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Auf der Suche nach Größe

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Wie sich Österreich im Sport immer wieder neu entdeckt und überrascht realisiert, dass es doch viel, viel mehr ist als eine reine Wintersportnation.

Zugegeben, es wäre, nein: ist jetzt leicht, die üblichen Fakten und Platituden zu bemühen und auf die großen sporthistorischen Momente Österreichs zu verweisen. Aber es ist nun einmal so. Der Sport ist in jedem Land, nicht nur in Österreich, eines der Vehikel des Selbstwertgefühls. Das ballesterische „Wunder von Bern“ 1954 prägte Deutschland in den Nachkriegsjahren, der Fußball-WM-Titel 1982 ließ Italien enger zusammenrücken, bei Olympischen Spielen in den 1970er- und 1980er-Jahren war für kommunistisch-sozialistische Staaten die Medaillenwertung Sinnbild der gesellschaftlichen Überlegenheit. Und letzthin rittern die USA und China bei Sommerspielen um Platz eins, es ist einmal mehr ein Clash auf den Spielfeldern und ein Aufeinandertreffen der Systeme.

Und Österreich? Hat den kaiserlich-königlichen Glanz nach dem Ersten Weltkrieg verloren, war am Boden zerstört nach dem Zweiten, hat sich wieder erhoben mit den Tugenden harter Arbeiter und dem Weitblick intelligenter Staatsführer. Und hat gejubelt, als Toni Sailer 1956 in Cortina gleich drei Goldmedaillen im Alpinen Skilauf gewann. Der Tiroler ist sowas wie der erste sportliche Hero des Landes in der Nachkriegszeit, nachdem zwischen den Kriegen Matthias Sindelar auf dem Fußballplatz seine Landsleute verzücken konnte.

Und weil Österreich in den Alpen liegt, die Winter prinzipiell schneesicher waren, ist Österreich eben das Wintersportland schlechthin. Im Alpinen Skisport dominierten nicht immer, aber meistens, die rot-weiß-roten Farben, Olympische Winterspiele, die zu einem Desaster wurden, lassen sich an einer Hand abzählen, 1984 beispielsweise, als es in Sarajewo gerade mal eine Bronzemedaille durch Hans Enn gab. Da erinnert man sich lieber an 1992, als in Albertville in verschiedenen Sportarten gleich 21, davon sechs aus Gold, zu feiern waren. Stars und Superstars auf den Pisten hat Österreich aufgrund seiner strukturierten Nachwuchsarbeit (und/oder aufgrund von Eigeninitiativen) und der professionellen Führung des Verbandes fast wie am Fließband produziert: Annemarie Moser-Pröll, Michaela Dorfmeister, Alexandra Meissnitzer, Stephan Eberharter, Hermann Maier zuerst, Anna Veith, Marcel Hirscher dann.

Skifahren, ja eh. Ein Sport, der in zwei Dutzend Ländern der Welt seriös betrieben wird, ätzen Kritiker, ein Sport, in dem Österreich aufgrund der geografischen Lage ohnehin schon einen Wettbewerbsvorteil genießt, ein Sport also, den man also eigentlich nicht ernst nehmen kann. Doch die Einwände tun nichts zur Sache, als Franz Klammer 1976 in Innsbruck zu Abfahrts-Olympiagold raste, waren die Straßen leergefegt: Gefühlt jeder Österreicher und jede Österreicherin klebte vor dem Bildschirm des Fernsehers. Smartphones und Tablets gab es noch nicht, Email und Internet waren Verschlusssache, Streaming, Sky und DAZN unbekannte Worte.

Wenn Sportler und Sportlerinnen herausragende Leistungen vollbringen und sich über die Masse erheben, sind es Momente und Leistungen, die Respekt verlangen und Gänsehaut-Feeling erzeugen. Wenn die österreichische Fußball-Nationalmannschaft 1978 in Cordoba Deutschland schlägt – obwohl es für Krankl und Co. um nichts mehr gegangen ist bei dieser WM –, dann mag das 3:2 im Laufe der Jahrzehnte überhöht worden sein, Fakt aber ist, dass es einen wichtigen Beitrag zur nationalen Identität lieferte. 47 Jahre lang hatte Österreich auf einen Erfolg gegen den größeren Nachbarn warten müssen. Rund vier Jahrzehnte nach dieser Begegnung drücken Spieler wie David Alaba oder Marko Arnautovic dem Fußball ihren Stempel auf – Spieler, die Cordoba 78 nur vom Hörensagen kennen. (Aber sie kennen es!)

Und weiter. Auch im Motorsport fiel und fällt Österreich immer wieder auf. Jochen Rindt und Niki Lauda waren internationale Größen in der Formel 1 und sind, obwohl beide tot, schlechthin unsterblich. Matthias Walkner gewann 2018 die Rallye Dakar – die härteste Motorrad-Prüfung, die es aktuell gibt.

