Читать книгу Wie in einem Spiegel - Eckhard Lange - Страница 11
KAPITEL 8
ОглавлениеJetzt, da alles vorbei ist, wo ganz andere Dinge mir das Leben als Leben verbieten, frage ich mich: Was hat mich eigentlich bewegt, einen Kampf zu beginnen, der nicht zu gewinnen war – einen Kampf, der mich im Grunde nichts anging. Denn diese Entscheidung hat meine ganze Zukunft geprägt, nein, sie hat sie zunichte gemacht. Sollte der Mensch sich nicht eigene Ziele setzen, einen eigenen Weg suchen? Sollte er nicht vorausschauen statt zurückzublicken auf eine Vergangenheit, die nicht die seine ist? -
Deine Erkenntnis kommt spät, Jason Yolck. Zu spät. Aber du musst diese Frage beantworten, dennoch beantworten, denn nur so wirst du erkennen, was dein Leben zerstört hat. Und vergiss nicht: Es waren nicht die anderen – du warst es selbst, der hierfür verantwortlich ist. Geh in dich, es gibt viele Antworten: Trotz, Hass, Missgunst, Machtstreben, Ruhmsucht, Geldgier. Du musst dich erinnern! -
Vergisst du nicht anderes? Kann es nicht auch ein Gefühl von Verantwortung gewesen sein – für jene Menschen, die den Vater begleitet haben, seinen Erfolg erst ermöglicht haben? Kann es nicht auch der Sinn für Gerechtigkeit gewesen sein – das Bestreben, dem Vater späte Genugtuung zu verschaffen? Ich habe doch gesehen, wie er plötzlich aufwachte aus seiner Todesstarre, wenigstens für Augenblicke wieder lebendig wurde in seinem Sarg, ich habe in seine seit langem erloschenen Augen gesehen, die auf einmal wieder zu leuchten begannen. Ich habe ihn nie wirklich lieben können, damals, als Kind, weil er mir so fern und unnahbar erschien. Das ist die Wahrheit. Und ich konnte ihn auch nicht lieben, als Mama starb, obwohl wir beide in unserer Trauer versanken. Denn wir haben verschieden getrauert, wir haben um einen verschiedenen Menschen getrauert, den wir verschieden geliebt hatten.
Und diesen leidenden, einsamen, versteinerten Mann in seiner düsteren Höhle konnte ich schon gar nicht lieben, denn er machte mir Angst. Vielleicht fürchtete ich, mit hineingezogen zu werden in diese Dunkelheit, diese Verzweiflung, diese Todesstarre mitten im Leben. Doch dieses eine Mal habe ich ihn geliebt: Als er mich wahrnahm, mir eine Zukunft schenken wollte. Ja, ich habe es für ihn getan! -
Bist du da so sicher, mein Freund? Schau mich an, schau dein Spiegelbild, und halte deinem eigenen Blick stand! Ich will mit dir rechten. Waren es wirklich so edle Motive, die dir diesen Kampf aufzwangen? Gerechtigkeit ist ein großes Wort, oft genug missbraucht für sehr kleinliche Dinge. Und Liebe? Mag sein, dass du ein besonderes Gefühl für den Vater hattest in jenem Moment, aber war das schon Liebe? Oder war das nur die Kehrseite deines Hasses auf den anderen, den Bruder des Vaters, der dir deine Jugend geraubt hat, wie du doch denkst, nicht wahr? -
Ja, das hat er. Und ich habe ein Recht, ihn deswegen zu hassen. Doch ich hasse ihn auch, weil er den Vater ins Unglück gestürzt hat. Ich hasse ihn, wenn ich die toten Augen des Vaters sehe, den schleppenden Gang, die hilflosen Gesten. Ich hasse ihn dafür, dass ich meinen Vater nicht lieben konnte – außer in jener einen Stunde. Ist das nicht Grund genug? –
Und darum wolltest du Rache üben? –
Ja, darum! Denn er konnte sich nicht mehr rächen, obwohl es ihm zustand. Nicht die Firma, nicht das Geld waren mein Erbe, sondern seine Rache. Du sollst deinen Vater ehren, heißt es nicht so? Nicht lieben, aber doch ehren. Für seine Ehre habe ich all das tun müssen, auch wenn ich selbst daran zerbrochen bin. Lass mir diese Wahrheit, bitte, damit mein Leben seinen Sinn behält, auch jetzt, gerade jetzt, wo es nur noch in der Erinnerung existiert.