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Sie lagen alle dicht beisammen, die Waffen in den Händen und die Blicke in das Dunkel gerichtet. Archibald schlief manchmal ein, erwachte wieder und merkte, dass die anderen immer noch auf der Lauer lagen.

Sie waren schon in die Enge getrieben, aber noch schienen sie es nicht wahrhaben zu wollen.

Lolita bewegte sich unruhig, wenn sie wirklich mal ein paar Minuten schlief. Pablo stand immer wieder auf und lief umher.

Es kam niemand.

Als Archibald dann wieder erwachte, graute der Morgen. Die dicken Bäume, Lianen, Kokospalmen und Farn wurden sichtbar, schälten sich giftgrün aus der Nacht und wurden langsam in neblige Dämpfe gehüllt, die aus dem Boden stiegen.

Archibald setzte sich, rieb über seine Augen und strich sich das Haar zurück. Die anderen saßen oder lagen herum, alle mit offenen Augen, bleichen Gesichtern und dunklen Ringen unter den Augen.

„Ich habe Hunger“, sagte Fidel. „Mir knurrt der Magen, das kann man hören, Lolita!“

„Denke nicht daran“, sagte Mao. „Hunger kann man mindestens zehn Tage lang aushalten, ohne umzufallen. Theoretisch kämen wir also noch zehn Tage weiter.“

„Ich hab aber auch Hunger“, erklärte eines der Mädchen.

„Dann nehmt das Fleisch der Kokosnüsse“, erwiderte Lolita. „Und beeilt euch, wir müssen weiter.“

Archibald stand auf und vertrat sich die steifen Beine. Er war wie gerädert und meinte, Bleigewichte würden an seinen Beinen und seinen Händen hängen.

Ein paar der Männer holten Kokosnüsse und zerschlugen sie.

„Wir werden was schießen“, sagte Pablo. „Es gibt auch genug Beeren, die wir essen können. Die Indios haben Jahrhunderte von dem leben müssen, was der Urwald hergibt, und manche tun das heute noch.“

Ein paar Männer reichten die Kokosnüsse herum.

Dann ging Pablo als erster los und schlug eine Gasse in das Dickicht. Sie folgten ihm, einer hinter dem anderen. Archibald lief in der Mitte hinter Lolita, die sich manchmal nach ihm umblickte, als müsste sie sich vergewissern, dass er noch da war.

Hin und wieder blieben sie stehen, lauschten in den Wald hinein und suchten die Umgebung ab, soweit etwas zu erkennen war.

„Die Tiere fliehen“, sagte der Schwarze. „Sie hören uns, wenn wir noch weit entfernt sind. Und wenn irgendwo wieder Soldaten lauern, dann hören sie uns auch.“

Pablo schob das Buschmesser hinter seinen Gürtel und kroch unter den Lianen hinweg. Sie mussten sich alle bücken und kamen noch langsamer voran.

Als die ersten Sonnenstrahlen hier und dort durch das dichte Dach des Urwaldes stachen, blieb Pablo plötzlich stehen uns stieß ein Zischen aus.

Hinter ihm hielten die anderen an und nahmen die Waffen in die Armbeuge. Spannhebel schnappten. Mao schob seine Bibel unter das Hemd, klemmte die MP unter den Arm und putzte erst einmal seine Brille.

Lolita ging lautlos weiter, bis sie an der Spitze, bei Pablo war, der mit seiner Maschinenpistole in den Urwald hineindeutete.

Lolita blickte ein paar Sekunden in den halbdunklen Wald hinein, dann kam sie zurück und flüsterte: „Da ist etwas! Sieht aus wie Feuer. Vielleicht lagern da Soldaten.“

Pablo kam nun ebenfalls weiter zurück, winkte einem der Indios und redete mit ihm in der Sprache der Eingeborenen. Der Indio nickte und lief in den Wald hinein, in dem er nach ein paar Sekunden verschwand.

„Soll ich jetzt einen Vers vorlesen?“, fragte Mao.

