Читать книгу Die Mulgacamper Romane Band 1 und 2 - Elda Drake - Страница 5
ОглавлениеKapitel 1
Als sie mit einem Riesenrucksack und einem Koffer bewaffnet am Flughafen in Alice Springs durch das Gate ging, um ihr Abholkommando zu treffen, wusste sie noch nicht, dass die Unwahrscheinlichkeiten in ihrem Leben eben erst begonnen hatten. Das Schicksal hatte die ersten zarten Versuche eingeleitet und war gerade dabei, sich etwas Neues auszudenken. Später würde Hetty ihre Lieblingsgeschichte, die davon handelte warum eine hochgiftige Schlange in ihrem Camper ein Dauerasyl erhalten hatte, immer an diesem Punkt beginnen.
Kim und Steven winkten und grinsten, als ob die Queen persönlich angekommen wäre. Hetty wusste aus ihren Mails und Telefonaten, dass die beiden in ihrer Altersgruppe lagen und genauso wie sie ein Leben ohne Nachwuchs bevorzugten. Schon deswegen waren sie von Anfang an auf einer Wellenlänge gewesen. Als sie auf das ungleiche Paar zuging, das in der klimatisierten Ankunftshalle auf sie wartete, schoss ihr der alte Spruch durch den Kopf, dass sich Gegensätze anziehen.
Steven war ein schlanker, fast schon dürrer, hoch aufgeschossener Mann, der in der Schule sicher als Bohnenstange bezeichnet worden war. Seine große Hornbrille, hinter der hübsche graue Augen hervor blitzten und die relativ spärliche Kopfbehaarung ließen an einen Gelehrten denken, was auch den Tatsachen entsprach, denn er war Geologe. Dieser Beruf war wohl auch ursächlich für seine tiefgebräunte Haut, die er dem häufigen Aufenthalt unter Australiens Sonne zu verdanken hatte. Er trug die typische australische Kleidung, bestehend aus T-Shirt, Bermuda und Flip-Flops, was ihn von seiner Frau deutlich abhob.
Denn Kim führte anscheinend im Zentrum von Down Under, auf Teufel komm raus, die Hippie-Bewegung weiter. Zumindest ließ ihr Outfit darauf schließen. Das batik gewirkte Kleid war mit Fransenzipfeln bestückt und um die nicht vorhandene Taille war ein glänzendes Tuch mit Pailettenstickerei gewickelt. Die Sandaletten bestanden aus einer Anreihung von Plastikblümchen und die Umhängetasche war aus buntem Garn gehäkelt. Dazu klapperten noch zahllose Ketten und Armbänder und am Knöchel sogar ein Kettchen, das mit kleinen Glöckchen behängt war.
Kim wirkte wie ein etwas zu groß geratener Kolibri, wozu neben ihren knappen 1.60 Meter Körpergröße auch ihr Wesen beitrug. Im Gegensatz zu ihrem ruhigen und abgeklärt wirkenden Mann war sie quirlig und zappelig wie ein Sack Flöhe. Dieser Eindruck verstärkte sich noch durch ihre lockigen, dunkelbraunen langen Haare, die ihr um das Gesicht und die Schultern wuselten und wohl mit keiner Bürste zu bändigen waren. In ihren braunen Augen tanzten goldene Flecken und die dauerhaften Lachfältchen, in ihrem ansonsten noch relativ faltenfreien Gesicht, zeigten, dass sie mit Sicherheit kein Kind von Traurigkeit war.
Sie stürzte sich sofort auf Hetty. »Wir freuen uns ja so, dass du endlich da bist, wie war der Flug, war das Essen gut, konntest du schlafen, wie lange hattest du in Singapur und Cairns Aufenthalt, hast du Hunger oder Durst, du bist wahrscheinlich total kaputt also solltest du dich erst mal ausschlafen, oder willst du dich lieber gemütlich draußen auf die Terrasse setzen, ich habe einen Riesenberg Essen hergerichtet - du hast ja geschrieben du isst sehr gerne Steak, aber wieso sagst du eigentlich nichts?
