Читать книгу Der 12 Romane Krimi Koffer Juni 2021 - Earl Warren - Страница 73

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Die Dunkelheit kroch über den Urwald und den Fluss, dessen leises Rauschen bis tief in das Gestrüpp schallte.

Sie hatten von den anderen seit geraumer Zeit nichts mehr gehört, und Archibald begann anzunehmen, dass sie die Brücke überquert hatten.

Lolita stand die Angst deutlich im Gesicht geschrieben. Es war schon das reine Grauen, das sie beherrschte, bis ins Mark in ihr steckte, vielleicht unausrottbar für den Rest ihres Lebens. Es erschien Archibald Duggan unwahrscheinlich, dass für diese Frau wirklich jemand eine ganze Million Pesos ausgeben würde. Aber zumindest lachen würden sie und sich zufrieden die Hände reiben, könnten sie wissen, wie sich der Rebellenhaufen selbst reduziert hatte.

„Ohne die Karte und den Kompass wird man sich hoffnungslos verirren“, sagte Lolita tief in ihre Gedanken versunken. „Eines Tages steht man vielleicht an einem Baum, an dem man schon einmal war, und man merkt es noch nicht mal.“

„Wir werden die Spuren der anderen sicher noch finden und ihnen folgen können“, gab Archibald Duggan zurück, ohne selbst von seinen Worten überzeugt zu sein.

Lolita schwieg.

Archibald richtete sich auf.

„Wo willst du hin?“

„Nachsehen. Hier können wir die Nacht über nicht bleiben, Lolita. Hier sind wir nicht sicher. Und einschlafen werden wir nach den Strapazen auch beide. – Komm!“

Sie stand auf und ging mit ihm zurück, um die Palmen herum und an den Orchideen vorbei, bis sie die Brücke sehen konnten. Archibald hatte schon befürchtet, sie hätten die Taue auf der anderen Seite gekappt und die Brücke würde im Wasser liegen oder schon fortgeschwemmt sein. Aber sie war noch da und, wie es schien, vollkommen in Ordnung. Er ging Schritt um Schritt weiter, bis er den riesigen Schwarzen sah, der zusammengesunken hinter dem Baum lag, der ihn zuletzt gedeckt hatte. Nicht gut genug, wie Archibald nun sah.

„Sie sind ja nur noch sieben“, sagte er belegt, ging weiter und fand Mao, der seine Revolutionsbibel mit seinem Blut getränkt hatte.

Lolita hob das zerfledderte Buch auf, blätterte sinnlos darin und ließ es wieder fallen.

Archibald suchte nach Spuren, fand frische Erde auf der Leiter zur Hängebrücke und war überzeugt, dass sie auf der anderen Seite waren.

Die Alligatoren lagen friedlich auf der Sandbank und schienen zu schlafen.

„Sie warten drüben im Wald“, sagte Lolita. „Sie schießen uns von der Brücke herunter, wenn wir uns hinauf wagen.“

„Dann warten wir hier bis morgen. Sie denken dann sicher, wir wären umgekehrt und würden versuchen, La Paz zu erreichen.“

Lolita blickte zu den Alligatoren hinunter.

„Die kommen nicht herauf.“ Archibald lehnte sich gegen die Leiter. Er war sicher, dass er von der anderen Flussseite aus hier nicht zu sehen war.

Langsam sank das Dunkel tiefer und hüllte den Urwald und den Beni schließlich ein. Dann war es stockdunkle Nacht.

Lolita lehnte neben ihm, ihre Zähne schlugen manchmal aufeinander, und sie zitterte. Sie wagten es nicht, sich auf den Boden zu legen, hatten Angst vor Schlangen, Raubtieren und vor den Alligatoren, die vielleicht doch von dem Sandstreifen einen Weg herauf fanden.

Endlos dehnten sich die Minuten zu Stunden, die nicht vergehen wollten. Irgendwann ging der Mond auf und warf für eine Weile silbernes Licht auf den Fluss und die Alligatoren, die jetzt zum Teil im seichten Wasser lagen, manche so tief, dass nur die glotzenden Augen aus den lehmigen Fluten schauten.

„Wie spät ist es?“, fragte Lolita irgendwann. „Ich hab meine Uhr nicht mehr aufgezogen.“

Archibald versuchte zu erkennen, wo auf seiner Uhr die Zeiger standen, aber er sah es nicht. „Nach Mitternacht sicher“, sagte er.

Lolita rieb sich über die Arme. „Was machen wir denn, wenn ... Ich meine, wenn wir wirklich weiterkommen sollten?“

„Wir müssen aus dem Urwald kommen, Lolita. Das ist das Wichtigste. Und dann müssen wir weiter versuchen, Peru zu erreichen. Dort warten ein paar Freunde von mir. Wenn wir uns mit ihnen in Verbindung setzen können, kann uns nicht mehr viel passieren. Du bekommst einen neuen Pass, einen anderen Namen und helles Haar. Dann sind wir gleich ein ganzes Stück weiter.“ Er lächelte ihr in einer Art zu, die ihr Mut machen sollte.

„Du würdest mich nicht an die Polizei ausliefern wollen?“, fragte sie zweifelnd.

