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Kapitel 7 - Walk and Talk

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Chris und Tom hatten das Kongressgebäude hinter sich gelassen und schlenderten die Uferpromenade entlang. Ein leichter Wind blies ihnen entgegen und bis auf das gelegentliche Gekreische von Möwen, die nach Essbarem zwischen den mächtigen Tetrapoden suchten, die als Wellenbrecher die Promenade schützen, war es ruhig. Nur wenige, vor allem ältere Menschen waren zu dieser Tageszeit hier unterwegs, um das gute Wetter zum Frischluft schnappen zu nutzen und Brotkrumen an Enten zu verteilen.

„Ich hoffe, du bist einverstanden, dass ich dich vor den ‚Klassischen Entscheidungsinstrumenten‘ bewahrt habe.“

„Wieso bewahrt, das sind ja sehr nützliche Instrumente!“ entgegnete Tom etwas irritiert.

„Ja, ja, ich meine eher, dass dich als Wirtschaftswissenschaftler ohnehin das meiste gelangweilt hätte, weil du damit sicher bestens vertraut bist. Und, wie vorhin schon erwähnt, besitzen die Vortragsqualitäten des Dr. Anastrop noch ziemlich viel Verbesserungspotenzial, um es vorsichtig auszudrücken. Oder anders gesagt, wenn in unseren Kreisen von Dr. Katastroph die Rede ist, weiß jeder, wer gemeint ist … Inhaltlich – nicht dass wir uns missverstehen – ist aber nichts auszusetzen. Wenn man sich mit dem Thema anfreunden kann und nicht einschläft, ist es schon okay“

„Du scheinst dem Thema nichts abgewinnen zu können, oder? Was soll denn an analytischen Entscheidungsinstrumenten schlecht sein?“

„Hast du schon mal damit gearbeitet?“

„Ich habe mich in einer Seminararbeit damit beschäftigt und in einer Prüfung kam das Thema auch vor.“

„Eben.“ Tom sah ihn mit großen Augen an.

„Ich meine in der Praxis. In der Theorie ist das einfach. Da sind die Kriterien, hier die Gewichtung, dort die Bewertungen; ein bisschen rechnen y voilà, schon steht das Ergebnis fest.“ Tom verstand immer noch nicht so genau, worauf Chris hinauswollte.

„Ich meine, in einem Examen werden dir alle notwendigen Daten auf dem Silbertablett serviert. Glückwunsch! Aber was machst du, wenn du die Zahlen in der Praxis eben nicht mehr geliefert bekommst und zum Beispiel eine Unternehmensentscheidung vorbereiten musst?“

„Schon klar, dann muss ich oder eine Arbeitsgruppe natürlich die Kriterien und alles andere selber festlegen. Wo ist das Problem?“

„Bis man letztendlich zu einer mathematisch berechneten besten Lösung kommt, sind sehr viele Einzelentscheidungen zu fällen. Je nachdem, wie diese ausfallen, kommt am Ende eben die eine oder die andere Alternative als beste heraus. Was zuletzt dann scheinbar ganz objektiv, weil streng mathematisch und rational ermittelt, als Optimum feststeht, steht aber möglicherweise auf ganz wackeligen Beinen. Nehmen wir zum Beispiel die Kriterien, anhand derer die zur Auswahl stehenden Alternativen verglichen werden. Wie ich unseren Herrn Doktor kenne, wird er gerade sein immer gleiches Beispiel der Urlaubsplanung verwenden, um den geneigten Zuhörern die Methodik der Punktbewertungsverfahren nahezubringen. Er arbeitet dann, wenn ich das richtig in Erinnerung habe, mit den Kriterien ‚Erholungsfaktor‘, ‚Kosten‘, ‚Sportmöglichkeiten‘ und ‚Gepäck‘.“

„Gepäck?“

„Ja, Gepäck. Die Zwischenfrage kam auch mal. Dr. Katas … äh Dr. Anastrop hat dies mit der fiktiven Ehefrau und Mutter erklärt, der es wichtig sei, mit diesem Kriterium ihren Bedenken bezüglich des ihrer Meinung nach viel zu niedrigen Gewichtslimits für Fluggepäck Rechnung tragen zu können. Aber zurück zu den Kriterien im Allgemeinen. Warum diese und nicht andere oder zusätzliche? Verstehen die Parteien, die die Kriterien evaluieren sollen, auch dasselbe darunter? Oder denkt der Familienvater zum Beispiel bei ‚Erholung‘ nur an den Erholungswert am Reiseziel, die Tochter aber auch an die eventuell anstrengende An- und Abreise? Sind die Kriterien nutzenunabhängig, wie es in der Theorie so schön heißt, und wie es für das Verfahren eigentlich nötig wäre? Oder besteht nicht zum Beispiel genau so eine Abhängigkeit zum Beispiel zwischen den Kosten und dem Erholungswert?“

„Aber ich kann doch den Erholungswert mehrerer Urlaubsziele gegeneinander abwägen und unabhängig davon die Kosten für die Urlaubsziele abschätzen. Ich denke, das wäre soweit unproblematisch.“

„Und was, wenn die Ehefrau bei ihrer Bewertung des Erholungsfaktors für den vermeintlich günstigen Alpenurlaub schon die imaginären muskulösen Arme eines Alpenmasseurs vor Augen hat, der sich täglich ihren Ganzkörperverspannungen widmet, bevor sie in einem Heu-, Öl-, Rosen-, Kuhmist- oder Sonst-was-Bad versinkt und vom Rest der fleischgewordenen Knetmaschine träumt, bevor sie sich von einer zarter besaiteten Wellness-Expertin weitere Wohltaten der Spa-Menükarte angedeihen lässt?“ Tom sah ihn sichtbar irritiert an.