Steven benutzte die kurze Atemholpause von seiner Frau, um einen Kommentar einzuflicken. »Wie soll sie denn? Du lässt sie ja überhaupt nicht zu Wort kommen. Also Hetty, erst einmal herzlich willkommen bei uns und lass dich von Kim bloß nicht einschüchtern - rede einfach dazwischen.«
Er wuschelte seiner Frau liebevoll die Haare. »Alte Quasselstrippe!«
Kim schaute Hetty entschuldigend an. »Tut mir leid – wenn ich mich freue, dann plappere ich immer ohne Punkt und Komma los, also was willst du zuerst machen?«
Hetty schmunzelte. »Ich glaube es kommen harte Zeiten auf dich zu Steven, denn mir kann man alles nachsagen, nur nicht Schweigsamkeit!«
Der gab grinsend zurück. »Dann weiß ich jetzt was wir als nächstes tun sollten - nämlich zum Supermarkt fahren und Ohrstöpsel für mich kaufen!«
Kim gab ihm einen Stoß mit dem Ellbogen, kicherte und wandte sich an Hetty. »Hör einfach nicht hin – er tut nur so, wenn ich mal eine halbe Stunde nichts sage, macht er sich Sorgen – er braucht die Dauerberieselung.«
Inzwischen waren sie beim Pickup der beiden angekommen und deponierten Hettys Gepäck auf der Ladefläche. Die Sonne stach gnadenlos herab und Hetty stieg nur zu gerne in das Autoinnere. Ihr Körper musste sich erst einmal an den klimatischen Unterschied gewöhnen und momentan schlauchte ihn die Temperatur im heißen Landesinneren gewaltig. Sie vermutete, dass derzeit ungefähr fünfunddreißig Grad herrschten, doch wenn sie nach den flimmernden Luftspiegelungen über dem Teerbelag des Parkplatzes ging, konnten es auch locker zehn Grad mehr sein.
»Fahren wir erst mal nach Hause«, beschloss Steven, startete den Wagen und schaltete die Klimaanlage, nach einem Blick auf Hettys rotes Gesicht, auf volle Leistung.
Der Linksverkehr in Australien ist die ersten Tage immer etwas gewöhnungsbedürftig. Auch wenn man es sich hundertmal vorsagte, man stand beim Einsteigen grundsätzlich auf der falschen Seite. Als Fahrer sah man dann verdutzt auf die leere Stelle, wo das Lenkrad sein sollte und ging dann peinlich berührt auf die andere Wagenseite. Damit hatte man sich für jeden deutlich erkennbar als Ausländer geoutet und erntete ein wissendes Schmunzeln von den Zuschauern.
Doch als Beifahrer hatte Hetty momentan noch nicht damit zu kämpfen. Da Steven fuhr, konnte sie sich gemütlich zurücklehnen und entspannt aus dem Fenster sehen. Während er den Pickup um den Kreisverkehr steuerte wurde es Hetty wieder einmal bewusst, wie modern Australien inzwischen geworden war. Die Menschen in Deutschland, die glaubten hier unten würde das Leben noch wie im Crocodil Dundee Film ablaufen, irrten gewaltig.
Als sie von ihrer ersten Australienreise zurückgekommen war, hatten die Leute sie nur ungläubig angesehen, als sie erzählt hatte, dass es dort modernere Supermärkte und Städte gab als in Good old Germany, keineswegs Spinnen, Schlangen und Krokodile nur darauf lauerten Touristen zu fressen und auch die Aborigines zum größten Teil in den Städten lebten und nicht im entferntesten daran dachten mit dem Bumerang Känguruhs zu erlegen, sondern sich wie der Otto-Normalverbraucher die Tiefkühllasagne für die Mikrowelle kauften.
