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11. Von Naturwundern, Wassernot, Leichenknäueln und Grabhügeln
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Im Vorwinter des Jahres 1020 erschien zu öfteren Malen die Sonne mit einem lichten, breiten Kreise umgeben, in welchem viele Kreuze sichtbar waren. Und allnächtlich war der Schnee, der die Erde bedeckte, wie eine langsam wallende, rote Feuersglut anzusehen. Solche Abirrungen der Natur von ihren sonst so unwandelbaren Gesetzen konnten nichts Gutes bedeuten, und da obendrein die Winterkälte so entsetzlich hart war, dass viele arme Leute tot froren, so ermahnte der fromme Erzbischof Unwannus Geistliche wie Laien zu außerordentlichen Gebeten, zur Buße und Besserung, dieweil ein Gericht Gottes im Anzuge sei.
Bald danach schwollen nun auch Elbe und Weser furchtbar an, und ergossen ihre Fluten mit Sturm und Ungewitter über die Uferlande, dass die meisten Menschen auf der schnellen Flucht nur das nackte Leben retteten und unzählig viele jammervoll umkamen. Und während der drei Tage und drei Nächte, dass die Überschwemmung dauerte, haben die Fluten der Elbe und Weser zischend gebrodelt und gewallt, als wenn sie kochten und siedeten, und die Wellen haben wie Feuersflammen emporgeleckt, so dass Feuer und Wasser sonst einander so feindliche Elemente, Eins geworden waren.
Nachdem nun solche Empörung in der Natur sich gelegt und die Fluten allgemach sich verlaufen, hat man an vielen Stellen tote Menschen gefunden, die lagen in großen Haufen beisammen und waren durch tote Schlangen, welche sich um sie gewickelt, dergestalt mit den Gliedern verschlungen, dass man sie selbst mit Gewalt nicht voneinander trennen konnte. Also, da man sie einzeln nicht bestatten konnte, hat man da, wo sie lagen, Erde auf die Haufen geworfen und nach Art unserer ältesten Vorfahren mächtige Hügel darüber geformt, und riesige Steine darauf gewälzt.
Diese Hügel sind nach und nach eingesunken und niedriger geworden; und später, als sich immer mehr Menschen ansiedelten in den flachen, von Ihnen eingedeichten Marschen, da errichteten die ersten Anbauer ihre Wohnungen auf diesen Erhöhungen, deren Steine sie gut benutzen konnten. Daher finden wir mitten in den Elb- und Weser-Marschen manche Häuser auf kleinen Anhöhen, Worthen oder Wurten genannt, und die darin wohnen, wissen nicht, was unter ihren Füßen begraben liegt.
Gleich jenseits Grevenhof, dem Griesenwärder gegenüber, liegt eine Elbinsel, deren Hamburgischer Teil „Roß“, der Hannoversche aber „Neuhof“ heißt. Den Neuhof nannte man noch vor 125 Jahren den „Kirchhof“. Denselben meinte der fromme Mann Radecke to der Monnicke, als er Anno 1416 die Seemessengelder zu St. Jacobi um 10 Mark Jahresrenten vermehrte, um dafür unter anderem „das Gedächtnis der armen Seelen zu begehen, deren Leiber auf dem wüsten Kirchhof ruhen“. Es liegt nahe, einen der Begräbnisplätze von 1020 mit diesem „wüsten Kirchhof“ von 1416 in Verbindung zu bringen.
Ja, wenn man nur immer wüsste, was alles auf der Stelle passiert ist, wo man jetzt in behaglicher Länge und Breite sich streckt und dehnt, dann würde manch´ wunderbares Ding, was wir jetzt, obschon enträtselt, doch für eitel Täuschung der Sinne halten, ganz wohl denkbar sein.
Solch ein alter Leichenhügel kann nämlich einst auch dort gewesen sein, wo jetzt die Straße „der Holländische Brook“ sich befindet; bevor dieser Platz innerhalb der Stadt und Festungswerke zu liegen kam, war er ein Teil des Grasbrooks. Dann mag der Wall die Erde des Grabhügels, und das Fundament des ältesten der Häuser die Steine in sich aufgenommen haben. In diesem alten Hause aber ist von jeher viel Seltsames gehört und wohl auch gesehen, manch´ geisterhaft´ Wesen, im Vorüberwehen rauschend und wehend, bald stumm und still, bald seufzend und ätzend, - aus des Kellers Gründen durch alle Geschosse wandelnd bis zu des höchsten Bodens First, dann wieder verhallend in die Tiefe hinab schwebend. Der dies schreibt, der ist in diesem Hause geboren und groß geworden. Jetzt aber ist es längst abgebrochen, und der Platz mit einem modernen, mittelalterlichem Spuk unzugänglichen Hause bebaut.