Читать книгу Die Frauen von Schloss Blackhill - Ed Belser - Страница 26
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ОглавлениеRonald MacAreagh hatte seine Chieftains, wovon die meisten auch Landeigner waren, und ihre Offiziere mit Eilboten zu einem außerordentlichen Treffen befohlen. Alle wussten, dass es da keine Entschuldigungen duldete, gar keine, nicht einmal Krankheit. Es dauerte bis zum späteren Nachmittag, bis alle eingetroffen waren.
MacAreagh empfing sie im großen Saal des Schlosses Blackhill. Der Tisch, an dem über zwanzig Personen saßen, hätte auch dreimal so vielen Leuten Platz geboten. Von den zahlreichen engen Fenstern an der Seitenwand gelangte gerade noch genügend Licht in den Raum. In der Rückwand lag das wuchtige Eingangstor aus Holz, flankiert von zwei mannshohen Feuerstellen — je eine weitere befand sich in den beiden Querwänden. Die freien Steinwände entlang waren massive Kredenzen und Schränke aus Eichenholz sowie etliche schwere Stühle mit senkrechten Lehnen aufgereiht. Die rauchgeschwärzten Mauern schienen im düsteren Licht endlos hoch.
Der Raum war schmucklos, bis auf eine in dieser Umgebung seltsam anmutende Standuhr aus Nussbaum mit feinsten Einlegearbeiten im Muster von Vögeln und Blumen. Es war ein Geschenk von Lady Margaret, Ronalds Gemahlin. Die Zeiger waren stehen geblieben.
Die Offiziere hatten wie gewohnt am unteren Ende des großen Tisches ihre Plätze bezogen. Die Sitzordnung entsprach ihrer wechselnden Bedeutung untereinander und dem wechselnden Einfluss der Chieftains. So kam es, dass sie sich meist zuerst scheinheilig um die Stühle gruppierten, noch bevor ihre Oberen eintrafen, einander umzirkelten, diskutierten, sich in den Vordergrund drängten oder rasch den zweitbesten Stuhl wählten. Irgendwann saß dann jeder an einem Platz, mit dem er mehr oder weniger zufrieden war. Sie hatten das Recht zuzuhören, aber die Pflicht zu schweigen. In einigem Abstand zu ihnen ordneten sich am oberen Ende des Tisches die sechs Chieftains ein, die regionalen Führer des Clans. Auch ihre Sitzordnung konnte sich ändern, doch in viel längeren Intervallen als bei ihren Offizieren, und sie wurde durch MacAreagh bestimmt. Die Chieftains trugen ihre Mützen mit den zwei Adlerfedern als Zeichen ihres Ranges.
An der Kopfseite befand sich ein weiterer kleinerer Tisch, hinter dem Ronald MacAreagh thronte, flankiert von Osgar, dem Kommandanten der Leibwache; sie nannten ihn den General. Im Hintergrund hatten sich der Schlossverwalter, der Zahlmeister sowie MacAreaghs Sekretär eingerichtet. Der Clan-Piper spielte zur Begrüßung der Gäste auf.
Ronald gebot dem Pfeifer Einhalt, schaute in die Tiefe des Raumes und wartete ungeduldig, bis sich jeder eingerichtet hatte. Direkt neben ihm an der Längsseite saß Ramsay, der Rangälteste der Chieftains. Ihm gegenüber hatte Dougal seinen Platz und neben ihnen jeweils zwei weitere Chieftains, die entweder jünger waren oder weniger große Gebiete ihr eigen nennen konnten. MacAreagh wusste wer wo saß, ohne jemanden ansehen zu müssen. Im halbdunklen Raum wäre es auch schwierig jeden zu erkennen, denn auf ihre Art sahen alle gleich aus: schulterlange Haare, die unter ihren Mützen, die sie kaum mal ablegten, hervorquollen, üppige Bärte, und ihre Körper bedeckt mit den rotbraunen Umhängen. Und so waren auch alle ihre Soldaten gekleidet. Alle waren sich ähnlich, auch die Offiziere am Ende des Tisches, alle trugen die gleichen Kilts, mit den Umhängen daran, aus einem Stück gewoben, das Oberteil um die Schultern geschlungen.
John Dougal machte die Ausnahme. Er trug einen separaten Kilt, gehalten von einem breiten Ledergürtel mit massiver Schnalle und darüber eine Uniformjacke. Seinen Umhang hatte er abgelegt.
