da ihm die Fähigkeit fehlt, sein Sekret aus der Lunge selbständig abzuhusten, fängt er sich sehr schnell diverse Krankheitserreger ein.

Ein weiteres schweres und sehr beeinträchtigendes Problem sind Matthis Verdauungsbeschwerden. Er hat eine chronische Speiseröhrenentzündung, sodass ihm an manchen Tagen das Essen Schmerzen bereitet. Weiterhin leidet er an Darmträgheit und einer Form des Reizdarmsyndroms, was durch die verlangsamte Darmpassage mit starken Blähungen und Gährungsprozessen einhergeht. Das verursacht ihm manchmal so starke Schmerzen, dass er tagelang nicht schläft und nicht mehr weiß, wohin mit sich.

In einer Phase, als es Matthis sehr schlecht ging – er war unruhig, sehr angespannt und spastisch – habe ich verzweifelt nach einem Zugang zu meinem in seinem Schmerz und Unwohlsein gefangenen Kind gesucht. Ich bin in dem Buch auf den Basisbaustein »Das qi wecken« gestoßen. Ich habe die Berührung nach Anleitung des Buches durchgeführt und gespürt, wie Matthis sich Schritt für Schritt mehr entspannt.

Bei mir ist es so, dass ich in solchen Situationen durch Schlafmangel, Zeitdruck und Hilflosigkeit und sicherlich durch die Erschöpfung der vorangegangenen Jahre der Pflege oft frustriert, wütend, manchmal auch aggressiv werde. Durch die Berührung, durch die ich wieder in Kommunikation mit Matthis treten konnte und kann, werde auch ich ruhiger, finde zu mir selbst und kann mich besser darauf einlassen, dass Matthis und sein Leid das Wichtigste ist und dass ich ihm wirklich helfen möchte. Auch ist mir klar geworden, dass das Wichtigste an dem Konzept der »begleitenden Hände« ist, sich darauf einzulassen. Halbherzige Anläufe, mit dem Kind zu »arbeiten«, Zustände lindern »zu wollen« oder »zwischen Tür und Angel« etwas für das Kind zu tun, habe ich besser gleich gelassen. Matthis spürt meine innere Unruhe und Anspannung, Gefühle wie schlechtes Gewissen oder Unwillen. Damit erreiche ich das Gegenteil, er spannt sich mehr an und ich mich auch. Das heißt, von Beginn an frage ich mich: »Will ich das jetzt machen, bin ich bereit mir die Zeit zu nehmen.« Das fällt mir inzwischen leichter, weil ich nun weiß, dass ich auch mir gut tue.

Bl 10 (Nacken) und Gb 20 (Schädelbasis): Diese Punkte tun Matthis sehr gut in Phasen hoher Krampfbereitschaft oder Schmerzen im Kopfbereich. Er überstreckt sich dann oft. Die Rücken und Nackenmuskulatur ist so stak angespannt, dass er kaum gerade liegen kann, sondern im Hohlkreuz liegt. Weil er so steif ist, kann ich ihn nicht mehr auf den Arm nehmen. Die Verspannungen sind so stak, dass er selbst bei leichten Berührungen aufstöhnt. Die Punkte bringen ihm Erleichterung und helfen ihm, in der Spannung nachzugeben. Werden die Punkte mehrmals täglich gehalten, löst sich die Spannung so weit, dass ich mich um die eigentliche Ursache kümmern kann. Das Gefühl, dass der Kopf gehalten wird, gibt Matthis zusätzlich viel Sicherheit und Entspannung.

Ma 25 mit Di 4 und Ampuku: Das ampuku hat bei uns einen riesengroßen Erfolg gehabt. Ich habe es nach und nach allen aus dem Pflegeteam beigebracht. Nachdem alle eingewiesen waren, wurden Ma 25 mit Di 4 und Ampuku fest in den Tagesablauf integriert und nun 5 Mal in 24 Stunden durchgeführt. Seitdem hat sich die Verdauungssituation von Matthis sehr verbessert. Wir konnten die Gabe von Movicol reduzieren. Der Stuhlgang ist bis auf ganz wenige Ausnahmen regelmäßig geworden, und die Stuhlkonsistenz ist viel besser. Der Bauch ist manchmal immer noch sehr stark gebläht, aber das plagt Matthis nicht mehr so. Schmerzattacken oder Schlaflosigkeit bzw. Unruhezustände, die auf den Bauch zurückzuführen sind, sind sehr selten geworden. Kommt es doch noch einmal dazu, wird die Akupressur zusätzlich durchgeführt: Die Blähungen gehen ab, er führt nochmals ab und beruhigt sich. Selbst die Skeptikerinnen in unserem Team waren und sind immer wieder beeindruckt, was die Akupressur bei Matthis bewirkt.

LG 26: Die Wirkung dieses Punktes ist bei Matthis ganz unterschiedlich. Manchmal erreicht die Stimulation dieses Punkt, dass ein Krampfanfall erst gar nicht richtig beginnt. Manchmal entspannen sich die Muskeln ganz plötzlich, wird Druck auf diesen Punkt während einer tonischen Phase ausgeübt. Und manchmal passiert aber auch gar nichts und der Anfall läuft nach seinem klassischen Muster ab.

Infekt

Matthis hatte vor kurzem einen leichten bis mittleren Atemwegsinfekt, den wir eigentlich gut im Griff zu haben glaubten. Plötzlich verschlechterte sich sein Allgemeinzustand deutlich. Er bekam Fieber, wurde schlapper und unruhig, weil er durch seinen engen Brustkorb und viel Schleim in der Lunge schlecht Luft bekam. Die Atmung war schon leicht panisch und es war klar, dass sich sein allgemeiner Zustand weiter verschlechtern würde, wenn wir ihn nicht ruhig bekämen. Zufällig stieß ich auf die Punkte Di 11 (Fiebersenkend), Pe 6 (Atmung und Unruhe) und Ma 40 (Schleimlösend) auf Seite 91 im Buch. Das Fieber ging tatsächlich nach einer Stunde runter und kam auch nicht wieder, die Atmung beruhigte sich, der Schleim ist leider geblieben. Ich habe in den nächsten Tagen immer wieder versucht, den Punkt Ma 40 zu finden, was mir aber leider nicht gelang.

Akupressur in Pflege und Betreuung

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