Читать книгу Second Horizon - E.F. v. Hainwald - Страница 5

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»Engelverdammtes Drecksteil!«, grollte Wolf und trat mit voller Kraft gegen den Automaten.

Das Gerät zeigte sich gänzlich unbeeindruckt, obwohl es sicherlich schon bessere Tage gesehen hatte. Die Kunststoffverkleidung war mit vulgären Sprüchen verziert worden. Das matte Gerüst aus einer Keramiklegierung, welches seine cybermagischen Energien unempfindlich gegen Eingriffe von außen machte, war an einigen Stellen ordentlich geschwärzt. Vermutlich waren bereits andere Kunden aus Wut über das störrische Ding geplatzt und hatten sich tätlich daran vergangen. Die holografischen Bedienfelder flimmerten kränklich und rutschten manchmal mehrere Handbreit zur Seite.

Wolfs rabiates Scharren mit den Pranken ließ sie allerdings nur müde Wellen werfen und brachte nicht den gewünschten Erfolg – hämisch grinsten ihn die Werbegesichter auf den bunten Verpackungen hinter der Kryoscheibe an, während sie stur in ihren Verriegelungen verharrten.

Plötzlich ließ ein lautes Donnern seine Ohren zucken. Er schaute nach oben und kratzte sich gelangweilt am Hinterkopf. Vermutlich schlugen sich nur wieder irgendwelche Straßengangs gegenseitig die Köpfe ein. Als jedoch nicht weit von ihm entfernt ein ohrenbetäubendes Krachen ertönte, blickte er argwöhnisch den spärlich beleuchteten Korridor hinab.

Es war spät. Die Läden hatten Sperrstunde – ohne die allgegenwärtige Geschäftigkeit hatte sich ein eigentümlicher Schleier der Ruhe auf den mehrstöckigen Handelsbezirk gelegt. Nichtsdestotrotz strahlten grelle Holo-Reklamen an den Wänden. Magische Illusionen liefen, ruhelosen Seelen gleich, umher und wollten trotz geschlossener Läden Passanten mit einem breiten Lächeln zum Einkauf locken. Das pulsierende Licht hinter den Belüftungsventilatoren unterhalb der Bodengitter verlieh ihnen eine perfide Mehrdimensionalität.

Die Magi-Techs machen sie viel zu real. Sie reagieren nicht nur auf Worte – sie plaudern auch untereinander, sinnierte Wolf, während er das Bild einer blonden Frau mit einem Kopfschütteln abwies.

Der Boden begann auf einmal heftig zu vibrieren und er schaute sich alarmiert um.

An der nächsten Straßenbiegung krachten prompt die Stahlträger der Decke herab und begruben mehrere der Illusionen unter sich. Der dumpfe Gong des Aufpralls hallte lautstark von den Wänden wider, woraufhin ein spitzer Schmerz durch Wolfs Hirn schoss. Er schlug die Handflächen gegen seine empfindlichen Ohren und presste fest die Lider zusammen.

Das Getöse währte nur kurz. Vorsichtig öffnete er die Augen und begutachtete die Einsturzstelle aus sicherer Entfernung. Ein riesiges Loch klaffte in der Decke. Zahllose Kabel baumelten herum und sprühten grelle Funken. Im Lichtkegel aus der darüberliegenden Ebene tanzte aufgewirbelter Dreck. Der breite Strahl beleuchtete den Stahlhaufen, als hätten Wolken der Sonne einen Riss zum Hindurchscheinen gewährt. Die Szenerie ließ ihn wie den grotesken Altar irgendeiner fremden Religion wirken.

Auf den kantigen Formen lag jedoch etwas, das dort offensichtlich nicht hingehörte: die geschwungenen Umrisse einer Person. Sie rührte sich nicht, und der metallische, süßliche Geruch von Blut stieg in Wolfs Nase.

Als sich nichts regte und die ersten Illusionen aus dem Stahl hervortraten, als wäre nichts gewesen, wandte er sich wieder desinteressiert den wichtigen Dingen des Abends zu: seiner persönlichen Belohnung in den Eingeweiden dieses cybermagischen Schrotthaufens.

Er hatte beinahe seine letzten Creds – die gängige Bezeichnung für digitale Kredite, welche die weltumspannende Währung des Vereinten-Erd-Kombinats bildete – ausgegeben. Ihm blieb noch ein letzter Versuch, wenn er den Kontostand richtig in Erinnerung hatte.

Was soll‘s, dachte er resigniert. Morgen lasse ich mir irgendetwas Neues einfallen – irgendwann musste mein Glück ja enden.

Also kramte er in der zerfledderten Tasche, die an den Gürtelschlaufen seiner durchgewetzten Jeans baumelte, und zog schließlich einen schmalen Knochen hervor. Es war das Bruchstück eines menschlichen Handknochens, und wenn ihn jemand damit erwischte, würde er vermutlich einem Engel ins Antlitz blicken müssen.

