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1. Prostatakrebs ist nicht gleich Prostatakrebs

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Prostatakrebs ist die häufigste Krebserkrankung und die dritthäufigste Krebstodesursache bei Männern in Deutschland. Vor dem 50. Lebensjahr ist die Diagnose sehr selten. Doch bei jedem 6. Mann über fünfzig wird heute Prostatakrebs festgestellt, jeder 33. stirbt daran.

Zu den Risikofaktoren gehören u. a. ein höheres Alter, die Hormonproduktion, Übergewicht und die genetische Vorbelastung. Prostatakrebs tritt familiär gehäuft auf. Ist bereits ein enger Verwandter (Vater, Großvater, Bruder) an Prostatakrebs erkrankt, ist das Risiko selbst zu erkranken deutlich erhöht. Je mehr Fälle in der Familie auftreten und je jünger der Betroffene ist, desto höher ist das Erkrankungsrisiko für den Angehörigen. Auch Brustkrebsfälle in der Familie gehen mit einem leicht erhöhten Prostatakrebsrisiko bei den männlichen Familienmitgliedern einher. Tatsächlich sind allerdings nur etwa 5 % der Prostatakrebsfälle erblich bedingt.

Um 1990 stiegen die Inzidenzraten für Prostatakrebs stark an, hauptsächlich da der PSA(prostataspezifisches Antigen-)Test zur Früherkennung vermehrt verfügbar war. Doch auch zuvor waren die Prostatakrebsraten stark steigend. Der PSA-Test führte zur Entdeckung vieler Prostatatumore, die klein sind und keine Symptome verursachen. Diese können unbehandelt unbemerkt fortschreiten – oder aber klein bleiben. Der Wert des Screenings ist daher umstritten, weil er zu einer nebenwirkungsreichen Übertherapie führen kann. Die groß angelegte PLCO-Studie zeigte keinen Überlebensvorteil, in der European Randomized Study of Screening for Prostate Cancer (ERSPC) ergab sich eine leicht reduzierte Mortalität: Um einen Todesfall durch ein Prostatakarzinom zu verhindern, mussten aber über 1.400 Männer einen PSA-Test durchführen und – was gravierender ist – 48 Patienten operativ behandelt werden.

Der PSA-Verlaufstest an sich ist dennoch ein sehr wertvolles Frühwarn-Instrument, wenn man sich vom Ergebnis nicht verängstigen lässt, sondern bedacht die richtige Strategie wählt. Sinnvoll ist insbesondere bei familiärer Vorbelastung ein erster Test ab dem 40. Lebensjahr mit regelmäßiger Nachkontrolle in Abhängigkeit vom PSA-Wert. Eine einmalige Erhöhung kann auch durch eine Prostatitis oder andere Ursachen bewirkt werden: Sie sollte im Gesamtbild gedeutet werden und nicht automatisch eine Biopsie auslösen.

Die Diagnose „Prostatakrebs“ ist meist kein Notfall, der schnelles, aggressives Handeln erfordert wie akute Leukämie, schwarzer Hautkrebs oder Hodenkrebs. Angst ist ein schlechter Ratgeber, und schneller Aktionismus führt schnell zu vielen, irreversiblen Nebenwirkungen.

Prostatakrebs-Erkrankungen können aufgrund ihrer sehr unterschiedlichen Tumorbiologie und -genetik häufig relativ gutartig, aber auch hochaggressiv verlaufen. Die Diagnose Prostatakrebs darf daher nicht als Todesurteil aufgefasst werden. Aus US-Studien (Rullis et al., 1975; Sakr et al., 1994) ist bekannt, dass 60 - 70 % der älteren Männer mit einem Prostatakarzinom, jedoch nur 3 % an einem Prostatakarzinom (Jemal et al., 2006) versterben.

Das Robert Koch-Institut geht bei Prostatakrebs für 2014 von 70.100 Neuerkrankungen und einer 5-Jahres-Prävalenz von 279.000 in Deutschland aus. In Deutschland wurden im Jahr 2012 73.789 Prostatakrebspatienten vollstationär im Krankenhaus behandelt (Statistisches Bundesamt, 2013a). Mit 12.957 Verstorbenen war Prostatakrebs 2012 bei Männern insgesamt die sechsthäufigste Todesursache nach Koronarer Herzkrankheit (KHK), Lungenkrebs, Herzinfarkt, chronisch obstruktiver Lungenkrankheit und Herzinsuffizienz, berichtet das Statistische Bundesamt (2013b).

