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8. Kampf um Anerkennung im Arbeiter- und Bauernstaat

Walter Ulbricht fordert Aktivitäten mit Selbstgereimtem: “Jedermann an jedem Ort - einmal in der Woche Sport”.

Anlässlich einer Tagung des Zentralkomitees der SED zur Agrarpolitik wird der Kreis Eilenburg als erster vollgenossenschaftlicher Kreis gemeldet.

DDR-Jahresrückblick 1959

An diesem schönen Osterfest war Edub glücklich, marschierte am Dienstag - Mutter hatte nichts, auch keine Liebesspuren in den Laken, gewittert - gut gelaunt zur Arbeit in die KNOHOMA.

Unter diesem Kürzel firmierte die traditionelle Schmöllner Knopf- und Holzmaschinen-Fabrik, wo er vor Wochen die Lehre als Technischer Zeichner abgeschlossen hatte. Das erste selbst verdiente Geld zierte das neu angelegte Konto: 221,- Mark der DDR. Der Angestelltenberuf wurde schlecht bezahlt. Diese Berufsgruppe gehörte eben nicht zur regierenden Arbeiterklasse. Gleichaltrige Schlosser bekamen 280,- Mark und mehr.

Es war seinerzeit ein schwerer Schlag, als ihn Mutter bittend ins Gebet nahm:

„Frieder, wir haben kein Geld, die Schule dauert zu lange - es hilft nichts, du musst nach der 10. Klasse aufhören - machst die Mittlerer Reife-Prüfung und lernst dann einen Beruf.“

Nach Vaters Tod mit dem Verzicht auf das Erbe der verschuldeten Firma lebte die Familie von der Hand in den Mund. Die 78 Jahre alte Oma, als Dritte im Haushalt, hatte als Frau des Uhrmachermeisters Knorr nichts für die Rente eingezahlt, lebte von den dürftigen

Mieteinnahmen des Hauses. So musste man sich mit West-Bruder Albrechts Päckchensegen so schlecht und recht durchwursteln.

Trotz dieser Einsichten des jungen Edub, der Oberschulabgang kränkte. Es war für ihn wie eine Degradierung gegenüber seinen Freunden.

Dass er in der KNOHOMA überraschend statt der viel besser benoteten Mitschülerin Helga, Freundin seiner ersten platonischen Schuster-Liebe, eingestellt wurde, war nur ein schwacher Trost: „Mädchen kriegen Kinder, machen auch sonst bei technischen Berufen Schwierigkeiten“, war die im Nachhinein durchgesickerte Aussage der Betriebsleitung für diese umstrittene Entscheidung.

In der Lehrwerkstatt, dem riesigen Saal im Obergeschoss der Fabrik, feilen wochenlang zwanzig Schlosser-, Dreher- und ein einsamer Zeichner-Lehrling aufgereiht an einer langen Werkbank. Die armlangen beidseitig mit scharfen Kanten geriffelten Feilblätter kratzen von eisernen Probestücken, fest im Schraubstock eingespannt, mit jeder Gleitbewegung kleine Spänchen vom Metall, silbrig glänzende Flächen erzeugend, welche wörtlich „plan“ sein sollen.

„Der Zeichnerlehrling ist nur sechs Monate bei uns, zukünftig einer der feinen Pinkel mit weißem Kittel. Dem werden wir zeigen was Arbeiten heißt!“, ist der hintergründige Tenor des Lehrausbilders.

Eine Tortur. Zur Häme des Meisters muss Linkshänder Edub mit rechts die Feile führen. Immer wieder an den U-Stahl den Messwinkel anlegen, immer wieder klafft zwischen Winkel und gefeilter Fläche ein Lichtschlitz, der nicht sein durfte:

„Noch mal dasselbe von vorn, hier hast du ein neues U!“, wie das eiserne Profilstück heißt.

