Читать книгу Die Gesundheitslüge - Dr. med. Martin Marianowicz - Страница 26

Viel Diagnose, viel Therapie

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Statistisch betrachtet, zeigt sich mit bildgebenden Verfahren bei 80 Prozent der Menschen über 50 in irgendeinem Gelenk Arthrose. Das Gleiche gilt für den Rücken: Würde man bei 100 schmerzfreien Menschen, die älter als 70 sind, Kernspinaufnahmen von der Wirbelsäule machen, fänden sich bei über 90 Prozent ein oder vielleicht sogar mehrere Bandscheibenvorfälle oder andere Verschleißerscheinungen, die unentdeckt geblieben wären und auch nie Probleme bereitet hätten. Jede Woche kommen Patienten in meine Praxis zur Zweitmeinung, weil ihr Behandler ihnen zu einer Rückenoperation geraten hat. »Muss das alles so schnell gehen?«, fragen sie mich oft. Sie fühlen sich hilflos und ausgeliefert, weil Zeit in unserem Medizinsystem Mangelware ist. Dabei heilen neun von zehn Bandscheibenvorfällen innerhalb von sechs bis zwölf Wochen ohne Operation aus. Ebenso können Ärzte mit schonenden Maßnahmen eine Gelenksprothese bei 80 Prozent der Patienten um Jahre hinauszögern oder ganz verhindern. Das wissen auch geschäftstüchtige Operateure, die ihre Patienten mit Röntgenbildern zur Operation drängen.

Die Schäden, die sich auf einem Kernspin zeigen, müssen jedoch nicht zwangsläufig die Ursache für das Leiden eines Patienten sein. Nicht jeder mit schlechtem Bild ist automatisch rücken- oder gelenkkrank. Und nicht bei jedem, der rücken- oder gelenkkrank ist, zeigt sich ein schlechtes Bild. Ohne Beschwerden ist ein Bildbefund erst einmal eine Erkenntnis, aber noch keine Krankheit. Dazu braucht es eine vollständige ärztliche Anamnese: von der ausführlichen Befragung des Betroffenen bis hin zu einer gründlichen Untersuchung.

Nicht selten erlebe ich, dass am Rücken oder an den Gelenken Operierte nach wie vor Schmerzen am Bewegungsapparat haben, weil an der Ursache vorbeioperiert wurde. Der Fall von Herrn G. verdeutlicht sehr eindrücklich, wie wirksam und nachhaltig die konservative Therapie ist. Mit einem gezielten Mix an Injektionen, Physiotherapie und anschließender Kräftigungstherapie war er innerhalb von vier Monaten schmerzfrei und ist es bis heute geblieben. Seine Behandlung war schonend, kostete etwa ein Viertel im Vergleich zu einer Hüftprothese samt langwieriger Reha-Maßnahmen – und alles mit geringen Risiken und Nebenwirkungen!

Deutschland steht in Europa an erster Stelle, was die Anzahl an Kernspintomografen angeht: 34,5 pro eine Million Einwohner! Das sind fast 3.000 teure Geräte, die alle Geld einspielen müssen, um die Investition zu tilgen. Die Spanier, die von allen Europäern die größte Lebenserwartung besitzen, haben gerade mal 15,9. Und Großbritannien verfügt mit 7,2 pro eine Million Einwohner über knapp ein Fünftel der Kernspins verglichen mit Deutschland und ist ebenfalls besser platziert, was die Lebenserwartung angeht.

Auch in der Kardiologie führt in Deutschland die hohe Gerätedichte an Herzkatheterarbeitsplätzen dazu, dass unter dem Deckmantel der Vorsorge vermehrt invasive Eingriffe gemacht werden. Sie erinnern sich: Von allen Nationen Europas bekommen die Deutschen nicht nur die meisten Herz-Stents – und leben trotzdem im Vergleich weniger lang. Es werden jährlich auch 900.000 Herzkatheteruntersuchungen durchgeführt.

Die Gesundheitslüge

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