Читать книгу Die Mulgacamper Romane Band 5 und 6 - Elda Drake - Страница 4

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Kapitel 1

Verzweifelt versuchte Hetty sich festzukrallen, doch ihre suchenden Fingerspitzen fanden auf der spiegelglatten Glasscheibe einfach keinen Halt. Panikerfüllt dachte sie daran, dass es unter ihr hundertfünfzig Meter ohne Zwischenstopp Richtung Erdboden ging. Und Luft hatte bekanntlich keine Balken.

Ihr gequältes Aufstöhnen wurde durch ein laut schallendes Gelächter überlagert, dass an ihre Ohren drang. Die anderen standen einfach nur da und sahen zu, wie sie um ihr Leben kämpfte. Keiner rührte auch nur eine Hand, um ihr zu helfen, stattdessen amüsierten sich alle königlich über ihre Todesangst. Hetty hätte nie geglaubt, dass sich so nette und sympathische Menschen in Sekundenschnelle in gefühllose Monster verwandeln konnten. Noch vor fünf Minuten waren sie alle ein Herz und eine Seele gewesen und nun? Sie hätte nie an dieser Tour teilnehmen sollen, jetzt musste sie für ihren Fehler teuer bezahlen.

»Nun hört doch mal auf, zu lachen!« Aber sogar der blonde braungebrannte Gruppenleiter musste hart an sich arbeiten, um sein Grinsen in den Griff zu bekommen, als er sich neben ihr niederkniete. »Komm, ich helfe dir runter.«

Hetty konnte ihm keine Antwort geben, denn sie brauchte alle Kräfte, die sie hatte, um sich festzuhalten.

»So, nun mach einfach mal deine Augen zu und stell dir vor, du liegst auf einer Wiese.«

Hetty bemühte sich der Anweisung, die ihr der Führer mit beruhigender Stimme gab, zu folgen – ja Gras, schönes grünes Gras und vor allem fester Untergrund!

»Gut, so und nun lässt du die Augen zu und kniest dich auf alle Viere hin und denk immer daran, du bist auf einer grünen Wiese!«

Hetty versuchte ihre verkrampften Glieder hochzuzwingen und schaffte es schließlich, sich vom Boden zu lösen. Dabei zitterten ihre Knie und Ellbogen wie eine Nähmaschine und sie kam sich vor, wie auf der Rüttelplatte einer Straßenbaumaschine. Aber wie hatte er gesagt – es war ja eine Wiese. Also dachte sie Wiese, Wiese, Wiese!

»Jawohl, und immer die Augen geschlossen halten! Jetzt helfe ich dir auf und du hältst dich an meiner Hand fest.« Der Mann hatte wirklich den totalen Überblick und blieb auch in dieser Extremsituation ruhig und gelassen.

»Und nun machst du einen Schritt und noch einen Schritt und noch einen Schritt.« Während er mit beruhigendem Tonfall auf sie einredete, führte er Hetty langsam von der Stelle weg, auf der sie gelegen hatte.

Als sie, nach einer halben Ewigkeit, an der Sicherheit gebenden Fahrstuhltüre angekommen war, durfte sie ihre Augen wieder öffnen. Die Gefahr war vorbei. Hetty bekam langsam wieder Luft, ihr Herzschlag beruhigte sich und auch der Verstand kehrte zurück.

Die anderen Teilnehmer der Führung sahen sie abwartend an und versuchten vergeblich, nicht erneut laut loszulachen. Als Hetty zu der Plattform hinüberschaute, auf der sie gelegen hatte, konnte sie ein Schaudern nicht mehr unterdrücken. Das war der pure Wahnsinn gewesen!

Der Guide klopfte ihr tröstend auf die Schulter. »Tja, also eines hast du uns allen bewiesen, du bist mit Sicherheit nicht schwindelfrei.« Doch dann konnte auch er ein belustigtes Grinsen nicht mehr unterdrücken und seine strahlend weißen Zähne blitzten auf.

