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Kapitel 2 - Der Homo oeconomicus

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Ein Mann im fortgeschrittenen Alter, offenbar nicht mehr weit von seiner Emeritierung entfernt, betrat die Bühne und positionierte sich hinter dem Rednerpult. Er legte ein paar Blätter mit handschriftlichen Notizen vor sich auf den Stehtisch.

„Kennt irgendjemand hier im Saal Hoko? Nein? Das habe ich mir fast gedacht. Hoko kennt nur, wer jemals eine meiner Vorlesungen oder einen meiner Vorträge gehört hat. Die allermeisten werden ihn dennoch kennen, allerdings unter einem anderen Namen. Hoko ist mein Spitzname, wenn Sie so wollen, für den Homo oeconomicus. Denn, schließlich bin ich Ökonom und ‚Hoko‘ geht doch wesentlich einfacher und schneller von den Lippen als ‚Homo oeconomicus‘. Und außerdem klingt es nicht so seriös und – wie soll ich sagen – so korrekt und vielleicht auch unfehlbar wie der wissenschaftliche, aus dem Lateinischen stammende Begriff."

„Das ist Professor Mons, ein führender Vertreter der Verhaltensökonomie“, flüsterte Toms Sitznachbar ihm zu. „Vielleicht ein bisschen schrullig, aber ein hervorragender Wissenschaftler“.

„Homo oeconomicus, na toll, habe ich doch schon das ganze Studium lang rauf und runter gehört, was soll ich denn da noch lernen?“, dachte Tom missmutig.

„Hoko ist ja, wenn Sie so wollen, ein strenger Prinzipienreiter. Die Volks- und Betriebswirte unter ihnen durften seine Charaktereigenschaften ja ausführlich studieren und können das bestätigen. Nur – ganz so ernst wie zu Beginn meiner Karriere kann ich ihn mittlerweile nicht mehr nehmen. Das haben mich nicht nur meine Forschungsarbeiten, sondern auch meine Lebenserfahrung gelehrt. Hoko ist kein Bruder Leichtfuß, das möchte ich nicht behaupten, aber man sollte ihm auch nicht alles bedingungslos abkaufen. Auch wenn ich mit diesen Aussagen an den Fundamenten der klassischen Wirtschaftstheorie rüttele, mit meiner Meinung stehe ich längst nicht mehr alleine da.“

„So, so“, dachte Tom und stellte sich bildlich vor, wie diese schmächtige Person in ihrem grauen Anzug mit der zu kurzen Hose mit beiden Armen einen mächtigen Sockel umklammert, der sich natürlich keinen Millimeter bewegt. Sein Haar, grau wie sein Anzug, steht dagegen ob der vergebenen Kraftanstrengung nur umso wirrer in alle Richtungen.

„Mittlerweile gibt es Zweifel an Hoko nicht nur in einschlägigen Akademikerkreisen, sondern sie sind im wahrsten Sinne des Wortes längst auf der Straße angekommen. Zum Beispiel in Deutschland, im Spätherbst 2011.

Gut drei Jahre war es damals her, dass mit dem Kollaps der US-amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers die Finanzwelt an den Rand des Zusammenbruchs geriet. Kaum war diese Krise ausgestanden, folgte die Staatsschuldenkrise im Euroraum, ausgelöst durch die drohende Zahlungsunfähigkeit Griechenlands. Fast täglich gab und gibt es neue Hiobsbotschaften, ein Krisengipfel jagt den nächsten. Für jeden Bürger spürbar, hängt ein Damoklesschwert über Europa. Während den Verantwortlichen in Politik, Wirtschaft und den Finanzmärkten ein scharfer Wind entgegen bläst, große Unsicherheit und auch Panik herrschen, wird in den Hörsälen der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten business as usual betrieben. Während draußen das Chaos regiert, erfahren die Studenten drinnen von selbstregulierenden Kräften der Märkte, von Gleichgewichten und Effizienz, die sich von selbst einstellen. Die ‚unsichtbare Hand‘ von Adam Smith, einem der wichtigsten Theoretiker der klassischen Wirtschaftswissenschaften, lässt grüßen. Diese steht, verkürzt gesagt, für das Postulat, dass die Verfolgung von Eigeninteressen Einzelner zu allgemeinem Wohlstand führt.“

Professor Mons blickte über seine randlose Brille in den Saal und musterte für ein paar Sekunden sein Publikum. „Ich denke, Hoko kann sich glücklich schätzen, kein Wesen aus Fleisch und Blut zu sein. Speziell in Südeuropa dürfte es zurzeit mehr als genug gebeutelte Menschen geben, die ihn gerne vermöbeln würden.“ Professor Mons grinste breit, offenbar sehr zufrieden mit seiner Pointe.

„Kaum öffnen sich jedoch die Türen der Universitäten“, fuhr er fort, „sind die Studenten wieder mit der rauen Wirklichkeit konfrontiert, die so gar nicht zu dem theoretischen Rüstzeug aus dem Studium passen mag. Die Gegensätze zwischen Theorie und Praxis – selten tat sich eine so große Kluft auf. Der Widerspruch zwischen den Modellen aus den Hörsälen und den täglichen Hiobsbotschaften zu Staatsfinanzkrisen und Börsenmärkten, fehlende Antworten der Wissenschaftler auf die aktuellen Geschehnisse rund um die Euro-Krise, die die wirtschaftliche und politische Zukunft eines ganzen Kontinents bedrohen – zu groß, um weiter ignoriert zu werden.

So groß, dass sich an mehreren deutschen Universitäten Studenten selbst organisieren, um eigene Vorlesungen zu veranstalten, um Antworten auf die aktuellen Krisen zu finden, die ihnen die universitäre Lehre schuldig bleibt. Auch wenn sich mit der Verhaltensökonomie – wir werden später noch darauf zurückkommen – schon länger eine wissenschaftliche Disziplin etabliert hat, die den klassischen ökonomischen Ansätzen mit alternativen Annahmen entgegentritt, traten die Unzulänglichkeiten der klassischen wirtschaftswissenschaftlichen Modelle noch nie so offen zu Tage wie in den aktuellen Krisenzeiten. Höchste Zeit, sich näher mit einem der Grundpfeiler der klassischen Ökonomie zu beschäftigen: Hoko.“

„Will er jetzt mal soeben die ganze klassische Wirtschaftstheorie in den Orkus schicken?“

„Na ja, ganz so drastisch wird es nicht werden, aber in die Richtung geht’s schon“, meldete sich sein Nachbar wieder. Tom hatte anscheinend laut gedacht.

„Sehr anregend, was er zu sagen hat, ich war schon mal in einem seiner Vorträge. Es wird Ihnen sicher gefallen – es sei denn Sie sind glühender Verehrer der Chicagoer Schule.“

„Glühend vielleicht nicht, aber natürlich haben die recht. Ergatter du da erst mal einen Studienplatz …“

Diesmal hatte er nicht zu laut gedacht.

Die Pilotenkonferenz

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