Читать книгу Der 12 Romane Krimi Koffer Juni 2021 - Earl Warren - Страница 74

Оглавление

18


Archibald Duggan erwachte, als es bereits Tag wurde. Nebel lagen über dem Fluss und schoben sich bis in den grünen Wald hinein.

Lolita saß auf der Brücke und schaute hinunter in das milchige Grauweiß.

Archibald setzte sich, rieb über sein Gesicht und hob die Maschinenpistole auf.

Lolita blickte ihn an und versuchte zu lächeln, was ihr aber nicht gelang.

„Bist du schon lange munter?“

„Eine Weile“, wich sie aus.

„Und warum hast du mich nicht geweckt?“

„Warum sollte ich?“

Archibald stand auf. Er war wie gerädert und noch zerschlagener als am Tage zuvor, hatte Hunger und einen fürchterlichen Geschmack im Mund. Er dachte daran, dass er sich die Zähne seit einer Ewigkeit nicht mehr hatte putzen können, keine Haare mehr kämmen und keine Bartstoppeln abkratzen. Sie hatten nicht mal was zu essen, keine Flasche, obwohl bei den toten Soldaten genug gefunden worden waren, und den Sack mit dem Geld hatten auch die anderen.

Archibald Duggan kletterte die Leiter hinunter und suchte nach Spuren.

Im Urwald hingen überall noch die Nebelfetzen zwischen den Bäumen und Büschen. Fußspuren hatten sich in den feuchten Boden geprägt.

Lolita kam herunter.

„Wenn die Mission noch bewohnt ist, werden sie den Padre überfallen, nicht wahr?“

Lolita blickte Archibald Duggan an und zuckte die Schultern. „Ja, wahrscheinlich.“

„Wieso, ist es nicht sicher?“

Sie zuckte wieder die Schultern. „Ich weiß nicht mehr, was ich von ihnen denken soll. Als Revolutionäre wollen sie Atheisten sein. Aber du hast ja gesehen, was sie wirklich fühlen. Sie waren alle einmal gläubige Katholiken, und es steckt noch tief in ihnen drin, was den Menschen durch die Jahrhunderte an Ehrfurcht und Unsinn eingehämmert wurde.“

Archibald Duggan blickte wieder auf die Spuren, denen zumindest hier noch leicht zu folgen war.

„Ich weiß es wirklich nicht“, sagte Lolita. „Aber ich könnte mir denken, dass am Ende doch ihre Brutalität siegt.“

„Das glaube ich auch.“ Archibald folgte den Spuren, sah abgebrochene Äste neben Buschwerk liegen, eine zusammengerollte Schlange mit zerschmettertem Schädel und ein paar Patronenhülsen.

Lolita folgte ihm in die feuchten Nebel hinein, die sie wie vom Himmel gesunkene Wolken umgaben. Sie hörten das laute Schmatzen der Sümpfe, die hier in der Nähe des Beni größer und zahlreicher noch zu sein schienen als weiter im Südwesten. Stellenweise roch es nach Schwefel.

Archibald blieb immer wieder stehen und lauschte, musste manchmal eine ganze Weile suchen, bis er die Spuren sah, die weiterführten, aber er hatte schon das sichere Gefühl, dass er sie nicht mehr verlieren würde.

Nach einer guten halben Stunde erreichten sie einen Platz zwischen modernden, umgestürzten Baumriesen, die Gestrüpp überwucherte und wie mit Fangarmen umgeben hatte. Der Moosboden zwischen den natürlichen Barrieren war zertreten, Konservendosen lagen herum, und ein liegengebliebenes Fallschirmjägermesser steckte im Boden.

„Hier haben sie übernachtet“, sagte Lolita. „Sie können gar nicht weit vor uns sein.“

Archibald ging in die Hocke und tastete den Boden ab. Dann lief er weiter bis zu dem letzten, liegenden Baumriesen und sah dahinter die Fußspuren auf dem Boden.

