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Freitag, 19.10.2012

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In der kleinen Pause saß sie innerlich immer noch strahlend auf ihrem Platz im Lehrerzimmer. Mit dem neuen Schrank und der übersichtlichen Garderobe war das Aufstehen morgens der reinste Genuss gewesen. Sie hatte sich für den grauen Harris-Tweed-Blazer, eine schwarze Hose und ein blassrosa T-Shirt entschieden. Blassrosa stand ihr gut zu ihren nussbraunen Haaren, fand sie.

Gesundes Frühstück, ein paar aufräumende Handgriffe, damit sie später auch wieder gerne nach Hause kam, ein prüfender Blick in die Tasche, hierher gefahren (grüne Welle, das kam so oft auch nicht vor!) und schließlich zwei wohl gelungene Stunden. Warum kam der Chef eigentlich nicht mal zum Unterrichtsbesuch? Sie hatte so schöne Schüler aktivierende Unterrichtsformen verwendet und wirklich Lernerfolge erzielt, das hätte er sich ruhig mal ansehen können! Als Hilde hereinkam und ihr zuwinkte, sprang sie auf und fragte sie: „Wann kommt denn mal der Chef in den Unterricht?“

„Bist du so scharf darauf? Die meisten haben total Panik davor“, war die amüsierte Antwort.

„Ich fand mich heute richtig gut, und dann guckt wieder kein Schwein…“

„Hauptsache, die Kinder fanden es gut. Obwohl, die finden es noch besser, wenn man gar nichts macht. Langfristig nicht, aber für den Moment schon. Ich glaube, er fängt nach Weihnachten mal wieder an. Bis dahin kannst du dir noch etwas Routine zulegen.“

Doro grummelte. „Und weißt du einen anständigen Schuster?“

„Hier an der Schule? Nein. Aber ich kaufe hier auch nie ein.“

„Ich dachte eher an Selling oder die Altstadt.“

Hilde überlegte. „Ich habe früher auch mal in Selling gewohnt… hab ich da jemals Schuhe zum Richten gebracht? Hm… Ist nicht an der Düsseldorfer neben der Reinigung so ein Reparaturservice? Der, der auch Taschen richtet? Oder gibt´s den nicht mehr?“

„Danke, da schaue ich mal hin. Ecke Rheinland, meinst du?“

„Eher Ecke Duisburger. Zwei Blocks weiter stadtauswärts. Was ist denn jetzt wieder los?“

In der Ecke gegenüber hatten sich zornige Stimmen erhoben – die Uhl und die Zirngiebel. Hilde seufzte. „Nicht schon wieder! Die blöde Uhl lernt es auch nicht mehr…“

„Worum geht es da?“

„Die Uhl ist sauer, dass die Zirngiebel für ihre Beratungstätigkeit ein eigenes kleines Zimmer hat. Braucht sie ja auch. Aber die Uhl will auch eins.“

„Wozu? Was macht sie Besonderes?“

„Schlecht unterrichten, sonst nichts. Realitätsverlust. Haben hier so einige.“

Doro kicherte begeistert. Ja, das war ihr in den letzten Tagen auch schon aufgefallen! Maja Körner gesellte sich zu ihnen und setzte sich. „Puh, diese Mädels manchmal! Können die Eltern nicht mal darauf schauen, wie die morgens das Haus verlassen? In meiner 9 a ist heute eine in durchsichtiger Bluse ohne BH drunter aufgeschlagen.“

„Oh. Die Jungs waren begeistert?“

Maja grinste. „Mitnichten. Sie haben bloß gehöhnt, hast ja noch gar nichts vorzuweisen, du dumme Nuss. Und die anderen Mädchen haben schon gezischelt. Ich bilde mir ein, das Wort Schlampe gehört zu haben…“

„Vielleicht war ihr das ja eine Lehre?“

Doro drehte sich um. „Hallo, Frau Bittl. Ja, hoffentlich. Wahrscheinlich bringt das mehr als Mamas Ermahnungen. Mütter sind ja ohnehin bloß peinlich…“