Hetty musterte die OZ-Track Truppe die, in blauer Montur mit gelbem Bergsteigergeschirr, neben dem Aufzug stand und sich vor Lachen bog. Ja, ja, selber schuld. Sie Riesentrottel musste unbedingt an der neuen Attraktion des Sydney Towers teilnehmen und hätte eigentlich im Prospekt lesen können, dass es dabei von Vorteil sein würde, keine Höhenangst zu haben.

Aber nein, sie hatte schon einige Male beim Besuch der Besucherplattform gesehen, wie die Gruppen in ihren Overalls unter Führung eines gutgelaunten Guides sich zur Außenbesichtigung des Towers aufgemacht hatten. Und da hatte sie sich gedacht – jetzt im Nachhinein betrachtet hatte sie ja wohl eher nicht gedacht – da könnte sie auch mal mitmachen.

Und alles war ganz gut gegangen, bis sie sich auch unbedingt auf die Glasscheibe stellen musste, die so angebracht war, dass man von da aus direkt nach unten schauen konnte. Natürlich war alles völlig sicher, auf dem dicken Panzerglas hätten zehn Elefanten steppen können und es hätte gehalten. Und über das mannshohe Geländer wäre nur ein äußerst gelenkiger Affe gekommen. Abgesehen davon, dass man sowieso mit zwei Karabinerhaken an einem Sicherheitsseil angehängt war. Die einzige Möglichkeit von dieser Plattform runterzufallen, hätte darin bestanden, dass der ganze Turm umfiel und das war eigentlich relativ unwahrscheinlich.

Dieses Wissen hatte Hetty dann allerdings keine Zehntelsekunde davon abgehalten, sich flach auf den Boden zu werfen und den Versuch zu starten sich, wie ein Gecko, an der Glasscheibe festzuhalten.

Doch die Führung war nun sowieso beendet und die lachende Meute leistete ihr zum Trost an der Bar Gesellschaft.

Da es heute seine letzte Tour war, konnte sich auch der Führungsleiter mit dazu setzen. Er spendierte Hetty einen Rotwein und lächelte vergnügt. »Weißt du, das gibt eine schöne Story für die nächsten Wochen.« Dabei legte er den Arm um ihre Schulter und drückte sie kurz an sich.

»Den würden wir auch nicht von der Bettkante schubsen.« Tja, da musste sie ihrer Hormongruppe recht geben, der war auch ohne Uniform ein hübsches Kerlchen. Allerdings hatte sie bereits den Ehering gesehen und dementsprechend auch die Knuddelei als rein freundschaftlich verstanden. Und so war sie natürlich auch gemeint.

Denn hier, in Australien, war plumpe Anmache nur in gewissen Kneipen üblich, ansonsten waren die Herren äußerst gut erzogen. Man konnte sich mit den meisten einfach nur gut unterhalten, ohne dass sie sofort versuchten einen abzuschleppen. Hetty grinste in sich hinein. Außer man schleppte selber! Allerdings schlug sie in dieser Hinsicht nicht zu sehr über die Stränge, denn Beziehungen, gleich welcher Art, waren nur hinderlich für einen überzeugten Single.

Abgesehen davon war sie ja sowieso die meiste Zeit in Begleitung unterwegs. Denn damit sie sich ihren Traum vom Reisen durch ganz Australien auf die Dauer finanzieren konnte, nahm sie in ihrem Camper gegen einen entsprechenden Obolus weibliche Mitreisende mit, die sie ein Stückchen des Wegs begleiteten.

