Читать книгу Hilfe, fast 40! - Elfi Loth - Страница 10

Auch Bilder können täuschen

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Die 800 km ziehen sich in die Länge. Das Baby drückt mir andauernd auf die Blase, sodass wir immer wieder anhalten müssen. Acht Stunden im Auto zu sitzen, macht eindeutig keinen Spaß!

Als ich aufwache, verkündet Martin mir, dass wir schon bald da sind. Ich bin eingeschlafen! Auch das noch, jetzt kribbeln meine Beine, die gerade aufwachen. Ich will hier raus, raus aus diesem engen Auto!

Ich sehe mich um, betrachte die Landschaft, aber was ist das? Hier sieht es aus wie bei uns. Wo sind denn die Berge geblieben? Ich hatte mich auf das Bergpanorama gefreut und gedacht, hier sieht es aus, wie auf den Bildern aus den Alpen. Hier müssen wir falsch sein!

“Schatz wo sind wir denn?“ Ich schaue mich immer noch um und hoffe, dass hinter der nächsten Kurve eine Bergspitze hervorblinzelt. Nichts als Wald!

Wir Deutschen stellen uns, wenn wir von Österreich hören, immer Berge mit schneebedeckten Gipfeln vor. Zu Österreich gehören Berge, wie zum Meer das Wasser!

“Martin, halt an! Du sagst, wir sind gleich da? Willst du mich veräppeln? Wo sind die Berge?“

Er lächelt mich von der Seite an und fährt unbeirrt weiter.

“Das ist schon richtig so, mein Schatz. Wir sind gleich da. Willkommen im Waldviertel! Wie der Name schon verrät, gibt es hier viel Wald. Österreich hat nicht nur Berge!“

Waldviertel? Dass es so etwas gibt! Das fängt ja schon lustig an. Ich bin auf Berge eingestellt, stattdessen Wald, Wald, Wald!

Das sind sie wieder, diese „bösen“ Überraschungen. Das hätte er mir auch vorher sagen können. Hatte er Angst, ich käme dann nicht mit? Ich hätte ihn ja auch nach der Landschaft fragen können. Wer rechnet schon damit, nicht in die Berge zu kommen, wenn es heißt, wir fahren nach Österreich!

Meine innere Stimme ermahnt mich: “ Marina, jetzt gib dem Ganzen doch mal eine Chance! Was bitte ist an Wald schlecht? Pilze sammeln, spazieren gehen an frischer Waldluft. Das ist doch toll.“

“Ach sei doch still, hast ja recht.“, antworte ich in Gedanken und beschließe ganz unvoreingenommen an die Sache ranzugehen. Schließlich geht es um unsere Zukunft!

Ich betrachte die vorbeiziehende Landschaft. Ist doch eigentlich ganz hübsch hier. Viele Felder, viel Freiraum, nicht alles so zugebaut wie in Deutschland. Hier kann man sich noch entfalten, hat Raum zum Luft holen. Die immer mehr aus dem Boden schießenden Gewerbegebiete in Deutschland, verschandeln nur die Landschaft. So ist das leider, wenn nur der Profit im Vordergrund steht. Wie viele Supermärkte und Einkaufsparks brauchen wir denn noch? Es hat doch keiner das Geld, um sich das alles kaufen zu können. Da kann man nur in die Schaufenster glotzen und sich ärgern, dass man sich nichts leisten kann, bei den Hungerlöhnen. So was ist deprimierend.

Martin fährt schon wieder um eine Kurve. Ich hasse Kurven, da wird mir immer schlecht. Warum können die Strassen nicht einfach immer nur geradeaus gehen? Hier scheint es viele kurvige Strecken zu geben. Mir wird übel. Hoffentlich sind wir gleich da.

Die Landschaft wird immer ländlicher, genau wie die Luft. Ich muss mein Fenster schließen. Ich hatte schon von der „guten“ Landluft gehört, aber das stinkt ja bestialisch. Dörfchen um Dörfchen reiht sich aneinander.

Endlich sind wir da. Martin parkt, steigt aus, nimmt meine Hand und führt mich zu einem Gasthaus. Wo ist denn nun die Firma, von der er mir erzählt hat. Wir können auch erst essen gehen. Das ist mir recht, ich habe Hunger.

“Schatz, das ist aber lieb, dass wir erst essen gehen. Super Idee von dir“, flöte ich. Mit der Aussicht auf Essen verbessert sich meine Laune schlagartig.

“Essen?“ Martin sieht mich verständnislos an.

