Читать книгу Die 3 großen Fitmacher - Dr. med. Johannes Wimmer - Страница 8

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KOMPETENZWUNDER

Wenn es ein Organ in unserem Körper gibt, das einerseits wenig von sich hermacht – im Vergleich etwa zum Gehirn oder zum Herz –, das aber zugleich jede Menge Strippen zieht, dann ist das unser Darm. Er bietet uns eine breite Palette an Dienstleistungen an, ist ausgestattet mit einer besonderen Portion Feingefühl und gleichzeitig rund um die Uhr voll leistungsbereit. Wir sollten uns also dankbar vor dem großen Gesunderhalter verneigen und ab sofort jeden Tag zum »Tag des Darms« werden lassen. Denn das wäre definitiv das Beste, was du für dich und deine Gesundheit tun kannst.

Warum? Der menschliche Darm ist eine Art Meister aller Klassen. Einerseits ist er unglaublich schlau aufgebaut, nimmt Nährstoffe aus unserem Essen und Trinken auf und verdaut und verstaut alles brav dort, wo es hin oder wieder raus soll. Außerdem ist er unser größtes Hormonsystem und reguliert den Energiehaushalt und den Blutzuckerspiegel. Für diese und andere wichtige Funktionen sind spezialisierte Zellen zuständig. Sie bilden sich aus Darmstammzellen und erneuern sich alle drei bis vier Tage.

Da gibt es die sogenannten enteroendokrinen Zellen (entero: den Darm betreffend; endokrin: auf das Hormonsystem bezogen), die mehr als zwanzig verschiedene Hormontypen herstellen und Signale an das Gehirn und die Bauchspeicheldrüse schicken. So regulieren sie zum Beispiel, ob du Appetit hast, wann sich dein Magen entleert und wann die Betazellen in deiner Bauchspeicheldrüse das lebenswichtige Hormon Insulin ausschütten sollen.

Außerdem bildet der Darm Hormone, die unser Wohlbefinden und unsere Stimmung beeinflussen. Er hat darüber hinaus selbst viel Gefühl, wie überhaupt der gesamte Verdauungstrakt, zu dem noch ein paar mehr Organe gehören. Das hat sich sogar in unserem Sprachgebrauch niedergeschlagen. Stress oder Ärger schlägt uns auf den Magen und wir spüren Schmetterlinge im Bauch, wenn wir frisch verliebt sind. Wir werden sauer, wenn wir uns ärgern, und machen uns vor Angst in die Hose. Jeder kennt das Gefühl, dass er noch mal ganz schnell aufs Klo muss, bevor die Führerscheinfahrt losgeht oder eine mündliche Prüfung ansteht.

Schließlich stellt der Darm wie ein zuverlässiger Hausmeister unermüdlich Energie bereit und sorgt für unseren Wasser- und Salzhaushalt. Andererseits ist er auch so etwas wie unser Personenschützer, wenn es um Angriffe auf unsere Gesundheit durch Keime oder Viren geht. Eine weitere wichtige Funktion haben die sogenannten Paneth-Zellen. Sie können antimikrobielle Substanzen erzeugen und so Krankheitserreger abwehren. So kann man verstehen, dass der Darm mit vielen verschiedenen Krankheiten in Verbindung steht – das fängt mit chronischen Entzündungen an und geht über Darmkrebs bis hin zu Diabetes.

Immun-Coaching

Unser Immunsystem wäre ohne das Training durch die zahlreichen Bewohner des Darms, die etwa 39 Billionen Darmbakterien, nicht funktionsfähig. Sie sitzen dicht an dicht an der Darmwand, sodass im besten Fall kein Platz mehr ist für krank machende Erreger. Immerhin 80 Prozent unserer Körperabwehr ist hier angesiedelt. Die Immunzellen lernen hier, welche Substanzen gefährlich sind und welche sie in Ruhe lassen beziehungsweise mit welchen sie eine gute Nachbarschaft pflegen sollten. Wie sich dieses Mikrobiom zusammensetzt, ist unterschiedlich. Es hängt davon ab, was du isst, ob du dich viel bewegst, ob du viel Stress hast und wie du damit umgehst und auch, ob du gerade Antibiotika oder andere Medikamente einnimmst. Du kannst dir das Mikrobiom vorstellen wie den tropischen Regenwald: ein komplexes, wunderbar funktionierendes Ökosystem in perfektem Zusammenspiel, in dem Kahlschlag oder Brandrodung Folgen für das gesamte System haben. Bezogen auf den Darm heißt das: Gerät die Darmflora aus dem Gleichgewicht, schwächelt das Immunsystem, wir werden anfälliger für Infekte und Entzündungen jeder Art. Unter anderem steigt das Risiko für entzündliche Darmerkrankungen, für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, für Typ-2-Diabetes und für Krebs.