Der Schwarze schnaufte böse. Pablo warf dem Träumer nur einen verächtlichen Blick zu.

„Mao hat immer Verse vorgelesen, bevor es in eine Schlacht ging“, erklärte Mao. „Jeder gute Polit-Kommissar liest Verse vor der Schlacht vor.“

„Halt die Schnauze!“, knurrte Pablo.

Sie blickten gespannt dahin, wo der Indio verschwunden war, und die Zeit rann dahin. Nach einer Viertelstunde sagte Pablo: „Ich hab ihm zehn Minuten gegeben!“

„Wir warten noch!“, entschied Lolita. „Weiter auseinanderziehen!“

Die Männer gehorchten ihr, aber vielleicht nur, weil ihnen selbst nichts Besseres einfiel.

Archibald blieb neben ihr stehen, während sich die anderen entfernten und im Gestrüpp des Urwaldes einen großen Kreis bildeten.

Wieder vergingen fünf Minuten. Der Indio kam nicht zurück.

Lolita standen Schweißperlen auf der Stirn. Archibald beobachtete sie, bis sie es merkte und ihn anschaute. „Was ist, Archibald?“

„Du hast Angst, Lolita. Dieses Spiel mit dem Tod ist gar nichts für dich.“

„Es ist ein Unterschied, ob man darüber redet oder dann mittendrin steckt“, gab sie zu. „Aber das merkt man erst, wenn man drin steckt. Zum Glück gibt es dann kein Zurück mehr.“

„Wäre es schlimm, wenn man zurück könnte?“

Sie blickte ihn wieder an. „Es wäre Verrat, Archibald. Verrat an der Sache, der man sich verschrieben hat.“

Der Indio kam immer noch nicht.

Dafür kam Pablo zurück und sagte: „Jetzt müssen wir was tun, Lolita. Los, du willst doch der Chef sein!“

„Wir gehen zurück“, erklärte Lolita.

„Zurück?“ Pablo starrte sie an. „Warum denn zurück?“

„Wir gehen zurück und suchen einen anderen Weg weiter nach Norden. Es scheinen Soldaten zu sein, die den Indio erwischt haben und nun auf uns lauern. Wir müssen sie von der anderen Seite angreifen oder ihnen aus dem Wege gehen. Nach Norden müssen wir auf jeden Fall.“

Archibald blickte in den Wald, während Pablo noch nachzudenken schien, ob er Lolitas Kommando annehmen sollte oder nicht.

Da bewegte sich das Geäst, und ein Rascheln war zu hören.

Pablo fuhr herum und schlug die Maschinenpistole an.

„Sie haben uns schon entdeckt“, sagte Archibald.

Lolita öffnete die schwarze Tasche an ihrem Gürtel, zog die Pistole heraus und gab sie Archibald in die Hand.

„Alles hierher!“, rief Pablo.

Die Guerillas liefen zusammen.

Das Geäst bewegte sich nicht mehr.

„Sie sind dort!“ Pablo bewegte sich geduckt vorwärts und winkte den anderen, nach rechts und links zu gehen.

Archibald ging mit Lolita und den anderen.

Da fielen Schüsse. Archibald hörte das Pfeifen der Kugeln, ließ sich fallen, und schoss aus der Pistole auf das Dickicht. Lolita warf sich zu Boden, schlug die MP an und jagte einen Feuerstoß auf das Gestrüpp, das auseinandergerissen wurde.

Soldaten mit Stahlhelmen tauchten auf und kamen schießend angerannt. Einer der Rebellen warf die Arme in die Luft und fiel ins Gestrüpp. Die anderen warfen sich nun ebenfalls zu Boden und feuerten auf die heranstürmenden Soldaten, die wie Halme unter einer Sense umgemäht wurden.

Ein paar rannten zurück. Aber die Rebellen schossen gnadenlos hinter ihnen her, und es waren dann nur zwei oder drei, die im Dickicht untertauchen konnten.

