Читать книгу Second Horizon - E.F. v. Hainwald - Страница 8

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Babe hatte sich vornübergebeugt und ließ den Queue probehalber mehrmals zwischen ihren Fingerknöcheln entlanggleiten. Ein Auge war geschlossen, mit dem anderen blickte sie entlang des Stabes. Als sie den Kopf schräg legte, um noch besser sehen zu können, rutschten zwei lange Haarsträhnen über ihre Wange.

Jetzt, dachte Wolf und hielt die Luft an.

Das Ende des Stocks hämmerte gegen die Kugel. Kreidestaub wirbelte auf. Die weiße Kugel stieß gegen die Bande, prallte im perfekten Winkel ab und umrollte die gegnerischen, halben Kugeln. Makellos traf sie die volle Gelbe, welche daraufhin einlochte. Die Holo-Anzeige in der Tischecke blinkte hysterisch auf. Ein verschroben putziges Maskottchen, in der Optik eines Häschens, sprang flackernd umher und die Kugelgeschwindigkeit sowie Kraft des Aufpralls wurden darüber angezeigt.

Babe richtete sich schmunzelnd auf, deutete mit dem Zeigefinger auf Wolf und schnalzte lässig mit der Zunge. Von der Bar erntete sie ein verhaltenes Klatschen, von Wolf ein stummes Zähnezeigen im Mundwinkel.

Er verlor. Schon wieder. Das war heute Abend bereits das vierte Mal.

Während sich Babe an ihre nächste Beute heranmachte, mustere Wolf gelangweilt die anderen Gäste. Er hatte noch fast alle Kugeln auf dem Tisch. Die Chance, dass Babe verfehlte und er noch mal an die Reihe kam, war ziemlich gering.

In der Bar mit dem einfallsreichen Namen Wohnzimmer tummelte sich der typische Querschnitt der Individualisten-Szene: zerdellte, runenübersäte Prothesen an einem Typen vor einem Pinball Gerät, schreiend bunte Klamotten mit gewissem Sex-Appeal bei einer gemischten Gruppe, wuchernde biomagische Auswüchse an einer Frau, welche am Kartentisch offenbar ziemlich erfolgreich beschiss.

Das gesamte Mobiliar schien für Kleinwüchsige konzipiert zu sein: kleine Tischchen, niedrige Hocker, schmale Gänge. Die vollgekritzelten Wände versprühten anrüchigen Straßencharme und versprachen günstige Preise. Die Gerüche von Rauch, gepanschten Getränken und zu fettigem Essen kratzte in Wolfs Nase.

Auf der mikroskopisch kleinen, unbeleuchteten und damit fummelbeliebten Tanzfläche bewegte sich eine undefinierbare Zahl von Gliedmaßen. Nur die fahl leuchtenden Runen ermöglichten es, vage Umrisse zu erkennen. Der Mensch sucht instinktiv das Licht, auch wenn es noch so schwach ist. Dort schaut er hin, da greift er zu. Magische Runen als Flirtfaktor.

Es hätte Wolf nicht im Geringsten verwundert, wenn sich die eine oder andere Person auf der Pirsch diese schlicht mit leuchtender Illusionsfarbe auf die Körperteile gemalt hatte, wo er gern betatscht werden wollte.

Zusätzlich zu den echten Gästen, tummelten sich auch mehrere Illusionen der Magi-Techs an diesem Ort. Sie bemühten sich in allen Arten von Konversation. Ob das ihr Auftrag war, eine Freizeitbeschäftigung – brauchten magische Bilder Urlaub? – oder eine ihnen tatsächlich innewohnende Lebendigkeit, konnte Wolf nicht sagen. Vielleicht war es auch nur ein wilder Auswuchs ihrer Programmierung, der sie dazu verleitete, sich zu den umsatzschwachen Dienstzeiten eine Beschäftigung für eventuelle Neukundenbindung zu suchen – eventuell waren die individualistischen Magi-Techs auch einfach nur irre und zu experimentierfreudig.