Im Kapitel »Hier ist was los – das Mikrobiom« > erfährst du mehr über dieses System.

STÖRFAKTOREN

Genies sind empfindlich. Unsere Lebensweise kann unser Ökosystem im Darm also stark beeinträchtigen. Besonders schlecht sind:

 zu viel Zucker und Fleisch in der Ernährung

 unregelmäßiges Essen: zu viel, zu oft, zu schnell, zu spät …

 Medikamente (Antibiotika, Abführmittel, Magensäureblocker, Beruhigungsmittel, Cholesterinsenker, Antibabypille, Schmerzmittel)

 übertriebene Hygiene

 Magen-Darm-Infekte

 chronische Erkrankungen

 Stress

 zu wenig Schlaf

 Bewegungsmangel

Das zweite Gehirn

Vielleicht ist dir schon die Aussage begegnet, der Darm sei unser zweites Gehirn. Natürlich können wir mit unserem Darm nicht denken, doch er reagiert ähnlich wie unser Kopfhirn auf Gefühle, Stimmungen, Entscheidungen, Erinnerungen. Verantwortlich dafür ist ein Nervengeflecht aus 100 bis 150 Millionen Nervenzellen, das den Darm umschließt. Es wird als Bauch- oder Darmhirn bezeichnet (siehe Kapitel »Darm an Hirn« >). Über die Darm-Hirn-Achse kommunizieren die beiden Steuerzentralen in Bauch und Kopf miteinander. Der Darm sorgt also auch für unser geistiges Gleichgewicht. Beweise für die enge Verbindung zwischen beiden Gehirnen konnten Wissenschaftler anhand von Forschungsarbeiten über bestimmte neurologischen Erkrankungen liefern, also über Krankheiten des Gehirns oder der Nerven.

Sie fanden heraus, dass bei depressiven Patienten bestimmte Darmbakterienstämme vorherrschen, die Substanzen herstellen, welche die Erkrankung begünstigen. So ändert beispielsweise Junkfood die Darmbesiedelung und erhöht damit das Risiko für Depressionen.

Bei Kindern mit Autismus, einer ererbten Erkrankung, konnten Forscher der Chinese University of Hongkong sehen, dass sich ihr Mikrobiom deutlich von dem gesunder Kinder unterscheidet. Das ist insofern von Bedeutung, als einige Gehirnfunktionen auch durch Stoffwechselprodukte der Darmflora beeinflusst werden. Die Darmflora entwickelt sich wie Autismus in den ersten Lebensjahren. Nun wird die Möglichkeit einer frühzeitigen Therapie durch eine Normalisierung des Mikrobioms diskutiert.

Auch bei Parkinson wurden Wissenschaftler im Mikrobiom fündig. Möglicherweise wird die gefürchtete neurodegenerative Erkrankung durch Entzündungen im Darm ausgelöst. Dafür verantwortlich sind noch nicht identifizierte Bakterienstämme, die auch im Darm die Eiweißstoffe herstellen, die zu den typischen Veränderungen im Gehirn führen.

Hilfe aus dem Darm

Die Darmforschung entdeckt immer wieder neue Zusammenhänge und hilft so dabei, Erkrankungen besser und zielführender zu behandeln. Das betrifft nicht nur die Entstehung von typischen Darmbeschwerden wie Durchfall, Verstopfung und Blähungen oder auch Reizdarm und chronisch entzündliche Darmerkrankungen. Auch Nahrungsmittelunverträglichkeiten, Allergien und Neurodermitis werden heute unter dem Aspekt der Wechselwirkung mit dem Darm betrachtet, genauso wie Stoffwechselerkrankungen, etwa Typ-2-Diabetes oder Übergewicht.

Dank der intensiven Forschungen in den letzten zwanzig, dreißig Jahren haben wir nicht nur sehr viele Erkenntnisse über den Darm gewonnen, es wurde auch die Therapie von bislang schwer behandelbaren Leiden möglich. Beispielsweise galt ein Reizdarm lange Zeit als psychisch bedingt beziehungsweise als eingebildete Krankheit. Jetzt wurden jedoch konkrete Auslöser im Darm ausgemacht und man weiß, dass bestimmte Lebensmittel und Stress verantwortlich für die Darmprobleme sind. Das Reizdarmsyndrom kann also vermieden werden, wenn die Patientinnen und Patienten auf bestimmte Lebensmittel verzichten.

