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Thessi
ОглавлениеIn Wahrheit heiße ich Theodor Sieghart Ath. Ein unmöglicher Name, ich habe ihn nie gemocht, weiß der Teufel, wer ihn meiner Mutter aufgeschwatzt hat. Theodor und Sieghart sollen die Namen der beiden Brüder von Mama gewesen sein. Vielleicht waren sie ja meine Taufpaten, doch ich habe sie nie kennengelernt: Eine unverheiratete Mutter paßte nicht in die Vorstellungswelt der Familie, so hielt man Distanz, was nicht schwerfiel, denn beide lebten weit entfernt irgendwo im Süden Deutschlands. Als ich denken oder fragen konnte, war der Kontakt längst abgerissen.
Mama rief mich übrigens nur Tessi - oder sollte ich lieber Thessi schreiben? Es war wohl eine Kurzfassung, zusammengezogen aus beiden Namen. Alle nannten mich nur Thessi, selbst die Pädagogen in den Lehranstalten, die ich zwangsweise absolvierte.
Es stimmt: Ich habe die Schule nie gemocht, und sie hat meine Abneigung herzlichst erwidert. Was gab es denn da schon zu lernen? Was nach meiner Auffassung wirklich wichtig war fürs Leben - und dafür lernen wir ja angeblich - das kannte ich längst, ehe irgendein Pauker sich bemühte, es umständlich zu erklären. Warum sollte ich da noch hinhören? Ein Blick in meine Bücher, und ich wußte Bescheid. Und meist war mein Wissen umfangreicher als das der Lehrenden. Aber damit war weder mir noch ihnen geholfen. So verweigerte ich mich, baute mir meine eigene Schule mit selbstbestimmtem Lehrplan. Und mit Fantasie. Sie war für mich das, was die Pädagogen Vertiefung nannten: Was ich bei mir selbst gelernt hatte, das nahm in meiner Fantasie Gestalt an, wurde Wirklichkeit - virtuelle Wirklichkeit, um genauer zu sein und im Sprachgebrauch dieses Zeitalters zu bleiben. Es gab nur weniges, was mich mit der Schule verband. Sport etwa, denn ich lernte rasch, daß nur ein trainierter Körper in der Lage war, den Demütigungen entgegenzutreten, denen ich in den ersten Jahren der Schulzeit noch ausgesetzt war. Wie ich bald feststellte, gab es zwei Typen, die für die Masse der anderen zur Zielscheibe wurden: die besonders Schlauen und die besonders Dummen. Und ich gebe es zu: Ich war beides - das eine für mich selbst, das andere in ihren Augen, weil sie mich mit den Augen des Lehrkörpers betrachteten. Doch das sollte sich in gleichem Maße ändern, wie ich ihnen körperlich überlegen wurde.
Ja, Schule war mir gleichgültig, auch wenn es mich einige Wiederholungen von Klassenstufen kostete. Aber da ich wenig Freunde hatte, traf mich das kaum. Mochte neben mir sitzen, wer wollte - oder wer mußte. Nur einmal habe ich bedauert, daß ich nicht versetzt wurde. Da war Frau Kauffmann unsere Klassenlehrerin, und die habe ich dadurch verloren. Gerade, als ich ernsthaft überlegte, ob ich mich ihr auch privat nähern sollte. Nicht, daß ich ihren Unterricht besonders schätzte. Ich schätzte ihren Körper. Schließlich war ich damals dreizehn, und meine Fantasie war noch einige Jahre älter. Sie trug ständig enganliegende Pullover oder Shirts, die ihre Brüste hervortreten ließen wie eingearbeitete Pampelmusen. Oft hatte sie dazu noch Miniröcke an, die wunderbar lange schlanke Beine freigaben. Ich habe sie fast jede Stunde ausgezogen - ganz langsam, obwohl ich gierig und aufgeheizt war. Aber ich hatte ja 45 Minuten Zeit, bis sie nackt dastand. In meiner Fantasie, wie sonst! Aber der Wunsch wurde immer stärker, aus der virtuellen in die reale Welt zu wechseln.
Vielleicht war es gut, daß ich dann sitzenblieb. Schließlich wuchs der Samenerguß langsam über bloßes Tröpfeln hinaus. Und eine nasse Hose hätte mich wohl alles Ansehen gekostet, das ich mir dank meiner körperlichen Überlegenheit bei den Mitschülern erworben hatte. Aber bis heute bilde ich mir ein, daß sie sich damals allein für mich so aufreizend gab - und nicht für den jungen Kollegen, den sie tatsächlich später geheiratet hat. Immerhin war ich zu jener Zeit als einziger zwei Jahre älter als die anderen Schüler in ihrer Klasse, und damit ein geeignetes Objekt für heimliches Begehren einer jungen Frau.
Ach, meine Schulzeit! Ich habe wenig gelernt, das sagte ich schon. Aber ich habe viel gelernt über mich selbst. Ich wußte nun, daß es mir leichtfallen würde, komplizierte Aufgaben, die das Leben stellen könnte, zu lösen - auch ohne entsprechende Noten. Ich wußte auch, wie man mit unlösbaren Problemen so umgeht, daß sie einem nicht den Weg verstellen: Manche kann man ignorieren, andere umgehen, man kann sie anderen zuschieben, die dann daran scheitern, man kann auch Scheinlösungen anbieten, die sich erst viel später als Trugschluß erweisen, wenn du längst darüber hinausgewachsen bist.
