Читать книгу The Air WE Breathe - Elena MacKenzie - Страница 11

Tessa

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Liam steht vor mir und greift nach dem Tablett. Irgendwie habe ich die Fähigkeit verloren, meine Finger zu kontrollieren, denn ich kann es nicht loslassen. Stattdessen starre ich auf seine breite, nackte, ölverschmierte und in der Sonne verschwitzt glänzende Brust. Ich brauche wirklich jedes Fünkchen Kraft, das ich aufbringen kann, um meinen Blick von ihm zu lösen, und das Tablett loszulassen. Wahrscheinlich sollte ich mich entschuldigen, denn seinem breiten Grinsen nach zu urteilen, hat er meinen kurzzeitigen Kontrollverlust bemerkt.

Ich wende den Blick ab und gehe zwei Schritte zurück, um mich aus seiner gefährlichen Nähe zu bringen. Von Kerlen wie ihm sollte ich wirklich genug haben: gutaussehend, gut gebaut, schweigsam und verletzt, innerlich tief zerrissen. Das hatte ich schon. Trotzdem spielen meine Hormone offensichtlich völlig verrückt, wenn ich in seiner Nähe bin.

Liam wendet sich einem kleinen Tischchen zu, auf dem allerlei Werkzeug liegt, das er beiseiteschiebt, dann stellt er das Tablett darauf ab. Als er mir den Rücken zukehrt, stoße ich einen schockierten Laut aus, und schlage mir erschrocken auf den Mund. Sein Rücken ist übersät mit Narben. Tiefe, wulstige Narben. Ich habe so etwas noch nie gesehen – wo auch? Es sieht aus, als wäre Liam ausgepeitscht worden. Die Narben bilden ein erschreckendes Netz der Qual, ein Beweis für die Grausamkeiten, die er wohl hatte ertragen müssen. Mir bleibt die Luft weg, so schockiert bin ich. Liam dreht sich zu mir um und ertappt mich dabei, wie ich ihn angestarrt habe. Es tut mir tief in der Seele weh, dass er die Entrüstung in meinem Gesicht lesen muss, weil ich meine Gesichtszüge nicht schnell genug unter Kontrolle bringen kann.

»Tut mir leid«, entschuldige ich mich hastig. »Ich hab nur nicht damit gerechnet. Das hat mich irgendwie unvorbereitet getroffen.« Ich sehe gequält zur Seite. Wie taktlos von mir, so zu reagieren, aber ich konnte es wirklich nicht aufhalten. Es ist einfach aus mir herausgeplatzt.

Er konzentriert sich darauf, die Gläser mit Tee zu füllen und kommt mit zwei Gläsern auf mich zu. »Schon okay, ich werde mich irgendwann daran gewöhnen, dass die Menschen so reagieren«, meint er lachend und gibt mir ein Glas, das andere reicht er George, der den Kopf schüttelt.

»Vielleicht später. Ich seh mal nach den Tieren.«

George verlässt die Scheune und lässt mich mit Liam allein zurück. Als mir das bewusstwird, beschleunigt sich mein Puls. Ich werde mir mit jeder Sekunde in Liams Nähe sicherer, dass die lange Zeit allein mit George mir die Fähigkeit genommen haben muss, mit anderen Menschen zu kommunizieren, denn jetzt stehe ich hier mit einem Glas in der Hand und fühle mich völlig hilflos.

Was sagt man zu einem Mann, der wohl glaubt, dass ich vor Mitleid mit ihm zergehe. Ich weiß, dass Mitleid genau das ist, was viele Menschen, die Schlimmes gesehen und erlebt haben, nicht haben wollen. Bis auf Mark vielleicht, der vom Mitleid der Menschen um ihn herum profitiert. Dessen ganzes Leben nur auf Mitleid beruht. Mitleid, weil seine Mutter ihn verlassen hat, als er noch ein Kind war. Mitleid, weil seine Ehefrau nicht so funktioniert hat, wie sie sollte. Mitleid, weil seine Karriere als Footballspieler gescheitert ist.

Liam hebt grinsend sein Glas an die Lippen und trinkt, dabei tropft Schwitzwasser auf seine schmutzige Brust, was meinen Blick wieder dorthin zerrt. Hastig trinke ich auch einen Schluck, nur um nicht wieder die Kontrolle zu verlieren.

»Könnte von meiner Großmutter sein«, sagt er zufrieden.

»Sie hat mir ihr Rezept gegeben«, erkläre ich und nehme noch einen Schluck, um mich runter zu kühlen.