Auf dem vergammelten, beißend duftenden Sch….haus der Lehrwerkstatt wird beim Austreten-gehen-müssen Zeit geschunden. Ewig lässt sich dort das Wasserlassen aber nicht vortäuschen - frei vor der feuchten schwarzen Wand balancierend, an der Abflusskante stehend, verschwitzt, ölbeschmiert, auf dem Fluchtklo in Erinnerungen schwelgen:

Die Freunde sitzen jetzt gut gelaunt in den Schulbänken, witzeln mit den Mädchen. „Pieps“, wie sie den Kleinsten nennen, ärgert wieder den ergrauten gutmütigen alten Mathelehrer. Der lauert wie ein Luchs auf jede Bewegung und Bemerkung in seinem Rücken, dreht sich blitzartig! Seine Hand schnellt in Richtung des Störenfriedes: "Zwei Seiten!" Auf frischer Tat ertappt, muss der Störenfried am nächsten Tag zwei Seiten handgeschriebenen beliebigen Text als Strafarbeit beim Lehrer abliefern. Pieps greift diesmal sofort in die Schultasche, hält dem Pauker das Papier entgegen: "Herr Kolbe, darf ich die zwei Seiten gleich abgeben?" Die unerwartete Reaktion mit der bevorrateten Strafarbeit erzeugt ein schallendes Gelächter, dem sich selbst die pädagogische Autorität nicht entziehen kann.

Ein andermal lässt der Mathe-Lehrer beim Verlassen der Klasse seinen Hut auf dem Fensterbrett liegen. Ölex attackiert gerade diesen mit den Fäusten, als der Lehrer zurückkommt: „Gucken Sie mal, Herr Kolbe, was die mit ihrem Hut gemacht haben!“ Reaktionsschnell richtet Ölex dabei den Filz und überreicht diesen dem erstaunten Pauker, der mitjovialer dankbarer Geste diesen in Empfang nimmt.

„Raus! - aber schnell, dalli, dalli!“ brüllt es in Edubs Rücken, während der in Gedanken versunken dem Pennälerdasein nachtrauert. Der ausbildende Aufseher treibt die ermüdeten Lehrlinge regelmäßig aus dem mit Ölfarbe grau, unten schwarz, getünchten Pinkelatorium, dem notdürftig belüfteten Verlies, welches nur mit Pendeltür abgeschottet ist.

Jedenfalls schwor sich Edub damals, später nie wieder eine Feile anzufassen. Wie oft hat er den Schwur schon gebrochen, dankbar für diese lehrreiche Schinderei!

Endlich! Endlich saß er dann im Zeichensaal hinter seinem eigenen „großen Brett“, wie die Zeichenmaschine hieß. Ein Schutzschild gegen fremde Sicht: einen Meter hoch, doppelt so breit - wie im Himmelreich. Man konnte dahinter versteckt vor sich hinträumen, durchs Fenster auf die Straße sehen oder auf der jetzt sauberen Toilette sitzend lesen oder schlafen. Der Toilettendeckel diente als Rückenlehne, wie es ihm sein Brettnachbar, späterer Schlagzeuger, geraten hatte.

Aber wehe, er musste in die Werkstätten. Dann hieß es auf der Hut sein. Peinlichst von Schlossern, Bohrwerks- und Drehmaschinenarbeitern beobachtet, vom Brigadier, wie deren Vorgesetzter hieß, überwacht, dass der Weißkittel auch höflich grüßte. Beim Canossa-Gang durch die Maschinenhalle ist er ganz Auge und Ohr. Ein Pfiff von links: Dienstbeflissen schwenkt Edubs Kopf ehrerbietig dorthin – schnell guckt der Bösewicht weg - feixten sich eins. Edubs Gruß geht in Leere.

Das Grüßen, lieber mehrfach als gar nicht, damals eingebläut, hat sich bis heute erhalten.

Später duldete man ihn an den Werkbänken als Stammgast. Wurden Witze erzählt, reichte er diese sofort an die nächste Halle weiter. Die Wiederholungen verfeinerten seine Rhetorik, der ausgefuchste Witzbold polierte sein Renommee in den Werkstätten auf. Das unbeobachtete Vor-sich-hin-dösen am großen Brett war wohltuend. Aber ansonsten hatte die pedantische Strichzieherei aber auch gar nichts mit seiner guten Schulnote „Zeichnen“, den gestalterischen Idealvorstellungen zu tun. Statt bildhaft zu malen, wurden auf großem durchsichtigem Papier mit dicken bis haardünnen Linien im rechten Winkel Kästchen, selten auch Kreise und Kurven gezeichnet, welche für den Laien künstlerisch ein impressionistisches Wirrwarr bildeten.

