Читать книгу Die Mulgacamper Romane Band 5 und 6 - Elda Drake - Страница 9
ОглавлениеKapitel 6
Hetty schreckte hoch. Wo war sie? Durch die Fensterscheiben fiel das erste Licht der Morgendämmerung. Ach ja, in Kais Appartement. Sie hatte sich gestern Abend seit langer Zeit wieder einmal voll die Kante gegeben. Irgendwie musste sie das blonde Gift ja verdauen. Allerdings wäre es besser gewesen, sie hätte vor ihrem Trinkgelage etwas gegessen. Sie runzelte die Stirn. Woher kam die Decke? Und warum war der Fernseher aus? Das konnte nur Kai gewesen sein. Also war der schon wieder zurück. Oh Gott! Und hatte sie sturzbesoffen daliegen sehen. Hetty – du bist einfach einmalig. Sie schüttelte den Kopf, was kein gutes Gefühl verursachte. Wenn es einen Wettbewerb gäbe, in wie viele Fettnäpfchen sie in Kais Gegenwart treten konnte, würde sie den mit Sicherheit gegen jede Frau gewinnen.
»Wir zeigen uns halt immer von unserer besten Seite!«
Sie setzte sich auf und hielt sich stöhnend den Kopf.
»Tablette?« Kai hatte wieder einmal seinen Trick angewandt, lautlos aus dem Nichts aufzutauchen und genau das zu tun, was nötig war. In der anderen Hand hielt er ein Glas mit Wasser. Während sie dankbar die Aspirin schluckte, war er schon wieder weg und hatte dabei gleich den leeren Karton Rotwein und das Glas mitgenommen. Wie immer perfekt.
»Willst du auch ein Frühstück?«
Hetty konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Kai kannte sie lange genug, um zu wissen, dass ein exzessiver Weingenuss bei ihr noch nicht unbedingt als Appetithemmer wirkte.
Sie folgte ihm in die Küche. »Vor allem einen starken Kaffee.«
Nach einem Blick in den Kühlschrank setzte sie hinzu. »Na ja, ein bisschen etwas kann ich schon vertragen.«
Kai musterte sie kurz und folgerte aus der Bemerkung, er sollte ein normal dimensioniertes Essen zubereiten. Hetty war für ihn in der Richtung fast ein medizinisches Wunder. Sie konnte Portionen vertilgen, bei denen sogar gestandene Männer nach der Hälfte aufgaben. Und dabei nahm sie nicht einmal zu. Gut, sie war nicht gertenschlank, aber seit er sie kannte hatte sie immer die gleiche, gut proportionierte Figur.
Als Hetty aus dem Bad zurückkam, fand sie einen gedeckten Frühstückstisch vor, der keine Wünsche offen ließ. Und Kaffee kochen konnte Kai natürlich auch. Perfektionismus war einfach nicht zu überbieten.
»Hast du heute schon etwas vor?«
Hetty schaute auf und begegnete dem fragenden Blick, aus den strahlend blauen Augen. Da sie am Morgen rhetorisch immer ihre Defizite hatte, konnte sie auf die Schnelle nur ehrlich antworten und keine Ausrede erfinden. »Nein, warum?«
Kai zuckte die Achseln. »Wenn du Lust hast, kannst du zum Olympiazentrum mitfahren. Ich habe da eine Besprechung, die ein paar Stunden dauert. Da könntest du in der Zwischenzeit in der großen Halle schwimmen.«
Er wusste natürlich, dass Schwimmen ihre Lieblingssportart war und auch, dass, aufgrund ihrer Fischphobie Sydneys tolle Badestrände von ihr nur zum Spazierengehen benutzt werden konnten. »Da kannst du umsonst rein, wenn ich dabei bin.«
Ihm fiel ihr letztes Gespräch wieder ein und sein Mundwinkel zuckte. »Das gilt für meine ganze Firma.«
Hetty überlegte. Bisher war sie immer vorne bei Milton im Salzwasserpool geschwommen. Aber die verlangten eine nicht geringe Eintrittsgebühr. Und sie hatte es noch nie geschafft, in die Olympiaschwimmhalle Zutritt zu bekommen. Jedes Mal wenn sie da war, fand gerade irgendein Event statt und sie war für Besucher gesperrt.