Normalerweise wäre sie auch jetzt mit ihrem Fahrzeug auf Tour gewesen, aber die Kiste hatte plötzlich Mucken gemacht. Also hatte sie Paul, einen umwerfend gut aussehenden blonden Automechaniker und Spezialist für Camperumbauten angerufen, der normalerweise ihr Fahrzeug betreute. »Ich bin kurz vor Sydney und die Kupplung macht Probleme. Was soll ich tun?«

Paul hatte sich ihren Bericht in Ruhe angehört. »Bis zu mir nach Alice hält das Teil sicher nicht mehr durch. Ich rufe Kurt an und gebe ihm Bescheid. Der soll sich um dich kümmern.«

Da sein Freund Kurt derjenige gewesen war, der ihr, in seinem Auftrag, diesen tollen Camper für wenig Geld besorgt hatte, wusste Hetty, dass sie hier gut aufgehoben war. Bald darauf traf sie in dessen Werkstatt ein und übergab ihm den Schlüssel für ihr Fahrzeug. Paul hatte ihn bereits informiert und gesagt, er sollte bei dieser Gelegenheit doch gleich den kompletten Wagen durchchecken.

An und für sich hatte sie sich gedacht, sie könnte während der Reparatur bei Kurt im Haus wohnen, doch der erklärte ihr mit einem leidvollem Blick. »Meine Hütte ist derzeit voll bis unter den Dachboden. Ich habe Verwandte zu Besuch und kann dir noch nicht mal einen Platz auf der Couch anbieten. Ehrlich gesagt, wärst mir du als Gast tausendmal lieber, aber du weißt ja, Freunde kann man sich aussuchen – Verwandtschaft nicht.«

Nachdem sie ihm tröstend auf die Schulter geklopft hatte, rief sie bei Dolly der Vorbesitzerin ihres Campers an, die hier in Sydney in einem wunderschönen Chateau lebte. Ihr Beziehung hatte sich von Kunde – Verkäufer in kurzer Zeit zu einer guten Freundschaft entwickelt und immer wenn sie in die Stadt kam, schaute sie auf einen Sprung bei ihr vorbei. Doch statt Dollys gutgelaunter Stimme hatte sie das Hausmädchen am Apparat, das ihr freundlich, aber bedauernd, mitteilte, die nächsten Monate wäre hier nichts zu holen, denn Dolly befände sich mit ihrer Tochter auf einer Europareise.

Na, da traf ja wieder mal alles gleichzeitig zusammen. Während Hetty leicht frustriert überlegte, ob sie sich in der Zwischenzeit in ein Hostel einmieten sollte, läutete ihr Handy und Chrissie meldete sich mit fröhlicher Stimme.

Nachdem ihr Hetty von ihrem Dilemma berichtet hatte, wusste die sofort eine Lösung. »Kai hat doch ein Appartement in Kirribilli, ich gebe dem Pförtner Bescheid, dass er dir den Zweitschlüssel gibt.«

»Spinnst du? Ich kann doch nicht einfach bei Kai einziehen.« Hetty schüttelte den Kopf. Das half zumindest ihr, auch wenn es Chrissie nicht sehen konnte.

»Was hast du denn? Wir alle benutzen die Wohnung, wenn wir in Sydney sind und sie steht sowieso die meiste Zeit leer. Er hat bestimmt nichts dagegen, dass du dich dort vorübergehend einnistet. Abgesehen davon, ist er momentan im Ausland und wird nicht einmal bemerken, dass du da warst.«

Der letzte Satz gab für Hetty den Ausschlag, dieses Angebot doch anzunehmen, denn er stellte sicher, dass sich ihre und Kais Wege dieses Mal nicht kreuzen würden. Denn eines stand ganz oben auf ihrer „Not to do Liste“ und das war Kai auch noch absichtlich über den Weg zu laufen. Ihr genügten schon die zufälligen Zusammentreffen, die sich in letzter Zeit gehäuft hatten.