Diese Malerei mit schwarzer Tusche war anfangs gefährlich. Das Teufelszeug musste mittels Pipette zwischen mit Schraube verstellbare zugespitzte Metallbügel, an einem schwarzen Holzstab zuunterst befestigt, geträufelt werden. Kratzten die Bügel dieser Zeichenfeder, am Lineal geführt, über das Papier, entstand eine schwarze Linie. Bei zuviel Tusche dort drin, gab es beim Ziehen einen hässlichen Fleck auf dem Papier. War zu wenig drin, bekam die Linie Buckel, wurde immer dünner, endete in einzelnen Punkten.

Den Tuscheklecks konnte man mit einem kleinen Glasfaserpinsel ausradieren. Wenn dies fehlschlug, mit einer Rasierklinge solange das Papier zerkratzen bis dort ein Loch entstand. Dann war das Malheur perfekt. Korrekturen waren auch ohne Loch immer, ewig sichtbar. Besonders, wenn erneut dort gezeichnet wurde, lief das Schwarze in den Kratzern breit, so dass neue Strichränder wie behaart aussahen, den ungeschickten Täter entlarvten. Wurden die Glasfaserreste nach dem Ausbessern nicht gründlich abgeblasen und nachgewischt, piekten und juckten die Reste am Unterarm, erzeugten rotfleckige Entzündungen.

Die anfängliche Quälerei hat später Spaß gemacht, einem reichlichen Jahrzehnt später Erfolg mit zusätzlicher Erfinder-Penunze beschert.

Vor diesem bewussten schönen Osterfest war Edubs Freude, wegen der Auszahlung der ersten selbst verdienten Moneten verhalten. Immer noch nagte der verzögerte akademische Aufstieg an ihm.

Die Freunde bauten während seiner Lehrzeit das Abitur. Manche bekamen Zusagen, nach dem Grundwehrdienst oder einem Jahr Tätigkeit in der Produktion die Hochschule besuchen zu dürfen. Das beantragte politisch brisante Jura-Studium vom Freund Ebs, einem echten Arbeiterkind, wurde allerdings unwiderruflich wegen der Existenz eines West-Bruders abgelehnt, nur ein unpolitisches Studienfach genehmigt! - Für Edub alles Träume.

Auch sein Jugendfreund Paulus, Vater Zahnarzt und aktiver Kirchgänger, hatte wegen der nichtproletarischen Herkunft keine Chance, war ja schon wenige Tage nach den Abiturprüfungen in den Westen getürmt.

Wie Paulus gehörte auch Edub, Nachkomme eines Tischlereibesitzers, im Arbeiter- und Bauernstaat zur Gattung Kapitalist, konnte zwar proletarisiert werden - dieser Aufstieg war aber mit vielen Hürden gespickt, eine besonders positive Beurteilung der politischen Einstellung Voraussetzung.

Nur diese führte zu einer betrieblichen Delegierung zum Studium, der Betriebs- und Parteileitung, FDJ und Gewerkschaft kollektiv zustimmen mussten.

Für Kinder von Arbeitern war das keine Hürde, eher ein aufgezwungenes Privileg.

