Читать книгу Scheinheilung und Patientenerschaffung - Die heillose Kultur - Band 3 - Dr. Phil. Monika Eichenauer - Страница 14
ОглавлениеNeue Ziele und Strukturen der Medizin?
Die klassische Medizin hat das Vorhaben, sich um Ursachenklärung zu bemühen, um der wissenschaftlichen Anerkennung Willen aufgegeben – damals, als der Beruf des Arztes von Mönchen auf Bürger oder besser Laien, wie Attali berichtet, also Menschen, die auf keine besondere Ausbildung für ihren Beruf zurückgreifen konnten, überging (vgl. Attali, 1981, S. 109). Zwar beschreibt Attali französische Verhältnisse, aber auch in Deutschland dürfte es Beispiele dieser Art im Entwicklungsprozess der „Medizin“ gegeben haben. Der Sohn lernte und übernahm familiär vom Vater den Beruf des Arztes. Das Zölibat wurde für die neuen Mediziner abgeschafft. Mönche übten den Heilberuf zehn Jahrhunderte aus, bis sich die Klostertore Mitte des 12. Jahrhunderts für den ernsthaften Medizinerberuf schlossen. Die neuen Laien beanspruchten von vornherein das alleinige Recht auf Heilung, mit dem auch heute noch von offiziellen ärztlichen Standesorganisationen geworben wird.
„In den Fakultäten der großen und den Gelehrtenzirkeln der kleinen Städte beanspruchten Laien im Namen des hippokratischen Wissens für sich allein das Recht, die Krankheiten heilen zu können, obschon ihnen die königliche Macht – die ganz in der Organisation der Polizei aufgeht – niemals ein solches Privileg zuerkannt hat. Ihr Wissen, ihre Diplome, ihre Disziplin, ihre Praxis und ihre Honorare bleiben ganz ihnen überlassen.“ (Attali, 1981, S. 109). Im Wesentlichen sind damit die bis heute wirksamen Strukturen der organisierten Ärzteschaft beschrieben. Die „wissenschaftliche Anerkennung“ wird immer noch als ihr Stempel auf Methoden gedrückt, selbst wenn es nicht die eigenen sind, um sich diese einzuverleiben. Das alleinige Recht auf Heilung wurde auf wissenschaftliche Produkte ausgedehnt und durch eine Druckerlaubnis, die auf jedem medizinischen Werk die „Richtigkeit“ der Lehre, die durch streitende Fakultäten im Sinne Galens und Hippokrates festgelegt wurde, beschränkt. Dies bedeutet, von Anfang an wurde ein alleiniges Zuordnungs- und Zugangsrecht zu Fachgebieten und deren Produktionen in der wissenschaftlichen Medizin verbrieft und gestempelt. Damit wurden alle anderen Heiler oder Mediziner ausgeschaltet.
„Auf diesem Umweg über das Thema der Macht, wird, vom Ende des achtzehnten Jahrhunderts an, der Körper zum Objekt des Wissens, und die Medizin, die ihn kontrolliert, verzichtet auf ihr Prestige, um die Macht einer Wissenschaft zu erlangen. 1765 unterscheidet die Enzyklopädie zwischen der Medizin, ‚bevor sie die Form einer Wissenschaft hatte’ und ‚seit sie eine Wissenschaft ist’ (...) Zur gleichen Zeit schreibt Doktor Perrot: ‚Der Arzt überlässt Galen seine suspekte Wissenschaft und wird ein guter Architekt. In der Metapher des Körpers als Maschine wird das Leiden zur Unterbrechung, zur Panne und zum Fehler im Hinblick auf die Erfordernisse des Funktionierens. Die Krankheit lässt sich als neutrale, objektive, an und für sich analysierbare Entität verstehen, unabhängig vom Platz des Kranken in der Gesellschaft, und ist daher stets derselben Behandlung zugänglich, welchen Status der betreffende Körper auch haben mag. Das Leiden ist also von dem Körper verschieden, der es erlebt.’“ (Attali, 1981, S. 154 f.)