Allerdings konnte sie ihrer Freundin zwar viel erzählen, aber sicher nicht, dass sie dem Ziehsohn ihres Vaters und ihrem gemeinsamen Lebensretter bewusst aus dem Weg ging und sie sich, nach ihrer letzten Begegnung, geschworen hatte, ihn am besten nie wieder zu sehen, immer brav nach der Devise „Aus dem Augen aus dem Sinn!“

Die Sarkasmusabteilung ihres Gehirns schüttelte den Kopf und meinte zu den anderen Parteien, die genauso verdutzt dreinsahen. »Hatte ich eine kurzzeitige Amnesie und der schwarzhaarige Typ, mit strahlend blauen Augen, an den sie dauernd denkt, ist gar nicht Kai?«

Hetty seufzte auf. Das mit dem Nicht-dran-denken musste sie noch etwas besser in den Griff bekommen, aber sie machte Fortschritte und wenn sie ihn nie wieder sah, würde sie die letzten Nachwehen sicher bald überstanden haben.

Doch jetzt musste sie erst ihr neues Quartier beziehen und dazu war eine kurze Fahrt mit der Fähre, vom Circular Quay, auf die andere Seite der Harbour Bridge nach Kirribilli nötig. Ein schneller Blick auf die Karte hatte gezeigt, dass diese Anlegestelle eindeutig näher an ihrem neuen Schlafdomizil lag, als Milton neben dem Luna Park.

Der Pendelverkehr hin und zurück fand laut Zeitplan wochentags alle zwanzig Minuten statt, was bedeutete, dass sie völlig unabhängig agieren konnte, denn somit war der zentrale Verkehrsknotenpunkt Sydneys nur einen Katzensprung weit entfernt.

Und als sie das moderne, teuer wirkende Wohngebäude betrat und an der Rezeption im Eingangsbereich nach dem Schlüssel fragte, war sie inzwischen schon überzeugt, dass diese Alternative gar nicht so ohne war. Zwangsgedrungen nahm sie den, mit viel Spiegel und Edelstahl ausgestatteten Aufzug, denn auch wenn sie kein Freund von engen Räumen war, die Frage des Pförtners, ob sie ihre Reisetasche wirklich bis ganz oben schleppen wollte, hatte sie zögern lassen.

Nach seiner Aussage befand sich das Appartement im Dachgeschoss und anscheinend war außer ihr noch nie jemand durch das Treppenhaus gegangen. Sein entsetzter Blick bei diesem Ansinnen hatte in ihr die Überlegung hervorgerufen, ob dort vielleicht irgendwelche unbekannte Gefahren lauerten.

Als sie allerdings mit angespannten Wangenmuskeln im Aufzug stand und der leise dudelnden Musik zuhörte, war sie sich nicht sicher, ob fünf Stockwerke erspartes Treppensteigen, wirklich einen frühen Tod wert waren. Erleichtert hörte sie das leise Zischen als sich der Aufzug, wider Erwarten, bequemte seinen Dienst wunschgemäß zu versehen und die Türen öffnete.

»Braver Aufzug!« Hetty war überzeugt davon, dass auch Elektronik eine Seele hatte und ein Lob hatte noch nie geschadet.

Sie lächelte vor sich hin, als sie auf die einzig sichtbare Wohnungstüre des Stockwerks zuging. In ihrem früheren Berufsleben hatte sie ihrem Computer immer erklärt, wenn er nicht spurte, würde er upgedatet. Das hatte noch jedes Mal geholfen und sie hatte diese Methode auch erfolgreich bei störrischen Kopierern und Druckern angewandt.

Auch der Zimmerschlüssel machte keine Mucken, was sie nach dem funktionierenden Aufzug schon nicht mehr verwunderte. Australische Türschlösser waren ihr an und für sich ein Greuel. Anscheinend musste man in diesem Land geboren sein, um ein inneres Verständnis für deren Bedienung zu entwickeln. Aber diese Dinger nannte jedes vom britischen Empire bevölkerte Land sein eigen und wenn sich vielleicht noch dreiundzwanzig Millionen Australier täuschten – ganz Amerika konnte nicht irren.