»Das ist ein Angebot. Ich bin dabei!«
Wenn sie geglaubt hatte, Kai würde mit der Fähre fahren, dann sah sie sich getäuscht. Das hätte mehrmaliges Umsteigen und längere Wartezeiten bedeutet. Auto hatte er allerdings auch keines dabei und ein Taxi hätte sich Ewigkeiten durch den Berufsverkehr gedrängelt. Was blieb also übrig? Natürlich hatte er ein Wassertaxi bestellt und so kam Hetty gleich noch zu einer spritzigen Bootsfahrt.
Am Anlegesteg wurden sie vom Parkpersonal abgeholt. Der Fahrer des Geländewagens brachte sie zum Schwimmstadion und wartete geduldig, während Kai Hetty noch zum Ticketschalter begleitete und dort seinen Ausweis vorzeigte, was allerdings eigentlich nicht nötig war, da die Frau an der Theke ihn natürlich bereits kannte. Jedes weibliche Wesen das Kai einmal gesehen hatte, würde sich bis in alle Ewigkeiten an ihn erinnern und da machte sie keine Ausnahme. Sie händigte Hetty den Code für den Spint aus und wünschte ihr einen angenehmen Badeaufenthalt. Dabei schwirrte ihr der Gedanke durch den Kopf, dass die Lady einfach ein Glückspilz war.
»Du kannst unten im Cafe auf meine Rechnung anschreiben lassen.« Kai hob die Hand, als Hetty widersprechen wollte. »Läuft auch alles über die Firma.«
Dann verabschiedete er sich und war weg.
Hetty absolvierte vor dem Schwimmen erst ein ausgedehntes Besichtigungsprogramm. Die riesige Halle war zweigeteilt. Auf der einen Seite befand sich das große, hundert Meter lange, Olympiabecken mit den Absprungblöcken. Die bewegliche Bühne, auf der sie befestigt waren, konnte an die benötigten Bahnlängen angepasst werden. Im Hintergrund ragte der Sprungturm auf, dessen Sprungbecken eines der ersten gewesen war, bei dem ein sogenannter „Bubble“ eingesetzt wurde. Das war ein Wasserwirbel der dafür sorgte, dass die Springer nicht so heftig auf das Wasser klatschten. Inzwischen hatte jedes besser ausgestattete Sprungbecken diesen Vorteil.
Links und rechts zogen sich, an den Längsseiten, große Tribünen in die Höhe. Doch was man hier an Sitzplätzen sehen konnte, war nur noch ein Bruchteil dessen, was während der Olympiade 2000 vorhanden gewesen war. Damals hatte man das Dach angehoben und die Plätze verdoppelt. Bei jeder Veranstaltung waren die dann bis auf den letzten Stuhl belegt gewesen, denn die Australier hatten ihren Schwimmstar Ian Thorpe bejubelt und fairerweise auch jeden anderen, der nur die große Zehe ins Wasser streckte.
Sie konnte sich noch an einen Schwimmer erinnern, der aus irgendeinem fernen Inselstaat gekommen war und noch nie in seinem Leben fünfzig Meter im Stück geschafft hatte. Der Stadionsprecher hatte hinzugefügt, dass der Mann nur in einem kleinen Hotelpool trainiert hatte. Frenetischer Applaus durch das Publikum hatte dann dafür gesorgt, dass er nicht nach dreißig Metern abgesoffen war. Die Aussies hatten einfach ein Faible für Ausnahmetypen.
Hetty hatte das Ganze in Deutschland im Fernsehen verfolgt und sich im Nachhinein fürchterlich geärgert, dass sie damals nicht in dieser Stadt gewesen war, um das Geschehen live mitzuerleben.
