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Praktische Philosophen

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Nach heutigen Maßstäben gemessen, führten die meisten Menschen im alten Griechenland ein beklagenswertes Leben. Nur wohlhabende Männer durften wählen, sich ausbilden lassen und zu Philosophen werden. Frauen und Sklaven wurden kaum höher geachtet als Tiere, und für alle armen Menschen spielte es vermutlich kaum eine Rolle, ob die Philosophen glaubten, dass alles aus Wasser oder aus Atomen bestand.

Heutzutage gehen wir davon aus, dass unsere Kenntnisse über die Natur auch praktische Anwendung finden sollen. Wenn ein Forscher eine neue Entdeckung macht, ist eine der ersten Fragen, die dann gestellt werden: Welchen Nutzen bringt uns dieses Wissen? In Griechenland dachte man nicht so. Viele Philosophen waren reiche Männer, die körperliche Arbeit verachteten. Sie kamen gar nicht auf die Idee, dass ein philosophischer Gedanke das Los der Bäuerinnen, die sich auf den Feldern abmühten, oder der Sklaven, die sich in den Bergwerken zu Tode schufteten, verbessern könnte.

Für Philosophen wie Aristoteles wird oft als Entschuldigung angeführt, so wie er hätten damals „alle“ gedacht. Das ist nicht ganz falsch. Wir können schließlich nicht erwarten, dass ein Reicher, der in einer Gesellschaft mit vielen Sklaven aufgewachsen ist, Sklaverei für ein Übel hält. Oder können wir es vielleicht doch? Ist es nicht die Aufgabe von Philosophen und Wissenschaftlern, neu zu denken? Das ist eine schwierige Frage, und ich erwähne sie hier, weil sie noch immer alle Forscher auf der ganzen Welt betrifft. Es wird sich zeigen, dass auch später solche Fragen immer wieder eine Rolle gespielt haben.

Außerdem war Griechenland wirklich in jeder Hinsicht die „Wiege unserer Kultur“. Viele der negativen Seiten unserer Gesellschaft haben unsere Vorfahren von den Griechen übernommen. Dass die Griechen keine Philosophinnen zulassen wollten, hat zum Beispiel dazu geführt, dass erst in unserer Zeit Frauen forschen dürfen. Noch heute gibt es viel mehr Wissenschaftler und Philosophen als Wissenschaftlerinnen und Philosophinnen.

Ein Ausnahmephilosoph, der sich für das Wohlergehen von einfachen Menschen interessierte, war Hippokrates. Er wurde im Jahr 460 v. Chr. auf der Insel Kos geboren, und er ist eine ebenso geheimnisvolle Gestalt wie Thales. Im Grunde wissen wir über Hippokrates nur eins sicher: Die alten Methoden, mit denen Kranke behandelt wurden, passten ihm nicht.

Jahrtausendelang hatten die Menschen Krankheiten für eine Strafe der Götter gehalten, und oft war der einzige „Arzt“ ein „Medizinmann“, der versuchte, die Götter gnädig zu stimmen. Die Krankheit Epilepsie zum Beispiel wurde als „göttliche Krankheit“ bezeichnet. Die Menschen glaubten, böse Geister oder Götter riefen die unerklärlichen Anfälle der Epileptiker hervor. Aber ein Schüler des Hippokrates schrieb über diese Krankheit: „Sicher hat sie, wie jede andere Krankheit, ihre ganz natürliche Ursache.“

Hippokrates und seine Schüler waren der Meinung, dass die Götter die Gesundheit der Menschen nicht beeinflussten. Eine Krankheit habe eine natürliche Erklärung und beruhe auf einer Art Ungleichgewicht im Körper. Das Gleichgewicht muss wiederhergestellt werden, und das können nur ausgebildete Ärzte. Hippokrates forderte die Medizinstudenten auf, ihre Patienten zu untersuchen und ihren Befund mit dem zu vergleichen, was sie gelernt hatten. Heutzutage nennen wir das „eine Diagnose stellen“. Der Patient muss den Ratschlägen des Arztes folgen, er muss Medizin nehmen, sich vernünftig ernähren und sich bewegen. Der Körper muss sich selber heilen, und dazu ist die Hilfe des Arztes vonnöten. Es kann durchaus besser sein, nichts zu unternehmen, als dem Patienten Medizin zu verabreichen.

Auf Kos richtete Hippokrates eines der ersten Krankenhäuser der Welt ein, wo Patienten auch operiert wurden (ohne Betäubung). Zwar wurde sehr viel von der Arbeit, durch die er berühmt wurde, von seinen Schülern geleistet, aber Hippokrates gilt trotzdem als der Begründer der medizinischen Wissenschaft. Noch heute müssen alle Ärzte den „hippokratischen Eid“ ablegen, mit dem sie schwören, für ihre Patienten ihr Bestes zu geben.

Auch Hippokrates und andere griechische Ärzte hatten Probleme mit der Religion. Damals wie heute fand man es wichtig, den Toten Respekt zu erweisen. Aber ein Leichnam konnte den Forschern verraten, wie ein Mensch von innen aussieht. Im Jahr 470 v. Chr. begann der Arzt Alkmäon, Leichen aufzuschneiden – wir nennen das heute „sezieren“ –, um die Eingeweide der Menschen zu studieren. Er stieß damit auf heftigen Widerstand, und in Griechenland wurde das Sezieren verboten.

So mussten die Ärzte die Position der inneren Organe oft mühsam erraten, indem sie den Bauch der Patienten abtasteten oder Tiere sezierten. Weil sie so wenig über den Körper wussten, glaubten viele griechische Philosophen, dass wir mit dem Herzen denken. In gewisser Weise hat ein Teil dieses Glaubens bis heute überlebt. Das Herz gilt als Symbol für die Liebe, und wir sprechen noch immer von „einem guten Herzen“, wenn sich jemand um andere kümmert.

Galenos, der sechshundert Jahre später als Hippokrates lebte, gilt als Begründer der Wissenschaft vom Aufbau des Körpers, der Anatomie. Galenos hat sein Wissen über den Körper zum großen Teil durch das Sezieren von Schweinen, Ziegen und Hunden erworben. Die Bücher des Galen – wie er später genannt wurde – wurden ein Jahrtausend lang von Ärzten benutzt, obwohl leicht zu sehen war, dass sie auch Fehler enthielten.

Die Ärzte waren übrigens auch nicht besser als die anderen griechischen Wissenschaftler und Philosophen. Nachdem Hippokrates die Heilkunst zu einem Bereich der Philosophie erhoben hatte, wurde Frauen das Heilen von Kranken verboten, obwohl jahrtausendelang Frauen heilende Kräuter und Techniken gekannt hatten, um Knochen zu schienen, Wunden zu behandeln und Fieber und Schmerzen zu lindern.

Die Ärztin Agnodike kämpfte gegen das neue Verbot, und sie konnte immerhin durchsetzen, dass Frauen als Hebammen bei Geburten helfen durften. Es dauerte aber noch über 2200 Jahre, bis Frauen ganz normal Medizin studieren konnten. Weil sie nicht Ärztin werden durften, wurden sie „weise Frauen“ und griffen zu ihrem alten Wissen über die Heilkunst. Noch im letzten Jahrhundert suchten Kranke die Hilfe von weisen Frauen.

Die Jagd nach der Wahrheit: Die unendliche Geschichte der Weltforschung

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