Читать книгу Einen Verlängerten bitte - Elisa Herzog - Страница 6

4

Оглавление

„Meine Damen und Herren“, fing Sondra an. „Ich begrüße Sie recht herzlich zur heutigen Sendung von No Limits. Danke, danke für den freundlichen Applaus. Ich kann Ihnen heute eine spannende Sendung versprechen. Es geht um Sexualität im Alter.“

Das Publikum fing zu johlen an. War das Polly Myers’ Fanclub? Sue grinste und klatschte mit.

„Schön, dass die Stimmung hier im Studio so gut ist“, rief Sondra in die Menge. „Damit ihre Fragen auch von einem echten Fachmann beantwortet werden, haben wir uns als Experten den momentan heißesten Sexualtherapeuten Großbritanniens geholt, Dr. Terence Urquhart!“

Wieder johlte das Publikum, auch einige bewundernde Pfiffe waren dabei.

„Schön, dass Sie heute bei uns sind!“ Sondra machte eine beschwichtigende Bewegung mit den Armen, so dass der Applaus abflaute. „Aber wir haben natürlich auch noch weitere Gäste, die ich Ihnen vorstellen darf.“

Sue musste der Redaktion ein Lob zollen, denn sie hatte wirklich eine lebendige Runde zusammengestellt. Außer Polly Myers und ihrem sexfreundlichen Altenheim waren da noch Percy Windermere, flotte 82 und nach eigenen Aussagen der älteste aktive Playboy der britischen Inseln; Barbara Lansing, eine rotgefärbte Endsechzigerin, die erotische Bücher schrieb; Rupert Algin, der Besitzer einer Internet-Partnervermittlung und Mick Happ, Sänger der Rockband Sour, die in den Siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts Dauergast in den Hitparaden gewesen war. Sue hatte ihre Songs auf Kassetten mitgeschnitten, die nun irgendwo in Hallstatt im Speicher des elterlichen Hauses lagerten. Mick Happs Zeiten als Sexsymbol waren seit mindestens dreißig Jahren vorbei, aber er strahlte immer noch etwas Wildes aus, das ihn verdammt jugendlich wirken ließ. Glücklicherweise war er klug genug, auf peinliche Altstar-Accessoires wie dicke Goldketten, Glitzerjacketts und Plateauschuhe zu verzichten.

Sondra fand ihn wohl ebenso anziehend, denn sie hörte gar nicht mehr auf, seine Hand zu tätscheln, selbst als seine Vorstellung längst beendet war. „Und wie immer können Sie direkt bei uns hier im Studio anrufen und Ihre Fragen stellen. Ich muss sagen, ich bin schon sehr gespannt!“ Sondra lächelte. „Ich bin überglücklich, Mick Happ heute hier zu haben. Ich muss sagen, Mick, Sie sehen heiß aus!“

Pfiffe ertönten und der heiße Mick errötete leicht. Wie niedlich, dachte Sue.

„Was tun Sie, um so gut auszusehen? Und sagen Sie jetzt nicht, dass Sie einfach nur gute Gene haben.“ Sie sah ihm tief in die Augen. „Ist es die Liebe, die Sie jung hält?“

Mick Happ nickte. „Ich bin seit 28 Jahren verheiratet. Muss wohl so sein.“

Sondra riss überrascht die Augen auf. „Die Ehe als Jungbrunnen. Das hätte mir jemand vor zwanzig Jahren sagen sollen!“

Das Publikum lachte brav. Dreißig Jahre hätten es wohl besser getroffen, dachte Sue.

„Rupert Algin“, wandte sich Sondra nun ihrem nächsten Gesprächspartner zu, „Sie betreiben eine der größten Internet-Partnervermittlungen. Wie verhält es sich dort mit der Generation 60 plus?“

Der sehr seriös in einen dunklen Anzug gewandete Geschäftsmann fuhr sich durch die hellbraunen Haare und räusperte sich. „Seit ungefähr zwei Jahren verzeichnen wir einen rasanten Anstieg der Mitgliederzahlen in genau diesem Alterssegment.“

„Mehr Männer oder Frauen?“, wollte Barbara Lansing, die Autorin, wissen. Mit ihrem Bubikopf und den hellgrauen, mit schwarzem Kajal dramatisch umrandeten Augen sah sie aus wie eine französische Chansonnière.

„Das ist ausgeglichen“, meinte Rupert Algin.

Sein Haaransatz sah irgendwie seltsam aus, dachte Sue. Ein wenig wie bei Berlusconi. Diese Transplantate waren eindeutig nicht für jeden die ideale Wahl.

„Wie sieht es mit der Vermittlungsquote aus?“, fragte Sondra.

„Gut“, antwortete Algin. „Wir haben schon einige Ehen gestiftet.“

„Schön blöd in diesem Alter“, spottete Barbara Lansing.

„Wie meinen Sie das?“, hakte Sondra nach.