“Du hast Hunger? Na mal sehen, ob die Mutter von meinem zukünftigen Chef, etwas zu essen für dich hat.“

Na toll, er tut ja gerade so, als wäre die Entscheidung schon gefallen. Die Mutter? Ach, die kocht hier in dem Gasthaus? Gehört bestimmt der Familie.

Martin hält mir die Tür auf und ich betrete den Gasthof. Mein erster Blick fällt auf die gähnend leere Schank. Hier drinnen ist ja nichts los? Ich sehe mich um. Was ist das? Überall Tische und Bänke, wie in einem Gasthaus. Genauso hatte ich mir ein kleines, gemütliches, österreichisches Gasthaus vorgestellt, aber was machen diese vielen Computer hier?

Ein netter junger Mann, in Martins Alter, kommt auf uns zu und begrüßt uns.

“Schatz, darf ich dir Günther vorstellen? Das ist einer meiner Chefs.“

Einer seiner Chefs? Langsam dämmert es mir. Das ist die Firma! Ich reiche ihm artig die Hand und Martin stellt uns vor. Ich stehe wie angewurzelt da und bekomme keinen Ton heraus. Wie peinlich! Was sollen die denn von mir denken? An den Tischen sitzen noch vier Angestellte und bearbeiten fleißig die Computertastaturen.

“Freut mich, dass ihr da seid“, höre ich Günther sagen.

“Ihr habt bestimmt Hunger? Kommt, meine Mama erwartet euch schon.“

Essen, ja, das ist gut. Da muss ich nicht reden und kann in Ruhe alles auf mich wirken lassen. Wir folgen Günther durch einen dunklen Gang und stehen plötzlich in einer großen Gastronomieküche. Eine ältere rundliche Frau begrüßt uns herzlich.

“Schön, dass ihr da seid. Ich hoffe, ihr habt Hunger mitgebracht.“

Und ob, Hunger haben wir, zumindest was mich betrifft.

“Das ist Hermine, meine Mama.“, Günther und drückt seine Mutter an sich. Diese kleine Frau ist mir sofort sympathisch.

“Hallo, ich bin Marina. Danke, dass wir kommen durften.“

Ich reiche ihr die Hand und wir setzen uns an den Tisch. Es gibt Schweinefleisch mit Klößen, oder auf österreichisch, Schweinsbraten mit Knödeln.

Während wir essen erzählt Günther mir die Geschichte der Firma.

Das hier sieht nicht nur aus wie ein Gasthaus, es war auch so was Ähnliches. In Österreich sagt man dazu Heuriger. Früher gehörte es seinen Eltern und die Kinder halfen am Wochenende mit, um den Ansturm zu bewältigen. Hermine kochte, der Vater bediente die Gäste an der Schank und die Kinder servierten. Ein richtiger Familienbetrieb. Günther hatte mit seinen Brüdern die Idee, im Internet Geld zu verdienen. Weil sie nicht wussten, wo sie mit ihrem Computerkram hin sollten und das Gasthaus, äh, der Heurige, nicht mehr so dolle lief, quartierten sie sich, mit der Zustimmung der Eltern, hier ein. Die Firma existiert seit 2 Jahren. Alle drei Brüder sind die Chefs, jeder für einen anderen Bereich und die Mama kocht für alle das Mittagessen, auch für die vier Angestellten.

Das ist ja total sozial. Ich staune über soviel Sozialkompetenz und fühle mich sofort wohl. Das ist ja fast wie früher in meiner Kindheit. Wie in der ehemaligen DDR. Hier könnte es mir tatsächlich gefallen.

Martin wäre der fünfte Angestellte. Günther lobt seine Arbeit und zeigt mir nach dem Essen den vielleicht zukünftigen Arbeitsplatz meines Mannes.

“Für diese Woche haben wir euch ein Zimmer nebenan, bei meiner Großmutter hergerichtet“, sagt Günther und deutet auf eine Tür.

Nebenan? Ein Drei -Generationen -Haushalt. So was kann es nur auf dem Land geben! In einer Stadt, wie da wo wir herkommen, gibt es das nicht. Da hat jeder seine eigenen vier Wände. Da nervt es schon, wenn die eigene Mutter dreimal täglich „nach dem Rechten“ sieht. Hier scheint es zu funktionieren. Alle gehen nett und zuvorkommend miteinander um, jeder respektiert jeden. Dieses Land wird mir immer sympathischer, dabei kenne ich bisher nur diese sechs Leute.

Hilfe, fast 40!

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