Bei früher Diagnose ist die Krankheit gut behandelbar und in den meisten Fällen auch heilbar. Die 5-Jahres-Überlebensrate hängt vom Tumorstadium zum Zeitpunkt der Diagnosestellung ab: Sie beträgt derzeit 93 % (RKI, 2013), wenn sich der Tumor auf die Prostata beschränkt. Sind bereits Metastasen vorhanden, geht die Überlebensquote auf 25 % zurück. Ein PSA-Screening zur Früherkennung ab dem 45. Lebensjahr dürfte daher im Rahmen einer Prostatakarzinom-Vorsorgeuntersuchung sinnvoll sein, wenn sie nicht automatisch zur Übertherapie führt. Auch hier kann weniger Therapie oft mehr Lebensqualität bedeuten.

Der PSA-Befund oder die Urintestmethoden wie der PCA3- und der DiaPat-Test geben leider wenig Aufschluss über die Bösartigkeit, die Lage und die Ausdehnung des Karzinoms. Ist es ein relativ langsam wachsendes, noch gut differenziertes Karzinom, mit dem der Patient alt werden kann? Oder handelt es sich um einen „Raubtierkrebs“ (Julius Hackethal) mit einer hohen Aggressivität? Die Aussichten hängen stark mit der Biologie und Ausbreitung des Tumors zusammen.

Im Frühstadium verursacht ein Prostatakarzinom keine Beschwerden. Die Diagnose wird meist bei einer Früherkennung oder nach Auffälligkeiten bei einer rektalen Untersuchung gestellt. Bei fortgeschrittener Tumorerkrankung kommt es zu Symptomen wie LUTS (s.u.), Harnverhalt, Inkontinenz, erektiler Dysfunktion, Blut im Urin, Knochenschmerzen aufgrund von Knochenmetastasen, Blutungsneigung und Niereninsuffizienz.

Für die Therapie stehen verschiedene Verfahren zur Verfügung. Je nach Lebensalter, Stadium des Tumors und Wunsch des Patienten kommen auch nicht-invasive Strategien (watchful waiting, active surveillance) in Frage, bei denen auf eine akute Behandlung verzichtet wird. Da bestimmte häufig diagnostizierte Formen von Prostatakrebs in der Regel langsam fortschreiten, sind dies gängige, anerkannte Vorgehen, um belastende Behandlungen aufzuschieben oder ganz zu umgehen.

Als Behandlungsverfahren werden in Abhängigkeit von der individuellen Situation die operative radikale Prostatektomie (vollständige Entfernung der Prostata; in der Gefäß- und Nervengeflechte-schonenden Form als mikrochirurgische, robotergestützte DAVINCI-Methode), Strahlentherapie, Hormonentzugstherapie, Chemotherapie, Brachytherapie und Kryotherapie angewendet. Gute Erfahrungen konnten auch mit der alternativen Behandlungsmethode High-Intensity Focused Ultrasound (HIFU) erzielt werden.

Bei der Hormonentzugstherapie kann durch die Androgen-Blockade das Krebswachstum zunächst meist sehr effektiv gehemmt werden. In der Regel nach durchschnittlich 18 - 24 Monaten kommt es beim Prostatakarzinom unter Androgensuppression zum PSA-Progress. Bei etwa 50 % der Patienten kann in diesem Stadium durch eine sekundäre Hormonmanipulation eine erneute PSA-Regression über 6 - 12 Monate erreicht werden, bevor die totale Hormonrefraktärität eintritt (Schilling et al., 2009).

