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Ein Satz, der alles verändert

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Günter Bresnik erkennt, dass da was Großes entsteht, spielt fast täglich zwischen 12 und 14 Uhr mit ihm. Liebe trifft auf Gegenliebe: So sehr Dominic spielen will, so sehr bemüht sich Bresnik, selbst sein Bestes zu geben. Die Eltern lassen den Startrainer gewähren, was dieser sehr zu schätzen weiß. Einem Arzt würde man ja auch nicht reinpfuschen in dessen Arbeit, meint er einmal – der Vergleich entbehrt nicht einer gewissen Tiefe, eigentlich hätte der Wiener und Sohn aus einem Ärztehaushalt ja tatsächlich Arzt werden sollen (und hat an der Universität Wien auch acht Semester Medizin studiert).

Günter Bresnik hat in den Jahren zuvor schon genügend Gelegenheit gehabt, Dominic Thiem zu analysieren. Eine gute Vorhand, eine schlechte Rückhand, eine Spielanlage, die auf den Fehler des Gegners wartet. Fürchterlich anzuschauen eigentlich, aber erfolgreich. „Er gewann sich mit jedem Sieg tiefer in eine Sackgasse“, schreibt er in Die Dominic Thiem Methode. Thiem würde mit 15, 16 Jahren noch erfolgreich sein, doch er war ein Sieger mit Ablaufdatum.

So sehr der Trainer mit dem Schützling zufrieden ist und die hervorragende technische Grundausbildung, die die Eltern Dominic beigebracht haben, honoriert, so sehr ist Bresnik mit der beidhändigen Rückhand unzufrieden. Sie passt nicht in das Gesamtbild, sie ist mehr ein Stoß als ein Schlag. Doch gerade diese Rückhand gilt als des Spielers wichtigster „Schlag“, damit macht er keine Fehler und kann den Ball ein ums andere Mal über das Netz bringen. Als Thiem im Frühjahr 2005 von einem Turnier in Auray in Frankreich zurück nach Hause kehrt – beim wohl wichtigsten europäischen Turnier der U12-Klasse ist er unter die letzten 16 gekommen –, fällt jener Satz, der aus einem „Wunderkind“ tatsächlich einen Weltstar machen wird.

„Kleiner, ab jetzt machen wir’s gescheit.“

Damit soll nun Schluss sein. Bresnik verlangt von Dominic Thiem eine komplette Neuausrichtung seines Spieles. Bälle dürften nicht mehr „geschupft“ werden, auf jede Kugel müsse eingedroschen werden. Mehr noch, die Rückhand darf nicht mehr beidhändig, sondern muss einhändig gespielt werden.

Wenn der (vermeintlich) stärkste Schlag fehlt, dann wird alles schwieriger. Dominic verliert gegen Spieler, die er „vorher“ noch leicht bezwungen hat. Er fährt mit Erstrundenniederlagen im Gepäck und verheultem Gesicht nach Hause. Bei den Trainingseinheiten wird er belächelt und bedauert. Hinter vorgehaltener Hand sagen die so genannten Insider, dass ihn Bresnik kaputt gemacht hat, ruiniert, schade um den Jungen. Sie übersehen das große Ganze. Günter Bresnik geht es nicht darum, dass der „Kleine“, wie er ihn nennt, in den Jugendklassen brilliert, es geht ihm darum, ihn auf das Erwachsenen-Tennis mit all dessen Problemen auf und neben dem Platz vorzubereiten. Da gilt nur: Volle Post! Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat. Irgendwann, mutmaßen jene, die alles besser zu wissen glauben, wird Dominic daran zerbrechen.

Er tut es nicht, und dies aufgrund mehrerer Faktoren. Zuerst einmal weiß der Trainer haargenau, was er tut. Bresnik lässt Thiem Bälle schlagen, mit der Vorhand, mit der Rückhand, die weit im Out landen. Egal, für ihn ist die Wucht wichtig, die Schnelligkeit. Bresnik arbeitet daran, aus Dominic einen ganz anderen Spieler zu machen. Aus einem, der abwartend und zögerlich agiert und auf den Fehler des Gegners wartet, soll einer werden, der auf jeden Ball so draufschlägt, als wäre es der letzte des Spiels, der das Match diktiert. Aus einem, der scheu der Konfrontation aus dem Weg geht und sich bei Netzrollern entschuldigt, weil es ihm tatsächlich leid um den Gegner tut, soll einer werden, der den Kampf aufnimmt und mit Körpersprache und Spielstil den anderen signalisiert: Was du kannst, kann ich besser. Bresnik fordert Thiem heraus, immer wieder, treibt ihn somit aus der eigenen Komfortzone hinaus, verankert ein neues Credo: gewinnen wollen – und nicht: nicht verlieren wollen.