Edub dagegen hatte vorerst keine Chance:

„Als Genosse sollte ich mich bewerben! Dann delegieren die mich vielleicht? - Was habe ich denn gegen diesen SED-Staat einzuwenden? - Dass alle Produktionsmittel allen gehören, somit vom Staat verwaltet werden, alle Bürger an dem Erarbeiteten gleichermaßen profitieren? - Das erscheint doch logisch und sozial. - Also sozialistisch! - Das ist doch gut!“

„Warum aber machen die, welche das als oberstes Ziel verkünden, Unterschiede zwischen den Menschen. Teilen diese in die herrschende Klasse der Arbeiter und Bauern und die Beherrschten, die Intelligenz, Handwerkern, Unternehmer ein - und nehmen deren Kinder noch in Sippenhaft! Was kann ich denn dafür, dass mein Vater Handwerksmeister war, zumal wegen dessen frühem Tod ein negativer politischer Einfluss nicht mehr möglich ist? Wo liegt denn da die Logik?“

„Warum wirkt das alles so unecht? Warum haben SED und deren Genossen bei großen Teilen der Menschen einen unglaubwürdigen Ruf, gelten eher als Wichtigtuer oder Karrieristen?“

Die wirklichen Grausamkeiten dieser Diktatur hatte Edub noch nicht erkannt. Seine Einstellung zum sozialistischen System in seinen Grundsätzen war positiv - die Praxis der genannten Fragezeichen machte aber alles zunichte.

Wahrscheinlich hätten sie ihn sogar genommen - in der SED. Das wäre von Familie und Freunden als Skandal empfunden worden! Ne, dafür war er sich doch zu fein, so grundsätzlich musste die Liebedienerei nicht ausarten.

Aber eine möglichst unpolitische Mitarbeit in der FDJ wäre doch auch eine Art der Bewährung. Also organisiert Edub schon als Lehrling und Sportverantwortlicher das Betriebssportfest. Gerissen wählt er die Preise so aus, dass bei deren zur Schaustellung im Gewerkschaftsbüro für seinen möglichen Tischtennistitel ein maßgeschneidertes Präsent markiert war. Vor der Glasscheibe zum Büro stauten sich die Kollegen, diskutierten die Gewinnchancen der lukrativen Trophäen.

Seine nächste Aktivität war die Mitbegründung einer betrieblichen FDJ-Kapelle. Ein Lehrausbilder, er war kein Lästerer des U-Stahlfeilens, spielte schon in einer Band, rekrutierte Lehrling Rainer mit seinem Akkordeon, Edub fürs Klavier, qualifizierte dessen Zeichenbrettnachbarn Udo, welcher so vertrauensvoll die Einweisung betreffs Klo-Deckel-Ausruhens vorgenommen hatte, als Schlagzeuger.

Das Klavier stand im Speisesaal. Dort wurde auch von FDJ und Partei der erste Auftritt der neuen Betriebskapelle zur Mittagspause angeordnet. Minuten vor dem Klingelzeichen drängt sich am Hallenausgang zur Treppe die Warteschlange, stürzt mit dem ersten Klingelton dort hoch an den Essentresen. Der Saal wird diesmal beschallt: „Spaniens Himmel breitet seine Sterne…“ und „Der kleine Trompeter“ ertönen während des Geschirrklapperns. Langsam wird die Musik seichter: „Rosamunde“, „Auf der grünen Wiese hab ich sie gefragt“ - die Mienen der Nahrung aufnehmenden Arbeits- und Bürokittel hellen sich entspannt auf.

Fortan läutet die neue Betriebskapelle jede Versammlung mit der Deklamation einer so genannten Firmenhymne ein. Der russischen Studentenmelodie wurde ein revolutionärer Aufbruch verkörpernder Deutschtext übergestülpt:

„Brüder zur Sonne zur Freiheit…“ tuschelt und brummt es im Sprechgesang. Notgedrungen muss die Belegschaft stehend so schlecht und recht den einfachen Text der drei Strophen mitsingen, - zumindest so tun. Das sorgt vor Beginn der plakativen Reden für Ruhe und Ordnung, sichert der Freizeitcombo den parteipolitischen Anstrich und Rückhalt!

Nach wenigen Auftritten zum Ringelpietz der Lehrlinge wird der FDJ-Sekretär, wie der gewählte Anführer der Betriebsjugend hieß, größenwahnsinnig, will Geld einspielen, schickt die vier Musikanten auf Tanzsäle - auch in den ROSENGARTEN ROLIKA. Nur ausgewählte Spitzen-Kapellen präsentierten sich dort. Die FDJ-Leitung beratschlagt: „Wir müssen ein großes Plakat anfertigen, überall aushängen und euch einen klangvollen Namen verpassen!“ Nach mehreren Vorschlägen versprach der fantasievolle Titel RUMBATOS große Massenwirksamkeit.