Auf der anderen Seite der Halle waren das Erlebnisbad mit Palmen, Whirlpool, Kinderplanschbecken, Rutschbahn und auch das Einschwimmbecken zu finden. Das alles wurde von einem freitragenden Dach überspannt, welches mit Sicherheit in irgendeiner architektonischen Rekordliste aufgelistet war. Von der Kasse aus führte ein Brückensteg im ersten Stock auf die andere Hallenseite. Dort waren die Umkleidekabinen, Duschen und Toiletten untergebracht.
Hetty schlüpfte in ihren Badeanzug und ging dann frohgemut zum Riesenbecken. Leider hatte sie nie den Hecht gelernt, es kam ihr nun wie eine Sünde vor, einfach nur so ins Becken zu steigen. Das Wasser war die Wonne! Wie Seide. Als sie wieder auf die Uhr schaute, waren fast zwei Stunden vergangen und sie spürte ihre Armmuskeln. Erschöpft, aber mehr als zufrieden saß sie im Cafe, als Kai wieder auftauchte.
»Toll dieses Becken, nicht wahr?«
Hetty nickte. Kai konnte das mit Sicherheit noch viel besser beurteilen als sie, denn er hatte beim Militär eine Ausbildung zum Kampfschwimmer gemacht.
Dass er auch Scharfschütze war, fiel Hetty in dem Moment ein, als er an der Theke seinen Cappuccino geordert hatte und zu ihr an den Tisch zurückkam. Der scharfe Blick aus, momentan, äußerst eisig wirkenden Augen traf sie wie ein Gewehrschuss. »Wieso hast du selbst bezahlt?«
Oh, oh, Kai war wütend. Sehr wütend. Hetty hätte sich am liebsten unter dem Tisch versteckt. Sie hatte schon gesehen, wie mächtige Leute vor Kai duckten und kannte eigentlich niemanden, der sich traute gegen seine Anordnungen aufzumucken.
Sie selbst hatte sich allerdings schon ein paarmal erfolgreich gegen seinen Willen durchgesetzt, indem sie einfach das tat was sie wollte. Er hatte ihr schließlich überhaupt nichts zu sagen. Und das machte sie ihm meistens auch sehr deutlich klar.
Hier war die Situation aber etwas anders gelagert und statt ihm sozusagen mit gefletschten Zähnen Paroli zu bieten, beschloss sie, einfach ganz ehrlich zu sein.
Anscheinend unbeeindruckt erwiderte sie ruhig den bösen Blick und antwortete. »Es ist mir zu peinlich, auf deine Kosten, oder die deiner Firma zu leben. Und wenn ich auch dankbar die Schlafgelegenheit annehme, meinen Kaffee möchte ich mir lieber selber zahlen!«
»Wir sind stolz auf dich!« Ausnahmsweise waren sich in ihrem Gehirn alle Kontrahenten einig und applaudierten gemeinsam laut und anhaltend.
Sie musste allerdings auch zugeben, dass sie sich den Beifall verdient hatte. Kai, der ungekrönte König der Einschüchterer, war klassisch k.o. gegangen.
»Dem hast du nicht nur den Wind aus den Segeln genommen, sondern auch gleich die ganze Takelage geklaut!«
Na ja, der Vergleich hinkte zwar etwas, aber sie musste sich momentan doch etwas beherrschen, damit ihr kein Lächeln auskam.
Geduldig wartete sie auf eine Erwiderung. Irgendwann musste er schlussendlich etwas sagen. Die Bedienung, die den Cappuccino brachte, erlöste Kai aus seiner Starre.
Nachdem er sich bei der Frau bedankt hatte, fuhr er sich mit der rechten Hand durch die Haare, räusperte sich und richtete seinen Blick auf Hetty. »Entschuldige, das habe ich nicht bedacht!«
Sie hatte schon ein paarmal die Erfahrung gemacht dass diese, meist so eiskalt wirkenden Augen auch unglaublich viel Gefühl ausdrücken konnten. Glücklicherweise läutete sein Handy und erlöste sie aus dem Blickkontakt. Während Kai telefonierte, atmete sie innerlich durch. Das war wieder einer von der Sorte gewesen, bei denen alle Hormone in Aufruhr versetzt wurden und sich der gesunde Menschenverstand langsam, aber sicher, verabschiedete. Gott sei Dank würde Kai ab morgen wieder weg sein.