Mit Gebrüll sprangen sie auf und rannten hinter den fliehenden Soldaten her. Feuerstöße zuckten aus ihren Waffen und das Knattern hallte im Wald wider, ein hundertfaches Echo, das von überall kam.

Archibald kniete und schaute den anderen nach, mit denen Lolita rannte und schoss. Er stand ganz auf, steckte die Pistole in die Tasche und ging weiter, bis er neben dem Mann stand, der die Arme in die Luft geworfen, geschrien hatte und gefallen war. Er wälzte ihn herum, sah ein von Kugeln zerfetztes Gesicht, hob die Maschinenpistole auf und hängte sie über die Schulter.

Im Wald wurde wieder heftig geschossen. Ein Ast flog von. einem Baum herunter und blieb in den Lianen hängen.

Archibald Duggan ging weiter, schob das Gestrüpp auseinander, hörte das Feuer vor sich verklingen, und sah den Schwarzen zurückkommen und stehenbleiben, als er Archibald sah.

Archibald Duggan ging auf ihn zu und sagte: „Es hat ohne Kompass sicher wirklich keinen Zweck.“

Omar grinste über das ganze Gesicht. Archibald beachtete es nicht, ging an ihm vorbei und sah die erschossenen Soldaten, die Rebellen und den Indio, den sie weggeschickt hatten. Er stand an einem Baum, war tot und hatte ein Fallschirmjägermesser im Hals. Es war bis in den Stamm gebohrt, so dass er nicht umfallen konnte.

Lolita zitterte und ihre Zähne schlugen klirrend aufeinander.

Pablo zog dem Toten das Messer aus dem Hals, wischte es an der Hose ab und ließ die Leiche umfallen. Er drehte sich um und sagte zu der zitternden Frau: „Das ist ein Geschäft für Männer mit starken Nerven. Ist es nicht so, Gringo?“

„Kann sein“, gab Archibald zu.

Lolita schien sich einen Ruck zu geben, ging weiter, stieg über den Toten hinweg und blieb bei dem Feuer stehen, das in einem Blechkasten brannte. Tornister, ausgepackte Lebensmittel, Konservendosen und Geräte lagen umher.

„Alles absuchen!“, befahl Lolita, bemüht, ihrer Stimme Festigkeit zu verleihen.

Archibald ging neben dem Blechkasten in die Hocke. „Die haben alles dabei, was euch fehlt.“

„Jetzt sind wir noch dreizehn“, sagte Lolita, die offenbar nicht zugehört hatte. Sie hob langsam den Kopf und blickte Archibald starr an. „Noch dreizehn!“

„Bist du abergläubisch?“

„Alle Menschen in diesem Land sind abergläubisch. Es steckt tief in uns drin. Und auch wenn man es nicht wahrhaben will, es lässt uns nicht las.“

Die beiden Mädchen tauchten auf, setzten sich neben das Feuer in dem Blechkasten und suchten sich von den Lebensmitteln aus, was ihnen gerade gefiel.

„Habt ihr es gehört?“ Lolita blickte sie an. „Wir sind noch dreizehn.“

„Mit ihm!“ Cicita schaute Archibald an. „Aber er ist keiner von uns!“

„Wenn wir es Pablo sagen, sind wir vielleicht nur noch zwölf“, sagte das dritte Mädchen direkt hinter Archibald Duggan.

Er blickte über die Schulter, aber das Mädchen ging schon um ihn herum und setzte sich zu den anderen.

„Ihr habt Nerven wie Stricke“, sagte er.

Dann kamen die ersten der Rebellen zurück, die Waffen in den Händen, die Gesichter verzogen und die Bücke auf die Lebensmittel gerichtet.

Lolita schaute die kauenden Mädchen an, die nichts sagten.

Pablo tauchte auf. „Es waren sechzehn Mann. Es scheint, als wäre uns keiner entwischt!“ Er lachte zufrieden und winkte Carmen. „Los, gib was her!“

Lolita stand immer noch abwartend da und starrte die Mädchen an.