„Die hätten doch von dir gar nichts mehr und würden mir vielleicht nicht einmal glauben wollen, dass du die Urwald-Lady bist, die ihnen soviel Geld wert war.“

„Sie werden inzwischen genau wissen, wer ich bin! Und sie werden die Million bezahlen müssen, Archibald!“

Er stieß sich von der Leiter ab, packte ihren Arm und schraubte die Finger zusammen. „Ich hab schon auf verdammt viele Arten Geld verdient, Lolita, das ist wahr. Aber einen Menschen hab ich nie verkauft.“

Sie schwieg, schaute ihn eine Weile an und blickte dann zum Fluss hinunter. „Eine Million Pesos sind sehr viel Geld. Vielleicht nicht für dich, Archibald.“

„Vielleicht hat Geld für mich überhaupt nicht die gleiche Bedeutung wie für die Menschen, mit denen du immer zu tun hattest. Es denkt darüber nicht einer wie der andere, und es meint nicht jeder, dass es der Maßstab aller Dinge wäre.“

„Ich habe das nie geglaubt“, sagte Lolita. „Aber wenn man eine Revolution machen will, dann muss man das tun, wofür sich eine Mehrheit finden lässt. Und dabei ist Geld wichtig.“

„Willst du denn immer noch eine Revolution machen?“

Sie blickte ihn wieder an und schien nachzudenken.

„Du hast doch nun gesehen, wie das geht“, sagte er. „Deine Freunde wollen nicht den Armen helfen, sondern sie wollen die Armen lediglich benutzen, um an die Macht zu kommen. Die würden dann in amerikanischen Luxusautos herumfahren und die Indios vielleicht noch mehr unterdrücken und schlagen, als es die Kapitalisten können. Im Prinzip der Konkurrenz versteckt sich nämlich ein schönes Stück Humanität, das für einen Diktator überflüssig ist. Er braucht nur eine zuverlässige Leibgarde und eine schlagkräftige Armee.“

Lolita blickte wieder zum Fluss hinunter. „Ich habe sicher nur nicht die richtigen Menschen gefunden, Archibald. Der Kapitalismus ist nicht human, das stimmt nicht. Und nicht alle, die eine Revolution machen wollen, sind so wie Pablo oder der Schwarze, oder wie die Mädchen, die ja noch gar keinen eigenen Willen haben. Ich kann ihnen auch nicht vorwerfen, dass sie voll stecken mit Misstrauen und Aberglauben. Sie haben doch nie etwas anderes gelernt.“

„Vielleicht.“ Archibald schaute auf die Alligatoren, von denen einer träge ans Ufer und über andere hinwegkroch, die sich daran nicht störten.

„Hast du Che Guevara gekannt?“, fragte Lolita leise.

„Nein.“

„Ich habe ihn gut gekannt. Auch Castro und Allende. Sie konnten alle drei die Menschen begeistern, die um sie waren, rissen jeden mit, der sie nur hörte. – Vielleicht muss man ein Mann sein, um andere begeistern zu können.“

Archibald lehnte sich wieder gegen die Leiter. Er war hundemüde, aber er wusste, dass er nicht einschlafen würde, selbst wenn er sich auf den Moosboden legte.

Dann war der Mond weitergewandert, und schwarze Schatten legten sich über den Fluss und die Brücke, und das andere Ufer war nicht mehr zu erkennen.

„Wollen wir es jetzt versuchen?“, fragte er.

„Was?“

„Über den Fluss zu kommen. Jetzt sieht man die Hand kaum vor den Augen, Lolita.“

Lolita wandte sich um und blickte hinaus in das Dunkel, in dem selbst die Alligatoren nicht mehr zu erkennen waren.

„Komm!“

Archibald stieg entschlossen die Leiter hinauf, die Maschinenpistole über der Schulter. Die Brücke schwankte, als er sie betrat, gab knarrende Geräusche von sich, aber sie gingen im Rauschen des schlammigen Flusses unter.

Lolita kam herauf und blieb hinter ihm stehen. Archibald nahm die Maschinenpistole von der Schulter, klappte den Bügel um und hielt sie wie einen Revolver. Schritt um Schritt tastete er sich auf die Brücke hinaus.

Das Schwanken verstärkte sich, je weiter sie zur Mitte kamen. Archibald blieb manchmal stehen und blickte zurück. Lolita war immer nur ein paar Schritte hinter ihm.

Dann waren sie in der Mitte, die Brücke hing stärker durch, die Seile knarrten, und die Bretter gaben ächzende Laute von sich. Unter ihnen gurgelte und schäumte das Wasser. Und vielleicht lauerten dort schon die Piranhas, wie der wüste Rebellenrest auf der anderen Seite lauern konnte.

Sie kamen weiter, das Schwanken ließ nach und der Baum war undeutlich zu sehen, an dem die Seile befestigt waren.

Archibald packte die Maschinenpistole fester und schob den Zeigefinger vor den Abzug. Fratzen schienen ihn anzugrinsen. Er wusste, dass ihn nur seine überreizten Sinne narrten.

Im Wasser sprang ein Fisch aus der Flut und stürzte wieder hinein.

Archibald erreichte den dicken Baum und blickte hinunter in die Schwärze. Sekunden wartete er so und lauschte, aber es waren nur die üblichen Geräusche des Urwaldes, ein Knacken, das das Fliehen eines Tieres verriet, und das Schmatzen eines Sumpfes.

Archibald kletterte um den Baum herum und stieg die Leiter hinunter.

Es dauerte nur eine Minute, dann kam Lolita und blickte in den Urwald hinein.

„Sie sind nicht mehr da“, sagte Archibald Duggan. „Ein Tier ist eben geflohen.“

„Dann glauben sie also doch, wir wären umgekehrt.“

„Scheint so.“ Er war unentschlossen, was sie tun sollten. Jetzt weiterzugehen war Wahnsinn, denn sie sahen nicht, wohin sie liefen, und die Geräusche und die aufgeschreckten Tiere würden sie verraten.

„Am besten, wir klettern wieder auf die Brücke“, sagte Lolita. „Dort könnte uns höchstens eine Affenhorde stören.“

„Gut.“ Er schob sie zur Leiter zurück.

Der 12 Romane Krimi Koffer Juni 2021

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