Nachdem er das Telefonat beendet hatte, konzentrierte sich Kai wieder auf sie. »Ich habe mich wohl ziemlich gönnerhaft aufgeführt?«
Die Sarkasmusabteilung setzte sich auf die Tribüne des Geschehens, das war besser als ein Grand Slam Turnier. Aufschlag und Return. Wunderbar. Bei einem Schachspiel hätten sie gesagt: Patt!
Hetty knurrte insgeheim. Jetzt war sie am Rudern. »Nein, so habe ich das nicht aufgefasst. Aber ich will deine Großzügigkeit nicht völlig ausnutzen. Und zumindest den Kaffee kann ich mir noch selber leisten.«
Jetzt musste sie sich auch noch dafür entschuldigen, dass sie ihn nicht ausbeutete.
Ihr Verstand schüttelte den Kopf. »Mädchen, der hat Geld wie Heu, der merkt noch nicht mal wenn ihm ein paar Tausender abgehen und du machst dir Gedanken wegen ein paar Dollar!«
Kai nickte. »Ich habe die Botschaft verstanden.«
Glücklicherweise gehörte er nicht zu den Leuten die ein Thema bis ins Unendliche widerkäuten und zerlegten. Das war eine seiner Charaktereigenschaften, die Hetty inzwischen kennen und schätzen gelernt hatte.
Mittlerweile war auch seine Kaffeetasse leer und er sah Hetty fragend an. »Wenn du willst, können wir noch eine Runde durch das Olympiazentrum drehen – ich habe einen Generalschlüssel für die Gebäude.«
Zwei Stunden später hatte Hetty alles gesehen, was bisher hinter geschlossenen Türen verborgen gewesen war. Damit wusste sie nun endlich, wie die Umkleidekabinen der Sportler und die Vorbereitungsräume aussahen. Wo die Presse ihre Geräte aufbaute und im welchem Bereich die Schwimmer warten mussten, bevor sie auf der Bildfläche erscheinen durften. Kai erklärte ihr auch den kompletten logistischen Ablauf einer Sportveranstaltung.
Da dabei auch immer wieder bedeutende Persönlichkeiten auf der Ehrentribüne saßen, wurde vom Ausrichter des jeweiligen Events oft ein Sicherheitsdienst benötigt. Und dafür war Kais Firma zuständig. Damit alles reibungslos vonstatten ging, informierte er sich meistens persönlich über die Abläufe und kontrollierte nochmal die Vorkehrungen seiner Leute. Deshalb war er auch dieses Mal nach Sydney gekommen.
Hetty hatte aus dem Gespräch unter anderem entnehmen können, dass das blonde Gift anscheinend nur Kundschaft war und nicht mehr.
»Da hätten wir uns den Leberschaden und den Verlust von einigen tausend Gehirnzellen sparen können!« Die Vernunft seufzte auf. Sie hatte am vorherigen Abend schon verzweifelt versucht den Alkoholkonsum zu stoppen, doch Hetty war für keinerlei Einwände zugänglich gewesen.
Kai warf einen Blick auf seine Uhr. Es war schon später Nachmittag und Zeit für die Rückkehr. Eigentlich hatte er gedacht, sie könnten irgendwo gemeinsam Abendessen, aber er war sich jetzt äußerst unsicher, was er wohl für eine Antwort erhalten würde, falls er eine Einladung aussprach. Er dachte an den Wortwechsel von vorhin zurück. Hetty hasste es Geschenke anzunehmen. Bisher hatte er es immer geschafft, sie in der Richtung auszutricksen. Schließlich wusste er, dass sie über keine großen Finanzen verfügte und froh über jeden Dollar sein musste, der auf ihrem Konto verblieb.
