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„Willkommen bei ‚Pygmalion’ “

Ich setzte mich auf den Rand des Stuhles und faltete die Hände im Schoß zusammen, um die Informationen in mich aufzunehmen, die laut Mike für unsere Ermittlung relevant waren. Ich muss zugeben, dass ich immer noch einige Schwierigkeiten damit hatte, meine Rolle in Mikes Ermittlungen ernst zu nehmen, doch ich war bereit, seinem Vortrag zu lauschen und nahm mir vor, mich anzustrengen, damit Mikes Versuch, mich auf das Parkett der Glamourwelt zu entführen, nicht kläglich an meinem branchenfremden Wesen scheiterte. Es war immerhin die Welt, in der Svens Muse beheimatet war, sagte ich mir. Der teure Duft, der von diesem fremden Gefilde her wehte, war die Luft, die er atmete. Und wenn ich mich nicht dagegen sträubte und aufhörte, darüber die Nase zu rümpfen, würde es Mike bestimmt gelingen, mich Faser für Faser in diese Welt hineinzuversetzen. Die Perspektive auf eine virtuelle Annäherung an Sven stimmte mich etwas versöhnlicher.

„Mike, ich bitte dich um möglichst klare Ansagen!“, flehte ich meinen Bruder an.

„Ich werde mein Möglichstes tun, um dich schmerzlos in die Materie einzuführen“, witzelte er und rieb sich die Hände.

„Mandy Pat, mein Ziel ist es, dir das Modeimperium ‚Pygmalion’ im Grundriss vorzustellen. Beginnen wir mit der Hauptperson des Unternehmens. Die Geschäftsführerin Sylvia Brenner ist mit dem größten Aktienpaket von ‚Pygmalion’ dabei, sie ist die Vorstandsvorsitzende und die Chefin des Unternehmens, das vor einigen Jahrzehnten als Familienunternehmen entstanden ist. Der Gründer des Modeimperiums, Alfons Brenner, bevorzugt ein abgeschiedenes Leben in seiner idyllischen Villa in der Toskana und hat die Leitung der Firma der Witwe seines verstorbenen Sohnes, Ernst Brenner, überlassen. Die Brenners haben zwei Sprösslinge, die sich ebenso der Modebranche verschrieben haben. Sylvias Sohn, Markus Brenner, leitet die Filiale im Ausland und hat seinen Wohnsitz in Mailand, seine schöne Schwester Clarissa hast du bestimmt schon mal im Fernsehen gesehen. Sie ist für die PR der Firma zuständig und moderiert mit großem Erfolg die Fernsehshow ‚Willkommen bei ‚Pygmalion’. Das ist die Sendung, bei der man Serena nie stören darf, wenn man sich keinen Ärger einhandeln will.“ Ich nickte, denn ich wusste, was er meinte. Nach dieser Einführung steuerte Mike ein etwas weniger bekömmliches Thema an - die Geschäftslage von „Pygmalion“. Einige geschäftliche Aspekte der „Pygmalion-Politik“, die mir Mike zu vermitteln versuchte, gingen, befürchtete ich, wegen meiner Unkenntnis der Materie unter, doch ich glaubte, die Grundidee seiner Finanzanalyse verinnerlicht zu haben. Wenn ich mit meiner Zusammenfassung einigermaßen richtig lag, so ließ sich die Geschichte auf die wesentliche Tatsache reduzieren, dass sich die „Pygmalion-Aktien“ in den Händen mehrerer Besitzer befanden, ohne dass es einer von ihnen geschafft hätte, zum Mehrheitseigner aufzusteigen. Roger Forster, der Ehemann der schönen Clarissa, bekleidete den Posten des Produktionsdirektors, während sein jüngerer Bruder, Ronald Forster, für den kreativen Bereich zuständig war. Da keiner der Forsters und Brenners einen entscheidend großen Anteil von Aktien besaß, war die Instabilität der Machtverhältnisse an der Spitze der wunde Punkt, an dem Mike bei seinen Ermittlungen ansetzen sollte. Jedes außergewöhnliche Ereignis, das dem Image der Firma schaden konnte, könne laut Sylvia Brenner sich als ein gezielter Angriff auf die Machtstrukturen entpuppen. „Pygmalion“ war also ein Imperium, das bei all seiner Pracht und seinem Renommee von verunsicherten und angreifbaren Herrschern regiert wurde und eine breite Projektionsfläche für Turbulenzen bot. „Du musst dir das bildhaft vorstellen: Es ist ein riesiges Schiff, das trotz der imposanten Fassade ein verlockendes Ziel für gut gerüstete Piraten darstellt. Nur dass wir es in unserem Fall mit vermeintlichen Wirtschaftspiraten zu tun haben, wenn Sylvia Brenner mit ihren Vermutungen und Befürchtungen richtig liegt. Obwohl es nicht zu leugnen ist, dass der Stand der Dinge einen gewissen Nährboden für apokalyptische Visionen bietet, könnte es ebenso gut möglich sein, dass Sylvia Brenner nur ihren persönlichen Alptraum auf den Mordfall projiziert. Wenn wir alle Verdachtsmomente ausgeräumt haben und dabei auf keinen Hinweis gestoßen sind, der auf ein Komplott innerhalb der Firma schließen ließe, müssen wir nach dem vermeintlichen Übeltäter in den Reihen der Konkurrenz und der Finanzhaie fahnden. Wenn wir auch im Umfeld des Modeimperiums keine potenziellen Feinde ausmachen, das heißt, wenn wir auf keinen Anhaltspunkt stoßen, der die Verschwörungstheorie der Chefin bestätigt, so werden wir umdisponieren und den Mord als Einzelfall einstufen, um ihn letztendlich im Rahmen einer kriminellen Tat zu behandeln. Bevor wir uns aber auf dieses Terrain begeben, müssen wir die Möglichkeit ausschließen, dass an der Komplott-Theorie der Geschäftsführerin etwas dran ist. Immerhin wird ‚Pygmalion’ durch die letzten Ereignisse ins Visier der Öffentlichkeit rücken. Ein renommiertes Modeimperium mit einer Leiche ist für die Medien ein gefundenes Fressen. Man rechnet in den nächsten Tagen mit den wildesten Spekulationen rund um den Mordfall. Wir sollten unsere Position besetzen, noch bevor sich ein ernsthafter Skandal angebahnt hat und es laut Sylvia Brenner für eine Schadensbegrenzung zu spät ist. Sollte es sich aber im Laufe der Ermittlungen herausstellen, dass Sylvia Brenner allgemein dazu neigt, alle Ärgernisse und auffallenden Ungereimtheiten im Licht ihres eigenen Untergangs zu sehen, und nur deshalb den Mordfall aus der Perspektive eines Angriffs globalisiert, werden wir, wie gesagt, den Kurs ändern, selbstverständlich ohne sie in unsere ‚Diagnose’ einzuweihen.“