„Na, die alten Herren suchen doch nur nach einer Haushälterin und später einer Pflegerin zum Nulltarif.“ Sie schüttelte den Kopf. „Es wäre besser, wenn die Frauen ihre Freiheit genießen würden!“

„Frauen lieben es eben, Männer zu verwöhnen“, sagte der Alt-Playboy, der mit aufreizendem Selbstbewusstsein in seinem Stuhl saß. Natürlich mit breiten Beinen. Wahrscheinlich handelte es sich dabei um eine Berufskrankheit.

„Ich sitze neben einem Dinosaurier!“ Barbara Lansing klatschte begeistert in die Hände und ihre Ohrringe baumelten so heftig wie ein Pendel beim Aufspüren einer Wasserader.

Sondra ging nicht weiter auf die Entwicklung des Menschen ein, sondern zog sich mit einem Hinweis auf eine Anruferin aus der Affäre.

„Hallo, hier ist Helen Clement aus Rapsworth.“

„Rapsworth?“ Sondra hob fragend die Schultern. „Geben Sie mir einen kurzen Tipp, wo das liegt, Helen, ich darf Sie doch Helen nennen?“

„Selbstverständlich, liebe Sondra“, flötete es aus den Lautsprechern. „Rapsworth liegt ungefähr elf Meilen westlich von Newcastle.“

„Newcastle“, sprach Sondra und nickte. „In unserem schönen Norden. Also Helen, was haben Sie für eine Frage?“

„Eine Frage eher nicht, mehr ein Anliegen.“

„Ein Anliegen? Schießen Sie los.“

„Mir fällt auf, nicht nur hier in dieser Diskussion, sondern allgemein in den Medien, dass man eigentlich nicht mehr alt sein darf. Anti-Aging und der ganze Kram. Auch sexuell. Haben Sie eigentlich schon einmal daran gedacht, dass es Menschen gibt, die eventuell ganz froh sind, wenn dieses Thema für sie erledigt ist?“

Sondra nickte anerkennend. „Ein sehr interessanter Aspekt, liebe Helen. Darf ich fragen, wie alt Sie sind?“

„64. Ich weiß ja nicht, ob Sie Erfahrungen mit Viagra haben…“

„Ich persönlich nicht“, meinte Sondra unter allgemeinem Gelächter. „Wie sieht es hier in der Runde aus?“

Wieder allgemeines Gelächter, wobei Sue an den Wangen von Mick Happ eine leichte Röte zu erkennen glaubte. Terence zeigte ein beeindruckendes Pokerface.

„Zweimal täglich“, bellte Percy Windermere in die Runde.

„Dass das Ihr Herz mitmacht, wundert mich“, frotzelte die Schriftstellerin.

„Ich ficke nicht mit dem Herzen, wenn Sie verstehen, was ich meine.“ Windermere beugte sich zu ihrer Seite.

Nun wurde Sondra leicht rot. „Herr Windermere, ich glaube wir verstehen alle, was Sie meinen.“

„84 Jahre alt und noch immer nichts gelernt“, warf Barbara Lansing in die Runde.

„Helen, entschuldigen Sie die Unterbrechung, aber was wollten Sie zu dem Thema sagen?“

„Ein Mann, der Viagra nimmt, kann ja ständig, und das bis zu drei Tage lang.“

Sue nickte gequält, Percy Windermere wissend. Terence wirkte wie versteinert. Was für ein Glück, dass er im Moment nicht sprechen musste.

„Man kommt sich vor wie ein Sexualobjekt, und das sollten wir doch seit der Frauenbewegung hinter uns haben!“

Pfiffe kamen aus dem Publikum, ebenso begeistertes Johlen.

„Ich glaube, wir betreten hier ein vermintes Gebiet“, sagte Sondra, die leicht nervös an ihrem Ohrstöpsel drehte. Wahrscheinlich machte ihr der Regisseur gerade die Hölle heiß. „Was sagt denn unser Experte dazu? Ist Viagra Segen oder Fluch?“

Terence schlug die Beine übereinander und hüstelte kurz. „Zu einer Beziehung gehört ganz unbestritten auch die körperliche Liebe“, setzte er an. „Sie ist Ausdruck der intimsten Verbindung zwischen zwei Menschen. Im Laufe der Jahre kann, rein körperlich gesehen, die Lust auf Sex nachlassen.“

„Liegt das an den Hormonen?“ Sondra schien froh zu sein, das Gespräch in wissenschaftlichere Bahnen lenken zu können.

Terence nickte. „Der Testosteronspiegel…“

„Die männlichen Hormone“, unterbrach ihn Sondra.

„Genau, so ist es, meine Liebe. Es wird weniger und damit nimmt auch die Lust ab, Liebe zu machen.“

„Was ist denn so schlimm daran?“, kam es aus dem Lautsprecher. „Bei Frauen ist es doch genauso.

„Die Konsequenz wäre dann nur noch – kuscheln?“, warf Sondra ein.

„Dann kannste doch gleich in die Grube steigen“, kommentierte Percy verächtlich.

„Wir haben einen Verein für Viagra-geschädigte Frauen gegründet …“

„Kittelschürzen aller Länder vereinigt euch“, deklamierte Percy mit hoch erhobenen Händen.