Da die Hormonentzugstherapie einer chemischen Kastration entspricht, geht sie mit einer Vielzahl an möglichen Nebenwirkungen einher, zu denen u. a. Impotenz, Antriebslosigkeit, Hitzewallungen, Gewichtszunahme, der Abbau von Muskelmasse, Osteoporose und ein erhöhtes Herzinfarkt-Risiko zählen. Viele Patienten nehmen das Risiko für starke Nebenwirkungen und die damit verbundene Einschränkung der Lebensqualität in Kauf, da sie sich von der Behandlung mehr Lebenszeit erhoffen. Dabei gibt es keinen Nachweis, dass die Hormonentzugstherapie das Leben von Prostatakrebskranken tatsächlich verlängert, wie die Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für Urologie darlegen (Heidenreich et al., 2014). Den erhofften Nutzen bei älteren Patienten widerlegt eine aktuelle Studie von Lu-Yao et al. (2014), die den Einfluss einer Hormonentzugstherapie auf die Überlebensrate von 66.717 Prostatakrebs-Patienten in einem Alter ab 66 Jahren untersuchte. Die Patienten waren primär nicht operiert oder bestrahlt, sondern chemisch (LHRH-Analoga) oder chirurgisch kastriert worden. Die Behandlung ging mit keiner verbesserten krebsspezifischen oder gesamten 15-Jahres-Überlebensrate bei den Probanden mit lokalisiertem Prostatakarzinom einher. Die Therapie konnte das Leben der Patienten also nicht verlängern. Insbesondere bei älteren Patienten scheint die primäre Hormonentzugstherapie daher wenig sinnvoll zu sein. Nach Ansicht der Autoren der Studie sollte sie nur zur Behandlung bzw. Verhinderung von Symptomen eingesetzt werden.

Bei der Hormonentzugstherapie ist eine einfache, doppelte und dreifache Hormonblockade möglich, die permanent oder intermittierend stattfinden kann. Sinnvoll erscheint vor allem die intermittierende Blockade, da hierdurch eine Resistenzbildung des Tumors verzögert wird. Wer sich für eine Androgenblockade entscheidet, kann von der Therapie profitieren, wenn sie fachmännisch und umsichtig durchgeführt wird und der Patient auch selbst darauf achtet, die Nebenwirkungen wie Knochen- und Muskelabbau, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, etc. durch entsprechende Maßnahmen (vgl. Kapitel 5.5, Seite 150), richtige Ernährung (vgl. Kapitel 5.6 und 7, Seiten 155 und 201) und regelmäßige Bewegung (vgl. Kapitel 7.8, Seite 251) auszugleichen.

Für viele Betroffene sind die nicht-invasiven Strategien watchful waiting und active surveillance eine sinnvolle Alternative. Unter „watchful waiting“ (beobachtendes Abwarten) versteht man langfristige Beobachtung und sekundäre, symptomorientierte Therapie statt kurativer Behandlung. Diese Vorgehensweise soll bei Patienten erörtert werden, die eine mutmaßliche weitere Lebenserwartung von unter zehn Jahren haben. Dabei wird erst bei symptomatischem Fortschreiten der Erkrankung palliativ behandelt.

Die Patienten, die sich für die Methode des „active surveillance“ (aktive Überwachung) entscheiden, wägen Nebenwirkungen und Nutzen einer frühzeitigen, invasiven Therapie (OP, Bestrahlung) ab. Durch active surveillance unter Aufsicht eines Arztes können immer noch rechtzeitig kurative Schritte unternommen werden, wenn diese aufgrund eines Fortschreitens der Krankheit nötig werden sollten. Ein Review von Weißbach und Altwein (2009) im deutschen Ärzteblatt kommt zur wichtigen Schlussfolgerung: Die 88 gesichteten Studien zur aktiven Überwachung weisen konsistent hohe tumorspezifische Überlebensraten (99 bis 100 %) für die aktive Überwachung auf. Alle sieben recherchierten Leitlinien zur Behandlung des Prostatakarzinoms seit 2006 erwähnen in ihren Empfehlungen die aktive Überwachung als Therapieoption für Prostatakrebs mit geringem Progressionsrisiko. Das National Institute for Health and Clinical Excellence, Großbritannien, empfiehlt in diesem Fall sogar die aktive Überwachung als erste Behandlungsstrategie. Für die aktive Überwachung spricht auch das Ergebnis einer aktuellen Studie von Satkunasivam et al. (2013). Die Arbeitsgruppe fand heraus, dass Personen mit einem niedriggradigen Prostatakarzinom, die sich für active surveillance entschieden hatten und sich im Verlauf der Erkrankung einer Prostatektomie unterziehen mussten, keine nachteiligen pathologischen Folgen gegenüber Patienten hatten, die sich im selben Krankheitsstadium sofort operieren ließen.