Und auch das habe ich über mich gelernt: Daß Träume wichtig sind, daß sie - scheinbar irreal - Realität verändern, ja schaffen können. Große Erfinder wissen das. Ich habe zwar nichts erfunden, jedenfalls keine Geräte oder Maschinen, keine Zugänge zu neuen Erkenntnissen. Aber ich habe anderes erfunden: Wie ich mir Einfluß verschaffe, möglichst mühelos und ohne Kosten zu verursachen; wie ich Macht aufbaue, ohne allzu große Opfer dafür zu bringen; wie ich andere einbinden kann in ein Netzwerk, das nur mir dienlich ist, ohne daß sie es überhaupt bemerken. Das sind komplexe Fähigkeiten, und nicht jeder, der sie besitzt, kann damit auch umgehen - so umgehen, daß sie stets auf ein Ziel hinauslaufen, das du selber setzt.
Ich habe das schon früh erprobt, im Kleinen, im Kreis der anderen Schüler meiner Klasse. Dort konnte ich gefahrlos üben. Erst war es meist körperliche Überlegenheit, die ich einsetzte: Was mir angetan wurde, das konnte ich nun anderen antun. Oft reichte Drohung, um mich in den Besitz fremden Eigentums zu setzen - sei es Taschengeld, seien es irgendwelche Klamotten. Dabei habe ich nicht wahllos abgezogen, sondern habe Nehmen mit Geben verbunden: Dem einen wurde erobertes Gut zum Geschenk gemacht und verpflichtete so zur Heerfolge. Und zur Verschwiegenheit des Mitwissers. Dem andern gab ich großzügig zurück, was ich zuvor bei ihm erbeutet hatte, und ließ ihn im Glauben, es sei doch nur Scherz gewesen - aber das Erschrecken, das Gefühl der Ohnmacht, die Angst vor Wiederholung blieb, und damit eine doppelte Abhängigkeit. Und wieder andere ließ ich hinter mich treten, teilnehmen an der Tat, die sie doch ohne mich nicht gewagt hätten. Und sie wurden zu Schuldigen, die meines Schutzes bedurften, um nicht bestraft zu werden.
So stieg ich zum Herrscher auf, ohne doch allzu verhaßt zu sein. Leutseligkeit ist ein probates Mittel der Fürsten, ihre tatsächliche Macht dem Ohnmächtigen nicht bewußt werden zu lassen. Weil es ihnen vorgaukelt, irgendwie doch ein wenig Anteil zu haben an jener Macht. So sammelte ich immer mehr Anhänger hinter mir, teils in den Dienst gezwungen, teils auch freiwillig zur Huldigung bereit. Doch je mehr die Schar der Hörigen wuchs, desto größer wurde meine Pflicht, ihnen Schützer zu sein - oder auch Rächer.
Das alles jedoch war mir letztlich zu primitiv. Wirkliche Macht mußte subtiler sein. Nicht Fäuste, Gedanken sind die Waffen, die Unterwerfung erzwingen. Nicht der rohe Verstoß gegen geltendes Recht sichert dir dauerhaften Einfluß, du mußt selber das Recht setzen, Gesetze formulieren, die von nun an zu befolgen sind. Und dazu bedarf es nicht körperlicher Kraft, sondern eines wachen, erfindungsreichen Geistes. Nicht Krieger allein gilt es um dich zu sammeln, sondern gläubige Jünger. Die kriegerische Tat schafft stets Unterworfene, die von Freiheit träumen. Der Jünger aber zieht aus, um die Schar der Überzeugten zu mehren. Auch sie träumen, aber sie träumen sich nicht zurück, sondern hin auf ein Ziel. Und dieses Ziel hast du ihnen gesetzt - nein, dieses Ziel bist du selbst.
So begann ich, Eingeweihte zu schaffen, die Geheimnisse mit mir teilten, ihre eigene Sprache, eigene Regeln, eine eigene Hierarchie, ja auch eigene Strafen besaßen. Mag das alles noch sehr jungenhaft gewesen sein - ein wenig Wandervogel, ein wenig Robin Hood, auch ein wenig Okkultismus vielleicht - es war Übungsfeld für spätere Jahre. Und es gab der Fantasie freien Raum, denn Herr aller Fantasie war und blieb allein ich. - In der Tat, ich habe viel gelernt in meiner Schulzeit.
Später - ich war schon fünfzehn und mein Verbleiben auf dem Gymnasium war in höchstem Maße fraglich geworden - hat mich eine in jeder Hinsicht höchst einfühlsame Psychologin davon überzeugt, daß allein meine exorbitante Intelligenz das Hindernis auf meinem Weg zu schulischen Erfolgen sei. So beschloß ich, mich soweit am Unterricht zu beteiligen, daß ich die Klassenziele erreichte, auch wenn es schwerfiel, mich auf dieses Niveau herabzulassen. Immerhin aber schien es doch vorteilhaft, mir einen Schulabschluß bestätigen zu lassen. Also lernte ich zwar auch nichts von Bedeutung in den kommenden Jahren, aber ich bemühte mich, um der Zensuren willen dem Ehrgeiz meiner Pädagogen entgegenzukommen. Und wenn es sich um Pädagoginnen handelte, fiel mir das auch nicht sonderlich schwer. Schließlich hatte mir meine Mutter eine schlanke, aber dennoch muskulöse Gestalt, ein feingeschnittenes Gesicht mit lockigem dunklem Haar und vor allem zart- gliedrige Hände vererbt, die sich vielseitig einsetzen ließen.