Er drehte sich um und ging zu Lolita zurück, die mitten auf dem Platz stehengeblieben war. „Viel mehr als das alles beschäftigt mich die Frage, warum die Soldaten nicht an der Hängebrücke auf der Lauer lagen, Lolita.“

„Daran hab ich auch schon denken müssen“, gab die junge Rebellin zurück. „Sie mussten sich doch denken können, dass wir dort versuchen würden, auf diese Seite des Beni zu kommen! Aber

vielleicht fanden sie keine Möglichkeit, dort Soldaten abzusetzen.“

Archibald lächelte sie schief an.

„Natürlich“, gab sie sofort zu. „Die Möglichkeit ist am Fluss so gut und so schlecht wie überall sonst im Urwald.“

„Eben.“

Lolita blickte zurück. „Oder sie haben aufgegeben oder wissen vielleicht noch gar nicht, was mit der Abteilung passiert ist, auf die wir stießen.“

„Vielleicht“, sagte Archibald Duggan. „Komisch bleibt es.“ Er wandte sich ab, kletterte über den umgestürzten Baum und suchte dahinter den Boden nach Spuren ab.

Lolita folgte ihm. Sie drangen weiter in den Urwald ein und hörten immer wieder das Rascheln der Büsche, wenn Tiere vor ihrer Nähe flohen.

Dann ging die Sonne auf, die feuchte Wärme im Urwald nahm schlagartig zu und die Nebel verschwanden.

Archibald meinte ein Blitzen zu sehen, blieb stehen und hielt Lolita mit der linken Hand zurück.

„Was ist?“, flüsterte sie erschrocken.

„Ich weiß nicht. Vielleicht irre ich mich. Warte!“ Er ließ die Hand sinken, packte die Maschinenpistole fester, wartete noch zwei Sekunden und ging dann ein paar Schritte weiter.

Archibald blieb wieder stehen. Vor ihm standen die dicken Baumriesen, wuchernde Palmen, leuchtende Orchideen, Büsche und Lianen, ein buntes Durcheinander, das durch seine Vielzahl von Einzelheiten sowieso verwirrte. Aber das Blitzen, Was er gesehen hatte, war verschwunden.

Lolita kam ihm zögernd nach, die Waffe nun ebenfalls angeschlagen und den Finger am Abzug. Sie erreichte ihn, blickte ihn an und schaute dann dorthin, wohin sie wollten.

„Es ist jemand hier“, sagte Archibald Duggan leise. „Ich habe etwas gesehen, und ich spüre es auch.“

„Dann hat Pablo einen zurückgelassen. Für den Fall, dass wir doch noch kommen.“

„Ja, scheint so.“ Archibald Duggan setzte den linken Fuß vor den rechten und verlagerte sein Gewicht darauf.

Da sah er es wieder und feuerte von der Hüfte aus. Seine Geschosse trafen einen Baum und schleuderten Rinde über Buschwerk und Farn hinweg.

Das Krachen der Schüsse hallte in den Wald hinein und kam hundertfach zurück.

Lolita schoss auf eine Dattelpalme, die sich bewegte. Wieder kam das Echo aus der Tiefe des Urwaldes, begleitet von aufgeregten Tierstimmen. Ein großer Vogel strich durch das Geäst, knallte gegen einen Baum und stürzte krächzend in einen Busch, den sein gewaltiger Flügelschlag auseinander riss. Der Vogel tauchte wieder auf und flog in das Halbdunkel des Urwaldes hinein.

„Amado, bist du es?“, fragte Lolita.

Ein Schatten huschte von einem Baum zu einem anderen. Archibald schoss zu spät und traf wieder nur die Rinde, mit der Staub durch die Luft flog.

Ein aufgeregt schnatternder grauer Affe sprang von einer Palme auf eine andere und warf mit Kokosnüssen nach einem Baum. Er turnte weiter, machte einen Satz auf einen dicken Ast, rannte auf ihm entlang, schimpfte immer noch und schwang sich plötzlich, an einer Liane hängend, auf den dicken Baum zu, dessen Rinde Archibalds Geschosse heruntergefetzt hatten.