Voraussetzung für die aktive Überwachung ist ein Niedrigrisiko-Karzinom, bei dem bestimmte medizinische Kriterien zutreffen müssen (PSA-Wert ≤ 10 ng/​ml; Gleason-Score ≤ 6; c T1 oder c T2a; Tumor in ≤ 2 Stanzen bei leitliniengerechter Entnahme von 10 - 12 Stanzen; ≤ 50 % Tumor pro Stanze). Die DNA-Zytometrie (vgl. Anhang) gibt Auskunft über die Malignität und Aggressivität des Karzinoms. Sie ist in der Indikationsstellung zur active surveillance sowie in der Prognose des Krankheitsverlaufs dem Gleason-Score deutlich überlegen (Pretorius et al., 2009) und kann daher eine sehr wertvolle zusätzliche Entscheidungshilfe sein. Ob die aktive Überwachung für den jeweiligen Patienten in Frage kommt, muss mit dem behandelnden Arzt abgeklärt werden.

Auch für Männer nach Primärtherapie sind zur Prävention eines Rezidivs die in diesem Buch empfohlenen Maßnahmen sehr empfehlenswert. In den Richtlinien der European Association of Urology (Heidenreich et al., 2014) heißt es: „Trotz dieser Verbesserungen [Fortschritte bei Operationen und Strahlentherapie] besteht immer noch ein signifikantes Risiko für ein erneutes Auftreten des Karzinoms nach Therapie. Zwischen 27 % und 53 % aller Patienten, die sich einer radikalen Prostatektomie oder einer Strahlentherapie unterziehen, entwickeln innerhalb von zehn Jahren nach Ersttherapie ein lokales Wiederauftreten oder entfernte Tumorrezidive und 16 - 35 % der Patienten erhalten innerhalb von fünf Jahren nach Initialtherapie eine Zweitbehandlung.“ Die Weiterbehandlung hängt davon ab, ob es sich um ein lokales Rezidiv oder um Metastasen handelt.

Viele Männer tragen einen latenten Prostatakrebs in sich, der nicht ausbricht, so dass die Erkrankung nicht in Erscheinung tritt. Ob sich aus diesen „schlafenden“ Krebszellen eine Krebserkrankung entwickelt, ist abhängig von dem „Milieu“, das im Prostatagewebe herrscht und das durch die Ernährungs- und Lebensweise stark beeinflusst wird. Mehr zu diesem Thema erfahren Sie in Kapitel 3.4.2 ab Seite 30.

Wie wichtig die Lebensweise für die Entwicklung eines Prostatakarzinoms ist, zeigt auch die Tatsache, dass das Auftreten von Prostatakrebs von extrem großen geographischen Unterschieden geprägt ist. Welchen Einfluss die Ernährungsgewohnheiten in unterschiedlichen Regionen der Welt auf die Sterblichkeit ausüben, wird im Kapitel 4.2 ab Seite 69 dargestellt.

Erstaunlich wichtig sind, gerade auch bei einer schlechten Prognose, die seelische Situation des Betroffenen und die liebevolle Unterstützung, die er in seinem Umfeld findet. Im Kapitel 7 (Seite 201) werden hierzu harte wissenschaftliche Fakten aufgeführt, die zeigen, wie wichtig weiche Therapien wie Liebe und Zuwendung für den Krankheitsverlauf sind.

Immer mehr klinische Studien zeigen, dass man den Verlauf des Prostatakarzinoms durch eine Änderung der Ernährungs- und Lebensweise stark beeinflussen kann und sein Wachstum sogar stoppen kann. Dabei sind die gesundheitlichen Nebenwirkungen im Gegensatz zu den klassischen Therapieansätzen durchweg positiv: So sparen sie Kosten, ersparen Leid und verringern auch deutlich das Risiko, an Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu versterben. Mit anderen Worten: Sie machen das Leben gesünder und lebenswerter. Und es liegt ganz in der eigenen Hand, Verantwortung für sich und seine Gesundheit zu übernehmen. Aus dem Patienten, dem „Erduldenden“, wird dadurch ein Mann, der selbst Verantwortung für seine Heilung übernehmen kann und diesen Weg als aktiver Partner mit dem Arzt geht.

Prostatakrebs-Kompass

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