Dadurch, dass Laien diesen Beruf des Arztes fortan ausüben konnten, diente die universitäre Ausbildung lediglich dem Erhalt des sozialen Ansehens durch ein „Thronbesteigungsritual, ein Modus“ (vgl. Attali, 1981, S. 110). Demgemäß bestand das Studium lediglich in einem Abfragen, ob der Arzt in der Lage war, einige lateinische und griechische Sätze zu erinnern, die er später vor dem Patienten zu wiederholen in der Lage sein sollte. Ein Arzt des Kaisers Leopold beschreibt die Situation vom 1716 folgendermaßen: „Ohne jede Kenntnis der Philosophie, der Mathematik, Chemie und Anatomie, ohne jemals die Diagnostik, Semiotik, Diätetik und Physiologie studiert zu haben, kann sich jeder daran geben, Arzt zu werden (...), vorausgesetzt, er kann vier Aphorismen des Hippokrates, ein Dutzend Abschnitte von Galen und einige vage andere Zitate irgendeines klassischen Autors auswendig wiedergeben.“ (Ebda, S. 11) Der Arzt Leriche wird sogar gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts schreiben: „Will man die Krankheit bestimmen, muß man sie entmenschlichen.“ (Ebd., S.155)
Die klassische Medizin ist bis heute dem cartesianischen Paradigma, das den Körper zu einer Metapher der Maschine werden ließ, treu geblieben. Das Paradigma bestätigte und ermöglichte das wissenschaftlich festgelegte Forschungsgebiet Körper, wie es deren Methoden der Untersuchung und, daraus abgeleitet, die Heilungsmethoden festlegte. Die Medizin wurde eine Macht und baute das soziale Ansehen des ärztlichen Berufsstandes auf und aus. Generell war die Medizin von Anfang an auf Unabhängigkeit von der Macht im Staate bedacht. Dies erreichte sie mit beschränkten Aufnahmen von Mitgliedern in die Fakultäten und privat zu entrichtende Studiengebühren. Dass eine Ursachenforschung, welche politische Zusammenhänge aufklären könnte, als gefährlich und der Geschäftemacherei schadend betrachtet wird, ist unter den Umständen leicht nachzuvollziehen. „Medizin“ ist schließlich Wissenschaft und damit auf den Körper beschränkt.
„Sowohl die zunehmende Macht der Universitäten als auch ihre fortdauernde Ohnmacht gegenüber der Krankheit lassen in der Folgezeit eine Beaufsichtigung als unumgänglich erscheinen.“ (Attali, 1981, S. 113) Eine Aussage, die sich auf die Mitte des 17. Jahrhunderts bezieht und die Reformen von 2007 gleich mit beschreibt. Formuliert und beansprucht wurde das alleinige Recht auf Heilung durch diese Medizin, aber es ging nicht um das Erforschen von Heilung, sondern um das reine Auflisten von Körpereigenschaften, deren Erforschung und entsprechenden Ableitungen von Behandlungen und Medikamenten.
