Читать книгу Die 3 großen Fitmacher - Dr. med. Johannes Wimmer - Страница 10
ОглавлениеDARM AN HIRN
Du merkst es daran, wenn dir das Wasser im Mund zusammenläuft oder wenn du ganz dringend auf die Toilette musst: Dein Darm steht mit deiner Steuerzentrale im Kopf in regem Austausch, und zwar überall da, wo es wirklich wichtig ist. Beim Essen, beim Ausscheiden, aber auch, was deine Gefühlswelt anbelangt. Ein mulmiges Gefühl oder das Kribbeln der Vorfreude entsteht niemals im Kopf, sondern immer in deiner Körpermitte.
Die genauen molekularen Mechanismen sind zwar noch nicht ganz erforscht. Man weiß aber, dass der Darm über mikrobielle Stoffwechselprodukte, Hormone, Botenstoffe und Nervenbahnen den direkten Draht nach oben hat. Das ist nicht besonders erstaunlich, wenn man überlegt, dass Darm und Hirn aus demselben Stoff gemacht sind. Das verbindet.
Lange bevor Lebewesen auf der Erde ein Kopfgehirn entwickelten, besaßen ihre Vorläufer bereits Nervenzellen in ihrem Verdauungssystem, das ansonsten aus Muskeln, Schleimhäuten und Immunzellen bestand. Aus dieser Urform des Darms entstand das Bauchhirn mit seinen 100 bis 150 Millionen Neuronen, wie wir es heute kennen. Erst später bildeten sich aus genau diesen Nervenzellen Gehirne im Kopf.
Für die lebenswichtige Aufgabe des Verdauens braucht das Hirn im Bauch das im Kopf jedoch gar nicht. Es übernimmt, sobald du den ersten Bissen heruntergeschluckt hast. Das zweite Gehirn analysiert, was in deinem Essen drinsteckt, steuert die Darmbewegungen und kontrolliert, was in die Blutbahn aufgenommen werden soll und was nicht. Auch die Darmentleerung geschieht ausschließlich unter seinem Kommando. Im Gegensatz zu vielen anderen Organen im Körper ist es nicht auf Befehle aus dem Oberstübchen angewiesen. Für das Kopfhirn ist das natürlich superpraktisch, denn es kann sich inzwischen um andere Dinge kümmern.
Trotzdem sind die beiden eng miteinander. Wie eng, das zeigen neurologische Krankheiten wie Morbus Parkinson oder Depressionen, die womöglich im Darm beginnen. Dabei macht das Darmhirn die meisten Ansagen. 90 Prozent aller Infos werden von unten nach oben geleitet, nur 10 Prozent der Nervenfasern geben Signale und Befehle vom Kopfhirn zum Darm weiter.
Wir sind in Kontakt
Völlig losgelöst ist das Darmhirn also nicht. Für einen guten Draht zwischen unten und oben werden zwei verschiedene Kanäle beziehungsweise Nervengeflechte genutzt, die sich in verschiedenen Schichten der Darmwand befinden. Sie heißen Plexus myentericus (Auerbach-Plexus) und Plexus submucosus (Meissner-Plexus) und bilden zusammen die »Steuerzentrale« der Verdauung, das sogenannte enterische Nervensystem. Hier wird beispielsweise die Durchblutung aller Verdauungsorgane organisiert und es ist zuständig für die Darmbewegungen, die den Speisebrei von einer Station zur nächsten befördern. Das enterische Nervensystem wird wiederum vom Parasympathikus und vom Sympathikus beeinflusst. So regt der Parasympathikus alle für die Verdauung wichtigen Vorgänge an und der Sympathikus fährt sie herunter, beispielsweise bei Stress. Dann werden alle Energien auf eine mögliche Kampf-oder-Flucht-Reaktion verwendet – auch wenn man nur nägelkauend auf seinem Bürostuhl sitzt und sich über den Chef ärgert.
Wir wissen also, dass beide Gehirne unabhängig voneinander arbeiten. Das eine denkt, das andere verdaut. Gleichzeitig kommunizieren die beiden ständig miteinander. Eine zentrale Rolle spielt hierbei der sogenannte Vagusnerv, der fast alle inneren Organe reguliert und quasi die Standleitung zwischen Oberstübchen und Bauch bildet. So gibt der Darm ein Zeichen nach oben, wenn beispielsweise der Magen gefüllt ist oder wir genug getrunken haben und ausreichend mit Flüssigkeit versorgt sind. Die inneren Organe werden anschließend vom Kopfhirn gebrieft, wie es weitergeht. Oder: Du hast etwas Verdorbenes gegessen, der Darm meldet Alarm nach oben und die Steuerzentrale im Kopf gibt dem Nervensystem den Befehl, das Giftige sofort zu erbrechen. Oder: In deinem Darm hat sich etwas entzündet, also gibt es eine Nachricht an die Zentrale im Kopf, die das Immunsystem aktiviert.