Sein Ziehvater Fritz hatte ihm nach ihrem Aufenthalt auf der Farm kopfschüttelnd erklärt. »Dadurch, dass sie Brians Tricks durchschaut hat, hat sie mir wahrscheinlich ein paar Millionen eingespart. Aber rate mal was sie zu mir gesagt hat, als ich wollte, dass sie für ihre Dienste von mir etwas Geld annimmt?«
Kai hatte schmunzelnd zugehört als ihm Fritz erzählte, welchen Anraunzer er von Hetty bekommen hatte. »Ich kam mir vor, wie ein kleiner Schuljunge. Am liebsten hätte ich mich hinter der Couch verkrochen. Sie kann wirklich sehr aggressiv werden!«
Glücklicherweise hatte sie ihm keine Szene gemacht, sondern nur erklärt, warum sie nicht wollte, dass er ihr Almosen gab. Vermutlich würde sie bei einer Einladung darauf bestehen selbst zu zahlen und die exklusiven Restaurants, die er üblicherweise aufsuchte, würden ein großes Loch in ihre Finanzen reißen.
Auf dem Wassertaxi beobachtete er Hetty, die sich mit dem Bootsführer unterhielt. Der überschlug sich geradezu damit, ihr etwas Besonderes zu bieten und hatte sein ganzes Wissen über die Bewohner der Häuser hervorgekramt. Da Hetty ehrlich interessiert zuhörte, machte er noch kurze Umwege, um näher an einige der Villen heranzufahren die prominenten Leuten gehörten, damit sie die Anlagen besser sehen konnte.
Kai schüttelte leicht den Kopf. Diese Frau hatte eine Ausstrahlung, mit der sie jeden um den Finger wickeln konnte. Er selbst konnte sich da auch nicht ausschließen, schon bei ihrer ersten Begegnung war er fasziniert gewesen. Und alles, was er bisher mit ihr erlebt hatte, war nicht gerade dazu angetan seine Meinung zu ändern.
Wobei außer ihm wohl niemand wusste, dass dieses momentan so liebenswerte Wesen, im Falle eines Falles, auch gnadenlos einen Menschen töten konnte. Wehe dem, der ihr ans Leder wollte! Mit derselben Gleichgültigkeit mit der eine normale Hausfrau eine grünschillernde fette Fleischfliege mit einem Geschirrtuch erschlug, schoss Hetty einen Typen über den Haufen der morden wollte. Das war für sie anscheinend gleichbedeutend mit Ungeziefervernichtung. Und er hatte noch nicht mitbekommen, dass sie deswegen auch nur eine Minute schlecht schlafen konnte.
Kai seufzte innerlich. Sollte er jetzt fragen?
Hetty hatte in der Zwischenzeit ihre eigenen Überlegungen angestellt. Kai würde morgen früh abfliegen, dann hatte sie endlich wieder ihren Seelenfrieden. Aber sie hatte ein ziemlich schlechtes Gewissen. Sie benutzte sein Appartement, er lud sie auf einen Ausflug ein und sie konnte sich noch nicht mal revanchieren. Nein, sie wies seine Großzügigkeit auch noch sehr bestimmt zurück.
Und auch wenn er nach außen hin kaltschnäuzig wirkte, wusste sie doch, dass sie ihm damit etwas auf die Zehen getreten war. Denn er hatte sein Angebot nur gut gemeint und eben nicht daran gedacht, dass sie in der Hinsicht ihre eigenen Ansichten hatte. Während ihres erzwungenen Aufenthalts im Kakadu Nationalpark hatte sie ihn gut genug kennengelernt um zu wissen, dass diese starre Miene, welche er nach außen hin zeigte, nur eine Schutzfunktion für seine wahren Gefühle war.
Dieser so eisenhart wirkende Mann hatte sehr wohl Emotionen und hatte seine Maske ihr gegenüber zumindest teilweise abgelegt. Auch jetzt machte er sich nicht die Mühe, seine Fassade komplett aufrecht zu erhalten. Bei einem kurzen Kontrollblick hatte sie festgestellt, dass er über irgendetwas nachgrübelte und etwas abgespannt wirkte. Er hatte auch bisher nicht erwähnt, dass er heute nochmal wegwollte.