»Es wird wahrscheinlich nicht einfach mit mir werden«, sagt er. »Ich bin kein besonders umgänglicher Typ, trotzdem danke.«

»Dann sind wir schon zwei.«

Er lächelt mich, dann schluckt er und ich beobachte wie in Trance seine Kehle, die sich langsam auf und ab bewegt. Es ist nicht zu fassen, ich habe mich eben schrecklich danebenbenommen und jetzt stehe ich Sekunden später hier und wünsche mir, mit meiner Zunge über seinen Hals lecken zu dürfen. Das ist falsch. Absolut, total falsch! Dieser Mann hat im Moment andere Probleme zu bewältigen. Ich bin ein Problem, das er nicht haben sollte. Und er ist ein Problem, das ich auf keinen Fall schon wieder will.

»Diese Hosen«, meint er und zieht einen Mundwinkel hoch. »Das Schönste, was ich seit sehr langer Zeit zu Gesicht bekomme.« Er lässt seinen Blick interessiert über meine nackten Beine gleiten. Das fühlt sich kein bisschen unangenehm an, vielmehr löst es ein Kribbeln in meinem Körper aus. Und genau das kann ich nicht zulassen.

»Solange es nur die Hosen sind, kommen wir beide klar«, entgegne ich und verlasse eilig die Scheune. Die Hosen dürfen ihm gern gefallen. Das, was in den Hosen steckt, ist für alle Zeiten fertig mit der Männerwelt. Ich genieße ihren Anblick, gelegentlich habe ich auch mal Lust auf einen Flirt, aber darüber hinaus lasse ich nichts zu. Die Verletzungen durch Mark sitzen viel zu tief.

Fast den ganzen Tag haben George und Liam am alten Traktor gearbeitet, während ich sie von der Veranda aus beobachtet habe, hin und wieder an meinem neuen Artikel geschrieben oder in einem Liebesroman gelesen habe, der mich dazu verführt hat, immer wieder neugierige Blicke auf Liam zu werfen und ihn mit dem Helden im Buch zu vergleichen.

Aus der Ferne betrachtet, könnte ich mir gut vorstellen, dass Liam ein solch mutiger, liebevoller, interessanter und heldenhafter, aber vor allem auch romantischer Mann ist, wie es so viele Romanfiguren sind. Aber ich weiß auch, dass die meisten Männer in der Realität nichts mit dem gemein haben, was wir Frauen in Büchern lesen. Und genau deswegen verspüre ich auch dieses Grummeln im Magen, wenn ich mich dabei erwische, ihn wieder einmal zu beobachten, mich in seinem rauen, attraktiven Äußeren und dem Geheimnisvollem, das ihm umgibt, zu verlieren.

Als es nicht mehr ganz so heiß ist, beschließe ich mit Bella ein wenig über die angrenzenden Felder zu reiten. Früher waren sie Teil dieser Ranch, jetzt gehören sie zur Farm des Nachbarn, der sie nicht nutzt. Aber wir verstehen uns, weil wir beide zurückgezogen leben. Wir sind keine Freunde, dazu sehen wir uns zu selten, und Jack redet nie über sich oder seine Vergangenheit. Genauso wenig wie er mich nach meiner fragt. Aber das muss er auch nicht, denn ich kenne seine Vergangenheit. Wahrscheinlich gibt es niemanden, der ihn und seine Band nicht kennt. Neben George und Angel gehört er zu den wenigen Menschen hier, die überhaupt mit mir reden.

Ich führe Bella über ihre Koppel, zum hinteren Tor und von dort auf das freie Feld. Erst dort schwinge ich mich in den Sattel und treibe die Friesin an, presse meine Schenkel fest gegen ihren Leib und beuge meinen Oberkörper nach vorn. Und genieße ihre raue Kraft unter mir, mit der sie ihre Muskeln antreibt und sich durch das vertrocknete Gras bewegt. Nach so einem heißen Tag scheint die Sonne die Berge in ein Feuermeer tauchen zu wollen.

Ich beuge mich noch weiter nach unten, spüre die Hitze, die von Bella aufsteigt und sauge ihren würzigen Duft nach Heu und Pferd tief in meine Lungen. Es ist merkwürdig, noch bevor ich hierhergekommen bin, saß ich allerhöchstens mal auf dem Rücken eines Holzpferdes, bis Jack mich dazu überredet hat, es mal mit Bella zu versuchen. Jetzt möchte ich dieses Gefühl von Freiheit nicht mehr vermissen. Obwohl ich wahrscheinlich nicht einmal eine besonders gute Reiterin bin. Aber Bella ist dafür eine besonders geduldige Partnerin. Ich tätschle ihr den Hals und richte mich wieder etwas auf. Hinter mir höre ich das dumpfe Aufschlagen von Hufen auf den trockenen Boden. Ich sehe über die Schulter zurück und beobachte mit klopfendem Herzen und Faszination, wie Liam näher kommt.

»Du hast dein Shirt wiedergefunden«, sage ich sarkastisch, als ich bemerke, dass er jetzt eins trägt, und funkle ihn an, als er neben Bella und mir das Tempo von Camilla drosselt.