„Es handelt sich um eine Metapher, auf die niemand hereinfällt, weder der Arzt noch der Kranke, noch die Macht: der erste heilt nicht, der zweite wird nicht geheilt und die dritte garantiert das Wissen mitnichten. Und dennoch funktioniert das System, und die Metapher kann sich halten, weil die allgemeine Ordnung der Körper im individuellen Körper eingeschrieben werden muss; weil die Ärzte, Chirurgen und Bader am Körper eines einzelnen, die Polizisten aber am Körper des gemeinen Wesens ihre Kunst erproben.“ (Attali, 1981, S. 109)
Andere Berufsgruppen wurden konsequenterweise ausgeschlossen. Besser und gegenwärtig genauso existenzsichernd für die Ärzteschaft ist es da, mittels Medikamenten oder Phrasen Pflaster auf Symptome zu kleben. Ebenso existenzsichernd wirken die Aktivitäten der ärztlichen Standesorganisationen in der staatlich verordneten Gesundheitswirtschaft: allerdings primär für sich selbst und sekundär und ausschließlich für Ärzte. Sie haben sich nicht einem umfassenden Verständnis von „Krankheit“ und „Gesundheit“ verschrieben. Sonst würde sie sich über den Körper und über Krankheit hinaus für die Umstände von kranken und gesunden Menschen in der Gesellschaft interessieren. Wenn dem nicht so wäre, wäre die Psychotherapie mit ihrem erweiterten Blick, der über die enge, Symptom orientierte Krankheitsdefinition des Köpers der Medizin hinausweist, zahlenmäßig so stark repräsentiert wie die übrige Ärzteschaft in der Gesellschaft. Das ist aber nicht der Fall. Zudem ist die klassische Medizin hinsichtlich anderer Heilberufe immer noch nicht als kollegial zu beschreiben – im Gegenteil. Beispiele wurden in Band 2 bereits aufgezählt, in dem auf die Zertifizierungsmachenschaften der Medizin hingewiesen wurde, deren Ziel darin besteht, noch nicht anerkannte Methoden, von Naturheilkundlern und generell Psychotherapiemethoden, für sich selbst als alleinig anerkannt mittels wissenschaftlicher Anerkennung und nachfolgender Abrechnungsfähigkeit, nutzbar zu machen. Der Prestigeverlust der Ärzteschaft innerhalb der letzten Jahre zwang zu Maßnahmen der Machteingrenzung der klassischen Medizin. Allerdings scheinen fragliche Vorgänge in der Ärzteschaft nicht differenziert genug analysiert und gesehen worden zu sein: Denn die Ärzte und nicht deren Standesorganisationen, denen es in den vergangenen Jahren um ihre eigene Existenz ging, wurden geopfert. Das „alte“ System Kassenärztliche Vereinigung und andere ärztliche Standesorganisationen wurden erhalten. Nur die Ärzteschaft selbst könnte dieses politische System abschaffen oder verändern. Doch dazu hat sie sich bislang nicht entschlossen. Der Preis dafür ist sehr hoch. Sie müssen sich in vielerlei Hinsicht bescheiden und werden systematisch in Abhängigkeiten geführt, die beruflich und finanziell nicht mehr überschaubar sind.
Die gesamte deutsche Ärzteschaft ist mittels Niederfinanzierung zur Umsetzung der politisch verordneten Reformen abhängig verpflichtet worden. Die Ärzte haben, wie in vergangenen Jahrhunderten auch, nur eine Wahl: Ihre bisherige Tätigkeit niederzulegen oder, salopp gesagt, zu streiken. In dem Fall würden sie allerdings mittels des Hippokratischen Eids öffentlich aufgespießt, um ihrer Verpflichtung „hilfreich und gut“ und mit ganzer Kraft die Gesundheit von Menschen wiederherstellen zu wollen, nachzukommen. Doch nur in dieser einen Hinsicht wird der Hippokratische Eid gesellschaftspolitisch noch als moralisch-ethisches (Druck-)Mittel gebraucht und damit seiner ursprünglichen Intention entfremdet: Er wird als Schwert gegen diejenigen gewendet, die ihn als Basis und Auftrag in ihrer Zunft verstehen.