Carmen warf Pablo gebratenes Fleisch zu und sagte: „Sie hat recht, Pablo.“

„Womit?“

„Wir sind noch dreizehn!“

Pablo ließ die Hand sinken. Jeder der Kerle schien nun zu zählen, wie viele sie waren.

„Das ist doch bedeutungslos!“, behauptete Lolita gegen ihre innerste Überzeugung.

„Dreizehn“, murmelte der Schwarze. „Das bringt Unglück!“

„Im Unglück stecken wir längst mittendrin!“, rief Lolita schrill. „Macht euch jetzt nicht verrückt! Wir haben einen großartigen Sieg errungen.“

„Dreizehn“, sagte Pablo gedehnt und ließ das gebratene Fleisch aus der Hand fallen.

„Aber Duggan, der Gringo, gehört nicht zu uns“, meinte Cicita.

„Es ist bedeutungslos!“, rief Lolita. „Wie wollen wir eine Revolution gewinnen, wenn wir noch an Geister, Hexen, den Teufel und Unglückszahlen glauben!“

„So was gibt es schon“, sagte Fidel. „Das hat meine Mutter immer gesagt. Und sie ist an einem Dreizehnten gestorben, der ein Freitag war.“

Sie blickten sich ratlos an.

„Dreizehn, vierzehn oder zwölf, das ist nur eine Frage unserer Feuerkraft“, sagte Mao. „Sie hat recht, Pablo. Wir können nie eine Revolution gewinnen, wenn unser Glaube noch im Mittelalter verharrt. Es gibt keine Geister und Hexen und keine Zahlen, die Unglück bedeuten. Was uns treffen kann, ist unser Schicksal. Der Aberglaube hat immer nur den Mächtigen dazu dienen sollen, das Volk zu verdummen und in Abhängigkeit zu halten. Sie haben Dämonen und Geister erfunden, um den Menschen Angst einzujagen! Wie anders hätte ein einziger Herrscher Zehntausende hungern lassen können? Sie haben sich gegenseitig zerfleischt, wenn man ihnen einredete, der, den der Herrscher los sein wollte, hätte den Teufel im Leib!“

Mao schlug sein zerfleddertes Buch auf und suchte nach einem Vers, der seine Worte belegen sollte.

„Ja-ja, da ist schon was dran“, gab Pablo nachdenklich zu.

Mao hob den Kopf. „Wenn wir an Geister, Dämonen, den Teufel und das Unglück in einer Zahl glauben, dann haben wir uns schon halb unter das Joch gestellt, dem wir glauben, entronnen zu sein!“ Er suchte weiter in seiner Revolutionsbibel, blätterte vorwärts und rückwärts und schüttelte den Kopf, weil er die Stelle nicht finden konnte.

„Schon gut“, sagte Pablo und winkte ab. „Wir glauben dir, Mao. Davon müssen wir uns freimachen.“

Archibald setzte sich und wischte sich den Schweiß vom Gesicht und dem Hals. Er sah Lolita an, dass sie erleichtert war, aber er spürte selbst, wie sich die Starre löste, die ihn befallen hatte. Er wäre ihnen nicht entkommen, wenn sie gemeint hätten, nur noch zwölf sein zu müssen, um dem Unglück entgehen zu können.

Nach und nach setzten sich die anderen und machten sich über die Lebensmittel her.

Mao setzte sich neben Archibald und suchte wieder in seinem Buch.

„Danke, Mao“, sagte Archibald.

„Was? – Ich hab es nicht wegen dir gesagt. Es ist meine Überzeugung, es ist die Wahrheit, und es ist das, was die Menschen lernen müssen zu begreifen. Ich bin dem Schicksal dankbar für diese Gelegenheit.“

„Trotzdem vielen Dank.“

Mao brummte etwas Unverständliches und suchte weiter in seinem Buch herum.

Der 12 Romane Krimi Koffer Juni 2021

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