MacAreagh schaute in die Runde. Sein helles Leinenhemd, unter einer Weste aus Leder, hing über einen verwaschenen Kilt, aus dem nackte Beine den Boden fanden. Links und rechts neben seinen Füßen lag je ein Stiefel.
„Was steht an?“ MacAreaghs Stimme tönte nicht sehr interessiert.
Dieser und jener brachte sein Anliegen ein, von Pächtern, die in die eigenen Taschen wirtschafteten, und von Bauern, die unfähig waren, ihre Pachtzinsen in Form von Getreide, Schafen oder Kühen zu bezahlen, von Viehdiebstahl untereinander.
MacAreagh wischte mit der Hand ein paar Mal durch die Luft. „Wenn sie Vieh stehlen, um die Pacht zu bezahlen, sind sie unfähig als Bauern. Da müssen wir unnachsichtig sein. Wer den Nachbarn bestiehlt, ist ein Schädling. Der wird ausgemerzt. Wir werden sie mit dem Tode bestrafen. Dann hört das wie von selbst auf!“ Mit MacAreagh konnte nicht verhandelt werden. „Ihr seid mir verantwortlich für die Abgaben. Euer Gejammer geht mir auf die Nerven. Wenn die Bauern nicht bezahlen, dann nehmt ihnen das Land weg. Stellt Schafherden darauf. Die bringen mehr Geld, als die mageren Rinder, und sie bringen Wolle dazu.“
„Und was geschieht mit den Leuten?“, wandte einer ein.
MacAreagh sah ihn scharf an. „Mein Lieber, du bist Herr in deinem Gebiet. Du hast Zugang zum Meer. Die Schiffe können dir Schafe bringen. Und wenn die Schiffe leer sind, bieten sie Platz für deine missratenen Bauern. Gib ihnen eine neue Chance. Sie können in den Süden gehen und dort arbeiten.“ MacAreaghs Augen wurden schmal. „Und wenn du schlau bist, dann verlade sie auf ein Schiff nach Amerika. Dort tut schottisches Blut gut. Der Schiffseigner wird dich für sie sogar bezahlen. Doch die kräftigsten deiner Bauern bilden wir zu Soldaten aus. Osgar wird sie abholen lassen.“
Sein Sekretär führte sorgfältig Buch über die Entscheide. MacAreaghs Interesse an den einzelnen Fällen war damit erloschen.
Ronald wusste, wie er seine Sitzungen kurz halten konnte. Es gab einfach nichts zu essen und zu trinken, bis alles besprochen und entschieden war. Er selbst hatte stets einen Becher Wasser vor sich, doch manchmal, wenn es sehr lange dauerte oder er sich zu langweilen begann, verlangte er nach einem weiteren Becher, und der Diener wusste, dass es diesmal ein rechter Schluck Whisky sein sollte.
Doch heute hatte sich MacAreagh auf eine lange Sitzung vorbereitet. Er schaute zum Clan-Piper: „Bring uns ein bisschen in Stimmung!“
Der Pfeifer wusste, was er zu tun hatte, blies seinen Dudelsack auf und ließ ein Staccato von Melodien los. Dazu ließ Ronald zum Erstaunen seiner Untergebenen Whisky auffahren.
Er wartete, bis sich alle eingedeckt hatten und wieder an ihren Plätzen saßen. Er ließ ihnen nicht lange Zeit.
Pfeifer pflegen normalerweise nicht auf Zuruf hin ihr Instrument zur Ruhe zu bringen — sie hören gar nichts. Doch dieser hier hatte gelernt, seinen Clan-Chief beim Spielen immer im Auge zu behalten.
Mit einer Handbewegung brachte Ronald ihn nun zum Schweigen. Fast gleichzeitig wies er auf Ramsay. „Berichte!“
Ramsay nahm seine Mütze ab, richtete seinen Umhang und fuhr sich durch sein ergrauendes Haar. Seine Stimme war laut und fest. „Der verdammte MacLennoch führt sich auf, als ob er der Herr über die Highlands wäre. Er klaut unser Vieh, er beansprucht unsere Weiden, er jagt in unserem Gebiet und ... “
Ronald unterbrach ihn: „Machen wir das anders?“
„ ... und am schlimmsten“, Ramsay schaute an Ronald vorbei und seine Stimme wurde plötzlich laut: „Er hetzt andere gegen uns auf, und er kooperiert mit den Engländern!“
Ronald griff unter den Tisch und zog sich hastig seine Stiefel über. Er erhob sich und ging raschen Schrittes zu Ramsay hinüber. „Woher weißt du das?“, fragte er ihn laut.