Denn das Thema „Heilung“ und „Heilen“ wurde nicht als Ziel der Wissenschaft formuliert. Der Hippokratische Eid war und ist lediglich eine moralisch-ethische Instanz zur Anpassung seiner Mitglieder unter politische Ziele und gleichzeitig Instrument der Kritik von außen. Damit wird die Ärzteschaft politisch gelähmt und auf ihrem eigenen Boden, den sie jahrelang wissenschaftlich verachtete, gestellt. Genau in diesem Punkt eskaliert nun die jahrelange Politik der klassischen Medizin, die sich vom Heilungsprinzip öffentlich und wissenschaftlich abwandte, um ihre eigenen Interessen zu verfolgen. Das Versäumnis, für den Hippokratischen Eid und die Heilung der Patienten politisch einzutreten, wendet sich nun gegen sie. Dieser Konflikt lässt sich oberflächlich und im Kern betrachtet nur dadurch lösen, dass sich Ärzte generell für Heilung, das Heilungsprinzip und den Hippokratischen Eid als Basis ihrer Tätigkeit gegen jegliche ärztliche Standespolitik behaupten - sonst bleiben sie in der „Befehlsempfängernatur“ des ärztlichen Systems stecken.
Die Ärzte müssen sich gegen die Verdünnung von Heilmethoden und Produktmacherei verwahren. Sie müssen Abstinenz von dieser Art von Macht üben und eine tatsächliche Autorität mit ihren Methoden werden: Allerdings nicht mittels Abwertung anderer Heilberufe und die Aneignung fremder Methoden. Dieser Konflikt macht deutlich, dass die ärztlichen Standesorganisationen mit ihrem Strukturierungswillen und der Macht motivierten „Alles-meins-Politik“ allen KV-zugelassenen Ärzten, ihr berufspolitisches Fundament und Herz wegökonomisierten. Behandlungen wurden für völlig andere Zwecke als die der Heilung eingesetzt. Medizin wurde zu einer Politik und Ökonomie der Körper.
Die Ärztefunktionäre haben ihre Mitglieder im Stich gelassen und sie veranlasst, sich den Zielen der Macht unterzuordnen. Ein eingeschränktes Berufsrecht und niedrige Honorare sollen dies garantieren.
Die ärztlichen Standesorganisationen haben ihre Mitglieder und ihr Anliegen, Menschen gesunden zu lassen und heilen zu wollen, verraten. Insofern befinden sich die deutsche Ärzteschaft und mit ihnen die Psychologischen Psychotherapeuten in einem dauerhaften Konflikt – denn egal, was sie tun, sie werden öffentlich die Schuldigen und die Opfer sein: Geben sie ihre Zulassung zurück, werfen sie ihre derzeit gültige Berufsausübungsgrundlage weg. Wollen sie ausschließlich ihrem beruflichen Herzen und der Heilung verpflichtet sein, wissen sie nicht, ob sie noch weiter ihre Existenz sichern können. Stellen sie sich „tot“ und arbeiten so weiter wie bisher, ohne sich an die Zwangsvernetzungen, „Unternehmerstrukturen“ oder Integrierten Versorgungsprojekten (IV-Projekte) anzuschließen, werden sie ausgehungert.
Zertifikate gehen bundesweit an Ärzte, die sich anpassen: Beispiel Brustzentren. Im Prinzip haben Ärzte lediglich die Wahl, sich in alten Strukturen wie „Praxis um die Ecke“ aushungern, in IV-Projekten ausboten und sich von „Unternehmensstrukturen“ aus Wirtschaft und Krankenkassen aufkaufen, in Netzwerken auslaugen zu lassen oder mit GmbHs aufgrund selbstschuldnerischer Versicherung pleite zu gehen – überall lauern Selbstaufgabe und finanzielle Vernichtung. In keiner dieser Wahlmöglichkeiten sind die Würde des Berufsstandes und des Heilungsprinzips sowie der Hippokratische Eid gewahrt. Alle Strukturen sind auf Macht und Abhängigkeit ausgerichtet.
