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»Wenn du nicht tust, was ich dir sage, erzähl ich’s Mama! Dann wirst du schon sehen, was du davon hast, du kleiner Scheißer!«

Fabian schluckte betreten, während er zu seiner großen Schwester Caroline aufsah, die mit wütender Miene und loderndem Blick auf seine Antwort wartete.

»Aber …«

»Mama!«, sagte Caroline, allerdings noch nicht so laut, dass ihre Mutter, die im Wohnzimmer Wäsche bügelte und dabei Fernsehen schaute, sie hören konnte.

Fabian schluckte noch einmal, denn sein Mund und seine Kehle waren plötzlich ganz trocken. Was sollte er nur tun? Er wusste, dass Caroline, die mit ihren zwölf Jahren ganze fünf Jahre älter war als er, ihre Drohung wahrmachen würde, wenn er sich weigerte, das zu tun, was sie von ihm verlangte. Und dann würde ihn Mama wieder in den finsteren Vorratskeller stecken, wo es mindestens Tausende von Spinnen, Käfer, Kellerasseln und anderes ekliges Getier gab. Wenn er andererseits tat, was Caroline wollte – er sollte im Laden um die Ecke wieder einmal Lippenstift und Lidschatten für sie klauen –, wurde er, wie schon so oft, vielleicht erwischt und ebenfalls von Mama bestraft. Er steckte also wieder einmal in der Zwickmühle, und es war im Grunde egal, wozu er sich entschied, denn das Endergebnis war unter Umständen exakt dasselbe.

Außerdem war es vielleicht endlich einmal an der Zeit, seiner Schwester die Stirn zu bieten und ihr zu zeigen, dass sie nicht mehr alles mit ihm machen konnte. Sein Schulfreund Henrick hatte dem dicken Alexander vor zwei Wochen, als der ihn wieder einmal ärgern wollte, volle Kanne in die Eier getreten, und seitdem ließ der dicke Alex ihn in Ruhe. Vielleicht ließ Caroline ihn in Zukunft auch in Frieden, wenn er dieses Mal nicht nachgab.

»Ich mach’s nicht!«

»Was?«, fragte Caroline, während die Wut in ihrem Gesicht für einen winzigen Moment von Fassungslosigkeit und Unglauben ersetzt wurde, Empfindungen, die Fabian dort, soweit er sich erinnern konnte, noch nie zuvor gesehen hatte. Schon aus diesem Grund hatte sich seine Standhaftigkeit gelohnt. Doch schon im nächsten Moment verschwanden die ungewohnten Emotionen wieder spurlos, und an ihre Stelle trat der blanke Hass und verwandelte Carolines ansonsten so hübsches Gesicht in eine hässliche Fratze. »Was hast du gesagt, du kleiner Scheißer?«

Fabian bereute seine Entscheidung bereits und wollte zurückrudern, doch dazu war es zu spät.

»Maaamaaa!« Carolines Schrei schrillte durchs ganze Haus. Sie hob die rechte Hand, packte eine Strähne ihres langen, haselnussbraunen Haares und riss sie mit einem einzigen kräftigen Ruck aus.

»Caroline? Was ist denn, mein Schatz?« Nachdem der gellende Schrei verstummt war, vergingen nur wenige Sekunden, bis ihre Mutter in der offenen Tür stand.

Caroline wandte sich ihrer Mutter zu, zeigte ihr die Haarsträhne in ihrer Hand und sagte laut schluchzend: »Fabi … schluchz … Fabi hat mir …. schluchz … meine Haare … schluchz … ausgerissen …«

Fabian wunderte sich immer wieder, wie Caroline es schaffte, auf Kommando dicke Tränen zu produzieren. Er selbst war dazu nicht in der Lage, er hatte es nämlich schon ausprobiert. Allerdings hatte das Ausreißen der Haare gewiss wehgetan und es ihr erleichtert, jetzt so überzeugend auf die Tränendrüse zu drücken.

»Fabian!«, brüllte seine Mutter und kam zu ihm. Sie packte ihn am linken Oberarm und hob ihn hoch, sodass seine Füße die Bodenhaftung verloren. »Was hast du denn jetzt schon wieder getan, du kleiner Teufel? Kannst du deine Schwester denn nicht einmal in Ruhe lassen? Komm sofort mit! Zur Strafe kommst du in den Keller. Und da bleibst du gefälligst bis zum Abendessen!«

Während sie ihn wie eine große Gliederpuppe, deren Beine unnütz hin und her schlenkerten, aus Carolines Zimmer trug, erhaschte er noch einen Blick auf seine Schwester. Das Weinerliche war spurlos aus ihrem Gesicht verschwunden, und auch die Tränen waren längst getrocknet. Sie grinste diabolisch, hob die Hand und winkte ihm zum Abschied hinterher. Viel Spaß bei den Spinnen und Kakerlaken, formte sie lautlos mit den Lippen.

Fabian hatte zum damaligen Zeitpunkt zwar noch keine wirklich konkrete Vorstellung vom Teufel, von dem er lediglich im Religionsunterricht gehört hatte, aber in diesem Moment war er überzeugt, dass Satan wie seine Schwester aussehen musste.

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