Sie grinste in sich hinein. Hier musste sie den Menschen immer erklären, dass in Bayern die Leute nicht mit Lederhose und Dirndlgewand durch die Gegend liefen, Fensterln nur in den alten Filmen vorkam und es Berge auch nur in den Alpen gab. Und dass niemand den ganzen Tag durch die Gegend jodelte und jeden Mittag noch vor zwölf Uhr Weißwurst aß. Auch dass man seiner Liebsten rote Rosen aus dem Blumenladen mitbrachte und keineswegs halsbrecherisch auf irgendeinen Berggipfel kletterte um ein Edelweiß zu pflücken, das ja sowieso unter Naturschutz stand.
Hetty schmunzelte. Die Filmindustrie und zahllose Romane hatten dafür gesorgt, dass über jeden Staat dieser Welt gewisse Vorurteile existierten, die aber rein gar nichts mit der Realität zu tun hatten. Mittlerweile waren Fortschritt und Technik wirklich überall eingekehrt und sogar in der hintersten Mongolei empfingen die Hirten Satellitenfernsehen in ihren Zelten.
Ein kleines Seufzen entrang sich ihrer Brust. Das war eben die Globalisierung und die machte vor keinem Land dieser Welt halt. Allerdings musste sie zugeben, dass es schon bedeutend angenehmer war, jetzt bequem auf dem geteerten Stuart Highway dahinzufahren, als auf einer staubigen Piste von Bodenwelle zu Bodenwelle zu rumpeln.
Steven zeigte auf ein Straßenschild. »Du hat sicher schon davon gehört. Jetzt haben wir auch hier im Northern Territory eine Geschwindigkeitsbegrenzung.«
Hetty nickte. In allen Bundesstaaten Australiens waren nur hundertzehn Stundenkilometer erlaubt, aber im Landesinneren war es bisher immer völlig egal gewesen, mit welchem Tempo man über die Straßen fegte. Vor kurzem war die Höchstgeschwindigkeit allerdings auf hundertdreißig Stundenkilometer eingeschränkt worden.
Kim gab ihren Kommentar dazu ab. »Also meiner Meinung nach reicht das vollkommen aus. Die paar befestigten Straßen die wir haben, sind aufgrund der Witterungseinflüsse oft nicht im allerbesten Zustand. Und sonderlich breit sind sie auch nicht. Doch die Menschen haben sich natürlich über die Beschränkung fürchterlich aufgeregt. Aber der Staat ließ nicht mit sich reden.«
Sie wandte sich an Hetty und grinste. »Stell dir vor, wir hatten sogar monatelang Geschwindigkeitskontrollen!«
Die lächelte zurück. Ja, diese endlosen Geraden mussten ein Paradies für jeden Polizisten mit einer Radarpistole sein. Und dass die Regierung diese Einschränkung aus gutem Grund erlassen hatte, war ihr auch bewusst. Die vor sich hin rostenden Autowracks am Straßenrand gaben einen deutlichen Hinweis darauf, was einem passieren konnte, wenn man von der Straße abkam und auf das aus losem Geröll bestehende Bankett geriet. Links und rechts gab es nur Buschlandschaft, welche hier im Outback aus rotem Sand, Steinen, verschiedenen strohigen Gräsern, vereinzelten höheren Bäumen und niedrigen Büschen bestand. Was logischerweise auch der Grund war, warum die Australier zu dem Busch eben Busch sagten. Da hatte man wirklich ausreichend Platz um sich mit einem außer Kontrolle geratenen Fahrzeug mehrmals zu überschlagen.