Manche von ihnen arbeiteten hier zumindest als Kartengeber, Werbevertreter oder halb nackte Go-Go-Tänzer. Nicht zu vergessen als Bedienung. Ein farbschwaches Abbild eines Mannes mittleren Alters trat zu Wolf und nickte zu dem Glas, das er gerade eben geleert hatte und noch zwischen den Fingern hielt.

»Ey, Zottel«, krächzte er im Stil eines Schmalspurverbrechers. »Der Punktestand sieht so aus, als könntest du noch 'n Drink vertragen. Und du siehst so aus, als könnt‘ ich auch einen vertragen.«

Allerfeinster Gossenslang, diagnostizierte Wolf. Programmiert, gelernt oder echter Charakter?

»Können Illus saufen?«, fragte er eine Augenbraue hochziehend – halb ernst, halb foppend.

»Ich wünschte, ich könnt's«, schniefte der magische Kellner und musterte Wolf von oben bis unten.

Völlig pissegal ob echt oder nicht, ein unechter Drecksack bleibt trotzdem ein Drecksack, stellte Wolf fest und nahm sich zum x-ten Mal vor, nie wieder über die magischen Illusionen genauer nachzudenken – eben so, wie es alle handhabten.

Nichts davon war wirklich real, es waren vorgefertigte Parameter. Kopien. Muster. Keine Moral. Kein Gewissen. Kein Charakter. Eine magische Illusion hilft niemandem in Not, wenn es nicht ihre Aufgabe ist – und das wäre ohne physischen Körper auch meistens ziemlich schwierig.

»Zu schade, dass man lustigen Abbildern von Idioten nicht ganz real eine in die Fresse hauen kann«, seufzte Wolf resigniert. »Warum tue ich mir diese Kaschemme nur an?«

»Wegen meinem blendenden Aussehen und dem billigen Gesöff«, meinte der Kellner und tippte sich mit dem Zeigefinger gegen die Schläfe.

»Punkt Zwei kann ich nicht widersprechen. Ich nehm ein Z-Can«, orderte Wolf versöhnlich.

Rauchiger Mandelschnaps mit Zitronensaft.

»Kommt sofort«, flötete der Kellner freundlich wie ausgetauscht – die Grundausrichtung griff wohl beim Geschäft und überlagerte das Gossendrecksack-Programm.

»Ich nehme einen Shortland-Coffee«, warf Babe herantretend ein.

»Mit oder ohne Orangen?«, fragte die Illusion, sich bereits abwendend.

»Mit. Keine Künstlichen, sondern den echten Scheiß!«, rief sie gut gelaunt hinterher.

»Echte Orangen? Du haust ja ganz schön auf den Putz«, brummte Wolf.

»Klar. Muss den Cocktail ja nicht bezahlen«, grinste Babe und tippte ihm auf die Brust.

»Weil ich auch das nächste Spiel verlieren werde«, stellte er zähneknirschend fest.

»Du kennst die Wahrheit des Universums«, antwortete sie, schloss ihre Augen und legte ihre Handflächen wie zum Gebet vor ihrem Kinn aneinander. »Im Billard nehme ich dich immer hart von hinten. Ohne Gleitmittel.«

Das erste Spiel hatte sie zwar bezahlt, doch das war lediglich dazu gedacht gewesen, Wolfs Kampfgeist zu wecken. Er wusste, dass er keine Chance gegen sie hatte. Zwar wurde er besser – zu Beginn hatte er keine Kugel reinbekommen – aber zu einem Sieg war es noch ein weiter Weg.

Babe war manchmal beinahe versucht, ihn wenigstens einmal gewinnen zu lassen. Ein vor Stolz platzender Rüde war sicher einen zweiten Blick wert. Dennoch ließ sie es bleiben. Wolf würde ihr es niemals verzeihen, wenn sie nicht ernst machte. Einer der Punkte, weshalb sie so gut miteinander auskamen. Außerdem hatte er Spaß an der Herausforderung.

»Also ich bin dafür, dass du das mal bei mir versuchst«, mischte sich plötzlich eine Stimme ein, welche so klang, als würde Wolf mit seinen bloßen Krallen über eine Stahlplatte kratzen.

