Читать книгу Mitten ins Leben – Frieden finden mit Vipassana-Meditation - Dunja Batarilo - Страница 10
Interkultureller Austausch – Vipassana goes West
ОглавлениеNicht nur in Indien und Burma braute sich in Sachen Meditation etwas zusammen. Auch in Europa und Asien bahnten sich geistige und soziale Strömungen an, die später auf das in Indien bereitete Feld treffen sollten. Bereits um 1900 gab es im Westen eine frühe Welle der Faszination für östliches Gedankengut. Die Theosophen und später die Anthroposophen ließen sich von Motiven wie Wiedergeburt und Erleuchtung inspirieren, interessierten sich für Magisches und Okkultes und bauten die entsprechenden Funde in ihre Weltanschauungen ein. Das Interesse galt vorwiegend den alten Schriften, nur eine Handvoll Theosophen widmete sich auch der praktischen Seite von Meditation.9 Zahlenmäßig waren diese Avantgardisten eine Randerscheinung, sie bereiteten jedoch den geistigen Boden für einen späteren Boom.
In den 60er- und 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts kamen die Hippies nach Indien, und das in Scharen. Das Land war für Westler war zwar weit entfernt, aber doch gut zugänglich: Die Kolonialisierung hatte ein gut funktionierendes Eisenbahnnetz und Englisch als Amtssprache hinterlassen; die Mönche waren es inzwischen gewohnt, auch mit Laien zu sprechen. Die 68er-Bewegung suchte nach Alternativen zu den verkrusteten, autoritären Strukturen, die ihre Elternhäuser geprägt hatten; der indische Subkontinent wurde ihr Selbsterfahrungslabor. Sich mit Buddhismus und Meditation zu beschäftigen, wurde hip: Die Beatles lernten Transzendentale Meditation, Osho gründete seinen berühmten Ashram in Puna, ein wahrer Exodus gen Osten setzte ein. Dieser war so deutlich, dass indische Bauern sich zu wundern begannen. Ob in Europa und den USA eine Dürre herrschte? – Ja, es war eine wohl eine Dürre. Aber eine von anderer, von spiritueller Art.10 Immer mehr dieser jungen Reisenden stießen auch auf die Angebote von S. N. Goenka. Seine Kurse hatten den Ruf, relativ unesoterisch zu sein, frei von Gebeten, Symbolen und Ritualen – das war besonders für Menschen mit akademischer Vorprägung attraktiv. Schon bald bildete sich eine ganze Community von vorwiegend amerikanischen Meditierenden, die im Umfeld des heutigen Lehrzentrums Dhammagiri, etwa 120 Kilometer von Mumbai, wohnten und arbeiteten und sich jahrelang in Meditation ausbildeten. Viele von ihnen kehrten später zurück in ihre Heimat und machten dort Karrieren, die es ihnen ermöglichten, Meditation in die Institutionen zu tragen. Einige wurden prominent: Die Philosophen Joseph Goldstein und Sharon Salzberg zum Beispiel sind heute bekannte Zen-Meditationslehrer, der Molekularbiologe Jon Kabat-Zinn entwickelte die MBSR-Methode, der Psychologe Daniel Goleman wurde in den 1990er-Jahren mit seinem Buch Emotionale Intelligenz weltbekannt – und das ist nur eine kleine, willkürliche Auswahl. 1975 wurde im US-Bundesstaat Massachusetts die Insight Meditation Society gegründet, das erste Meditationszentrum im Westen. Viele östliche Lehrer reisten in dieser Zeit durch die Welt, um zu unterrichten, so auch S. N. Goenka. Er steckte all seine Unternehmerfähigkeiten in seine Mission, leitete hunderte von Meditationskursen in Asien, Europa und den USA und schreckte nicht davor zurück, gemeinsam mit seiner Frau monatelang im Wohnmobil durch die USA zu touren.
Was heute ausgesprochen gut organisiert daherkommt, begann mit improvisierten Kursen in Zeltlagern und Jugendherbergen. Der erste zehntägige Vipassana-Kurs in Deutschland wurde 1983 in Eschwege bei Kassel durchgeführt. In den 1990er-Jahren fand die wachsende deutsche Vipassana-Gemeinde Heimat in Bad Herrenalb im Nordschwarzwald. Im Jahr 2002 wurde das Zentrum Dhamma Dvara im sächsischen Vogtland eingeweiht. Heute finden in diesem Zentrum und in angemieteten Herbergen und Seminarzentren deutschlandweit mehr als 30 Kurse pro Jahr statt, zählt man den gesamten deutschen Sprachraum sowie deutsche Kurse in Polen und Belgien mit, sind es über 50. Es sind Angebote, an denen niemand auch nur einen Cent verdient.
Viele östliche Schulen, die ihren Weg in den Westen fanden, machten sich von ihren ursprünglichen Lehrern schon bald unabhängig. Im Unterschied dazu hat die Linie nach S. N. Goenka das Erbe des Lehrers sorgfältig bewahrt. Die Tradition legt Wert darauf, Goenkas Didaktik nicht zu verändern. Noch immer werden in den Kursen Audio- und Videotapes abgespielt, die Goenka in den 1990er-Jahren zeigen. Der Aktualität tut dies bislang keinen Abbruch. Die Aufnahmen ermöglichen es, Kurse überall auf der Welt in gleicher Weise abhalten zu können. Die Rolle des Lehrers ist daher in dieser Tradition eine sehr bescheidene. Wer nach einem Guru sucht, wird hier enttäuscht. S. N. Goenka starb im Jahr 2013, er benannte keinen Nachfolger. Sein Erbe ist eine echte Erfolgsstory: Aus einer vergessenen Tradition machte er einen Exportschlager, eine zeitgemäße Laienbewegung, die jedes Jahr aufs Neue mehr Menschen erreicht und deren Leben sie positiv verändert.