Kim schien ihre Gedanken erraten zu haben. »Es passieren zwar relativ wenige Unfälle bei uns, aber wenn, dann gibt es meistens Tote und Schwerverletzte. Schließlich sind die nächsten Krankenhäuser, je nachdem wo du dich gerade aufhältst, oft viele hundert Kilometer vom Unfallort entfernt, was die Überlebensrate drastisch verringert.«
Steven fügte hinzu. »Auch wenn einem hier wirklich alle helfen die vorbeikommen, im Ernstfall dauert es meistens Stunden bis ein Rettungswagen oder Hubschrauber Hilfe bringt. Und der muss dann erst wieder zurück zum Krankenhaus. Vor allem bei schweren Verletzungen kommt dann oft nur noch ein toter Körper an.«
Hetty war schon bei ihrer ersten Camperfahrt vom Vermieter des Fahrzeugs darauf hingewiesen worden dass man, noch aus anderen Gründen, gut daran tat sich in diesem Land nicht als Rennfahrer zu betätigen. Vor allem die Schilder auf denen „straying cattle“ stand, sollte man unbedingt beachten. Denn hier im Busch durften sich die Rinder ohne jegliche Einzäunung bewegen. Also konnte jederzeit eine Kuh auf der Straße stehen, die nicht im geringsten daran dachte wegen des näherkommenden Autos auch nur einen Schritt zur Seite zu machen. Um die Sache etwas abwechslungsreicher zu gestalten, gab es auch noch Känguruhs, Kamele, Emus und sonstiges Getier, die alle nichts lieber taten, als den Autofahrer zu einer Vollbremsung zu zwingen. Wenn man also nicht vorausschauend fuhr oder glaubte, sich schneller als die eigene Reaktionsgeschwindigkeit bewegen zu müssen, war das vorhersehbare Ergebnis ein Zusammenprall mit dem tierischen Kontrahenten. Deshalb besaßen auch alle Autos, die viel im Busch unterwegs waren, große hässliche, aber dafür lebensrettende Stoßfänger. Denn trotz aller Vorsicht konnte man nicht immer rechtzeitig bremsen und vor allem in der Nacht wurden Fahrten lebensgefährlich.
Als Resultat des Aufeinandertreffens von Technik und Natur waren zahlreiche Kadaver von zusammengefahrenen Tieren an den Straßenrändern zu sehen. Der Anblick der, durch die Hitze aufgedunsenen, Körper ist nichts für schwache Gemüter und sorgt dafür, dass die meisten Touristen im ersten Moment davon überzeugt sind, die ganze australische Tierwelt würde über kurz oder lang ausgerottet sein. Und irgendwie ist es auch kein Trost, wenn einem die Einheimischen erklären, dass trotz dieser unnatürlichen Auslese noch mehr als genügend Tiere da sind.
Kim zeigte nach vorne und deutete auf die Straße. »Schau mal Keilschwanzadler.«
Auf der Straße balgten sich fünf der Vögel um den zusammengefahrenen Überrest eines Känguruhs. Die Tiere ähnelten dem deutschen Steinadler, nur dass die Schwanzfedern einen rautenförmigen Keil formten, woher sie auch ihren Namen hatten. Während Steven das Tempo verringerte, um ihnen Zeit zu geben sich flügelschlagend zu entfernen, sinnierte Hetty darüber nach, dass, wie immer im Leben, alles seine zwei Seiten hatte. Was den Menschen deprimierte war für diese Adler eine wunderbare angenehme Art der Futterbeschaffung geworden. Statt wie früher mühselig Jagd auf lebende Beute zu machen, kreisten die Tiere nun einfach stundenlang im Aufwind und warteten auf den nächsten Zusammenstoß um anschließend in aller Ruhe die Reste zu verwerten. Vom Adlerstandpunkt aus war die Mechanisierung eine richtig tolle Sache.
Hetty war ins Träumen gekommen, das monotone Brummen des Motors und der doch nicht so ganz erholsame Schlaf im Flugzeug hatten dafür gesorgt, dass ihr die Augen zufielen.
Der Übergang von der Teerstraße zum Waschbrettweg zu Kim und Stevens Minifarm weckte sie allerdings gründlich auf.
Jeder der schon einmal vom Offroadfahren geträumt hat, sollte ganz einfach zuhause mit fünfzig Stundenkilometer in ein tiefes Schlagloch fahren, um eine kleine Vorstellung davon zu bekommen, welche angenehmen Schmerzsignale die Rückenwirbel zum Gehirn senden, wenn man eine Piste mit einer unangemessenen Geschwindigkeit befährt.
Da Steven natürlich nicht die geringste Lust auf dauerhafte Bandscheibenschäden hatte, zuckelte er im gemächlichen Tempo auf das Farmhaus zu, das glücklicherweise nicht allzu weit entfernt von der Hauptstraße lag.
