Читать книгу Maestro sieht blau - Elena Jedaite - Страница 11
ОглавлениеVom Fettnäpfchenhüpfer zur Undercoveragentin 00Pink
Sven führte mich durch die Empfangshalle direkt zum Büro des Personalchefs.
Pech, Thomas Karsten war noch nicht in seinem Büro. So lief ich an Svens Seite zu seinem Atelier und nickte in alle Richtungen. „Dann machen wir das eben später, aber ich muss dich noch schnell der Designassistentin und meinen Azubis vorstellen. Ich bringe dich zuerst in unser Büro, damit du ablegen kannst, und dann zeige ich dir das Atelier“, meinte er und führte mich in einen kleinen Raum, der seinem Atelier gegenüberlag. Er schaffte es aber nicht mehr, die Tür hinter sich zu schließen, denn eine große, schwarz gekleidete Blondine stemmte sich dagegen: „Sven! Hast du den Termin mit dem Stofflieferanten vergessen? Die warten schon alle auf dich.“ Und sie fegte mit fliegenden Haaren davon. Sven seufzte: „Mandy, es tut mir leid. Ich muss dich allein lassen. Das dauert höchstens eine Stunde. Dann komm ich gleich bei dir vorbei. Hier ist die Postablage. Geh ans Telefon ran, notier dir die Anrufe, frag, ob es dringend ist, ich rufe die Leute baldmöglichst zurück. Und leb dich ein. Ich sag unterwegs Tess Bescheid, sie möchte dir zur Begrüßung einen Kaffee vorbeibringen.“
Ich hängte meinen Mantel auf und schaute mich in dem kleinen, gelb angestrichenen Raum um. Ein paar Ordner lagen auf dem Boden, eine kleine Pflanze auf dem Fensterbrett welkte dahin, und der Turm aufgestapelter Post war umgekippt. Die ursprüngliche Ordnung ließ sich aber hinter dem vom Maestro selbst hinterlassenen Chaos ohne weiteres erahnen: gespitzte Bleistifte, ein ordentlich beschriftetes Archiv. Ein bis zur Decke reichender Schrank mit unzähligen Schubladen erinnerte an die riesigen Schränke einer Kräuterapotheke. Archivierte Fanpost? Ich wollte gerade eine Schublade aufziehen, als es klingelte. Bevor ich ranging, musste ich auf dem überfrachteten Tisch noch schnell einen Notizblock oder zumindest ein Blatt Papier greifen. Ich hob ab und merkte, dass meine Stimme ein wenig zitterte.
„Sind Sie die Assistentin von Herrn Sven Brigg? Ja? Kripo, Oberkommissar Kross.“
„Herr Oberkommissar, wie haben Sie mich gefunden?“
„Wie bitte? Glauben Sie mir, liebe Frau Weck, das war kein Kunststück. Ich habe diese Nummer gewählt und habe Sie gefunden, im Gegensatz zu Ihrer Vermieterin, die Sie gestern in einem Anflug von Panik vermisst gemeldet hat. Sie glaubt, Ihnen sei etwas zugestoßen, weil Sie nicht aufmachen und ganz besonders, weil Sie es versäumt haben, die Hausordnung zu machen. In Ihrem Fall soll das sehr ungewöhnlich sein, meinte sie. In diesem Zusammenhang möchte ich Sie um einen Gefallen bitten. Ich würde es sehr begrüßen, wenn Sie die gute Frau persönlich davon überzeugen, dass Sie quicklebendig und wohlauf sind.“
Ich wurde plötzlich ärgerlich. „Ich bedauere es sehr, Herr Oberkommissar, aber ich kann Ihnen nicht helfen, weil ich nicht Frau Weck bin, sondern Amanda Patrizia Fox. Eins stimmt aber, ich bin seit heute Morgen die Assistentin von Sven Brigg. Wir kennen uns bereits. Mein Chef? Er kann im Moment nicht rangehen. Ich richte ihm aus, dass er sich bei Ihnen melden soll.“
Ein paar Stunden später kam Sven betrübt vom Polizeipräsidium zurück, wo er die Tote als seine frühere Assistentin Karin Weck identifiziert hatte. Die Tote, die namenlos, verschneit und zum Verdruss aller Beteiligten meinen Alltag beherrscht hatte, wurde in den Stand einer Person erhoben, die jemand gekannt, geschätzt und vermisst hatte. Als mich Svens Kollegin, der ich zwischen Tür und Angel vorgestellt wurde, neugierig ansah und fragte: „Sie sind doch diese Mandy Pat, die eine Leiche gefunden hat? Was ist mit Ihrer Leiche?“, antwortete ich ohne zu überlegen: „Das ist nicht mehr meine, sondern Ihre …Tote“. Es hieß nämlich, meine Vorgängerin wäre neu in der Stadt gewesen und hätte niemanden gekannt bis auf die Vermieterin und die Leute von „Pygmalion“. Also führte die Spur ohne Umwege direkt zu „Pygmalion“.