„Ich habe meine Informationsquellen. Ich kann sie euch nicht offenlegen, aber sie gehen bis ins Schloss Summerset. Man berichtet mir, MacLennoch spinne seine Fäden bis nach Edinburgh, ja bis nach London. Auch sollen Landvermesser unterwegs sein, die weitere Straßen planen, und auf seinem Gebiet hat er kürzlich eine Brücke bauen lassen!“
Ronald war wieder zu seinem Stuhl zurückgekehrt. Die Hände hatte er, zu Fäusten geballt, vor sich auf dem Tisch und schlug sie langsam gegeneinander. Er hatte sich nie damit abfinden können, dass sich sein Land in einer Union mit den Engländern befand. Dass die schottische Krone mitsamt Schwert und Zepter im Schloss Edinburgh versenkt war, erfüllte ihn immer wieder von Neuem mit Wut. Neue Gesetze, Auflagen, Richtlinien, die aus Edinburgh oder London kamen, ignorierte er. Für ihn galten weiterhin die Gesetze der Clans, der Highlands und vor allem jene, die er selbst erlassen hatte und durchsetzte. Er hielt sich selbst für einen König und duldete über sich nur einen, nämlich den König von Schottland. Er dachte zurück an den Aufstand vor etlichen Jahren und wie er als junger Bursche mitgekämpft hatte, um Prinz James auf den Thron zu bringen. Noch heute nagte der gescheiterte Versuch an ihm. Chieftain Ramsay war immer an seiner Seite gewesen. Er spürte den Zorn in sich aufwallen und schlug mit beiden Fäusten auf den Tisch. „Die verdammten Rotjacken! Kaum sind wir den ersten halbdeutschen Bastard los, kommt schon der zweite. Ich hasse diese verdammten Hannoveraner. Alles Nichtsnutze in Samt und Seide!“
Ramsay hatte gewartet, bis sich MacAreagh wieder beruhigt hatte. „König Georg hat einen neuen Kommandanten für die Highlands eingesetzt. General Wade. Er soll uns die Waffen abnehmen.“
Hohngelächter ertönte. Einer rief: „Der soll erst mal kommen. Dem werden wir es zeigen!“
Ramsay hob die Hand, das Gelächter erstarb. „Sie bauen ihre Festungen aus. Straßen und Brücken sind ein Unheil, es gibt ihnen Bewegungsfreiheit.“
Die Männer schauten einander fragend an.
In die Pause hinein fragte Osgar: „Und? Was schlägst du vor?“
Ramsay ballte die Faust. „Wir müssen MacLennoch beschäftigt halten. Die Engländer werden ihn nicht ernst nehmen, wenn er sich dauernd mit uns herumschlagen muss. Wir greifen überall an, wo wir seine Leute finden, wir überfallen sie, wir nehmen ihr Vieh und ihre Pferde, wir brennen ihre Häuser ab.“
Zustimmendes Gemurmel ertönte. „Ja, Ramsay, lasst uns die Hunde aushungern und niederschlagen!“
Ramsay spürte Aufwind. „Und dann treiben wir ihr Vieh in den Süden und verkaufen es! Wir nutzen ihre Straßen für uns!“
Die Zustimmung war sofort spürbar. Jeder schien sich schon seinen Anteil auszurechnen.
Der schmale Osgar saß da in seiner prunkvollen Uniform, mit farbenprächtigem Kilt und reich verziertem Jackett. Er beobachtete die Männer und machte sich dabei seine Gedanken. Er sah, wie John Dougal vor sich auf den Tisch starrte. Ihm hatte er freie Hand gelassen, nicht nur weil er der Erste gewesen war, der wie er einen separaten Kilt trug, er war auch vor allem beeindruckt von dessen starker Reitergruppe und den agilen, gut gedrillten Mannschaften, wie er alle im Kilt, und alle mit den gleichen Jacken, wie er eine trug, unterschieden nur durch Abzeichen ihrer Rangordnung. Ihre Umhänge und alles, was ein Soldat braucht, trugen sie in einem Ranzen auf dem Rücken. Chieftain Dougal war der Stachel im Fleisch der anderen; sie konnten ihn nicht kritisieren, weil sie wussten, dass er ihn gefördert hatte. Und weil Dougal noch jung war, sah er ihn nicht als Konkurrenten auf seine eigene Position.