Trotzdem fühlte sich Hetty beim Aussteigen wie nach einer Ganzkörpermassage – allerdings keiner sonderlich angenehmen.
Während sie sich streckte, musterte sie das Haus von ihren Gastgebern, das auf einem kleinen gerodeten sandigen Areal stand und von hohen Eukalyptusbäumen umringt war. Es war größer als sie bei der Bezeichnung „Minifarm“ vermutet hatte und in der früher üblichen australischen Bauweise errichtet. Über ein paar Holzstufen trat man auf eine überdachte Veranda die das komplette Gebäude umgab und durch Holzsteher gestützt wurde. Der weißgestrichene, quadratische zweistöckige Holzbau war mit einem fahlgrünen Blechdach eingedeckt und ohne jegliche Schnörkel gestaltet.
Alle Fenster und Türen waren mit den obligaten Fliegengittern ausgestattet, die hier im Outback ein unbedingtes Muss waren. Sogar im Ausland wussten die Leute, dass es auf diesem Kontinent Fliegen gab. Viele Fliegen! Sehr viele Fliegen! Und die wollte man nicht im Haus haben, es genügte schon wenn man außerhalb der vier Wände alle paar Sekunden den australischen Gruß anbrachte. Als Hetty diese Bezeichnung das erste Mal hörte, hatte es eine Weile gedauert, bis ihr aufging, dass damit das automatische Handwedeln gemeint war, welches man einsetzte, um die Fliegen vom Gesicht zu verscheuchen.
Touristen, die nur kurz ins Land kamen, kauften sich zum Vergnügen der Einwohner oft Sonnenhüte, die mit Korken an Schüren oder Netzen ausgestattet waren, um die Fliegen abzuhalten. Damit sah man dann aus wie ein Trottel und wurde auch als solcher eingestuft. Die Verkäufer in den Andenkenläden rieben sich bei diesem Anblick freudestrahlend die Hände, denn wer so etwas trug, dem konnte man auch jeden anderen Unsinn aufs Auge drücken.
Hetty hatte bereits bei ihrem ersten Besuch in diesem Land den Rat berücksichtigt, der ihr von den Einheimischen in Sachen Fliegenplage gegeben worden war: Ignoriere sie oder verscheuche sie! Also ließ sie Fliegen Fliegen sein und wedelte nur mit der Hand, wenn die Biester glaubten, sie müssten sich auf ihren Lippen niederlassen. Denn schließlich redete sie nicht gerade wenig und hatte keinen Appetit auf chitinhaltige Nahrung.
Während Steven Hettys Gepäck auslud wandte sich Kim an Hetty. »Jetzt zeige ich dir erst mal das Haus und dein Zimmer.«
Sie traten durch die Haustüre direkt in den Wohnbereich ein, denn im Gegensatz zu deutschen Häusern gab es keinen Windfang. Allerdings war der zuhause eben dafür vorgesehen eine Barriere gegen die Kälte zu bilden und da es hier, wie in allen südlichen Ländern, meistens warm war, sparte man sich dieses überflüssige Bauelement. Das Wohnzimmer war im Landhausstil eingerichtet und ging in eine große moderne Küche mit freistehendem Herd über.
Kim deutete auf einen kleinen Flur der angrenzte. »Da hinten befinden sich die Arbeitsräume von Steven und ein Gästeklo.«
Über eine weißgestrichene Holztreppe führte der Weg nach oben, wo die Schlafräume und das Badezimmer untergebracht waren.