Doch nachdem sie die Türe aufgeschlossen hatte, waren diese Gedanken alle wie weggewischt und sie stand erst einmal ziemlich sprachlos da und sah sich mit großen Augen um. Wow! Das Ding war ja riesig. Und erstaunlicherweise äußerst behaglich eingerichtet. Sie runzelte die Stirn. Eigentlich gar nicht so erstaunlich. Auch wenn Kai wirkte, als wenn er in schwarzem Marmor und Stahl leben könnte, bevorzugte er doch eher eine entspannte Lebensweise.

Allerdings zeigte ihr dieses Appartement erneut wie viel Geld bei ihm vorhanden war. Alleine dieses Teil hier musste einen siebenstelligen Betrag wert sein. Und damit meinte sie die Zahlen vor dem Komma. Da waren erstklassige Innenarchitekten am Werk gewesen, die tatsächlich wussten, wie man ein gepflegtes Ambiente gestaltete, ohne den Wohlfühlaspekt außen vor zu lassen. Und das Wohnzimmer besaß vermutlich einen der schönsten Ausblicke, die in Sydney zu finden waren, denn durch die, bis zum Boden reichenden, leicht getönten und nach außen hin blickdichten Scheiben, sah man gleichzeitig die Oper und die Harbour Bridge.

In Hettys Kopf begann eine Rechenmaschine anzulaufen. Was hatte doch Chrissie damals, bei ihrem Bericht, von sich gegeben, als sie ihr von Kais Werdegang erzählte. »Mein Vater hat sich nach dem Unfalltod von seinen Eltern um ihn gekümmert, schließlich war er da erst sechzehn Jahr alt. Geldsorgen brauchte er sich allerdings keine machen, da war genügend vorhanden.«

Wenn das nicht die Untertreibung des Jahrhunderts gewesen war. Aber das kommt davon, wenn jemand, der selber nicht mal eine Ahnung hat wie viele Millionen er besitzt, über Geld redet.

Hetty schüttelte den Kopf. Sie selbst wusste immer ihren Kontostand.

»Ist auch ganz einfach, bei den paar Kröten, die wir haben.« Die Sarkasmusabteilung gab einen Kommentar ab.

Tja, was sollte sie dazu sagen? Stimmte ja, aber sie war trotzdem glücklich. Wer brauchte schon Geld? Sie grinste und ließ sich auf die ausufernde Couchlandschaft fallen. Vor allem wenn man eine Freundin hatte, die so eine Art Bruder hatte und die beide in der Kohle schwammen. Da konnte man netterweise mal ein Päuschen vom Camperleben machen und wie die Made im Speck leben. Die nächsten Wochen würde sie auf alle Fälle voll und ganz genießen. Denn in dieser Bude konnte man sich nur von ganzem Herzen wohlfühlen.

Nachdem sie die vier Schlafräume, zu denen jeweils ein großzügig bemessenes Bad gehörte, besichtigt hatte, wählte sie ein Zimmer für sich aus. Eines war ganz eindeutig als Kais Domizil erkennbar gewesen. Zwar hatte seine Vorliebe für schwarze Farbe sich nicht auf sein Appartement oder die Bettwäsche erstreckt, aber ein großer Schrank war mit einem Sortiment aus schwarzen Kleidungsstücken gefüllt. Schnell schloss sie die Türen wieder, in fremden Sachen rumzustöbern, lag ihr ganz und gar nicht. Auch wenn sie von Grund auf neugierig veranlagt war, die Privatsphäre von anderen Leuten hatte sie noch nie interessiert.

Die anderen beiden Zimmer wurden, so wie es aussah, vermutlich von Chrissie und ihrem Vater benutzt, nur im letzten Raum schlug ihr beim Öffnen der Schranktüre gähnende Leere entgegen. Wobei man nach ihrem Einzug auch nicht gerade von einer Fülle reden konnte, wenn man die paar Teile sah, die von ihrer Reisetasche in den Schrank gewandert waren.