Der freundliche Spender hatte tot in einer Wellblechhütte gelegen. Dass Wolf aufgrund seiner feinen Sinne die Leiche gewittert hatte, war ein glücklicher Zufall gewesen. Doch natürlich würde das die Gesetzeshüter nicht im Geringsten interessieren.

Wolf straffte die Schultern und richtete seinen bestienartigen Körper zu voller Größe auf, um den Automaten vor etwaigen Blicken abzuschirmen. Er nahm den Knochen vorsichtig zwischen zwei seiner Krallen und hielt ihn in die Bezahlschranke. Sie reagierte umgehend auf den darin eingepflanzten Chip. Auf der holografischen Anzeige blinkte Bitte Produkt wählen.

»Na also«, brummte Wolf leise, steckte den Knochen wieder weg und wählte das Objekt seiner Begierde.

In freudiger Erregung tapste er von einer Pfote auf die andere, stützte sich mit seinen Pranken an der Kryoscheibe ab und starrte in das Gerät. Das Fell auf seinen Armen richtete sich auf, während die eisige Kälte des magischen Barrierefeldes in seinen Körper kroch.

Nichts.

Absolut nichts geschah.

»Nein«, murmelte er, dann knurrte er wütend und schrie: »Elender Engelschiss! Das darf doch nicht wahr sein!«

Dadurch entging ihm das leise Klicken hinter sich.

Unzählige Geschosse schlugen neben ihm in das Gerät ein und zersplitterten die Verkleidung. Erschrocken sprang er zur Seite, wirbelte herum und ging kampfbereit in die Knie. Er biss seine Zähne zusammen und zwang sich stillzustehen, denn er wollte nicht unbedingt provozieren für einen leeren Geldchip durchlöchert zu werden, wie Dosen in einer Schießbude. Mit zusammengekniffenen Augen begutachtete er den Angreifer, welcher mitten auf der Straße stand.

Es war eine zierliche Frau, gekleidet in so etwas wie einen Arztkittel – zumindest, wenn man versuchte ihre zerfetzten, dreckigen Klamotten irgendwie zu interpretieren. In der Hand ihres nach vorn ausgestreckten Arms rauchte noch immer der Lauf einer halbautomatischen Pistole. Zum Glück hatte sie gewöhnliche Munition verwendet, sodass Wolf trotz der Treffer in unmittelbarer Nähe unversehrt geblieben war.

Sie senkte ihren Arm, schüttelte ein paar wirre Strähnen ihres kinnlangen, schwarzen Haares aus der Stirn und wandte sich ihm zu. Keck stemmte sie ihre andere Hand in die Hüfte und musterte ihn mit ernster Miene. Sie hob erneut ihre Waffe. Wolfs Oberkörper senkte sich weiter ab, er legte sein gesamtes Gewicht auf seine Fußballen, um einem Angriff schnell ausweichen zu können.

Statt jedoch erneut zu feuern, grinste sie nur breit und wedelte lässig mit der Pistole zu dem Automaten.

»Diese Dinger kannst du nur austricksen, wenn du die biologische Schnittstelle zwischen Kristallkern und Magieplatine manipulierst«, sprach sie in einem Ton, als müsste sie einem Kind die offensichtlichste Sache der Welt erklären.

Wolfs Augenbrauen zuckten nur, er rührte sich keinen Millimeter. Die Frau stopfte die Waffe in eine Kitteltasche und schlenderte zu dem Gerät an der Wand. Dort angekommen hob sie ihre rechte Hand, ballte sie zur Faust und rammte sie kurzerhand in die durch die Schüsse gesprungene Kunststoffhülle. Sie stopfte ihn bis zur Schulter hinein und plauderte nebenher munter weiter.

»Hast Glück, dass ich hier gelandet bin. Um diese Uhrzeit ist ja keine Menschenseele hier. Buchstäblich – bist ja auch keiner.«

Wolf zuckte leicht zusammen. Der letzte Kommentar traf ihn. Er war nicht freiwillig in dieser Form gefangen und kämpfte jeden Tag gegen die Instinkte an, welche ihn überwältigen wollten. Der Inhalt des Automaten, den er so unbedingt haben wollte, war ein Teil dieser inneren Schlacht – wenn auch ein heiß geliebter.

»Besonders gesprächig bist du nicht, hm?«, meinte sie, kniff ein Auge zusammen und schien an irgendetwas in dem Automaten herumzufummeln. »Ich bin einfach viel zu nett. Du hast mir nach meinem unrühmlichen Absturz nicht mal aufgeholfen. Bist 'n Soziopath? Dachte immer, Hunde sind der beste Freund des Menschen.«

Wolf ballte seine Hände so stark zu Fäusten, dass seine Unterarme zitterten. Er schluckte die bissige Erwiderung hinunter, die ihm auf der Zunge lag, denn so oder so war diese seltsame Frau bewaffnet. Außerdem konnte sie problemlos mit dem bloßen Arm in einer cybermagischen Konstruktion herumstochern, ohne durch dessen Rückkopplung gegrillt zu werden.