Und nun kämpfen selbst die ärztlichen Standesorganisationen ob des bereits eingebüssten Machtverlustes um ihr Überleben. Da wird es natürlich nicht leichter, zu seinen Mitgliedern zu stehen, und die klassische Medizin droht vollends in Machtstrukturen unterzugehen und das ursprüngliche Anliegen der Heilkunst zu Staub werden zu lassen. Mit dem Hippokratischen Eid verbindet sie – trotz anders lautender Statements – im Grunde nichts weiter als ein hochwirksames Lippenbekenntnis zur politischen Nutzung und Besitznahme (Attali 1981). Das ist paradox, folgt aber der klassischen Macht der Gewohntheit, die sich bis heute erhalten hat. Bleibt die klassische Medizin auf ihrem ökonomischen Machtkurs, gleicht sie sich den Bestrebungen der Gesundheitswirtschaft an, um irgendwann ihre gestutzten Flügel wieder in voller Spannbreite entfalten zu können? Gibt sie Macht auf, um sie dann vielleicht doch wiederzuerlangen, so wie sie das Heilungsprinzip zu Gunsten der Wissenschaft aufgab, um Macht zu erlangen, um die Heilung nun wieder als letzten Rettungsanker einzusetzen? Diesmal dürfte es eine Illusion sein – damals allerdings, 1720, war es ein Machtkampf:
„Während der Pest in Aix im Jahre 1720 fordern die Hospitalärzte 1200 livres pro Monat. Das Parlament verweigert ihnen das geforderte Honorar und empört sich gegen diese ‚Unmenschlichkeit ohne Beispiel’, es zwingt die Ärzte unter Androhung der Amtsenthebung, die Kranken zum alten Preis zu behandeln.“ (Attali, 1981, S.127)
Das konnten die Ärzte im Laufe der Jahrhunderte ändern – insbesondere mit dem Ausbau der Standesorganisationen in der Nachkriegszeit des Zweiten Weltkriegs. Ob sie zu dieser Stärke wieder zurückkehren, ist mehr als fraglich, weil sich inzwischen Berufe aus dem Wirtschaftsbereich an die Spitze gestellt haben und die staatliche Kontrolle bereits installiert ist. Dennoch ist unbestritten, dass die klassische Medizin unter dem Dach der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der regionalen KVen in Deutschland als König über allen anderen Behandlern thront - und thronen will. Dafür ist sie bereit, der Gesundheitswirtschaft Unterstützung zu gewähren, auch wenn es sich dabei nur um ein ärztliches Gewohnheitsrecht, eine leere Hülle handelt. Aber immerhin ist es noch ein Unterschied, ob man noch eine Illusion hat, auf die man sich grundsätzlich berufen kann, oder ob Medizin nur noch ökonomisch ist und ausschließlich Profite erwirtschaften will. Dabei wahren die ärztlichen Standesorganisationen nicht mehr die Interessen ihrer ärztlichen Mitglieder. Die aber erwachen allmählich - in der Reflexion ihrer Berufsidentität - aus ihrem erzwungenen „Zertifikatsempfänger- und Ausführerbewusstsein“ und beginnen, sich zu wehren. Wenn Behandlungen und Methoden nicht der Heilung und Gesundung von Patienten dienen und Behandler wie Produkte den ökonomischen Interessen frönen müssen, um zu überleben, dann ist spätestens an ein Siegel der Heilung zu denken und politisch notwendig ausschließlich von Behandlern umzusetzen, die sich diesbezüglich neu der Heilung verpflichten. Hier müssen die Psychologischen Psychotherapeuten und Ärzte selbst ran, um eine neue Ordnung in der Kultur und in Bezug auf den Menschen herzustellen. Denn niemand sonst wird es je tun. Das zumindest sind meine Erfahrung und die Erfahrung der Ärzteschaft der letzten zehn Jahre. Die Frage des „Wie“ bewegt zahlreiche Gemüter. Zumal weder mit Unterstützung durch die Politik der Parteien noch durch die der ärztlichen Standesorganisationen und schon gar nicht durch die der Wirtschaft zu rechnen ist. Die neuen Rechtsmöglichkeiten für Ärzte bieten tatsächlich eine bisher einmalige Gelegenheit, Ordnung zu schaffen und Berufsinhalte zu wahren bzw. im Hinblick auf die Heilung von Menschen neu zu formulieren. Eine solche Möglichkeit habe ich rechtlich mittels einer GmbH geschaffen, in der alle Behandler in Deutschland Mitglied werden können, um das Heilungsprinzip zu wahren, gemeinsam Unabhängigkeit zu erlangen und um in diesem Sinne politisch tätig zu werden. Ich vermute, dass die Politiker nicht ernsthaft mit der Möglichkeit gerechnet haben, Behandler könnten sich gemeinschaftlich auf rechtliche Beine stellen. Behandler aller Gattungen würden so nebenbei zum Lehrer für Politiker und Ökonomen der Wirtschaft. Dann kann neu verhandelt werden.