Ihre Gastgeberin öffnete die Türe zu einem der Räume und meinte lächelnd. »So, das ist dein Zimmer und hier gegenüber findest du das Bad. Fühle dich wie zuhause. Ich lasse dich jetzt in Ruhe auspacken und wenn du dich frisch gemacht hast, unterhalten wir uns unten am Pool weiter.«
»Ihr habt einen Pool?« Hetty war verblüfft. »Wo kriegt ihr denn das Wasser her?«
»Wir haben einen eigenen Brunnen, der aus dem artesischem Becken gespeist wird. Du hast doch sicher schon mal gehört, dass unter Australien in den porösen Gesteinsschichten Wasser vorhanden ist. Man muss einfach nur tief genug bohren, damit man es erreicht. Ein ehemaliger Studienkollege von Steven arbeitet bei einer Brunnenbohrfirma und die beiden haben einen Deal gemacht: Ein Monat Urlaub bei uns mit allem Drum und Dran – also Ausflügen zum Ayers Rock, Kings Canyon und den ganzen Schluchten in den MacDonnell-Ranges. Und dafür ist er dann mit einem Riesenanhänger voller Bohrausrüstung bei uns angelandet und hat gebohrt. Jetzt haben wir mehr als genug Wasser!«
»Und ich dachte immer, hier ist es nur knochentrocken.«
»Ja das meinen viele – aber es regnet hin und wieder ganz gewaltig und dann ist hier kurzzeitig Land unter. Und hinterher blüht dann das Outback, das kannst du dir nicht vorstellen – überall Millionen von Wildblumen. Sogar die ganzen Büsche und Bäume tragen dann Blüten, das ist ein Anblick den du nie wieder vergisst! Aber wir reden besser später weiter – ich verzieh mich jetzt und wenn du soweit bist komm runter - wir warten am Pool auf dich.«
Hetty sah sich um. Das Zimmer war klein, aber sehr gemütlich eingerichtet. Auf dem Bett mit Holzrahmen lag eine kunterbunte Patchwork-Tagesdecke und gegenüber standen ein Schrank und eine Spiegelkommode mit Hocker. An den Wänden hingen Aquarelle, die das australische Outback darstellten und den Ayers-Rock. Der Blick aus dem Fenster zeigte einen schattenspendenden Baum, dessen in langen Streifen abblätternde Rinde ihn deutlich als Eukalyptus auswies.
Sie wuchtete ihren Koffer und den Rucksack auf das Bett und machte sich ans Auspacken. Da sie immer systematisch einpackte, konnte sie mit ein paar Griffen ihre Sachen in den Schrank räumen, ganz abgesehen davon, dass die Gewichtsbeschränkung bei Flugreisen sowieso nicht viele Habseligkeiten zugelassen hatte. Aber das Wichtigste war dabei und mit dem Badeanzug in der Hand und der Kosmetiktasche unter dem Arm ging sie ins Bad.
Eine Generalrenovierung war dringend notwendig. Hetty hatte zwar beim Zwischenstopp in Singapur ihre Zähne geputzt und Katzenwäsche gehalten, aber inzwischen das sichere Gefühl bekommen, sie hätte etwas Totes im Mund. Und einmal mit der Bürste durch die Haare zu fahren, würde auch nicht schaden, was ihr ein Blick in den Spiegel bestätigte. Die lange Anreise hatte ihre Spuren hinterlassen und momentan sah sie sogar in ihrem eigentlich faltenfreien Gesicht erste Anzeichen, dass sie doch nicht mehr die Jüngste war.
Sie musterte ihr Alter Ego. An und für sich war sie ganz zufrieden mit ihrem Aussehen. Die hellbraunen halblangen Haare, die sie als Pagenkopf geschnitten trug, würden in der Sonne bald blonder werden, die grünen Augen glänzten trotz Übermüdung und der Rest war guter Durchschnitt. Nichts Großartiges, aber sie musste schließlich auch keine Schönheitskonkurrenz gewinnen. Und mit ihrer Figur konnte sie auch leben. Zur Zeit hatte sie zwar ein paar Pfunde zu viel auf den Rippen, aber die würden bei entsprechender Bewegung bald wieder weg sein. Abgesehen davon war sie ja nicht ausgezogen um ihren Traumprinz zu finden, sondern dieses Land zu erkunden. Und um nicht immer alleine ins Bett gehen zu müssen reichte es allemal. Kopfschüttelnd riss sie sich von ihrem Spiegelbild los. Immer diese ausufernden Gedankengänge. Jetzt wurde es aber wirklich Zeit endlich aus den Pötten zu kommen. Schnell schlüpfte sie in ihren Badeanzug und machte sich auf die Suche nach dem Pool.