Dann war ihr eine Idee gekommen und fragen kostete ja nichts. »Hast du heute noch einen Termin?«
Kai beschloss erst abzuwarten was kommen würde, bevor er seinen Vorschlag anbrachte. »Nein.«
Hetty meinte leicht verlegen. »Ich würde mich gerne bei dir bedanken, was hältst du davon, wenn ich am Abend für uns beide etwas Bayrisches koche?«
Sie fügte hinzu. »So, in Gedenken an den Kakadu.«
Kai wusste genau auf was sie anspielte. Dort hatten sie in der ersten Nacht in der Einsamkeit aufgrund der Kälte etwas näher zusammenrücken müssen und Hetty hatte etwas unüberlegt erklärt, dass es halt in Bayern so üblich war. Daraufhin hatte er gesagt, er müsste dieses Land dann doch einmal besuchen, wenn sie so interessante Sitten hatten. Mühsam unterdrückte er ein Lächeln und Hetty sah, dass sein rechter Mundwinkel sich hob.
Dann bekam sie wieder mal einen dieser gefühlvollen Blicke aus den strahlend blauen Augen ab und die Antwort. »Das finde ich prima.«
Danach hatte Hetty, außer der Negation dieses Blickes, nur noch das Problem, in Australien die Zutaten für ein typisches bayrisches Gericht zu finden. Der Schweinebraten war nicht möglich, da es natürlich kein Knödelbrot gab und ein fertiges Gericht in dem bayrischen Lokal in den Rocks zu holen, widerstrebte ihr. Also einigte sie sich mit sich selber, auf Ente mit Blaukraut und Kartoffelknödel.
Kai ließ es sich nicht nehmen, sie beim Einkaufen zu begleiten und hatte anscheinend richtig Spaß daran, mit dem Einkaufswagen durch die Reihen zu schieben. »Kaufst du die Ente, oder willst du sie selber schießen?«
Hetty grinste ihn an. »Die einzigen die mir auf die Schnelle einfallen, sind die im botanischen Garten und ich glaube da werden wir Probleme kriegen. Also kaufen!«
Kai hatte mit der Bemerkung auf ihren Besuch in seiner Firma in Brisbane angespielt. An diesem Tag hatte er eine Menge Geld bei zwei Wetten mit seinem Mitarbeiter George verloren. Warum er selbst nicht auf Hetty gesetzt hatte, konnte er im Nachhinein nicht sagen, schließlich waren ihre Schießkünste der Grund, warum er immer noch am Leben war.
Damals war sie gegen neunundzwanzig seiner Männer angetreten und hatte nicht nur beim Schießtraining alle vorgeführt, sondern hinterher auch noch auf dem Paint-Ball-Trainingsgelände gezeigt, dass man sie nie unterschätzen sollte. Seine Männer waren seitdem alle totale Fans von Hetty und das, obwohl er ihnen anschließend härtere Trainingseinheiten verordnet hatte.
Schließlich hatten sie alles, was sie brauchten und fuhren zum Appartement. Der Pförtner begrüßte sie erfreut und drückte gleich den Knopf für den Aufzug.
Als sie in der Kabine standen, meinte Kai. »Der wird den Tag in seinem Kalender ankreuzen. Ich mit Einkaufstüten!« Er wirkte eindeutig vergnügt.
Hetty sah ihn leicht verwirrt an. »Aber soviel ich mitgekriegt habe, kochst du dir doch oft selber?«
Kai nickte. »Schon, aber ich lasse eigentlich immer liefern.«
Hetty schüttelte energisch den Kopf. »Kommt bei mir nicht in Frage! Ich will sehen, was ich kaufe. Da kann der Händler noch so gut sein.«
Kai lächelte innerlich. Das hatte er mitbekommen. Er hätte die eine Ente sicher genommen, die als erstes von der Verkäuferin gezeigt worden war. Hetty hatte energisch den Kopf geschüttelt, sich noch ein paar Exemplare zeigen lassen und sich dann für eine andere entschieden.