Weichen müssen gestellt werden, da die Neuauflage der ewig alten medizinischen und gesellschaftspolitischen Muster keine Besserung versprechen. Weder für Patienten noch für Behandler. Diese müssen in ihrer Berufsausübung zum Menschen stehen, statt der Ideologie der Gesundheitswirtschaft zu folgen.
Menschen müssen emotional in der Aufarbeitung ihrer Geschichte wie gesellschaftspolitischer aktueller Problemlagen unterstützt werden und im Krankheitsfalle selbstverständlich die bestmögliche „Medizin“ bekommen - im umfassenden Sinne: sozialpolitisch, psychoökonomisch, psychotherapeutisch, naturheilend oder klassisch medizinisch.
Chronifizierungen sind nicht mittels weiterer Strukturen, die Chronifizierungen begünstigen, auszumerzen. Gesellschaftspolitische Konflikte erhalten die Chance, aufgearbeitet zu werden statt der Vergessenheit zum Opfer zu fallen. Voraussetzung dafür sind gleiche Werte für alle Menschen und deren verbindliche Einhaltung. Natürlich sind das große Worte, gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Wertediskussionen und der Angleichung der Wirtschaftsleute auf humanistischere „Werte“ im Business – siehe zum Beispiel Bill Gates mit seinem Vorschlag eines „kreativen Wettbewerbs“ und Ausbildungsgrundlagen privater International-Business Universitäten. (Band 1). Die letzten Jahre haben allerdings bewiesen: Das Gegenteil dessen, was beabsichtigt war, ist eingetreten. Das heißt: Wenn das Heilungsprinzip nicht verbindlich gesellschaftlich für den Berufsstand der Ärzte und Psychologischen Psychotherapeuten vereinbart wird, wird es vollends untergehen.
„Heilung“ und „Heilungsprinzip“ müssen primär schlicht und ergreifend von Ökonomie und eigener Vorteilsnahme unabhängig und in dem Sinne definiert werden. Es ist also zu den Wurzeln der Medizin zurückzukehren: Die ursprünglichen Mediziner, die Mönche, arbeiteten ohne finanzielle Gegenleistung. Die Meinung, dass der Heiler seinen Dienst am Menschen im Grunde gefühlt ohne Geld verrichten sollte, hat sich bis heute gehalten. Die Heiler, die unabhängig von der KV arbeiten und über bestimmte Fähigkeiten oder Mittel verfügen, werden gesellschaftlich nach wie vor als Scharlatane betrachtet und ihre Methoden als schädlich hingestellt. Ohne mir nun ein Urteil über diese Vorgänge zu bilden, sei dennoch gesagt, dass der alte Grundsatz „Wer heilt hat Recht“ noch immer Gültigkeit besitzt. Aber festzustellen ist, dass die KVen immer noch sagen, „was heilt“ und was nicht. Sie haben, im Sinne der geschichtlichen Darstellung von Attali immer noch die „Druckerlaubnis“ – auch im übertragenen Sinne: Sie sagen, was heilt – schade nur, das Heilung so nicht funktioniert. Heilung war nur die Maske vor dem, was eigentlich beabsichtigt war: Macht und Geld für sich selbst und für die Mitglieder zu erhalten. Wobei, wie gesagt, die Ärzte nun auch auf Geld verzichten müssen. Fazit: Wenn es tatsächlich mal heilende Fähigkeiten gab, fielen sie ideologischen Vorteilsnahmen durch die klassische Medizin zum Opfer.