Tja, das war der Nachteil oder eher der Vorteil eines Camperlebens: Wenig Platz – wenig Besitz. Was ja zu ihr passte, denn Besitz verpflichtete und sie mochte keine Verpflichtungen. Da es auf jedem Campingplatz Waschmaschinen und Trockner gab, bestand ihre Ausstattung in der Hauptsache aus T-Shirts, Hosen und Unterwäsche für zwei Wochen. Dazu noch Schuhe, Jacke, Jogginganzüge und ein, zwei Teile für bessere Gelegenheiten. Recht viel mehr an Garderobe war nicht vorhanden. Die hing jetzt reichlich verloren in dem großen Schrank und da half es auch nicht, wenn sie die Kleiderbügel etwas auseinander schob.

»Zumindest kann mir keiner nachsagen, dass ich zu viel shoppe!« Hetty schloss die Türen und fuhr mit der Observation des Appartements fort.

Es gab eine halboffene Küche mit freistehendem Herd, der natürlich mit Barbecuegrill und einer Riesendunstabzugshaube ausgestattet war. Dazu einen amerikanischen Kühlschrank, mit einer Front aus Edelstahl, der allerdings momentan auch nicht mehr Füllung aufwies, als Hettys Kleiderschrank.

Sie inspizierte die Vorratskammer. Hah! Um Rotwein brauchte sie sich nicht zu kümmern. Hier war genügend eingelagert. War ja auch kein Wunder, denn Kai trank, genauso wie sie, gerne einen guten Tropfen. Doch als sie die Flaschen näher begutachtete, beschloss sie lieber die Finger davon zu lassen. Hetty hatte die leise Ahnung, dass sie es sich mit ihrem schmalen Budget nicht leisten konnte, diesen Vorrat wieder aufzufüllen. Denn die Etiketten des Weinhändlers wiesen daraufhin, dass hier eine Flasche wohl soviel kostete, wie bei ihr ein ganzer Monatsvorrat. Und sie gehörte beileibe nicht der Fraktion an, die für ein alkoholfreies Leben plädierte.

Hetty trank gerne, und wie sie Ärzten gegenüber auf Nachfrage meistens antwortete. »Unmäßig, aber regelmäßig.«

Das rief meistens Heiterkeit hervor, wobei keiner dieser Doktoren, nach Sichtung ihrer einwandfreien Blut- und Leberwerte, glaubte, dass diese Aussage voll der Wahrheit entsprach. Allerdings hatte sie auch eine sehr große Alkoholtoleranz und daher keinerlei Schwierigkeiten damit, noch in aller Seelenruhe auf dem Stuhl zu sitzen, wenn ihre Trinkpartner bereits unter dem Tisch lagen.

Das ließ also nur die Schlussfolgerung zu, sie würde wie üblich beim Shiraz in der zwei Liter Kartonage bleiben, die bessere Sorte, die war erschwinglich und von recht guter Qualität. Ganz abgesehen davon, dass sie Kai erst hätte fragen wollen, ob sie seinen Wein trinken durfte. Hetty seufzte. Bevor sie sich das antat, würde sie lieber Antialkoholikerin werden. Sie hatte sich geschworen, jeden Kontakt zu diesem Mann zu vermeiden und das würde sie auch einhalten.

»Ganz abgesehen davon, dass du keine Telefonnummer von ihm hast und ihn eh nicht anrufen könntest.«

Zum Abschluss ihrer Besichtigung begutachtete sie noch in aller Ruhe die Gemälde, die an den Wandflächen hingen. Soviel sie erkennen konnte, waren das alles Originale, allerdings keine von den herkömmlichen Kunstgrößen Europas oder Amerikas, sondern Werke von australischen Künstlern. Und Kai hatte sie vermutlich erstanden, da sie ihm gefielen und nicht deswegen, weil die Maler einen großen Namen hatten. Es war ein buntes Stilgemisch von abstrakten Acrylbildern über Aquarelle, bis hin zu Pastell- und Kreidezeichnungen.