»Ja, es lag in meinem Schrank. Du hast meine Sachen also wirklich nicht entsorgt?«, fragt er und mustert mich neugierig, aber seinem Grinsen entnehme ich, dass er meine Anspielung verstanden hat.

»Wie du sehen kannst.« Ich verziehe das Gesicht, bin aber froh, dass ich mich die ganze Zeit nicht gewagt habe, in seine oder Rose’s Privatsphäre einzudringen.

»Gut, dass du nicht dazu gekommen bist. Wohin reiten wir?«

Ich sehe ihn erstaunt an.

»Wir?«, frage ich erstaunt. »Wolltest du nicht einen Traktor reparieren?«

»Das habe ich. Also? Ich habe eben festgestellt, ich kann ein Pferd noch satteln, ich kann es noch reiten, warum nutzen wir die Gelegenheit nicht, und lernen uns besser kennen? Außerdem kann ich unmöglich zulassen, dass jemand, der so verdammt heiß aussieht, hier draußen allein unterwegs ist.«

Ich schlucke und sehe stur nach vorne. Besser kennenlernen? Verdammt heiß? Ich bin absolut nicht bereit dazu, einen Mann besser kennenzulernen. Nicht nach dem, was ich mit dem letzten Mann erlebt habe. Schon der Gedanke fühlt sich beängstigend an. Und zugleich sind da dieses Hämmern in meiner Brust, und die Haare, auf meinen Armen, die sich aufstellen, wenn ich Liams Blick auf mir spüre.

»Egal in welche Richtung ich mich bewege, hier draußen werde ich meilenweit allein sein. Du musst dir also keine Sorgen machen. Die einzige Gefahr für mich bist im Moment du.«

Liam lacht laut auf und ich sehe ihn verwundert an, dann verstummt er und seine Augen ruhen einen Moment auf meinem Gesicht. Bella schnaubt unter mir leise. »Wir werden einige Zeit unter einem Dach leben, dafür bin ich dir sehr dankbar, aber ich fände es besser, wenn du das Gefühl hast, dich in meiner Nähe normal fühlen zu können. Ich will nicht, dass du dich wegen mir unsicher fühlst oder du glaubst, Rücksicht auf mich nehmen zu müssen.«

»Danke«, antworte ich, ohne ihn darauf hinzuweisen, dass ein paar gewechselte Worte, ein paar gemeinsame Minuten, mich nicht dazu bringen können, mich in seiner Nähe sicher zu fühlen. Wahrscheinlich werde ich immer das Gefühl haben, die Gefahr sitzt mir im Nacken, wenn ich allein mit einem Mann bin. Aber ich weiß auch, dass ich wieder lernen muss zu vertrauen. Und dass ich nicht dazu in der Lage bin, einen Menschen, der durchgemacht hat, was Liam durchgemacht hat, einfach allein zu lassen. Verflucht sei das weibliche Helfersyndrom. Das hat mich schon in Marks Arme laufen lassen.

»Wie wäre es, wenn ich dir Onkel Ben vorstelle?«, schlägt Liam in dem Moment vor, in dem ich gerade dabei bin, die Erinnerungen zuzulassen, die es immer schaffen, mich in dieses tiefe, schlammige Loch zu reißen, das meine Ehe mit Mark war.

»Onkel Ben?«, frage ich ihn verwundert.

Liam grinst und wirkt dabei so sorglos, dass ich fast glauben will, dass seine Gefangenschaft keine Spuren hinterlassen hat. Ich bewundere ihn dafür, dass er so stark ist. Viel stärker als ich. Aber dann fällt mir wieder ein, dass seine Albträume ihn nachts einholen. Und das ist nicht viel besser als die Angst, die mich begleitet, wenn ich Besorgungen in der Stadt machen muss. Oder wenn ich plötzlich das Gefühl habe, das Mark in meiner Nähe ist. Mich beobachtet.

»Mark hat dir also nie Onkel Ben vorgestellt?«, hakt Liam noch einmal breit grinsend nach.

»Nein, hat er nicht. Aber ich bin auch nicht sehr gesellschaftlich eingestellt. Vielleicht ein anderes Mal.«

Liam schüttelt den Kopf. »Onkel Ben ist keine Person. Ich denke, Mark und ich sind die einzigen, die von Onkel Ben wissen. Wir haben ihm seinen Namen gegeben.« Er sieht mich nachdenklich an. »Ich glaub, wir waren neun, als wir ihn entdeckt haben.«

»Was ist denn nun Onkel Ben«, frage ich neugierig. Ich nehme die Zügel straffer, als Bella ihren Kopf plötzlich nach unten reißt und ich für einen kurzen Moment das Gleichgewicht verliere. Ich bin nicht die beste Reiterin, aber ich versuche es. Das sollte auch zählen.

»Bleib dran«, stößt er lachend aus und treibt Camilla in den Galopp.

The Air WE Breathe

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