Nachdem Edub das Plakat gemalt, endlich eine Tätigkeit seiner Neigungen, viele Male vervielfältigt, fuhren die Musiker mit Motorrad über Dörfer, Nachbarstädte, kleben möglichst unbeobachtet Plakate.

Tag des Finales: Durch den Hintereingang auf die Bühne, Instrumente aufbauen, Akkordeon-Rainer schielt durch den Spalt der Vorhänge: der Saal rammelvoll! - will der doch flüchten! - die anderen hängen lassen! Sie können ihn festhalten … bis einer gnadenlos den schützenden Vorhang aufzieht!

Klavier, Akkordeon, Gitarre, Schlagzeug klimpern, besser, flüstern eingeschüchtert die Begrüßungsmelodie. Etwas mitleidig und erstaunt beäugen die Herumstehenden den gedämpften Klangkörper. Man muss zum Tanzen notgedrungen die dürftige Akustik der vier Hanseln auf der großen Bühne ertragen. Was Besseres war nicht im Angebot. Musikkapellen waren rar. Diskjockeys mit elektronischer Musik gab es noch nicht!

Höhepunkt war immer der 1 .Mai:

Am Vorabend des „Feiertags aller Werktätigen“ spielen die RUMBATOS zum Maitanz im Gasthof des Nachbardorfes bis weit nach Mitternacht, Elvis Presleys sogenannten “Ur-Rock and Roll the Clock”, allein sechsmal. Das Repertoire ist klein. Die vorgeschriebenen 60% Ostschlager werden nie eingehalten. Die Mini-Tanzkapelle vergibt eifrig Ehrenrunden, deren Belohnung durch die Dorfjugend am Bühnenrand aufgereiht wird. Immer um die zwanzig volle Biergläser stehen dort für die Tonkünstler reserviert. Volltrunken sinken diese gegen vier Uhr nach grölendem Heimmarsch ins Bett.

Zwei Stunden Schlaf. Am nächsten Morgen frühzeitig aufstehen. Das massige Klavier aus dem Speiseraum der Fabrik, die Treppen runter gehievt, wird auf einen beplanten Kleinlaster gewuchtet, die restlichen Instrumente vom Gasthof geholt, das Schlagzeug aufgebaut.

Laut lärmend, fährt die Kapelle langsam durch die Dörfer, weckte zum Mai-Umzug!

Spätestens elf Uhr mittags müssen sie zurück sein, die Gerätschaften auf die Bühne im „Waldschlösschen“ zur Festtagsfeier der Firma karren, Aufspielen für die mit Freibier nach der Demonstration geköderte Belegschaft.

Nachmittags kurzes Sofaruhen - abends letzter Auftritt im Dorf Altkirchen.

Viele junge Mädchen, auch Edubs Liebchen, stehen dort den älteren als Blickfang, den Jungbauern als Tänzerinnen zur Verfügung. Die Landlehrer-Ausbildung der Mädchen sieht wochenlanges Studieren auf dem Dorfe vor, Unterricht in primitiven Lehrräumen, Schlafen in notdürftig eingerichteten Gemeinschaftszimmern, Arbeiten in der LPG, sprich Landwirtschaftlicher Produktionsgenossenschaft.

Mit dem Hahnenkrähen geht es in den Kuhstall zum Melken, in den Schweinestall zum Füttern, alles was sonst noch an Drecksarbeiten anfällt. Manche mit stechendem Duft belastete Lehramtsanwärterin wird von ihren auf dem Feld arbeitenden erdig und pflanzlich aromatisierten Kolleginnen regelrecht des Zimmers verwiesen, muss anderswo nächtigten.

Auch deren Dozent, Herr Hauthal, hat dort ein Kämmerchen zum Schlafen, muss während der Lehrtätigkeit im Dorf die Studentinnen beaufsichtigen.