„Du meinst, es könnte sein, dass Sylvia Brenner zu paranoiden Vorstellungen neigt?“, fragte ich eifrig, denn diese Vorstellung war für mich der einzige Punkt, an dem ich persönlich anknüpfen konnte. Destruktive geistige Reaktionen auf die Umwelt - dieses Übel grassierte auf dem Terrain, das mir zumindest theoretisch vertraut war, denn es war ein Symptom, mit dem ich etwas anfangen konnte. Inmitten von unbekannten Größen wie Finanzhaien, Aktienkursen und Wirtschaftspolitik bot die vermutliche geistige Verletzlichkeit der Chefin des Modeimperiums für mich den einzigen Anhaltspunkt für meinen bescheidenen Einsatz, während mein Bruder dabei war, eine anspruchsvolle Strategie für die „Jagd auf Piratenschiffe“ auszutüfteln. Ich hörte ihm mit kläglicher Miene zu und versuchte, die breiten Bildflächen des vermutlichen Schlachtfeldes zu überfliegen, um ein Betätigungsfeld für mein Begriffsvermögen auszumachen. Wenn ich einmal mein kleines Revier abgesteckt hatte, würde ich im Rahmen meiner Möglichkeit für etwas Beschaulichkeit sorgen. Wie wollte ich dieses Ziel angehen? Mikes Verdacht auf Sylvia Brenners Neigung zu Überreaktionen ließ vor meinem geistigen Auge die unumstößliche Tatsache aufleuchten: An jedem Punkt des steigenden oder fallenden Aktienkurses war ein menschliches Wesen anzutreffen, das für mich entweder ein körperliches Symptom oder eine Marotte seelisch-geistiger Natur bereithielt. Wenn ich also diese menschlichen Aspekte ins Auge fasste und die psychologischen Macken der Hauptfiguren in der Ermittlung als Forschungsobjekt anvisierte, sah die mir auferlegte Aufgabe weniger trostlos aus. Vor allem weniger albern. Und vielleicht gar nicht mehr überflüssig. Sollte ich im Laufe der Ermittlungen zu dem Ergebnis gelangen, jemand unter den verdächtigen Akteuren ticke daneben oder sei dabei auszuticken, könnte ich in der Tat meinen eigenen Beitrag zum gemeinsamen Ziel leisten. Was ich zu bieten hatte, war ein Mikropanorama der menschlichen Charaktere, gesehen aus der Warte einer angehenden Heilpraktikerin und studierten Psychologin ohne berufliche Erfahrung.