Dass sie richtig lag, hatte Kai aus der Bemerkung gefolgert, welche die Verkäuferin von sich gab. »Sie kennen sich aus!«
Und was ihn bei dieser Sache wieder mal faszinierte, die Frau war nicht verärgert und grummelte, sondern fand das anscheinend prima, dass endlich eine Kundschaft da war, die wusste nach welchen Gesichtspunkten man Geflügel kaufen sollte. Hetty hatte allerdings auch nicht kritisiert, sondern nur ganz freundlich gebeten, sie würde noch gerne die Ente und dann diese Ente sehen.
Irgendwie war sich Kai sicher, dass die Verkäuferin das nächste Mal schon von weitem winken würde, wenn Hetty ankam. Denn ein einziges Zusammentreffen genügte, um sich an sie zu erinnern.
Hetty unterdrückte inzwischen ein Lächeln. Kai, der große Bwana Massai, stand eifrig beim Kartoffelschälen und war anscheinend begeistert, dass er helfen durfte. Kurzzeitig wurde sie sehr ernst. Fritz, sein Ziehvater, hatte ihr bei ihrem Besuch auf der Farm erzählt, wie sehr Kai seine Mutter geliebt hatte. Die war, wenn sie sich daran erinnerte wie es bei Fritz zuhause ablief, mit Sicherheit auch eine Frau gewesen, die zumindest hin und wieder selber gekocht hatte. Das war heile Familie gewesen. Und die war für Kai schon lange nicht mehr vorhanden und sicher etwas, das ihm fehlte.
Da hatte sie anscheinend mit ihrem Vorschlag einen Volltreffer gelandet. Sie musterte Kai der, wie sie zugeben musste, Kartoffel schälen konnte. Seine High-Society-Freundinnen würden wohl eher entsetzt aufschreien, wenn sie an selber-kochen nur dachten.
Kai hatte bemerkt, dass sie ihn ansah. »Mein Vater und ich haben meiner Mutter immer in der Küche geholfen.«
Sein Blick ging in weite Fernen. »Wir haben gerne zusammen gekocht.«
Hetty legte ihm kurz die Hand auf die Schulter. Sie wusste, bloßer Smalltalk würde hier nicht helfen. Dieser Schmerz saß zu tief, um ihn mit Worten auszulöschen. Bei der Vorstellung, wie Kai damals mit sechzehn Jahren mitten im Nirgendwo, erfolglos versucht hatte seine Mutter am Leben zu halten, bis der Krankenwagen kam, krampfte sich ihr Herz vor Mitleid zusammen.
Und sie konnte den plötzlichen Aufbau von körperlicher Nähe momentan auch problemlos mit einem Vorwand kompensieren. »Aber ich gehe davon aus, sie mussten dabei nicht verdursten, wie ich?«
Kai kam wieder in die Gegenwart zurück und schüttelte den Kopf. »Nein, sie mochten einen guten Tropfen, und ich mache auch sofort eine Flasche auf.«
Hetty folgte ihm in den Abstellraum. Sie wusste, aus ihrem Gespräch mit Fritz, dass Kai den plötzlichen Tod seiner Eltern nie richtig verkraftet hatte. Momentan war es besser, ihn nicht alleine zu lassen. Bei dem grauenhaften Autounfall mit seinen Eltern hatte er diese Narbe über seiner linken Wange erhalten und dass er sich diese bis dato nicht hatte entfernen lassen, ließ auf vieles schließen.
Hetty runzelte kurz die Stirn, natürlich konnte der Grund dafür auch darin liegen, dass er genau wusste, dass ihn diese noch attraktiver machte und er damit endgültig unwiderstehlich auf das weibliche Geschlecht wirkte.