Anlässlich des Besuches seiner Ehehälfte sollen die Weibchen sich zurückhaltend und keusch, lernfreudig darstellen - versteht sich. Der Herr Dozent führt seine Gemahlin durch die Lehr- und Wohnräume, zeigt auch seine bescheidene Schlafstätte! Nur anstandshalber interessiert sich dessen Angetraute für die kleine Mansarde - klappt artig Interesse zeigend die ordentlich gefaltete Bettdecke zurück. - Da! Ein zartes winziges mit Spitzen bestücktes Nachthemdchen liegt darunter! Um Gottes Willen! Was soll denn das heißen? Ob es dem Hauthal gelungen ist, die Frau zu überzeugen, dass in seiner Abwesenheit nur eines der sonst in großen Schlafräumen zusammengepferchten Mädchen dorthin, ohne ihn geflüchtet war, nur wegen der wohnlichen einsamen Ruhe, der Flucht vor Stallgerüchen, bleibt offen.

Es war eine verrückte Zeit: Tanzabend in Wildenbörden zum „Äppelball“. Des Pianisten erste Tätigkeit: möglichst alle Verkleidungen am Klavier entfernen, damit dessen röhrende Saiten trotz fehlender Lautsprecheranlage den Saal ausfüllen.

Gute Stimmung - links am Bühnenrand sitzen an langen Tischen die Bauern, hinten die Jugend, zwischendrin ein paar Einzelgänger.

Während traditionell aus den Körben die Äpfel auf die Saalfläche gerollt werden, torkelt ein Betrunkener mit blau-weiß längsgestreifter Fleischerkluft über das Parkett, steuert zum großbäuerlichen Tisch - nur Frauen saßen noch, die Männer waren an der Theke - zerrt eine Bäuerin auf die Tanzfläche. Im Nu war der Bauer da! Während Fleischer und Bauer sich auf dem Boden wälzen, sich prügeln, machen die Pärchen im Foxtrott-Schritt für die raufenden Mannsbilder artig Platz. Das Witzige, Edub hämmert gerade jetzt in die Tasten: „In der Spelunke - zur alten Unke…“ - eine filmreife Szene.

Die Schlussakkorde von „Auf Wiedersehen…“ sind verklungen, die letzten Biere getrunken: Vier Musiker zwängen sich in ein Taxi. Gitarre, Akkordeon, Gestänge für Schlagzeug, zuletzt noch Trommel und Pauke, von außen müssen gewaltsam die Türen zugedrückt werden - ab nach Hause.

Bezechte Heimkehrer versperren den Weg, Tumulte am Straßenrand. Die gestapelten, geschichteten Musikerwerkzeuge mit ihren eingepferchten Bedienern verbieten das Öffnen der Türen, versperren die Sicht. Edub klettert mühsam aus dem Fenster: Das Opfer der Prügelei liegt auf der Straße. Augen, Stirn und Nase, ein einziger Blutberg. Umringt von Heimkehrern wischt man dem Betrunkenen immer wieder die Augen frei. Es war aber nicht der Fleischer.

War das nun ein Äppel- oder ein Schlächter-Ball?

Die sich immer stärker durchsetzende Rock-Musik verlangte größere Lautstärken. Die Tonkünstler können mit ihren bescheidenen Musiziergerätschaften die Säle nicht ausreichend beschallen.

Wo bekommen wir eine doch so wertvolle und seltene Mikrofonanlage her?

Der von seinem rassigen Weib verlassene Kunstmaler und Farbenhändler aus Edubs Nachbarschaft besaß solch eine seltene Vorrichtung.