Ein Kerl – Typ Ich-bettel-nach-Gewalt – trat an den Tisch, gefolgt von einem halben Dutzend Speichelleckern. Er trug eine Jacke aus Metallfasern. Sie glänzte in dunklem Anthrazit und war mit orange-weißen Linien auf den Armen verziert. Darunter stellte er seine nackte, glatte Haut zur Schau. Die Körpermittellinie strahlte im Licht roter, vertikaler Runenzeichen. Das könnte reine Show sein – oder ziemlich unangenehme Verzauberungen verheißen.

Babe ignorierte ihn. Wolf baute lässig die Kugeln wieder auf. Der Besucher stützte sich mit den Handflächen auf der Tischkante ab und beugte sich grinsend nach vorne.

»Hey, Schönheit. Wir können die Rollen gern auch tauschen«, versuchte er es erneut und wackelte anzüglich mit seinen gepiercten Augenbrauen. »Schick das Vieh heim in seine Hütte im Runen-Sektor. Auf dem Weg gibt es sicher ein paar Hausecken zum Anpissen, um ihn zu befriedigen.«

Wolf richtete sich auf und verschränkte die Arme vor der Brust. Er spannte seinen Körper an, richtete die Ohren nach vorn und verengte die Augen zu Schlitzen. Der Runen-Sektor war die offizielle Bezeichnung für den Stadtquadranten, in den man die magisch auffälligsten Individuen hinschickte – ein Slum voller psychotischer, cybermagischer Clowns.

»Der Köter macht sich doch nicht mal als Bettvorleger gut, selbst wenn man ihn vorher in die chemische Reinigung steckt«, sprach der Kerl weiter und spuckte direkt auf den grünen Billardbezug des Tisches. »Aber er ist sicher gerade so ausreichend, um als sprechendes Show-Hündchen in einem magischen Zirkus aufzutreten, wo er brav Leckerlis aus der Luft schnappt.«

Die Worte verfehlten die geplante Wirkung. Wolf stieß lautstark die Luft aus und gähnte betont. Seine riesigen Reißzähne kamen dabei eindrucksvoll zur Geltung, sodass einige der Gangmitglieder einen Schritt zurückwichen. Es wurde offensichtlich, dass bei Wolf nicht nur ein wenig mit Genetik und Magie herumgespielt worden war, um ein eindrucksvolles Äußeres zu schaffen. Dann kratzte er sich hinter den Ohren und widmete sich gemächlich dem Anstoß für das nächste Spiel mit Babe.

Die hatte bisher nicht einmal einen Blick zu der Gruppe geworfen. Doch als der Schläger zu ihr ging und sich mit der Hüfte neben sie an den Tisch lehnte, warf sie ihm einen Blick aus dem Augenwinkel zu.

»Na, wie sieht's aus. Wie wär's mit einem Drink bei uns? Wir können das mit dem Spiel auch direkt überspringen«, grinste er.

»Erstens«, Babe hob ihren Zeigefinger, »würde ich dich im Billard fertigmachen. Zweitens«, sie hob dazu ihren Mittelfinger, »würde ich dich unter den Tisch saufen. Drittens«, es folgte der Ringfinger, »kannst du nicht mit Wolf mithalten.«

»Ha!«, lachte der Kerl auf und schlug sich mit der Faust gegen seine breite Brust. »Ich werde in allen Punkten gewinnen.«

Er packte Babe an der Hüfte und zerrte sie an sich. Im selben Moment zog sie blitzschnell ihre Pistole und presste ihm deren Lauf unter das Kinn.

»Loslassen.« Ein Wort wie ein Peitschenhieb.

»Wieso sollte ich?«, entgegnete er und leckte sich über die Lippen. »Die Wilden sind mir die Liebsten. Hab dich wohl richtig eingeschätzt.«

»Auch das noch. Ein Maso«, seufzte Babe und rollte mit ihren Augen.

