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Vipassana für Laien – ein Ergebnis der Befreiung aus der Kolonialherrschaft?

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Damit die Vipassana-Tradition, wie wir sie heute im Westen kennen, entstehen konnte, mussten zwei historische Strömungen zusammenfinden. Zum einen der sogenannte buddhistische Modernismus, eine im Kern politische Bewegung. In den vorwiegend britisch besetzten Gebieten des heutigen Indien und Myanmar formierte sich eine gebildete Mittelschicht, die die Kolonialherren abzuschütteln versuchte. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts entdeckte sie den Buddhismus als eine Art Reformreligion. Es ging dabei weniger um spirituellen Gehalt als um ein ethnien- und schichtenübergreifendes kulturelles Erbe. Das damalige Burma oder Birma, heute Myanmar genannt, seit 1886 als indische Provinz von den Briten besetzt, war ein gespaltenes Land: Die Besatzungsmacht hatte das buddhistische Königshaus zerschlagen, etliche ethnische Gruppen bekämpften einander; Mönche und Laien verfolgten unterschiedliche Ziele.7 Der Mönch und Gelehrte Ven Ledi Sayadaw (»Ven« steht für »ehrwürdiger Lehrer«), geboren 1846, gehörte einer Reformbewegung an, die die zerrissene Zivilgesellschaft vereinen wollte, um gegen die Kolonialmacht anzugehen. Buddhistische Meditation war etwas, worauf sich Laien und Mönche sowie die wirtschaftliche und die politische Elite des Landes gut einigen konnten. Hier kommt eine zweite Strömung ins Spiel, in der die Praxis die primäre Rolle spielt: Der Mönch und Gelehrte Ledi Sayadaw erinnerte sich an die alte Prophezeiung, entsprechend der die buddhistischen Lehren 2500 Jahre nach Buddhas Tod erneut in der Welt Fuß fassen würden. Er war der Erste, der völlig neue Wege beschritt, indem er zum ersten Mal die Vipassana-Technik an Laien weitergab – und ihnen wiederum auftrug, ihr Wissen weiterzugeben. »Meditiert, als ob eure Köpfe Feuer fingen«, wies er seine Adepten an.8 Er vertrat eine Linie von spirituellen Lehrern, denen es darum ging, den wahren Gehalt der buddhistischen Lehren zu demokratisieren. Dhamma, die Lehre Buddhas, sollte nicht länger einer kleinen Elite vorbehalten sein. Seine Schüler, unter ihnen zum Beispiel auch der burmesische Meister Pa Auk Sayadaw, verbreiteten Vipassana in Burma und darüber hinaus. An dieser Stelle verzweigte sich die Bewegung, was bis heute sichtbar ist: Es gibt verschiedene Vipassana-Schulen, die die Technik in leicht variierter Form weitergeben. So wird zum Beispiel die Konzentration auf den Atem unterschiedlich gelehrt, es wird unterschiedlich viel Zeit auf das Vertiefen der Konzentration verwandt und auf die vier »Säulen der Achtsamkeit«. Dies sind: Betrachtung des Körpers, der Empfindungen, des Geistes und der mentalen Inhalte. Auch werden nicht alle Kurse kostenlos angeboten. Wenn im Laufe dieses Buches Bezug auf die Technik und auf die Organisation der Kurse genommen wird, dann ist stets die Schule nach S. N. Goenka gemeint.

Der erste Laienlehrer im großen Stil war Saya Thetgyi, ein Schüler Ledi Sayadaws. Ab 1914 unterrichtete er erstmals Feldarbeiter, später immer mehr Menschen aus unterschiedlichen sozialen Schichten, die zu ihm pilgerten, um sich unterweisen zu lassen. 1937 begann Sayagyi U Ba Khin, der spätere oberste Buchhalter von Burma, zu meditieren. Der hohe Regierungsbeamte, berühmt-berüchtigt für seine Effizienz und den Kampf gegen Korruption in den burmesischen Behörden, begann schon bald seine Mitarbeiter selbst zu unterrichten. 1952 gründete er in der Hauptstadt Rangun das erste kleine Vipassana-Zentrum, wo er schon bald burmesische und auch westliche Schüler unterrichtete. Er gilt als Erfinder des Formats des bis heute gängigen Zehntageskurses.

Bevor Vipassana heim nach Indien finden konnte, musste noch S. N. Goenka auf den Plan treten. Er war bereits kein mönchisch geprägter Buddhist mehr, sondern brachte einen ganz anderen Hintergrund mit: Satya Narayan Goenka, der Begründer der gleichnamigen Vipassana-Bewegung, wurde 1924 im burmesischen Mandalay geboren, als Kind indischer Eltern. Der gläubige Hindu wurde ein erfolgreicher Geschäftsmann, den allerdings heftige Migräneattacken plagten. Jeder Mensch, der einmal chronische Schmerzen erlebt hat, kennt die verzweifelte Suche nach Heilung, das Pilgern von Arzt zu Arzt, das auch Goenka hinter sich bringen musste. Schließlich kam er auf Empfehlung eines Freundes zu Sayagyi U Ba Khin. Als Goenka den Lehrer um Hilfe bat, soll dieser ihn zunächst wieder weggeschickt haben – er weigerte sich, die Technik nur als Mittel zum Zweck weiterzugeben. Goenka konnte ihn offenbar überzeugen, im Jahr 1955 absolvierte er seinen ersten Kurs. 1969 zog er zusammen mit seiner Frau nach Indien und begann dort, Kurse in Vipassana zu erteilen. Das »Rad der Lehre« begann nun, sich deutlich schneller zu drehen. 1976 eröffnete er das erste offizielle Vipassana Meditationszentrum in Igatpuri, nördlich von Mumbai.

Mitten ins Leben – Frieden finden mit Vipassana-Meditation

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