Er war eine geheimnisvolle Person, hatte die schönste Glatze und nach dem Krieg sogar eines der ersten privaten Autos der Stadt. Mit „Holzvergaser“, Edub erinnert sich noch an den kleinen Laster. Vorn ein eckiges Fahrerhaus für zwei Personen, dahinter war ein senkrecht stehender runder hoher und dicker Eisenofen angebaut, erst danach kam die Ladefläche. Am Eisenzylinder gab`s unten ein Loch mit Klappe. Man konnte sehen, wie der dort Holzscheite rein schob und ein helles Feuer brannte. Rohre führten nach vorn und hinten. Eigenartig, das Vehikel brauchte kein Benzin! Man sagte, er wäre auch Briefmarkensammler, was Edub damals besonders interessierte, traute sich dem im grauen Malerkittel am Auto hantierenden Nachbarn aber nicht zu nähern.

Jetzt mit 19 Jahren, war das anders. Beim Besuch der Bittsteller hatte der auf jugendlich aufgepeppte Kavalier diese in sein Wohnzimmer dirigiert, sie sollten am großen runden Tisch Platz nehmen.

„Was ist denn das! Mitten auf der blanken Tischplatte liegt ein Bündel Gummi-Fromms, wie die Verhütli genannt wurden, zusammen- und sogar aufgerollte! So eine Schweinerei, der will uns Jungchen gegenüber prahlen!“

„Es ist also doch was dran, an der Bezeichnung Liebeslaube neben unserem oberen Gartengrundstück!“ – Gerüchte? Jede Menge, von wegen „Briefmarken angucken“ -da gab´s wohl andere Spielchen. Zu dieser Zeit erzählte man, in der Pfarrgasse wäre ein Mini-Puff ausgehoben worden - wir hatten somit Weltstadtflair.

Der musikalische Genius bezahlte viel Geld für das Arrangieren seiner Kompositionen und Texte. Diese, seine „Schlager“ sollte die Jugend-Combo popularisieren, im Gegenzug den Tonverstärker nutzen dürfen. Kontrollierte der Maestro die Aufführung seiner Schöpfungen, inspizierte die Säle, hatte der jetzt elektronisch aufgepeppte Klangkörper blitzschnell die Noten parat, klimperte dessen Schnulzen. Er war zufrieden.

Schon zu Lebzeiten setzte sich der verkannte Künstler ein Denkmal. An der Friedhofmauer vor einem Grab prangt seine namentliche Grabplatte mit Geburtsdaten 1896, eingemeißelt mit der Würdigung "Schöpfer des Heimatliedes MEIN SCHMÖLLN". Das Sterbedatum fehlt auch später. Liegt er vielleicht gar nicht dort? Oder konnte er sich das nicht mehr organisieren? Sein Werk wurde wahrscheinlich nie öffentlich aufgeführt.

Die Schöpfung des wahren Heimatliedes gleichen Titels wurde einem Schuldirektor gewidmet, durch den Schulchor popularisiert, auf CD vertont.

Trotzdem - der Landschaftsmaler und Komponist bediente damals viele Klischees eines Künstlers.

8. März, Internationaler Frauentag. In der Tanzbar vom „Schwarzen Bären“, benachbart zum Haus mit Turm am Markt, werden die zu ehrenden Frauen in den Armen von männlichen Partei- und Gewerkschaftsfunktionären geschwenkt, zum Tanze aufgespielt. Erst gegen Ende kommt richtig Stimmung auf.

Der Anführer der Genossen, übermütig, angeheitert, beginnt auf der Bühne zu rocken - lässt die Hose fallen, lüftet seine angerauten weißen Unterhosen bis zum Knöchel. Politisch ein scharfer Hund mit deutlichen Worten. Der Wortdreher „Partärsekretei“ als Spitzname bewertete dessen Grammatik:

„Schestermann-Hosen an´haam´, un'n Feind off'm Dach, das könn' mer leid'n!“ wetterte der über das Tragen der westlichen Manchesterhosen und die in Richtung Klassenfeind gedrehten Antennen auf den Dächern.

War das alles eine Kacke! - aber damals für alle normal. Edub findet Spaß daran, sich derart proletarisieren zu lassen. Handwerksvater tot, Mutter jetzt werktätige Verkäuferin - was sollte noch passieren?

Der kleinbürgerliche Mangel war nun doch wohl behoben!

Denkste! sprach Vater Staat, du bist und bleibst ein Kapitalistensohn.

DER ÜBERHEBLICHE

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