Die Runen in ihren Knochen flammten auf. Innerhalb eines Wimpernschlages hatte sie mit der anderen Hand sein Kinn gepackt und mit purer Gewalt das Gesicht auf den Tisch geschlagen. Mit einer geschmeidigen Bewegung glitt sie zu Wolf und hakte sich an seinen Arm unter. Er brummte genervt und wusste schon, was nun kommen würde. Sie kuschelte ihre Wange an seinen Arm, ließ einen Finger durch sein Fell kreisen und spielte mit der Waffe in ihrer Hand.

»Viertens: Wir würden euch alle den Engeln zum Fraß vorwerfen«, flüsterte sie sehr sanft.

Der Typ schüttelte die Benommenheit aus seinem Schädel und verzog wütend das Gesicht. Wolf griff zum Schwertgriff und zog den Säbel aus der Scheide. Die Transformatorkanäle auf der Klinge pulsierten weiß und die Luft um das Metall begann zu flimmern. Er fletschte die Zähne. Babe aktivierte nochmals ihre Runen, sodass ihre Haut punktuell blau leuchtete. Der Lichtschein tauchte die beiden in ein seltsames Zwielicht.

»Also wir gehen lieber was trinken«, meinte einer der anderen und hob beschwichtigend die Hände.

Nacheinander suchte die Gang das Weite, bis nur noch der Anführer übrig geblieben war. Er starrte die beiden an und wog seine Gewinnchancen ab. Als Babe schließlich erneut ihre Uzi auf ihn richtete, schien er sich entschieden zu haben – er schnaubte und verdrückte sich.

»Seine magische Energie war verdammt übel«, flüsterte Babe und Wolfs linkes Ohr zuckte.

»Die hätten uns fertiggemacht«, zischte Wolf.

»Weiß ja niemand, dass wir keine Superhelden sind«, kicherte sie und schmiegte erneut ihr Gesicht in sein Fell.

»Und dass wir kein verdammtes Pärchen sind«, knurrte er und schüttelte sich, damit sie ihn endlich wieder losließ.

»Spielverderber. Selbst schuld, wenn du so kuschelig bist«, grinste sie schulterzuckend.

Mit einem Rufen wurde Bescheid gegeben, dass ihre Getränke an der Bar abholbereit waren. Babe schlenderte hinüber, während Wolf seine Waffe wieder verstaute. Babe zog jedes Mal diese Die-Schöne-und-das-Viech-Pärchen-Masche ab, um etwaige Gefahrensituationen abzufangen. Seltsamerweise klappte das meist recht gut – vielleicht auch nur, weil es die Leute irritierte und von einer Einschätzung ihrer Kampffertigkeiten ablenkte. Wolf nervte dieser Gedanke. Zum einen, weil er dieses aufgesetzte Geturtel hasste, und zum anderen, weil er über ihren Köpfen beinahe Gedankenbläschen sehen konnte, in denen sie sich Mensch-Bestien-Sexpraktiken ausmalten.

»Engel im Himmel – du bist schrecklich prüde«, riss ihn Babe aus den Gedanken und drückte ihm sein Glas in die Hand. »Deinen drolligen Gesichtsausdruck kann ich sogar durch das Fell lesen.«

»Hat doch damit nichts zu tun«, murrte er und nahm einen Schluck – das Getränk brannte sich seine Kehle hinunter. »Menschen nerven.«

»Jo!«, antwortete sie und schnippte ihm gegen die Brust.

Wolf ging zum Tisch und machte den Anstoß. Er lochte ein paar Kugeln ein. Als Babe nach einem Fehlschlag ihre eigene anvisierte, entschied er sich, wie so oft, für Direktheit:

»Also, was heckst du wieder für eine Scheiße aus?«

Babe hob fragend ihre Augenbrauen, ohne die Position zu verändern.

»Komm schon. Schon das fünfte Spiel und die obligatorischen Gehirnverbrannten haben uns auch schon angepöbelt. Zeit für Klartext«, setzt er nach und umfasste seinen Queue mit beiden Pranken.

Sie machte ihren Zug und lochte direkt drei Kugeln ein. Wolfs rechtes Auge zuckte verärgert.

