Читать книгу Second Horizon - E.F. v. Hainwald - Страница 10
ОглавлениеDie Bewegungen wirkten mechanisch im zuckenden Licht der modifizierten Kenaz. Die leuchtenden Fleischklumpen schwirrten chaotisch zwischen den tanzenden Leibern umher, flackerten in verschiedenen Farben und ließen die Schatten an den Wänden auf gespenstische Weise umherwandern.
Manchmal erhaschte man einen Blick auf die entrückten Gesichter der Gäste. Manche von ihnen hatten die Lider geschlossen und schienen in ihrer ganz eigenen Welt zu sein, andere glotzen mit weit aufgerissenen Augen umher, die Iris glasig vom Rausch aufputschender Runen-Flüche. Am beliebtesten war derzeit Pink-Nightmare. Die Zeichen auf ihren Schläfen glühten feurig, verbrannten die Glückshormone wie ein Hochofen und tauchten die Welt des Verfluchten in einen feuchten Traum voller Monster – das Grauen und dessen ständige Überwindung als Dauerreiz.
Durchhalten war angesagt. Die ganze Nacht, den ganzen Tag tanzen, lachen und feiern – den Rhythmus niemals verlieren, die Magie in den Venen pulsieren lassen, heute ein Held sein.
Dieser Art von Party teleportierte sich ständig chaotisch von Ort zu Ort. Derzeit waren es drei Stockwerke eines Wohnblocks. Die Türen standen alle offen. Die Musik vermischte sich im Treppenhaus miteinander, Beats überlagerten sich und erzeugten ein Wummern, welches die Lunge erzittern ließ. In den Fluren drängte man sich nah zum Gespräch aneinander. Magie- und Drogendealer fand man meistens auf den Toiletten – da konnte der Konsument auch direkt in die Schüssel kotzen, wenn er den ersten Schuss der Energie nicht so gut verkraftete.
Damit die Ordnungshüter des Schwarms die Füße still hielten – schließlich betrieb das Raubbau am menschlichen Organismus – schirmte man solche Veranstaltungen gut ab. Man suggerierte mit Illusionen ein gemütliches Beisammensein und leitete die Energieexplosionen, welche Flüche durch ihren gewaltsamen, physischen und seelischen Eingriff verursachten, in cybermagische Keramikurnen. Das Zeug ließ sich dann sogar noch hier im Runen-Distrikt als Energiequelle verscherbeln.
Wolf brauchte nichts von alledem – er war verloren. Alle seine Sinne waren im Rausch. Das Pulsieren der schnellen Musik ließ sein Blut rasen. Er spürte die Schallwellen in seinem Fell und hatte ständig woanders eine prickelnde Gänsehaut. Sein Körper bewegte sich wie von selbst, wirbelte wild umher und schnappte sich jemanden für ein paar gemeinsame Drehungen. Mit geschlossenen Augen fühlte er, wie die künstlich indizierte Euphorie der Menschen seine Instinkte kitzelte. Dann warf er die Person wieder in die Menge und ließ sich ganz in den Rhythmus der Musik fallen – den Puls im Takt des Beats.
Das war einer der wenigen Momente, in dem sich die Bestie und der Mensch in ihm im Einklang befanden. Arme und Beine waren brauchbar, Fell fühlte sich gut an, Instinkte waren reizvoll, Gesellschaft war angenehm. Menschliche Gestiken und tierische Körperhaltung ergänzten sich und formten ein freies, ganzheitliches Individuum.
Wolf konnte die Blicke der anderen beinahe spüren – sie krochen geradezu unter sein Fell. Normalerweise beschaute man ihn argwöhnisch oder ängstlich, doch hier lag Interesse darin. Er fühlte eine Hand seine Brust hinaufstreichen. Als sie seinen Nacken empor wanderte, lächelte er. Es waren zierliche Finger und der Geruch der Haut offenbarte ihm eine Frau. Wolf packte sie, ohne zu zögern, an der Taille und gemeinsam bewegten sie sich geschmeidig zu dem Getöse der elektrischen Klänge.
Die Hürde schien überwunden, zwei Arme umschlangen Wolf von hinten. Die Hitze eines Körpers drang durch seine Kleidung und ließen ihn wohlig Brummen. Die Bewegungen und Formen verrieten einen Mann, der ihren Tanz ideal ergänzte. Die drei schmiegten sich immer wieder aneinander, während sie die Tanzfläche ungestüm eroberten.
Diese Nähe besänftigte einen Zorn in Wolfs Herz, den er sonst nie wirklich wahrnahm. Bestie und Mensch fühlten sich gleichermaßen entfesselt und verbunden.
Als sich die Gesichter seiner Tanzpartner an seinem Hals vergruben und Wolf mit halb geöffneten Augen friedlich das Flimmern der Kenaz-Lichter betrachtete, hörte er eine Stimme über die laute Musik schreien:
»Na aber hallo, lasst mich mitmachen und am besten eine Ecke suchen, bei dem wir den lästigen Stoff von unseren Körpern werfen können!«
Der sanfte Moment zerbrach, als wäre eine in Zeitlupe fallende Tasse auf dem zerstörerisch festen Boden angekommen. Diese auf ein eindeutiges Ziel orientierte Anmache stellte alles infrage. Plötzlich kroch ihm der widerwärtig künstliche Geruch von Parfum und Shampoo in die Nase. Der Kunststoff der Kleidung kratzte an seinen Armen. Die Luft schmeckte nach Rauch, altem Schweiß und ziemlich eindeutigen Pheromonen. Er fühlte sich beengt und benutzt. Wolf schüttelte sich, um die Hände auf seinem Körper loszuwerden, schlug gegen seinen Nasenring, damit der Schmerz die Gerüche überlagerte, und flüchtete von der Tanzfläche.