Wenn mir auch die bisherige Entwicklung der Ereignisse durch ihr rasantes Tempo ein Flimmern vor den Augen verursacht hatte, so rollte sich die Geschichte jetzt mit erschreckender Geschwindigkeit auf. Wie eine Schlange, die zusammengerollt, aber sprungbereit auf ein Zeichen gewartet hatte, um sich in voller Größe zu strecken. Es war klar, dass die Ermittlungen auf das edle Parkett von „Pygmalion“ zurückten. Sylvia Brenner, die Geschäftsführerin von „Pygmalion“, äußerte vage, „hier wäre etwas im Gange“, und sie hätte „so ein Gefühl …“. Sven erinnerte sich daran, dass Frau Weck darauf bestanden hatte, ihn in einer wichtigen Angelegenheit zu sprechen. „Bedauerlicherweise habe ich wegen der Präsentation bis zum Hals im Vorbereitungsstress gesteckt. Aus diesem Grunde ist es nicht zu der Aussprache gekommen“, meinte er zerknirscht. Die um das Image der Firma besorgte Sylvia Brenner beschloss, der Sache auf den Grund zu gehen, und beauftragte die Anwaltskanzlei „Larsen und Wolf“, parallel zu der polizeilichen Untersuchung im Fall „Karin Weck“ eine diskrete Ermittlung durchzuführen. Die Kanzlei, für die mein Bruder tätig war, hatte einen ausgezeichneten Ruf und verfügte über ein eigenes Ermittlungsteam.
Trotz heftigen Widerstands kam ich an diesem Punkt der Geschichte wieder ins Spiel. Mein toller Bruder hatte im Augenblick geistiger Verblendung beschlossen, niemand anderen als mich, Mandy Pat, als „Undercoveragentin“ einzusetzen. Ich war ja bereits da, am Ort des Geschehens, und alle waren sowieso darauf versessen, mich von mir selbst abzulenken. Man wollte mich anscheinend zu meinem Besten eine Weile im Auge behalten. Keine Ahnung, wozu diese Mandy-Pat-Unterhaltungstherapie dienen sollte, aber ich drückte ein Auge zu und gab mir Mühe, meinen Liebsten den Eindruck zu vermitteln, ich würde mich von ihnen gerne hinter das Licht führen lassen. Mikes Angebot überforderte jedoch bei weitem meine Toleranzbereitschaft, deshalb protestierte ich lautstark und heftig dagegen, was mir letztendlich nicht das Geringste einbrachte: Meine berechtigten Einwände wurden einstimmig widerlegt. Als ich versucht hatte, den Beteiligten die Irrsinnigkeit ihres Einfalls vor Augen zu halten und auf den himmelhohen Unterschied zwischen meinem Typ und James Bond hinwies, handelte ich mir den Spitznamen „00Pink“ ein.
„Ich werde dich in alles einweihen“, meinte Sven und versprach mir einen ausführlichen Vortrag zum Thema „Who is Who?“ bei „Pygmalion“.
Schließlich gab ich meinen Widerstand auf und willigte ein, ohne meine wahren Beweggründe zu verraten. Ich glaubte nämlich, das Spinnennetz drohte jemanden zu umgarnen, der mir teuer war. Sven. Es war immerhin seine Assistentin, die man seinem Vater vor die Tür gelegt hatte.