»Sag mal – wie gefällt dir dein Leben so?«, fragte Babe, während sie sich aufrichtete. Ihr Blick blieb gesenkt.

»Der ganze Ärger für ein bisschen Philosophie?«, schmunzelte Wolf, sein Schwanz peitschte ungeduldig herum. »Was soll diese Frage? Wir Indies leben unser Leben, wie wir wollen. Wir versuchen uns bestmöglich zu erkennen und wir selbst zu sein. Ich bin frei.«

»Frei«, wiederholte Babe und schaute ihn nun direkt an – ihr Blick war seltsam. »Du suchst etwas.«

»Das tun doch alle.« Er breitete grinsend seine Arme aus.

»In der Tat«, sich nickte bestätigend. »Was ist es bei dir? Deine Menschlichkeit? Eine Befreiung vom Wolf in dir?«

»Vielleicht ist der Weg das Ziel«, wich er aus, sein Schweif hing nun schlaff an ihm hinab.

Die beiden sprachen selten über ihre tieferen Beweggründe. Babe erzählte nichts aus ihrer Vergangenheit. Wolf schwieg ebenfalls darüber. Das waren ihre eigenen Angelegenheiten. So etwas zu teilen sorgte für eine Verkettung ihrer Leben, für ungewollte Verbundenheit, für Einschränkungen.

Es konnte verschiedene Gründe haben, warum Wolf war, was er war. Genetischer Fehlschlag? Magisches Experiment? War er ein vermenschlichtes Tier oder ein tierischer Mensch? Hat er seinen Körper so gewählt und die Kontrolle verloren, oder ist er dazu gezwungen worden? Er sprach nie darüber – und Babe nicht, warum sie plötzlich vom Himmel gefallen war.

»Du versucht deine Menschlichkeit zu fördern und den Wolf zu unterdrücken«, stellte sie fest, ließ ihren Blick kurz über seine Umrisse fahren und widmete sich wieder dem Spiel. »Das geht mehr schlecht als recht, du hast deine Grenzen erreicht. Man weiß nie, was die Jahre bringen – ob du dich verlieren und irgendwann mit sabbernden Lefzen jemanden auf offener Straße verspeisen wirst.«

Wolf verspannte sich bei diesen Worten. Direktheit war seine Art, normalerweise umschiffte Babe heikle Themen.

Sie hat etwas vor, erkannte er. Etwas Gefährliches. Sie will mich unbedingt überzeugen.

»Ideal wäre Hochwissen in Magie und Wissenschaft. Viel zu teuer, unerreichbar«, schloss sie, machte ihren Spielzug und – schoss daneben. »Deine Chance! Verballer‘s nicht!«

Wolf legte seinen Oberkörper beinahe auf die Platte und stützte sich mit den Ellbogen ab. Er visierte die Kugel an. Im letzten Moment verzog er den Stab und schnitt sie unten an. Sie hob ab und schoss direkt auf Babe zu. Sie schnappte sie gerade noch mit einer Hand vor ihrem Gesicht. In diesem Moment stieß sich Wolf vom Boden ab, verlagerte sein Gewicht auf seine Pranken und schoss über den Billardtisch auf sie zu. Er schloss seine Finger fest um ihr Handgelenk, hockte auf der Tischkante und zog sie rabiat zu sich. Babe blinzelte überrascht, als sie ihm direkt aus nächster Nähe in die Augen schaute.

»Die Kugel hat mein Sichtfeld eingeengt und meinen Fokus verschoben. Du hast verdammt gut gezielt. Warum nicht beim Spiel?«, hauchte sie.

Seine Augen verengten sich, die grünblauen Iriden weiteten sich. Sie fühlte die Hitze seines Atems auf ihren Wangen. Seine Ohren stellten sich auf und sein Kiefer mahlte. Die von ihm selbst gewählte, sonst so ungeliebte, Nähe irritierte sie.

»Was hast du vor?«, knurrte er leise.

»Ich … habe einen Job«, antwortete sie, die plötzliche Situation hatte ihre Pläne über Bord geworfen.