Doch abgesehen vom omnipräsenten Skisport, Fußball und Motorsport ist Österreich ein sportlich erfolgreiches Land. Das mag überraschen, da die tägliche Bewegungsstunde in den Schulen seit Jahren angekündigt und nicht umgesetzt wird, es steht auch im Kontrast zu Statistiken, auf denen Österreicher und Österreicherinnen immer übergewichtiger und unsportlicher werden. Egal: Es gibt im gesamten Spektrum des Sports Realitäten in diesem Land, die nicht nur „weltberühmt in Österreich“ sind, sondern es tatsächlich zu Weltruhm schaffen. Nur einige Beispiele, und absolut ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Trixi Schuba holte 1972 in Sapporo die einzige Goldmedaille für Österreich – im Eiskunstlauf. Judoka Peter Seisenbacher gewann 1984 und 1988 Olympisches Gold. Felix Gottwald wurde in der Nordischen Kombination erfolgreichster Olympionike Österreichs aller Zeiten. Die „Binnenländler“ Christoph Sieber im Surfen und Roman Hagara/Hans-Peter Steinacher im Segeln triumphierten 2000 in den Gewässern vor Sydney. Hagara/Steinacher wiederholten ihren Sieg vier Jahre später. Kate Allen trumpfte ebenfalls 2004 im Triathlon auf, Markus Rogan, Mirna Jukic und Co. mischten den internationalen Schwimmsport auf. Und so weiter.

1995 stand ein 27-jähriger Steirer im Finale der French Open: Thomas Muster gewann gegen Michael Chang (USA) 7:5, 6:2, 6:4. Zum ersten Mal holte ein Österreicher einen Titel bei einem so genannten Grand-Slam-Turnier. Auf dem Weg ins Finale musste er keinen einzigen gesetzten Spieler aus dem Weg räumen (aber die Setzliste umfasste nicht 32, sondern lediglich 16 Namen), und auch keinen aus den Top Ten der Weltrangliste. Muster, der schon in den Jahren zuvor gemeinsam mit Alexander Antonitsch und Horst Skoff den Tennissport in Österreich dermaßen populär gemacht hatte, dass es zu viele Hobbyspieler und zu wenig Plätze gab, stieg mit diesem Triumph endgültig in die Liga der österreichischen Sport-Heros auf.

Doch Tennis ist ein Weltsport, einer der zehn am häufigsten gespielten Sportarten, zusammen mit beispielsweise Fußball, Badminton, Feldhockey, Volleyball, Basketball. Wer im Tennis Großes vollbringt, ist somit nicht nur eine nationale, sondern eine internationale Größe.

Sehr erfolgreiche Sportler und Sportlerinnen werden auf ein Podest gehoben, zu Superstars gemacht, als Vorbilder und Idole gesehen. Sie werden vereinnahmt, „wir“ haben gewonnen, „wir“ haben Chang besiegt, „wir sind Tennis“. Gut und recht, wer mit Ruhm und Ehre nicht umgehen kann, soll sich davon fernhalten, heißt es. So schnell aber Helden geschaffen werden, so schnell werden ihre Büsten auch wieder vom Sockel gestoßen, wenn der Erfolg einmal ausbleibt. Deswegen ist die Überzeichnung zu hinterfragen, die Demontage erst recht.

Sportler und Sportlerinnen siegen (und verlieren) zuerst einmal für sich selbst. Sie sind Österreicher und Österreicherinnen und lieben – so wie wohl die meisten hierzulande – ihr Land. Sie schwenken rot-weiß-rote Fahnen bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften, beim Davis oder Fed Cup. Sie wissen, dass sie mit ihren Erfolgen für glückliche Momente bei anderen sorgen, und dass sich ihre Popularität aus einem Mix von Konsequenz und Leistung, von Zugänglichkeit und erwiderter Sympathie ergibt. Für das, was man tut, möchte man anerkannt werden, und steigende Follower-Zahlen auf Facebook, Instagram, Twitter werden insgeheim wohl auch jene freuen, die nach außen hin Desinteresse und Nonchalance für die sozialen Medien demonstrieren.

Als am 11. Juni 1995 Thomas Muster die Trophäe in den Paris-Himmel streckte, war Dominic Thiem, geboren am 3. September 1993, knapp 21 Monate alt.

Wie Muster gewann Thiem sein erstes Grand-Slam-Turnier mit 27. Und hat sich damit bereits eingereiht in die Allzeit-Größen des österreichischen Sports – und des internationalen Tennissports.

Wir dürfen gespannt sein, was da noch alles kommen wird.

Dominic Thiem

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