Ein Wolf. Kein Hund, dachte er, um sich wenigstens vor sich selbst zu rechtfertigen.

Auf einmal schoss die Erkenntnis durch sein Hirn und er warf einen hastigen Blick aus dem Augenwinkel zu den herabgefallenen Stahlträgern. Die Person darauf war verschwunden.

»Bingo!«, rief die Frau und sein Kopf ruckte alarmiert zurück in ihre Richtung.

»Also, was wolltest du aus dem Ding herauspressen, bevor es alle deine Creds gefressen hat?«, fragte sie ihn, verschwörerisch zwinkernd.

Er schaute sie stumm an und fragte sich, ob sie einfach nur völlig durchgeknallt war oder das tatsächlich ernst meinte. Wolf musterte ihr Gesicht, doch in den großen, violett-blauen Augen sah er nur reine Neugier.

Also murmelte er leise, was er haben wollte.

»Was?«, rief sie. »Ich versteh kein Wort, du musst schon lauter reden und weniger herumknurren.«

Wolf mahlte mit den Zähnen, schnaubte dann und wiederholte lauter und sorgfältiger formuliert: »Zartbitterschokolade mit Sauerkirschen.«

Die Frau blinzelte schweigend.

Einmal.

Zweimal.

Schließlich zog sie ganz langsam eine Augenbraue nach oben.

Wolf stand einfach nur da, sein Gesicht war zu einer Maske erstarrt. Er glotzte sie an und versuchte den zutiefst peinlichen Moment zu ertragen. In würdevoller, kraftvoller Haltung war er darum bemüht seine Ehre zu bewahren, obwohl es eigentlich nur eines leisen Kicherns ihrerseits bedurfte, um seinen Stolz buchstäblich zu zermalmen.

»Tja …«, erwiderte sie dann ernst. »Bin ja mehr der Vollmilchtyp.«

Daraufhin ertönten ein lautes Klacken und zwei dumpfe Töne. Sie zog ihren Arm aus dem Automaten, griff in die Ausgabe und hielt triumphierend lächelnd zwei längliche Päckchen nach oben. Lässig warf sie ihm eines der beiden zu. Während das kleine Paket durch die Luft flog, begriff er, dass sie ihm tatsächlich die Schokolade besorgt hatte. Mit einem hastigen Griff pflückte er die Süßigkeit aus der Luft, drehte sie zwischen den Klauen vor seinem Gesicht umher und ließ den süßen Duft seine Sinne kitzeln.

Die Frau riss ihrerseits die Packung auf und steckte sich ein Stück in den Mund. Kauend lehnte sie sich mit der Schulter an den arg in Mitleidenschaft gezogenen Automaten und musterte Wolf.

»Gern geschehen«, schmatzte sie. »Wie ist dein Name?«

Er riss seine Augen von der Schokolade los und überlegte. Schließlich entschied er, dass sie für diese Geste zumindest ein Minimum an Freundlichkeit verdient hatte.

»Wolf«, antwortete er.

»Alles klar, kein Hund. Und weiter?«, hakte sie nach.

»Nichts weiter«, murrte er und verlagerte unsicher sein Gewicht auf den Füßen.

»Wie ist dein Name?«, wiederholte sie verwirrt.

»Wolf«, erwiderte er erneut. »So nenne ich mich. Wie heißt du?«

Ihre dunklen Augenbrauen hoben sich. Sie legte den Kopf schräg und schien zu überlegen. Ihre Lippen öffneten sich für eine Erwiderung, doch sie vernahmen plötzlich Stimmen. Wolf schaute an ihr vorbei und nickte in die entsprechende Richtung. Sie drehte sich um und Wolfs Augen weiteten sich überrascht.

Ihr Rücken war blutüberströmt. Der zerrissene Stoff bildete mit dem zerfetzten Fleisch eine krustige Einheit. Die Wirbelsäule war teilweise freigelegt. Sie bestand aus Stahl und die typischen, cybermagischen Runen, welche Technik problemlos in biologische Körper integrierten, leuchteten in fahlem Blau. Die Wunde schien jedoch nicht neu, das Blut war längst geronnen. Wolf hatte seit dem Einsturz Blut gerochen, doch es dann als logische Nebensächlichkeit abgetan. Daher hatte er nicht bemerkt, dass sie die direkte Quelle dessen gewesen war.

»... ach, komm scho‘. Das kann‘nisch dein Ernst sein!«, nuschelte einer der Passanten, welche gerade einen kreuzenden Korridor entlang torkelten – vermutlich betrunken oder auf Drogen. »Komm schon, Babe. Ich hab‘s nicht so gemeint!«

Die Angesprochene stampfte wütend weiter und würdigte ihn keines Blickes. Die dunklen Silhouetten verschwanden und waren schnell außer Hörweite. Wolfs unerwartete Schokoladenbeschafferin wandte sich ihm erneut zu. Sie lächelte spitzbübisch, legte die schmalen Fingerspitzen auf ihre Brust und sprach:

»Nenn mich einfach Babe.«

Second Horizon

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