Den zu finden war nicht schwierig – sie brauchte nur dem Lachen von Kim zu folgen. Die aalte sich auf einer im Becken eingelassenen Sitzbank und schaute ihrem Mann zu, der sich mit dem Anheizen des Grills abplagte.
»Hetty komm rein und nimm dir vorher aus dem Kühlschrank etwas zu trinken mit, die Gläser sind im Hängeschränkchen darüber. Wir haben einen superguten Rotwein.«
Die Gläser entpuppten sich als äußerst stabile Viertelliter-Wassergläser aus Plastik, der Rotwein befand sich im üblichen Zwei-Liter-Karton mit Ausgussvorrichtung. Wer glaubte dass die Qualität dieses Weines deshalb nur von volltrunkenen Pennern akzeptiert werden konnte, täuschte sich gewaltig. Da es im australischen Outback nach wie vor mehr Sandpisten als Teerstraßen gab, hätten Glasflaschen nur eine bedingte Lebensdauer gehabt. Ganz abgesehen davon, dass es dem Wein selbst ziemlich egal war, ob er in einer Flasche oder einem Plastikkarton darauf wartete getrunken zu werden.
Soviel Hetty aus der Aufschrift erkennen konnte, war das hier ein hervorragender Shiraz, ihre Lieblingssorte. Ein angenehm trockener Wein mit harmlosen vierzehn Prozent Alkoholgehalt, welche alleine schon für einen guten Geschmack sorgten. Und australische Weine brauchten den Vergleich, mit den in Europa gekelterten, wirklich nicht zu scheuen. Inzwischen produzierte das Land eine große Menge an hochwertigen Rot- und Weißweinen für den Export und auch in Deutschland konnte man problemlos preisgünstige oder auch Spitzenweine erwerben. Was sie nach ihrem ersten Aufenthalt auch des Öfteren getan hatte.
»Der Supermarkt wird inzwischen pleite gegangen sein, weil du nicht mehr Kundschaft bist.« Aha! Dieser Einwurf aus der als Sarkasmus bezeichneten Zone ihres Gehirns zeigte, dass inzwischen anscheinend auch der Rest von ihr angekommen war.
Hetty lächelte und zuckte mit den Schultern. Für was hatte ihr die Evolution eine gut funktionierende Leber gegeben, wenn sie ihr nichts zum arbeiten lieferte. Und Arbeit hatte noch niemanden geschadet!
Das Stöhnen, das ihr Verstand bei dieser Bemerkung von sich gab, verhallte ungehört. Schließlich lockte der Pool, und eine Abkühlung nach der langen Reise war genau das, was sie jetzt brauchte.
Kim erklärte »Du kannst nur hier in der Barzone stehen und sitzen, der Rest vom Becken ist 1.80 Meter tief.«
Hetty testete kurz die Wassertemperatur – schön lauwarm, also für ihre Bedürfnisse genau richtig und ließ sich in das Wasser plumpsen. Prustend paddelte sie die paar Meter zu Kim an die Poolbar. Auch wenn die zehn auf fünf Meter große Wasserfläche nicht zum Langstreckenschwimmen einlud, erfrischend war der Aufenthalt hier drin allemal.
»Also wir haben dir doch geschrieben, dass wir einige Camper zum Angucken hätten, morgen schläfst du dich erst mal aus und am Nachmittag fahren wir dann zu Paul, Stevens Cousin, der hat momentan zwei Camper in seiner Werkstatt stehen und weiß sicher noch ein paar andere, die du dir anschauen kannst. Was hältst du von dem Plan?« Kim sah Hetty, die sich neben ihr genussvoll im Wasser räkelte, fragend an.
»Das finde ich prima – hoffentlich ist der Richtige für mich dabei.«
»Paul hat normalerweise immer sehr gut ausgestattete Fahrzeuge – lassen wir uns mal überraschen!«
»He, Mädels,« Steven wedelte mit der Grillgabel. »Das Essen wäre soweit, kommt ihr?«