Er stürmte aus der Wohnung und die Treppe hinauf in das obere Geschoss. Rücksichtlos schob er die Leute in dem engen Flur beiseite und suchte einen Raum, in dem es ein wenig mehr Platz gab. Er schubste einen Kerl von einem Sessel und warf sich hinein. Schimpfend zog der Typ ab, denn er merkte schnell, dass man sich nicht mit einem frustrierten Wolf anlegen sollte.
Der Bass ließ die Polsterung vibrieren. Um ihn herum unterhielten sich nur wenige Leute, man war mit dem magischen Rausch oder seinem Gegenüber beschäftigt.
Neid versetzte seinem Herzen einen Stich und ließ ihn sein Gesicht verziehen. Wolf sehnte sich danach – er wollte sich auch einfach gehen lassen und auf andere körperlich einlassen können. Er hatte sogar versucht sich Nähe zu erkaufen, doch der Geruch von Schminke und vorherigen Bettgefährten ließ sein Nackenfell zu Berge stehen. Menschen waren so oft nicht sie selbst.
»Ich brauche jemanden, der mir dabei ständig die Faust in die Fresse rammt, damit ich es nicht rieche«, zischte er zwischen den Zähnen hervor.
Menschen können solche Dinge übergehen und sich bewusst entscheiden. Der Wolf in ihm wollte alles und gab sich mit Kompromissen nur selten zufrieden. Ob das gut oder schlecht war, konnte der Mensch in ihm nicht beurteilen.
Plötzlich verschwamm Wolfs Sichtfeld. Sein Puls pochte hart in den Schläfen und seine Pranken kribbelten. Er ballte sie zu Fäusten, blinzelte und schüttelte heftig den Kopf. Hitze kroch von Unterleib in den Bauch. Das Gefühl von wilder Lust mischte sich mit zerreißender Wut, kalter Angst und rasendem Freiheitsdrang. Sein Geist stemmte sich mit Vernunft, Präzision und Moral gegen die lodernden Instinkte. Die Worte waren wie Hammerschläge.
Das Leben ist eintönig. Alles ist vorhersehbar, jeder einzelne Tag. Es bringt mich schleichend um ... in jeder einzelnen Minute.
Auf einmal begann sein Atem zu rasen. Wolf sprang auf und schaute sich gehetzt um. Der Überlebensinstinkt überwältigte seinen Körper. Bilder zogen vor seinem inneren Auge vorbei: schreiende Menschen, das Flimmern von Feuerschein in facettiertem Glas, ein einzelnes Auge voller Gier.
Wolf wirbelte herum, die Iris verengt, die Ohren anliegend, das Nackenhaar aufgestellt zu einem Kamm. Seine Kiefer schlugen aufeinander, wollten die Zähne in weiches Fleisch schlagen.
Nein! Raus, schrien die menschlichen Gedanken.
Sein Blick fiel auf das Fenster. Es roch nach Freiheit. Sein Körper bewegte sich von selbst. Mit einem Satz war er dort. Mit einem Weiteren rammte er mit der Schulter gegen das Glas. Die Schutzrunen auf dem Rahmen protestierten mit einem gelben Aufleuchten und sprühten Funken. Ein Zucken raste durch seine Muskeln, doch er ignorierte es. Das Letzte, was sein Verstand noch wahrnahm, war der Fall inmitten glitzernder Scherben. Die Luft rauschte in seinen Ohren und der Boden raste ihm entgegen. Der Wolf in ihm übernahm endgültig die Führung.
Kräftige Klauen schlugen sich in Mauerwerk. Kabel schnitten in seine Fußsohlen, während er hoch über den Gassen über sie hinweg rannte. Belebte Straßen zogen unter ihm vorbei, während er über die Dächer sprang. Die Fahrbahnen schlängelten sich um schmale, hohe Häuser, bildeten Brücken und sogar Grundflächen für wieder neue Gebäude. Manche der Unterkünfte spalteten sich gabelförmig auf, schufen damit Halterungen für nur über Leitern und halsbrecherisch steile Treppen erreichbare Plätze. Das bunte Gewirr der Behausungen breitete sich vor ihm aus wie ein Flickenteppich.
Der frische Geruch der Luft, der hohe Himmel über ihm und die schimmernden Lichter berauschten seine Sinne. Das allgegenwärtige Knistern der Magie und die endlose Stadt bis zum Horizont waren vertraut und fremd zugleich.
Als er schließlich hart auf einer Magnetschwebebahn aufschlug, knackte sein rechtes Bein bedrohlich. Doch Wolf nahm von dem Schmerz kaum Notiz. Sein Blick saugte sich an der an ihm vorbeirasenden Umgebung fest. Die Gebäude waren lediglich lange Fetzen und der Fahrtwind riss heftig an dem Stoff seiner Kleidung. Eine falsche Bewegung und er würde fallen. Seine Knochen würden zerbrechen wie dünne Stäbchen.
Doch diese Wahl konnte nur er allein treffen – niemand anderes bestimmte in diesem Moment über sein Leben.