Doch im Moment war er für sie nur ein Freund, der seelische Nöte hatte und da es außer Frage stand ihn einfach tröstend zu umarmen, was sie natürlich am liebsten getan hätte, antwortete sie. »Na, dann werden sie jetzt sicher mit meinen Eltern um die Wette trinken und auf uns anstoßen!«
Zehn Jahre jünger. Zweihundert Prozent schöner. Na gut, Geld hatte er selber genug. Dann wäre sie jetzt sicher gewesen, dass dieser Blick von ihm etwas Wichtiges aussagen sollte. Denn seine Augen hatten einen Ausdruck angenommen, der dafür sorgte, dass sich ihr Pulsschlag merklich erhöhte.
»Sind wir aber nicht! Krieg dich ein.« Ihre Vernunft wachte und sorgte dafür, dass sie auf dem Boden der Tatsachen blieb.
Na ja, zumindest waren sie gute Freunde. Irgendwie musste sie ihr Verhältnis ja einordnen. Und das war mehr, als die meisten Menschen auf diesem Kontinent sagen konnten. Sie interpretierte seine Reaktion auf ihre Intervention mit Sicherheit komplett verkehrt und dachte sich da nur etwas zusammen, was ihren Wunschträumen entsprang.
Hetty zeigte, nach außen hin, nicht im geringsten welche unwahrscheinlichen Vorstellungen ihr kurz durch den Kopf gegangen waren und erwiderte seinen Blick mit einem absolut neutralen Gesichtsausdruck. Um das zu schaffen, betete sie eisern die Siebener-Multiplikation in ihrem Kopf herunter, denn das war, im Zeitalter der elektrischen Rechenmaschinen, Hard-core für ihre Gehirnzellen und half immer.
Nachdem die Ente im Ofen vor sich hin brutzelte, das Blaukraut schmorte und die gekochten Kartoffeln auf bessere Zeiten warteten, saßen sie im Wohnzimmer und unterhielten sich. Von tausend Leuten hätten natürlich neunhundertundneunundneunzig laut aufgeschrien und brüllend gelacht, bei der Vorstellung, dass sich Kai normal unterhalten würde. Doch für Hetty war das inzwischen zur Gewohnheit geworden. Am Anfang, wenn sie sich begegneten, war er meist, wie üblich, kurz angebunden, doch spätestens am nächsten Tag benahm er sich ihr gegenüber wie ein normaler, eben etwas introvertierter Mensch.
»Du weckst in ihm einfach die Erinnerung an seine Mutter!« Die Sarkasmusabteilung war immer noch voll da.
Dann war das Essen fertig und Kai konnte nun zum ersten Mal in seinem Leben Knödel und Blaukraut essen. Hetty hatte nach langem Suchen zumindest eine annähernde Entsprechung in einem Lexikon gefunden und hoffte, dass der „dumpling“ kein Reinfall werden würde. Schließlich waren Knödel in diesem Land eher unbekannt und alles, was sie in annähernder Form bisher gesehen hatte, waren Fleischbällchen.
Kai begutachtete interessiert das seltsame Exemplar, das da auf seinem Teller thronte. »Das ist also ein Kartoffelknödel?«
Hetty lächelte über seinen vergeblichen Versuch, das Wort Knödel richtig auszusprechen. »Völlig ungefährlich, sogar für die Figur.«
Was bei Kais durchtrainiertem Körper natürlich absolut nebensächlich war.
»Die sind wirklich richtig gut!« Kai holte sich Nachschub und hatte keine Probleme, mit Hettys Portionen mitzuhalten.
Und da sie normalerweise für zwei aß, befand sie, dass es ihm wirklich schmeckte. Also konnte sie ihr unkonventionelles Dankeschön wohl als sehr gelungen bezeichnen.
Doch als sie viel, viel später im Bett lag, war sie auf der anderen Seite heilfroh, dass morgen die Feuerprobe wieder vorüber war. Denn leider Gottes hatte jedes Zusammentreffen mit Kai nur die Folge, dass sie ihn noch mehr mochte und das war »gar nicht gut«, wie ausnahmsweise ihre komplette Hirngruppe feststellte.