„Nun ja, wenn der Urlaub in den Bergen bezüglich des Kriteriums ‚Kosten‘ im Vergleich zu den anderen Alternativen recht gut bewertet wird, auch weil der Ehemann gar nicht auf die Idee kommt, dass seine Frau eine beachtliche Wellness-Rechnung produzieren wird, ist es schon um die Nutzenunabhängigkeit der Kriterien geschehen und das Endergebnis nicht mehr vertrauenswürdig. Aber viel offensichtlicher sind die Defizite des Verfahrens doch bei all den Bewertungspunkten und Gewichtungen, die zu treffen sind. Ist eine Alternative hinsichtlich eines Kriteriums nun eher mit sechs oder mit vier Punkten zu bewerten? Sind zwei Kriterien gleich wichtig oder nicht? Objektiv korrekte Werte gibt es nicht und jeder hat doch andere Vorstellungen. Mal setzt sich der eine durch, mal der andere. Je nach Temperament vielleicht der eine viel häufiger als der andere, und so weiter und so fort. Man kann ja nicht getrennt bewerten, sonst fährt der eine in den Norden und der andere in den Süden in den Urlaub.“ Tom wirkte nachdenklich und erwiderte nichts.

„Daran wird an den Wirtschaftsfakultäten üblicherweise kein Gedanke verschwendet. Dabei gilt das in Unternehmen ganz genauso wie bei der privaten Urlaubsplanung. Wenn du zum Beispiel je einen Vertreter aus Marketing, Vertrieb und Produktion im Team hast, wird vielleicht dem Produktdesign mehr Bedeutung geschenkt als dem Produktionsprozess, alleine deshalb, weil der ohnehin durchsetzungsschwache Produktionsmensch allein auf weiter Flur ist und die beiden Kollegen aus Marketing und Vertrieb dominieren. Kommt da letztlich eine objektiv richtige Entscheidung heraus, auch wenn ein Bewertungsmodell verwendet wird?“

„Ja, du hast ja Recht. Von der Seite habe ich das bisher tatsächlich nicht betrachtet. Mmh… deine Empfehlung lautet also, diese analytischen Verfahren am besten zu vergessen und gar nicht zu verwenden?“

„Nein, so weit würde ich nun auch nicht gehen, sie komplett zu verdammen. Manchmal ist schon viel gewonnen, wenn die Themen durch so ein Vorgehen transparent werden und strukturiert diskutiert werden. Und außerdem“, Chris setzte ein schelmisches Grinsen auf, „du als schneller Rechner siehst im Fall der Fälle ja eher als andere wohin der Hase läuft. Und wenn es für dich die falsche Richtung ist, weißt du ja jetzt wo du ansetzen kannst … Übrigens, der Clou in Dr. Anastrops Vortrag ist ein ganz anderer. Er geht auch auf die Methode ein, Alternativen durch paarweisen Vergleich in eine Reihenfolge zu bringen. Also, jede Alternative wird mit jeder anderen verglichen und dann entschieden, ob eine besser als die andere ist oder nicht.“

„Ja, kenne ich, und?“

„Nun, für jeden Vergleich kann man nun in einer Matrix entweder die dominierende Alternative eintragen oder eine Zahl, zum Beispiel ‚2‘ für ‚dominiert‘ oder ‚0‘ für ‚wird dominiert‘. Und dann wird ausgezählt.“

„Ist doch egal ob so rum oder so rum, letztlich kommt die gleiche Reihenfolge raus.“

„Genau. Ob ich jetzt die jeweils bessere Alternative in die Matrix setze und anschließend auszähle oder eben Nullen, Einsen für Unentschieden oder Zweien und diese dann addiere, ändert ja nichts am Prinzip und Ergebnis des Bewertungsverfahrens, oder? Letztlich wird also willkürlich eine der beiden Methoden verwendet, richtig? Niemand würde diesem Punkt Bedeutung beimessen, stimmt’s?“

„Ja, wohl nicht. Wie du schon sagst …“

„Und das ist der Clou - es ist eben nicht egal! Dr. Anastrop zeigt anhand eines Beispiels auf, dass die beiden Ansätze eben nicht zum gleichen Ergebnis führen müssen. Ein offenbar irrelevantes Detail des Verfahrens kann letztlich über das Endergebnis entscheiden – und keiner merkt’s!“ Jetzt war Tom endgültig bedient.

Die Pilotenkonferenz

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