Dass Bresnik den Spieler nach seinen Vorstellungen formen kann, dass er ihn die einhändige Rückhand schlagen sieht, wie es Boris Becker oder Stefan Edberg oder Gaston Gaudio taten, das kann er auch deshalb, weil Wolfgang und Karin Thiem ihm ganz vertrauen. Du weißt, was du tust, wir vertrauen dir, kommunizieren sie ihm. Doch am allerwichtigsten ist, dass Dominic dieses Spiel mitspielt. Er bleibt lern- und wissbegierig, er will sich verbessern, und er wird es.

Nach jedem Tief kommt wieder ein Hoch, die Arbeit Bresniks trägt Früchte, Dominic beginnt wieder zu gewinnen. Nicht immer, aber immer häufiger. Seine Turniere bringen ihn in die ganze Welt, die Reisen gehen ins Geld. Ohne jegliche finanzielle Unterstützung vonseiten des Österreichischen Tennisverbandes muss die gesamte Familie zusammenstehen, um Dominics Karriereverlauf zu stützen. Ein Tennisjahr verschlingt locker 50.000 bis 100.000 Euro, und wir sprechen hier für Spesen für einen 15-Jährigen. Die Großeltern verkaufen eine Eigentumswohnung, das Geld kann gut gebraucht werden. In der Zwischenzeit hat auch Dominics sechs Jahre jüngerer Bruder Moritz, geboren 1999, ernsthaft mit dem Tennissport begonnen. „Diese Zeit hat mich doch ein wenig verbittert“, sagt Karin Thiem einmal. Und: „Wenn du den Weg gehen willst, zu dem Dominic und wir uns entschlossen haben, darfst du nicht nach links oder rechts schauen, sonst wirst du wahnsinnig.“ Es gibt keine Wochenendausflüge, kaum Freizeit, keine Urlaube, die Thiems schränken sich ein, wo es nur geht. Ein kleiner Skifahrer, der Talent besitzt, kann sich durch die Jugendkader des ÖSV kontinuierlich nach oben wedeln; ein leidlich begabter junger Kicker findet stets in Nachwuchsakademien Unterschlupf; das Familienunternehmen Thiem mit seinem adoleszenten Hauptakteur, das gewinnt nicht dank, sondern trotz des Österreichischen Tennisverbandes kontinuierlich an Flughöhe.

Doch nicht nur die Finanzen sind ein Thema, auch die Vereinbarkeit von Schule und Sport: Das klappt nicht, besonders dann nicht, wenn das Lehrpersonal zum allergrößten Teil eher, nun ja: uneinsichtig ist. Fehlstunden aufgrund des Trainings in der 50 Kilometer entfernten Südstadt und aufgrund von Turniereinsätzen bedeuten den Weltuntergang. Dominic schlägt sich die Nächte mit Schulbüchern um die Ohren, im Turnen bekommt er eine Zwei, weil er vielleicht gut Tennis spielen mag, aber nicht schön schwimmen kann, im Zeichnen erhält er aufgrund der vielen Absenzen „nicht genügend“. In der sechsten Klasse bricht Dominic Thiem ab und entscheidet sich für den Tennissport, seine große Liebe. Eine schulische Ausbildung, sagt er, kann man nachholen, eine Sportlerkarriere aber nicht aufschieben. Selbstverständlich geschieht all dies in familiärer Eintracht, und wer sagt, dass es keinen Plan B gäbe, der irrt vielleicht. Eine Ausbildung zum Tennisprofi öffnet eine Reihe von beruflichen Perspektiven. Sollte es mit der Karriere nicht so ganz klappen, könnte man als Trainer oder Trainingspartner oder Touring-Coach immer noch in der Szene verbleiben. Plan A ist ein sehr guter Plan!

Die Thiems stehen mit der Entscheidung, Tennis als Trumpf-As zu sehen, recht alleine da, einige Freunde und Bekannte wenden sich ab, können die Vorgangsweise nicht nachvollziehen. Doch innerhalb der Familie herrscht dieses Urvertrauen, die Frage, ob der Weg vielleicht falsch ist, wird nie gestellt.

Dominic Thiem

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