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Die Entscheidung

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Um es gleich vorweg zu sagen: Ich habe damals meiner Mutter nicht erzählt, mit wem ich mich getroffen hatte. Es sollte mein Geheimnis bleiben, ganz allein meine Sache. Und außerdem: Es würde nur alte Wunden aufreißen, sie in einen schmerzlichen Zwiespalt bringen. Und es könnte auch zwischen uns beide einen Keil treiben. Wenn ich auch schon viele Jahre mein eigenes Leben lebte, an dem sie keinerlei Anteil, ja von dem sie wohl auch keinerlei Ahnung hatte - irgendetwas verband uns dennoch, und das wollte ich nicht zerreißen. Nein, es war auch für sie besser, wenn sie nichts erfährt. Vorerst jedenfalls.

Noch war ich mir selbst ja nicht im Klaren, wie ich reagieren sollte. Da war mein Stolz, und er sagte: Du hast nichts zu schaffen mit diesem Mann, der dich solange verleugnet hat. Du kannst auch ohne ihn deinen Weg gehen. Aber da war auch meine Neugier: Was weiß er tatsächlich von mir? Und was kann ich über ihn erfahren? Wissen ist Macht, und es wäre ganz sicher ein Vorteil für mich, seine Macht zu beschneiden und meine zu vergrößern. Macht über ihn zu bekommen, der so selbstsicher tat, der Sohn über den Vater, der Verratene über den Verräter - das war eine Versuchung. Und wenn dieses Wissen Verständnis wecken sollte, vielleicht sogar Vergebung? Dann soll es so sein, dann ist Großmut eine Tugend, zu der nur Helden fähig sein können.

Bald schlich sich noch eine Überlegung in mein Denken: Er hat vom Erbe gesprochen. Und steht es mir nicht zu, als Entschädigung für alles Unrecht, daß er meiner Mutter und mir angetan hat? Sein Sohn, der andere, der halbwegs ja auch mein Bruder war, ist tot. Ihn hatte ich nicht zu fürchten. Ich würde ihn auch so nicht fürchten. Ich hätte den Kampf aufgenommen mit dem Recht des Erstgeborenen, wäre es um den Nachlaß gegangen. Aber lieber war mir schon, daß es ihn nicht mehr gab. Schließlich kenne ich ihn nicht, und es wäre ja auch denkbar gewesen, daß ich in ihm tatsächlich einen Bruder entdeckt hätte - und nicht nur Abel, den Kain totschlagen muß mit seinem Anspruch auf die Vaterliebe.

Da war zudem sein Angebot. Es stimmte ja: Ich muß mich entschließen, was mein Zukunft betrifft. Die Zeit hier - in dieser engen Stadt zwischen den engen Moränenhügeln, in dieser muffigen, kleinbürgerlichen Welt, in die ich nicht passe mit meinen Träumen, meinem Streben - diese Zeit war abgelaufen. Das zumindest war jetzt beschlossene Sache: Ich werde diesen Ort verlassen. Was ich damals nicht wußte: Ich habe ihn auch nie wieder betreten. Doch - einmal noch: um meine Mutter zu begraben.

Es gab also eine Chance - nein, es gab sogar zwei: Es gab die verlockende Aussicht, einfach hinauszugehen in eine andere Welt, mir neues Wissen zu erschließen, mit Gleichgesinnten zu debattieren, zu forschen und zu lernen. Aber was ist eine Universität? Letztlich doch wieder eine Schule - mit Lehrenden, die alles besser wissen und meist doch nichts wirklich wissen, mit überfüllten Hörsälen, mit überlaufenen Seminaren und Laboren, mit Mengen von dumpf dahinlebenden, alles schluckenden Studierenden, die mich überall nur behinderten. Wollte ich das wirklich - nur um irgendwelcher Titel willen? Könnte das meine Fantasien stillen, meine Macht vergrößern?

Doch da war ja auch dieses andere Angebot: In der Reederei anzufangen, als was auch immer. Jedenfalls weit unten, aber mit der verlockenden Aussicht, aufzusteigen, mich zu beweisen, mich durchzusetzen gegen andere, die vielleicht ältere Rechte, aber längst nicht größere Fähigkeiten haben. Ein Kampf ums Dasein in einer modernen Welt - survival of the fittest, ein ständiges Streben nach Einfluß, nach Vorrang, nach Macht. Ja, das könnte mich reizen, mich herausfordern.

Und damit war ein anderes verbunden: Ich würde in der Nähe des Vaters sein - nicht als sein Schützling, aber als sein Schatten. Was ich immer nur in meinen Träumen konnte - ihn beobachten, sein Tun verstehen, mich ihm beweisen und endlich über ihn zu obsiegen, das könnte so Wirklichkeit werden. Ich würde mit ihm reden, ihn kennenlernen, ihn ausforschen, ich würde in seine Geheimnisse eindringen und seine eigenen Träume erfahren. Und eines Tages gäbe es keine Mauer mehr zwischen uns, wäre er schutzlos, mir ausgeliefert. Ja, das ist ein Ziel! Und am Ende würde ich der Bessere sein, der Erfolgreichere, und er müßte es anerkennen. Ich würde das Recht haben auf sein Erbe, auch vor mir selbst - weil ich es mir erkämpft habe, statt es mir schenken zu lassen.

Tagelang bin ich durch die Straßen gelaufen, um Bewegung zu empfinden für alles, was mich bewegte, meine Überlegungen, meine Pläne, meine Träume. Und um zugleich Abschied zu nehmen von all diesen Orten um mich her, von Kindheit und Jugend. Deren Erfolge galten nun nicht mehr, jetzt zählten nur noch die zukünftigen. Und ich würde sie erringen!

So fuhr ich schon einen Tag früher nach Hamburg, besorgte mir eine Bleibe, weil ich nicht in das väterliche Haus ziehen wollte, jedenfalls nicht sofort, nicht auf Befehl. Der Machtkampf hatte also schon begonnen, noch ehe ich ihn wiedertraf. Auch wenn er nichts davon ahnte. Und ich sagte zu, reserviert, aber freundlich im Ton, in seinem Unternehmen eine Ausbildung zu beginnen, und ich sah mit Genugtuung, daß es ihn bewegte. Das war der Grundstein für meinen Aufstieg in der Welt der Schifffahrt, des Handels, der weltweiten Wirtschaft!

Die Träume von Macht

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