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Der Geheimbund

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Unser junger Held - nennen auch wir ihn Thessi - war auf der Suche nach Heldentaten. Das entsprach schließlich seinem Naturell - seinem Hang zur Fantasie ebenso wie seinem Streben nach Macht, danach, übermächtig zu sein. Gut - er war bald Anführer einer Kinderbande, oder sagen wir lieber: eines Geheimbundes. Die Jungen trafen sich, in regel- mäßigen Abständen oder wenn er es befahl, am Nachmittag in einer entlegenen Ecke des ziemlich verwilderten Parks, der in der Nähe der Schule in der sumpfigen Biegung eines wenig bedeutsamen Flusses lag. Sie hatten in die dichte Hecke aus Wacholderbüschen, die den äußersten Spazierweg gegen das Flußgebiet hin abschirmte, einen versteckten, gezackten Zugang gelegt, unsichtbar für den Uneingeweihten. Dahinter lag, umstellt von mannshohen wildgewachsenen Buchenschößlingen, eine freie, von spärlichem Gras bewachsene Fläche, geschaffen vom dauerhaften Schatten einer Buche, die sie zu ihrem Totem erhoben hatten und um die sie sich sammelten. Von dichtem Unterholz überwuchert, senkte sich der Boden danach langsam in Richtung Fluß, ging dann in eine amphibische Schilfzone über, durch die der Geheimbund einen Weg aus Trittsteinen gebahnt hatte, um so Zugang zum Wasser zu erhalten. Eine versteckte Stelle unter dem weitausladenden Ast einer Uferweide diente als Ankerplatz für einen schon recht morschen Kahn, den sie irgendwann nächtlich entführt hatten.

Am Stamm des Totembaumes hatten sich an einer Seite einige Baumwurzeln so hoch aufgewölbt, daß sie einen passablen Sitz bildeten mit Andeutung von Armlehnen. Hier nahm Thessi Platz, der Anführer, Häuptling, König, Messias. Von hier aus legte er die Tagesordnung vor, leitete die Sitzung, gab neue Regeln aus, urteilte über Verstöße. Stets forderte er die Bundesmitglieder auf, Stellung zu nehmen, Vorschläge zu äußern, Anträge einzubringen. Aber letztlich entschied allein er über alles, ohne daß die meisten es überhaupt merkten. Und wer es merkte und auch noch aussprach, wurde mit Strafe belegt - oder anerkennend im Rang befördert und so hineingezogen in die Sphäre der Macht und damit mundtot gemacht. Gekonnt unterdrückte der Anführer damit jede weitere Kritik.

Thessi hatte eine Geheimschrift entworfen, deren sich alle zu bedienen hatten, wenn wichtige Nachrichten zu übermitteln waren - sei es schlicht auf einer herausgerissenen Heftseite oder auch per Brief. Dazu konstruierte er einen Ring aus Pappe, auf dem drei Reihen des Alphabets saßen, die oberste festgeklebt, die beiden anderen als drehbare Ringe - einmal vorwärts, einmal rückwärts. Ein Code am Anfang der Nachricht gab jeweils an, um wieviel Buchstaben ein Ring zu verschieben war, um den Text vom ersten auf einen unteren Zeichen für Zeichen zu übertragen und so zu verschlüsseln. Natürlich wechselte der Befehl - manchmal von Satz zu Satz, manchmal sogar von Wort zu Wort oder auch unabhängig davon nach jeweils zehn Buchstaben. Diesen Code verschlüsselte und entschlüsselte ein vierter und letzter Ring, der Zahlen aufwies. Der Physiklehrer, dem einmal eine derartige geheime Nachricht in die Hände fiel und der zu Recht eine Verschlüsselung vermutete, hatte sich ein ganzes Wochenende bemüht, den Code zu knacken. Er scheiterte und war so ehrlich, es im Unterricht anerkennend zu erwähnen, was die Autorität Thessis in seiner Bande ungemein steigerte.

Der Besitz eines solchen Ringes war Ausweis, daß die Novizenschaft im Geheimbund beendet und der neue Eigentümer als vollwertiges Mitglied anerkannt war. Sein Verlust war eine schwere Sünde, die kaum je zu sühnen war. Ihn andern zu zeigen war Verrat. Seine Folgen wurden so wollüstig-grausam ausgemalt, daß nie einer der Jungen es gewagt hat, einen Fremden in das Geheimnis des Ringes einzuweihen oder ihn auch nur betrachten zu lassen.

Thessi versuchte sich auch an einer eigenen Sprache, zumindestens stellte er für zahlreiche Worte frei erfundene Silbenkombinationen als Synonyme auf, dem Nichteinge- weihten rätselhaft und abstrus, den Mitgliedern ein Code für bestimmte, ihnen wichtige Begriffe. Wurden auch sie zusätzlich mit dem Ring verschlüsselt, war das geheimste Geheimnis erschaffen.

Im Grunde jedoch blieb das alles kindliche Spielerei, und er wurde ihrer zunehmend überdrüssig, auch wenn er an den Treffen festhielt und so nicht nur eine treu ergebene Schar von Anhängern um sich versammelte, sondern auch mit ihnen und durch sie Einfluß auf alles Geschehen während der Pausen und außerhalb des Schulhofes nahm. Selbst den Unterrichtenden blieb das nicht verborgen, und es geschah durchaus, daß sie den Anführer um Mithilfe baten, wenn ihnen eine Situation außer Kontrolle zu geraten schien. Thessi ließ sich dann huldvoll herab, einen Streit zu schlichten, einen Mitschüler in die Schranken zu weisen oder einen anderen zu schützen. Das verhalf nicht nur seinen Zeugnissen ungemein zu besseren Noten, es erfüllte ihm auch seine Träume vom edlen Ritter, der sich im Dienst an den Elenden verzehrte, auch wenn die Maßnahmen, die er ergriff oder doch anordnete, nicht immer als ritterlich oder gar edel bezeichnet werden konnten. Eher schon ließ sich sein Tun mit dem antiker Helden vergleichen, die so manchem Unhold sein bösartiges Handwerk legten, indem sie ihn mit seinen eigenen Untaten straften. Ja, diese Art zu vergelten machte sich Thessi immer stärker und immer häufiger zu eigen, denn in ihr vereinte sich alles, was ihn bewegte: rächende Gerechtigkeit, tapfere Heldentaten - und der Nachweis seiner Überlegenheit, seiner unbeschränkten Macht über andere.

Die Träume von Macht

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