Der Lauf einer Maschinenpistole wurde sichtbar, während der Affe noch durch die Luft schwang. Die Waffe zuckte, spie Feuer aus, der Affe schrie wie ein Mensch, ließ die schwingende Liane los und stürzte ins Gestrüpp.

Archibald rannte vorwärts, sah den Mann aus der Deckung springen, erkannte, dass es wirklich Amado war und schleuderte ihm die Maschinenpistole entgegen.

Amado sprang nach der Seite, aber die Maschinenpistole traf ihn noch gegen die Schulter und ließ ihn herumzucken. Er schoss noch in der Drehung, aber seine Geschosse strichen an Archibald vorbei.

Archibald Duggan warf sich mit einem wilden Satz nach dem Kerl und schlug mit der Faust zu.

Amado wurde getroffen, taumelte und prallte gegen den Baum. Er schoss wieder.

Archibald ließ sich fallen, rollte über den Boden und stieß gegen einen Busch, der ihn festhielt. Er sah das verzerrte Gesicht des jungen Rebellen und die herumschwingende Waffe. Amado war von der eiskalten Sorte und schoss auch auf einen Gegner, der keine Waffe hatte oder den er nur von hinten sah.

Und der dornige Busch hielt Archibald Duggan wie mit Krallen fest.

Da schoss Lolita.

Amado zuckte unter den Einschlägen zusammen, eine Waffe kam aus der Richtung, er drückte ab, aber die Geschosse jagten über Archibald Duggan ins Dickicht.

Lolita schoss wieder, und erneut zuckte Amado unter den Einschlägen der Kugeln zusammen, schwankte rückwärts, prallte gegen den Baum, der ihn vorher gedeckt hatte und verlor seine Maschinenpistole aus der Hand.

Archibald befreite sich aus dem Dornenbusch, richtete sich auf und ging auf den Rebellen zu, der am Baum hing, und dem ein dünner Blutfaden aus dem Mund rann. Kugeln hatten sein Hemd durchschlagen, und sein Blut färbte den schmutzigen Stoff nun rot.

Lolita war in der Nähe stehengeblieben. Ihre Augen funkelten, wie Archibald es schon eine Weile nicht mehr bei ihr gesehen hatte. Der alte Kampfgeist beseelte sie jetzt in diesen Minuten und schien die Resignation vertrieben zu haben.

„Pablo dachte, ihr ... ihr seid nach ... La Paz“, sagte Amado gepresst und abgerissen. „Aber er wollte ...“ Er brach wieder ab und stürzte jäh zu Boden.

Archibald blickte wieder auf Lolita. Sie näherte sich zögernd, kniete, griff nach der Schulter des jungen Burschen und schob ihn auf den Rücken.

Amados Lippen zuckten, als wollte er sprechen, aber es war nur ein Röcheln, was noch aus seinem Mund kam. Dann fiel sein Kopf jäh zur Seite.

Lolita kniete noch ein paar Sekunden neben ihm, drückte ihm dann die Augenlider herunter und richtete sich auf.

Archibald fand hinter dem Baum einen Tornister, öffnete ihn, nahm Brot und Hartwurst heraus, holte seine Maschinenpistole und folgte dann weiter den Spuren durch den Urwald.

Lolita holte ihn schon bald wieder ein. Er zerbrach die Wurst und gab ihr die Hälfte. Das gleiche tat er mit dem Brot.

Schweigend liefen sie durch den Wald, aßen und suchten die Spuren der anderen.

Es waren noch sechs, mit denen sie es zu tun hatten: Pablo, Fidel, Marco und die Mädchen.

„Warum folgen wir ihnen eigentlich noch?“, fragte Lolita auf einmal.

Archibald blieb stehen. „Wir müssen die Mission finden. Ich könnte mir denken, dass es von dort aus einen Weg gibt, der durch den Urwald führt.“

„Wege überwuchern manchmal in ein paar Tagen.“

„Vielleicht finden wir trotzdem einen Weg.“ Archibald ging weiter.

Der 12 Romane Krimi Koffer Juni 2021

Подняться наверх