Hetty musste zugeben, dass er eine gute Auswahl getroffen hatte. In der Richtung kannte sie sich relativ gut aus, denn ein Freund von ihr, der nach wie vor in Deutschland residierte, war ebenfalls Maler. Durch ihn war sie in den Genuss von zahlreichen Einladungen zu Vernissagen gekommen und hatte etliche namhafte Künstler kennengelernt. Seitdem konnte sie auch sehr wohl zwischen guter und schlechter Malerei entscheiden. Und so wie es aussah, wusste Kai auch ganz genau, was er da gekauft hatte. Sie zuckte mit den Schultern. Bei dem Lebenshintergrund hatte er Stil und Geschmack wohl schon mit dem Babylöffel eingetrichtert bekommen.

In einem Sideboard eingebaut fand sie die Musikanlage. Die zugehörigen Boxen entdeckte sie erst bei einem kurzen Testlauf. Die kleinen Bang Olufson Speaker sah man eben nicht auf den ersten Blick. Sie schüttelte den Kopf. „Mann“ gönnte sich ja sonst nichts. Na, bei dem Interieur kam es auf ein paar Tausender mehr oder weniger wohl auch nicht mehr an. Dafür hatte er bei den CDs gespart.

Statt einer kilometerlangen Sammlung, wie sie die meisten Männer, die sie kannte, bevorzugten, stand nur eine kleine Reihe im Regal. Die ging dann allerdings querbeet durch alle Musikrichtungen. Sie lächelte, als sie die Titel ablas. Bei ihrer Bootsfahrt im Kakadu hatte er erzählt, dass er mit seiner Mutter immer in die Operette gehen musste und seitdem auch dieser Variante etwas abgewinnen konnte. Deswegen standen hier auch ein paar klassische Musikstücke neben ACDC und einigen modernen australischen Bands.

Ihr suchender Blick stellte fest, dass es keine DVD-Sammlung gab. Na ja, bei seinem Lebenswandel brauchte er sicher keine Ablenkung durch Actionfilme. Denn Abenteuer erlebte er mit seiner Sicherheitsfirma wirklich genug. Ganz abgesehen davon, dass er früher bei der Navy mit seinen drei Militärkumpeln Tim, Hashimoto und Nat äußerst diffizile Aufträgen erledigt hatte. Über die Details wurde zwar nicht gesprochen, doch jeder konnte sich vorstellen, dass sie wahrscheinlich nicht nur zum Brötchen holen, fürs Frühstück des obersten Generals, geschickt worden waren.

Nachdem sie noch eine kurze Einkaufstour gemacht hatte, um den leeren Kühlschrank aufzufüllen, nahm sie äußerst zufrieden in einem bequemen Sessel vor der riesigen Panoramascheibe Platz und genoss bei einem Glas Rotwein den Sonnenuntergang. Die Skyline von Sydney wurde nach und nach von Lichtern erleuchtet und die Aussicht wurde von Minute zu Minute noch eindrucksvoller. Seufzend lehnte sie sich zurück und nahm einen Schluck aus ihrem Glas. Hier ließ es sich wirklich aushalten. Man konnte sagen, was man wollte, mit Geld konnte man sich zwar nicht alles, aber immerhin einiges kaufen.

Als es dunkel wurde, war sie hin und hergerissen zwischen dem großen Flachbildschirm mit Satellitenempfang und den Büchern, die sie in zwei wandhohen Regalen vorgefunden hatte.

»Fernsehschauen können wir jeden Tag!«

Dann war nur noch das Problem vorhanden, dass sie zu viele interessante Bücher fand. Doch schließlich war die Auswahl getroffen und sie schmökerte, bis tief in die Nacht, in wahren Kriminalberichten der australischen Polizei, was natürlich am allerbesten half, nicht an den Besitzer der Wohnung zu denken.

»So wie Kochbuchlesen vom Hunger ablenkt!«

Die Mulgacamper Romane Band 5 und 6

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