Auch Colitis ulcerosa und Morbus Crohn, das sind chronisch entzündliche Darmerkrankungen, die schon jungen Erwachsenen zwischen 18 und 25 zu schaffen machen, können besser therapiert werden. Denn man weiß inzwischen, dass bestimmte Gene die Krankheiten begünstigen. Ist das Nod2-Gen auf Chromosom 16 mutiert, besteht ein sehr hohes Risiko, an Morbus Crohn zu erkranken. Das Gen kann nicht mehr unterscheiden, welches Bakterium Feind und welches Freund ist. Also löst das Immunsystem auch bei Kontakt mit einem ungefährlichen Bakterium eine Entzündungsreaktion aus. Für die Betroffenen bedeuten diese Erkenntnisse neue Therapiemöglichkeiten, durch die die Entzündung gezielt bekämpft werden kann.

Multiple-Sklerose-Patienten können vielleicht ebenfalls neuen Therapiemöglichkeiten entgegensehen. Seit einigen Jahren weiß man, dass das Gehirn auf bestimmte Stoffwechselprodukte aus dem Darm angewiesen ist. Das sind zum Beispiel die Propionsäuren, die der Darm aus Ballaststoffen herstellt. Bei Menschen mit Multipler Sklerose ist die Vielfalt der Darmbakterien nicht so groß wie bei Gesunden, unter anderem sind weniger Bakterien zu finden, die Ballaststoffe zu Propionsäure umbauen. Im Rahmen einer Studie gaben die Ärzte den Teilnehmenden Propionsäure mit anderen Medikamenten, was offenbar zu mehr Vitalität und besserer Konzentrationsfähigkeit führte.

Noch sind sehr viele Fragen offen, aber es werden stetig neue Kapitel in der Darmforschung aufgeschlagen. Im Mittelpunkt steht dabei die Rolle des Darm-Ökosystems für unsere Gesundheit, genauso wie die Entstehung und eine bessere Behandlung von Krankheiten.

DARM IN ZAHLEN

 Auf 200 bis 500 Quadratmeter Oberfläche bringt es der Darm mit all seinen Zotten und Falten. Das ist größer als ein Basketballfeld. Zum Vergleich: Die Hautoberfläche beträgt im Durchschnitt nur knapp 2 Quadratmeter.

 Mit einer Länge von 6 bis 8 Metern ist der Darm das längste Organ des Menschen. Er bietet damit die größte Kontaktfläche zur Außenwelt und ist zugleich unsere wichtigste Schutzschicht.

 Der Darm ist das größte Immunschutzorgan: Zwei Drittel unserer Körperabwehr befinden sich hier, genauer gesagt in der Darmwand.

 100 Millionen Nervenzellen befinden sich im Darm, das sind mehr als im Rückenmark.

 Unser Darm ist aufgrund seiner einzigartigen Ausstattung mit Nervenzellen das einzige unserer Organe, das völlig autonom ist. Er kann sogar dann weitermachen, wenn unsere Steuerzentrale im Kopf ausfallen sollte.

 Der Darm ist die größte Hormonfabrik im Körper. Hormonzellen schütten mehr als 20 Botenstoffe aus.

 Im Darm werden über 90 Prozent des Glückshormons Serotonin gebildet.

 Etwa 39 Billionen Bakterien leben im Darm.

 Bis zu 1000 unterschiedliche Bakterienarten bilden unsere Darmflora, wie man das Mikrobiom früher auch nannte.

 Das Mikrobiom, die Darmflora, bringt bei einem Erwachsenen etwa 1 bis 2 Kilogramm auf die Waage.

 Die Hälfte des Stuhlgewichts besteht aus Bakterien.

 Ein einzelnes Bakterium ist so vermehrungsfreudig, dass es pro Nacht eine Milliarde neue produzieren kann.

 Während eines Menschenlebens passieren 30 Tonnen Speisen und 50 000 Liter Flüssigkeit den Magen-Darm-Trakt.

 Im Darm befinden sich 39 Billionen freundliche Mikroorganismen, eine Art innere Wohn- und Arbeitsgemeinschaft, die uns gesund hält.

Die 3 großen Fitmacher

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