Die klassische Medizin grenzte sich ab, um ihren eigenen Berufsstand zu stärken – das heißt aber nicht, dass sie das Recht und Grundlagen erlangte, Heilung zu definieren. Zumal sie sich damit nicht wissenschaftlich beschäftigte, sondern durch Diffamierung und Okkupation von Methoden, die sie nicht entwickelt hatte, Vorteile verschaffte: Alles, was ihr Berufsfeld nicht beinhaltete, war Scharlatanerie und wurde bzw. wird solange lächerlich gemacht, bis sie es zu ihrem beruflichen Hoheitsgebiet erklärt hat. Die klassische Medizin nahm diejenigen Gebiete in ihr Berufsfeld auf, die sich, von wissenschaftlichen Methodendesignern anerkannt, vermarkten ließen. Damit wurde das traditionelle Bild des Heilers nach und nach ausgelöscht und gesellschaftlich abgewertet.
Im März 2004 fällte das Bundesverfassungsgericht (AZ: BVZ 784/03) allerdings ein überaus bedeutsames Urteil: Ein Heiler, der durch geistige Kräfte oder energetische Methoden die Selbstheilungspotenziale seiner Klienten aktiviert; der durch Handauflagen, Gebet, Radionik, Meditation oder Übertragung positiver Gedanken und Energien Heilung oder zumindest eine Verbesserung der körperlich-seelisch-geistigen Verfassung bewirkt, muss jetzt nicht mehr Arzt oder Heilpraktiker sein, um diese Tätigkeit ausüben zu können. Die Richter folgten dem Grundsatz: Wer heilt, hat Recht. Gegen dieses Urteil gibt es grundsätzlich einen nicht zu unterschätzenden Widerstand, der die alten Strukturen zu erhalten bestrebt ist – ob in der klassischen Medizin oder generell hinsichtlich der zwar reflektierten, aber letztlich akzeptierten ökonomischen Grundlagen und deren Verteilungsschlüssel in der Gesellschaft. Gegenwärtig ist zu beobachten, dass aus allen Ecken die Probleme massiv in die gesellschaftliche Mitte geraten, deren symbolischer und faktischer Zeigefinger sich immer tiefer in die ethischen und moralischen Grundlagen von politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen bohrt. Je mehr man versucht ist, sie zu bagatellisieren, desto größer werden die Probleme, Folgen, Schmerzen und Leiden: in Natur und Mensch. In den westlichen Kulturen haben einige Wenige ihren Reichtum mittels Gefühlsverleugnung und Gefühlsabspaltung im beruflichen Bereich erringen können. Dass sie ihre Motive nicht wissen wollen, wo sie gegen so viele andere Menschen mit Druck, Macht, Kriegen und (teilweise) kriminellem Wirtschaftsverhalten ihre Interessen durchgesetzt haben und wie diese unter ihren Entscheidungen leidenden Menschen leben, versteht sich von selbst. Ökonomie wurde an Natur, Mensch und Menschlichkeit vorbei konzipiert. Kapitalismus reduzierte den Menschen auf Arbeitskraft und Körper, Medizin reduzierte den Menschen auf den Körper. Ebenso wurde Sexualität zu einer folgenlosen und unverbindlichen körperlichen Aktivität. Alles wurde käuflich und verkäuflich. Der Verleugnung der Gefühlswelt, des Leidens und Lebens, dem Überdecken von Schreckensschreien und Schmerzen wurden öffentlich die technischen Errungenschaften und ökonomischen Erfolge gegenübergestellt. Zwei Seiten einer Medaille, wobei der Glanz der ökonomischen Seite gegenwärtig rapide verblasst, während die Seite der Schäden ins Tageslicht tritt. Das hindert die Wirtschaft aber nicht daran, Riesengewinne einzufahren, da diese erst auf der Basis von Not und Leid anderer Menschen verwirklicht werden konnten. Dieses (Miss-)Verhältnis von Menschen zu ihren Lebensgrundlagen in der Beziehung zu Leid, Not, Tod und Profit ist zu klären. „Mord“ allein reicht nicht, wie man seit den Freud’schen Ausführungen zum Ödipuskomplex weiß. Vielmehr sind Wissen, Einsicht, Mitgefühl, Nähe und Vergebung notwendige Prozesse, auf denen wahrhafte Demokratie aufgebaut werden kann.