„Unser Internetblog erfreut sich großer Beliebtheit“, erzählte die Anruferin weiter. „Täglich kommen neue Teilnehmerinnen dazu. Und ich denke, lieber Herr Windermere, Kittelschürzen-Trägerinnen dürften in der Minderheit sein.“

„Terence,“ übernahm Sondra wieder das Ruder, „wird dieser Konflikt in Ihrer täglichen Praxis auch thematisiert? Also der Viagra-willige Mann und die unwillige Frau?“

Terence nickte ernst. „Selbstverständlich, das ist ein Thema, das das Paar als Einheit betrifft. Diese Entscheidung sollte gemeinsam gefällt und dann auch getragen werden.“

„So ein Schwachsinn, entschuldigen Sie, Herr Doktor“, meinte Percy, aber wenn die Alte nicht mehr will, soll der Mann sich eine Jüngere suchen, und basta.“

„Wie sehen Sie das, Mick, als ehemaliges Sexsymbol?“, fing Sondra zu schmeicheln an.

„Ich bin mit meiner Frau seit 28 Jahren zusammen“, sagte der Rockstar. „Alles im grünen Bereich.“ Mit diesen Worten sank er in seinen Sessel zurück. Dieser Mick war anscheinend eine richtige Plaudertasche.

Nun mischte sich Polly Myers ein. „Unsere Bewohner sind diesbezüglich sehr aktiv.“

„Sie sind Leiterin einer Seniorenresidenz“, erklärte Sondra. „Bei Ihnen gehört Sex für die Bewohner zum Konzept. Terence, was sagen Sie dazu? Kann Sex eine therapeutische Wirkung haben?“

„Jeder Mensch braucht körperliche Nähe, um sich wohl zu fühlen. Gerade in Altenheimen sind die Menschen sehr einsam. Hinzu kommt, dass bei bestimmten psychischen und körperlichen Störungen gewisse sexuelle Hemmungen fallen“, setzte Terence an.

„Nun, ich würde den Wunsch nach Nähe und Zärtlichkeit nicht als Symptome einer psychischen Störung auffassen.“ Langsam kam Polly in Fahrt. „Wir haben festgestellt, dass sich, wenn wir auf diese Bedürfnisse Rücksicht nehmen, die Notwendigkeit einer Medikation verringert.“

„Holen Sie sich speziell geschulte Damen ins Haus?“, fragte Barbara Lansing interessiert. Wahrscheinlich formten sich in ihrem Hirn gerade die Grundzüge eines neuen Romans.

Polly lachte. „Natürlich nicht. Die Partner finden sich innerhalb des Hauses.“

„Ich habe eine weitere Anruferin!“ Sondra schien erleichtert. „Wen darf ich begrüßen?“

„Kate.“

„Kate, woher rufen Sie an?“

„Das möchte ich nicht sagen.“

„Das ist kein Problem, liebe Kate“, flötete Sondra. „Was möchten Sie los werden?“

„Mein Mann, wie soll ich sagen… Ich mag einfach nicht mehr von ihm angefasst werden.“

Sondra heuchelte Betroffenheit, insgeheim freute sie sich sicher über dieses brisante Thema. „Das ist schade. Woran liegt es?“

Kate zögerte. „Er ist so ungeschickt mit seinen Händen. Er fuhrwerkt an mir herum wie an einer Maschine. Ich fühle nichts.“

Sondra drehte sich zu Terence. „Was sagt der Experte?“

„Nun, Kate“, fing Terence an. „Lieben Sie Ihren Mann?“

„Ja“, kam es aus dem Lautsprecher.

„Hat Ihr Mann dieses Problem mit den Händen schon länger?“

„Es wurde im letzten Jahr immer schlimmer.“

„Sie sollten mit ihm zuerst einmal zum Arzt“, riet Terence. „Vielleicht hat er eine Sensibilitätsstörung in den Händen. Klären Sie das bitte ab. Und dann“, nun beugte er sich in Richtung Kamera, „sollten Sie es einmal mit Massage versuchen.“

„Massage?“ Kate klang nicht überzeugt.

„Ja. Versuchen Sie es. Ein schön duftendes Massageöl, und dann massieren Sie sich gegenseitig von Kopf bis Fuß. Das macht die Gelenke geschmeidig und sorgt für eine erotische Stimmung.“

„Sticken kann ich nur empfehlen“, mischte sich Mick Happ unvermittelt ein.

Alle Köpfe wandten sich ihm ruckartig zu. Sondra blieb einige Sekunden lang der Mund offen stehen, bis sie ein ungläubiges „Sticken?“ herausbrachte.

„Das schult die Feinmotorik“, sagte Mick Happ, den Sue eigentlich immer als handfesten Typen eingeordnet hatte.

Sie sah auf die Uhr. Sticken gegen Grobmotorik? Sue sah schon ganze Männerclubs beim Erstellen von Zierkissen vereint. Würden Männer auch Blümchen oder Vögelchen sticken, oder eher männliche Sujets wie Maschinen oder vollbusige Damen? Sue hätte die Vertiefung dieses Themas gerne weiter verfolgt, aber es nützte nichts. Die Würstchen warteten.

Einen Verlängerten bitte

Подняться наверх