»Was für einen?«, fragte er sofort weiter – seine Intuition hatte ihn nicht getäuscht, sie war in der Defensive.

»Ein ziemlich gut bezahltes Abenteuer«, erwiderte sie, schließlich lächelte sie. »Also gefährlich und ich weiß, du würdest es auch ohne Moneten machen.«

»Hey! Runter vom Tisch!«, brüllte die Kellner-Illusion, woraufhin Wolf Babe losließ, vom Tisch sprang und sich sein Getränk schnappte.

»Warum dann diese Geheimniskrämerei?«, fragte er und kippte es komplett in seinen Rachen.

»Och …«, sie legte die Hände hinter ihren Rücken, beugte sich wie ein kleines Mädchen spielerisch nach vorne und schürzte die Lippen.

Wolfs Nackenhaare stellten sich auf und sein Schwanz erstarrte. Fluchtinstinkte regten sich.

»Der Auftraggeber gehört zu einem Wolfsrudel«, sprach sie weiter und klimperte unschuldig mit ihren Augen.

»Bin weg«, schnappte Wolf, drehte sich auf dem Absatz um und lief Richtung Tür. »Du bezahlst die Drinks.«

Babe eilte ihm hinterher, griff nach seinem Hosenbund und hielt ihn fest. Wolf schlug noch im Gehen mit der Pranke nach hinten und damit ihren Arm beiseite. Sie stopfte ihre Hände in die Hosentasche und schniefte abschätzig.

»Du hast dich sogar von deinem Namen gelöst. Was soll nun das Getue mit der Verwandtschaft?«, rief sie ihm abfällig hinterher.

»Hä?!« Wolf wirbelte herum und Wut blitzte in seinen Augen auf. »Verwandtschaft? Nur weil‘s Wölfe sind, heißt das nicht, dass sie zur Familie gehören. Bist du automatisch mit jemanden verwandt, sobald er schwarze Haare hat?«

Sie spitzte ihre Lippen und pfiff erstaunt.

»Entspann dich. Okay, war ein blöder Spruch von mir«, erwiderte sie einsichtig und trat näher an ihn heran. »Tut mir ehrlich leid.«

Babe legte eine Hand auf seine Wange und strich ihm über die Schnauze. Ihre Mundwinkel zuckten, sie presste ihre Lider zusammen und quietschte: »Engelverdammt, so flauschig!«

Wolf sprang zurück und knurrte sie wütend an. Sein Körper war gebeugt, sein Schweif peitschte erregt hin und her.

»Jetzt denk doch mal nach. Du bist meinetwegen nicht verwandt, verstehst aber durchaus seine Denkweise. Das wäre ein super Vorteil. Abgesehen von der guten Bezahlung, sind für dich auch noch Insiderinformationen drin – das Menschsein als Wolf, du verstehst?«, versuchte sie es nun ernsthaft.

»Ich weiß genug darüber«, presste er zwischen den Zähnen hervor, schwer bemüht um eine klare Aussprache. »Ich wurde schließlich nie verstoßen, sondern habe meine Freiheit selbst gewählt.«

Ich möchte das wirklich nicht gern tun, sinnierte Babe wehmütig. Aber es muss sein.

»Damit kommen wir zum spannenden Teil der Sache«, sprach sie ruhig weiter. »Was genau wir tun sollen.«

»Was tun, zum bleichen Engelsarsch noch mal?!«, blaffte Wolf ungehalten.

»Nun …«, flüsterte sie, wandte sich ab und ging zum Billardtisch. »Hör es dir einfach an. Schlaf mal eine Nacht drüber.«

Wolf wischte verärgert mit der Hand durch die Luft, als würde er einen Vorhang beiseiteschieben.

»Ich zahl die Drinks«, rief Babe und nahm sich einen Queue.

Er schnaubte, drehte sich um und stampfte aus der Bar. Babe legte den Stab an und zielte. Als Wolf die Tür ins Schloss krachte, machte sie ihren Spielzug. Alle restlichen Kugeln rollten mit einem Stoß in die Löcher.

Sie lächelte zufrieden.

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