Das „Wissen“ über die vorangegangenen Zeilen ist nicht neu, aber das Bewusstsein mit gesellschaftlichen Prozessen umzugehen, erweitert sich. Es ist an der Zeit, an einem Tisch zu sitzen, an dem jeder seinen Platz hat und sprechen kann, ohne sofort politisch beargwöhnt und bedroht zu werden. Denn es ist zu konstatieren, dass Menschen rund um die Welt heute einen völlig anderen politischen und informativen Horizont haben als die Generationen vor uns. Insofern sind wir alle aufgerufen, auch andere, neue Lösungen zu finden. Es werden Zeugen gebraucht – und Zuhörer mit Mitgefühl und Einsicht. Egal, ob in Natur oder Mensch, in Wohnvierteln, Beziehungen oder Arbeitsverhältnissen – oder in der Einschränkung des Berufsrechts für Psychologische Psychotherapeuten und Ärzte mit entsprechend eingeschränkten und Abhängigkeiten erzeugenden Honoraren … Jegliche gesellschaftliche Entscheidung und Zielfindung muss dem Menschen und der Heilung dienen: sowohl in der Kultur als auch in einer umfassenden Medizin, die den Menschen nicht in Fachbereiche zerlegt. Dafür ist ein neues Paradigma, ein Heilungsparadigma, von Nöten.
Jeder Mensch hat ein Recht darauf, unter Heilungsperspektive behandelt zu werden – im Gesundheitswesen und in der Gesellschaft. Und Ärzte wie Psychologische Psychotherapeuten müssen das Recht haben, getreu ihrem Gewissen und im Sinne des Hippokratischen Eides (be-)handeln zu können. Sie müssen – ganz im Gegensatz zur gegenwärtigen Realität – von Politik und Wirtschaft dahingehend unterstützt und geschützt werden.
Die klassische Medizin hat keine neuen Ziele, keine neuen Inhalte, keine neuen Strukturen oder gar neue Ideen. Die klassische Medizin kann auch kein neues Paradigma entwickeln, wie der Mensch zu sehen, zu verstehen und zu behandeln ist, damit er gesund wird: Denn sie lebt bereits Jahrhunderte von diesem Cartesianischen Paradigma und hat darauf „ihre“ Medizin aufgebaut. Die klassische Medizin hatte immer „nur“ den Körper des Menschen. Wenn sie den aufgibt, hat sie nichts mehr.
Medizin war von Anbeginn an Ökonomie – die Metapher „Körper“ eine Schablone, mittels derer man Geld verdiente. Dies wurde von vielen Autoren in immer wieder neuen Variationen der Fokussierung aufgezeigt. Niemand fällt mehr auf diese Art von Medizin herein, wäre in Anlehnung an Attali zu sagen. Weder der Arzt noch der Kranke, noch der Staat oder die Wirtschaft: Der erste heilt nicht, der zweite wird nicht geheilt, und der dritte garantiert keineswegs das Wissen. Die Wirtschaft schweigt: Sie verdient, wächst und kauft nun die Medizin und Universitäten auf.