„Bist du anderer Meinung?“, fragte er ihn. Er musste laut sprechen, damit man ihn zur Kenntnis nahm.
Dougal nickte ihm kurz zu und erhob sich. Seine Stimme wirkte leicht unsicher. „Natürlich hat Ramsay recht. Wir müssen MacLennoch auf Trab halten. Aber ich meine, mit dem werden wir schon fertig.“ Doch dann fasste er sich rasch, erhob sich und nahm seine Mütze ab. Erst jetzt sah man, dass er viel jünger war, als die anderen Chieftains. Er ging zum Stuhl von MacAreagh und stellte sich neben ihn. MacAreagh musste zu ihm hochblicken, und genau das hatte Dougal beabsichtigt. Dann sagte er laut und mit festem Ton: „Männer! Unsere Bedrohung sind die Engländer, nicht MacLennoch! Wer steht unserer Freiheit im Wege? Die Engländer!“ Er bewegte sich auf den Tisch zu, bis er hinter Ramsay stand, schaute auf ihn hinunter und erhob wieder seine helle, etwas schneidende Stimme. „Wenn wir die Engländer besiegen wollen, müssen wir unseren Kampfstil anpassen. Wir brauchen geübte Säbelfechter, wir brauchen Gewehre und Bajonette, und wir brauchen mehr Berittene!“
Ramsay murmelte etwas zu seinem Nachbarn, beide schüttelten den Kopf, brachen jedoch abrupt ab, als sie bemerkten, dass MacAreagh zustimmend nickte.
Osgar sah, dass Ronald hin und her gerissen war zwischen den Erfolgen der Vergangenheit und den Anforderungen, die ein Griff nach der schottischen Krone, gegen die Engländer, stellen würde. Wenn sie MacLennoch nicht in Schach halten konnten, war ihre eigene Position gefährdet und sie würden im Kampf um die Krone keine wesentliche Rolle mehr spielen können. Es schauderte ihn wenn er daran dachte wie er die Geschichte beeinflussen könnte, wenn es ihm und Dougal gelänge, Ronald zu überzeugen seine ganze Armee umzurüsten. Diese Aufgabe würde er gerne übernehmen. Ronald soll sich doch um MacLennoch kümmern, dachte er, und ohne dass er sich dagegen wehren konnte, liefen seine Gedanken der Zeit voraus: MacAreagh gefallen im Gefecht gegen MacLennoch, er, Osgar, neu gewählter Clan-Chief, eine hervorragende Truppe hinter sich, siegreich gegen die Engländer, und eines Tages vielleicht dann doch ein echter General, vielleicht gar ein Lord. Er sah, dass die Diskussion weiterlief, doch er war so in seinen Gedanken gefangen, dass ihn erst die Stimme von MacAreagh aus seinen Träumen riss:
„Wir fahren später fort! Pfeifer, spiel!“
Roland stand auf, forderte Osgar auf, ihm zu folgen und beide verließen die Halle. Osgar versuchte, seinen Atem zu beruhigen, als er hinter MacAreagh herhastete.
Kaum im Arbeitszimmer angekommen, fuhr sich Ronald mit den Fußspitzen hinter die Absätze und stieß seine Stiefel ab. „Was hältst du davon, Osgar?“
Osgar schaute zur Decke, um die Füße von MacAreagh nicht im Blickfeld zu haben. „So kenne ich unsere Leute! Sie sehen nur ihren eigenen Nutzen. Für sie bist du ihr König und der Gegner heißt MacLennoch. Sie fühlen sich unabhängig und wollen nicht wahrhaben, dass die Engländer unser Land beherrschen wollen. Deshalb wollen sie auch keine Veränderung. Wir werden es schwer haben, Ronald.“
„Ich werde es ihnen befehlen und jeden ersetzen, der nicht gehorcht!“
Osgar hatte sich wieder im Griff. „Ja, sicher. Vorerst sollten wir ihnen geben, was sie wollen und was sie können. Ich meine, die Idee von Ramsay mit dem Viehzug nach Süden ist uns dienlich. Wir packen das in unsere Absichten hinein. Außerdem dürfen wir MacLennoch keine Ruhe lassen. So fühlt er sich provoziert.“
„Machen wir! Besorgen wir es dem Halunken! Unser Ziel aber bleibt unsere Freiheit!“