„Mike, was stimmt bei ‚Pygmalion’ nicht? Haben sie trotz des immensen Erfolgs finanzielle Probleme?“, fragte ich verwundert.

„Nein, ‚Pygmalion’ ist im Kern gesund. Die Schwarzmalerei der Chefin beruht einzig und allein auf der Befürchtung, jemand aus den eigenen Reihen würde einen ‚Staatsstreich’ planen, um sie von ihrer Leitungsposition zu stürzen. Nach diesem Jemand sollen wir fahnden.“

„Wie kommt sie eigentlich darauf, dass es jemand auf ihren Posten abgesehen hat?“

„Das ist eine gute Frage. Sylvia Brenner hat sich diesbezüglich sehr vage geäußert. Sie behauptet, es gäbe für diese Vermutung einige Verdachtsmomente. Sie bezog sich dabei auf einige Ungereimtheiten, die ihr aufgefallen seien, lange bevor der Mord auf Svens Assistentin verübt worden war. Sie war während unseres Gesprächs mehr darauf bedacht, mir ihre Zukunftsvision zu schildern. Mir scheint, sie ist davon überzeugt, dass es in der Firma nicht mit rechten Dingen zugeht. Sie meinte, es hätte in den letzten Monaten ziemlich seltsame Vorfälle gegeben. Unberechtigte Angriffe seitens der Medien. Gerüchte, die sich letztendlich dementieren ließen, allerdings nachdem sie erheblichen Schaden angerichtet hatten. Du musst wissen, an der Börse zählen nicht nur harte Fakten, jedes Image schädigende Gerücht wirkt sich negativ auf den Aktienkurs aus. Wenn die Aktionäre aufgescheucht werden, stoßen sie ihre Aktien ab. Die Aktie fällt und fällt und fällt, ins Bodenlose. Vergiss nicht, dass dieses Horrorspektakel noch gar nicht eingetreten ist. Es soll bisher keine dramatischen Schwankungen im Aktienkurs gegeben haben. Wir reden hier von Sylvia Brenners Alptraum. Und in diesem bösen Traum geht es folgendermaßen zu: Die Aktionäre werden durch alarmierende Prognosen oder gar Katastrophenmeldungen zum Verkauf der Aktien gereizt. Je mehr Aktien auf dem Markt landen, desto tiefer sinkt ihr Wert. Wenn der Aktienkurs abstürzt, ist jeder bestrebt, seine Aktien loszuwerden, bevor der Aktienkurs in den Keller geht. Was passiert? Noch mehr Aktien werden auf den Markt ausgeschüttet. Das erzeugt logischerweise immer neue Panikschübe, und am Tiefpunkt wird die Aktie zum Schnäppchenpreis gehandelt. Wenn jemand also vorhat, an immense Aktienmengen ranzukommen und das nötige Kapital dazu hat, so muss er nur gekonnt am Image der Firma herummanipulieren, Panik schüren und auf diese Weise die Aktionäre zum Verkauf der Aktien provozieren. Das ist es, was Sylvia Brenner befürchtet: Jemand versucht, künstlich den Aktienkurs zu drücken, um an die Aktienmehrheit zu kommen und das Ruder an sich zu reißen. Man muss bei einer feindlichen Übernahme damit rechnen, dass der Gegner beim Umsetzen seiner Ziele sehr raffiniert vorgeht. Er kann zum Beispiel versuchen, den Aktienkauf zu verschleiern, indem er die gesamte Operation über einen Strohmann abwickeln lässt. Doch Sylvia Brenner geht noch weiter: Sie hegt den Verdacht, dass jemand aus den eigenen Reihen aktiv an dem Komplott beteiligt ist, Sabotage betreibt und an einen Außenstehenden, ein Finanzkonsortium, Insiderinformationen weitergibt. Und da wären wir wieder beim Ziel unseres Einsatzes angelangt.“

Eine Stunde später saß ich in Svens Büro und starrte durch das Fenster. Ein Mord als ein Teil einer Sabotageaktion? Ich neigte viel eher dazu, der Chefin des Unternehmens eine sehr exzentrische Denkweise zu bescheinigen. Andererseits musste ich zugeben, dass ich aufgrund meiner kompletten Inkompetenz bezüglich der Wirtschaftspolitik kaum dazu in der Lage war, dies zu beurteilen. Ein Piratenschiff … Was du nicht sagst, Mike! Ich seufzte resigniert und machte mich an die Arbeit.

Maestro sieht blau

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