Die Darmbakterien reden mit
Bauchhirn und Kopfhirn kommunizieren also über den Vagusnerv und das enterische Nervensystem. Aber das ist nur die eine Form des Austauschs. In dem Gespräch mischen nämlich auch noch andere Akteure mit, was die ganze Geschichte ziemlich komplex macht. Insbesondere über die Zusammensetzung des Mikrobioms, das ebenfalls als zentraler Bestandteil des zweiten Gehirns gilt, ist das Kopfhirn immer ausreichend informiert. Bakterien, die bei der Verdauung helfen, können beispielsweise die über den Vagusnerv gesendeten Signale beeinflussen und so das Gespräch zwischen Kopf- und Bauchgehirn »einfärben« und manipulieren. Außerdem wirken die Mikroben womöglich auch über die Blutbahn auf Vorgänge im Kopfhirn, indem sie beispielsweise Einfluss auf das Immunsystem nehmen. Nicht zuletzt können manche Bakterien offenbar schneller satt und andere Lust auf Nachschlag machen.
Bestimmte darmfreundliche Bakterien produzieren auch Botenstoffe, über die sie sich in unsere Gefühlslage einbringen können. Die bekanntesten sind der Botenstoff GABA (Gamma-Aminobuttersäure) und Tryptophan, die Vorstufe für das Hormon Serotonin. GABA ist ein Neurotransmitter, also ein Signalmolekül im Nervensystem, und wirkt beruhigend, entspannend und schlaffördernd. Bei Mangel kommt es zu innerer Unruhe und du empfindest Belastungen und Schmerzen stärker.
Tryptophan dagegen ist eine Aminosäure, die ebenfalls von Darmbakterien hergestellt wird und aus der Serotonin gebildet werden kann. Das Wohlfühlhormon entsteht zu über 90 Prozent in unserem Bauch, wo es unsere Darmtätigkeit steuert und das Immunsystem reguliert. Von unserem Darm aus kann Serotonin zwar nicht in den Kopf wandern, da es aus dem Blut nicht ins Hirngewebe übertreten kann. Doch über den Kommunikationsweg Vagusnerv kann es zum limbischen System gelangen, also in den Bereich unseres Gehirns, der für Emotionen zuständig ist.
GUT ZU WISSEN
Der Forschungsbereich, der sich intensiv mit diesem heißen Draht zwischen Darm und Hirn auseinandersetzt, ist die Neurogastroenterologie. Hier wird unter anderem erforscht, wie der Darm sich auf die Psyche sowie unsere Gefühls- und Gedankenwelt auswirkt.
Mit Bauch und Seele
Über den Vagusnerv ist unser Bauch direkt mit dem Gefühlszentrum im Kopfhirn verbunden, dem limbischen System. Hier liegt auch der Ursprung aller gefühligen Redewendungen verborgen, die Bauch und Emotionen miteinander verbinden, ob man Schmetterlinge im Bauch hat oder ob sich einem der Magen umdreht. Das limbische System steuert die Entstehung und Verarbeitung von Freude, Wut und Angst. Im Tierversuch zeigte sich, dass sich die Tiere nicht mehr angemessen verhielten, wenn man die Verbindung zwischen den beiden Gehirnen kappte: So zeigten sie keine Angst mehr in Situationen, die sie vorher zum Rückzug bewogen hatten.
Auch die Bewohner des Mikrobioms scheinen einen großen Einfluss auf unsere Gefühlswelt und sogar auf die Persönlichkeit zu haben. Je nach Bakterienansiedelung im Darm verhielten sich Tiere im Versuch mutiger.
Beim Menschen lässt sich dieser Zusammenhang noch nicht eindeutig nachweisen. Aber man hat beobachtet, dass beispielsweise Reizdarmpatientinnen vermehrt zu Depressionen und Angststörungen neigen.
Das Ganze funktioniert aber auch andersherum. Unsere Emotionen wirken auf unseren Darm. So kann Stress beispielsweise jeden Teil unseres Verdauungssystems beeinflussen. Akute Belastungs- und Angstsituationen können zu Bauchschmerzen, Appetitlosigkeit, Übelkeit oder gar Durchfall führen. Dauerstress kann hingegen Verstopfung und Magengeschwüre hervorrufen. Das Kopfhirn schickt die entsprechenden Signale in den Bauch, die dort zu verschiedenen Veränderungen führen: Menschen mit Angststörungen müssen zum Beispiel viel häufiger auf die Toilette. Bei depressiven Menschen hingegen ist die Darmpassage oft verlängert. Bei Dauerstress ist die Wahrnehmung für alle Vorgänge im Bauchraum gesteigert.
Natürliches Doping
Noch steckt die Wissenschaft über das genaue Zusammenspiel und die Wirkweise von Bauchhirn und Mikrobiom, Kopfhirn und Botenstoffkommunikation in den Kinderschuhen. Was aber als gesichert gilt, ist: Wenn im Darm alles in Ordnung ist, profitiert der ganze Mensch. Unterschätzt wird das Darmhirn auf jeden Fall schon lange nicht mehr. Und ja, natürlich gibt es schon Überlegungen für besondere Darmmedikamente, die unsere Gefühle, unser Verhalten und unsere Leistung dopen. Aber letztlich landen wir, wenn wir unserem Darm etwas Gutes tun wollen, bei all den Maßnahmen, die uns schon immer gutgetan haben: eine darmfreundliche Ernährung, ausreichend Bewegung und ein gesundes Stressmanagement, beispielsweise durch Entspannungstechniken.