„Petra, bitte. Wenn tiefe Einblicke uncool sind, ist das bestimmt überzeugender, als wenn die Mama findet, das sei unanständig. Waren wir in dem Alter eigentlich auch so bescheuert?“

„Oh ja!“, rief Hilde. „Ich sage nur: In nagelneue Markenjeans kunstvolle Löcher reinreiben!“

„Knallschwarzer Kajal und meterlange Spinnenwimpern am helllichten Vormittag“, erinnerte Maja sich. Doro kicherte. „Dürre Beinchen, Mikrominis und dazu klobige Doc Martens. Ich hab vor kurzem mal ein Bild von damals gefunden und konnte kaum glauben, dass ich dieses behämmerte Wesen sein sollte.“

„Und die Mama hatte ja üüüberhaupt keine Ahnung, was wirklich angesagt war!“, fügte Petra hinzu. „Manchmal kann man doch froh sein, dass man nicht mehr jung ist“, urteilte Hilde abschließend.

„Weil du so alt bist, ja?“, spottete Petra. „Ich bin vierunddreißig, und du bist jünger als ich, also gib hier nicht die abgeklärte Oma!“

„Angesichts der Östrogen- und Testosteronschwaden hier kommt man sich aber manchmal wirklich uralt vor“, seufzte Hilde. Doro stimmte ihr zu, auch wenn sie mit knapp achtundzwanzig noch zu den Küken zählte.

Petra drehte sich um. „Hallo, Erika. Kommst du dir auch manchmal ganz alt vor, wenn du die jugendlichen Geschmacksverirrungen unserer Mädels siehst?“ Die Steinleitner lächelte, setzte sich und packte eine Brotzeitdose aus, der sie einen geschnittenen Apfel entnahm.

Doro dachte unwillkürlich Spießerin und schämte sich sofort. War es nicht vernünftig, seinen Pausensnack gut aufzubewahren? Wäre eine zermatschte Banane, die an Schulbüchern oder Gott behüte Prüfungsunterlagen klebte, denn besser? Cooler? Himmel, war sie auch erst vierzehn?

„Eigentlich sind die Jungs doch auch nicht besser“, sagte sie nun betont munter, „wenn man an diese Hosen auf Halbmast denkt… Was soll daran eigentlich schön sein? Wenn man so kurzbeinig daher kommt?“

Alles lachte, und Maja versuchte zu erklären: „Das soll wohl auch nicht schön sein, sondern schwer lässig. Solange oben kein angeschmuddelter Feinripp rausschaut, kann man ja froh und dankbar sein!“

Doro schüttelte sich. „Dabei muss ich bei den Mädels an Hüfthosen denken, wo hinten oben der String rausschaut. Ich finde das ziemlich nuttig.“

Die Steinleitner seufzte. „Entschuldigung – aber ist doch wahr!“, verteidigte Doro sich gegen diese Wohlanständigkeit.

„Das meine ich ja gar nicht!“, wandte die Steinleitner ein. „Ich denke nur an diese dummen Mädchen, die sich so ordinär herausputzen. Das ist doch gefährlich! Was denkt ein Mann, der einen solchen Aufzug sieht? Er muss doch glauben, das Mädchen legt es darauf an.“ Sie sah sich Beifall heischend um und verspeiste zierlich einen Apfelschnitz.

„Meinst du, das macht den Mädels großartig was aus, Erika?“, fragte Petra und wickelte einen Energy-Riegel aus. „Ich meine, die stellen Nacktfotos von sich ins Netz, erzählen auf Facebook alles über ihr uninteressantes Liebesleben – warum sollen sie dann nicht auch aller Welt ihren Hintern zeigen?“

„Und später bereuen sie es“, stellte die Steinleitner bekümmert fest.

„Das ist doch wie mit diesen Partyfotos“, steuerte Maja bei. „Erst lassen sie sich sturzbetrunken fotografieren, und dann wundern sie sich, wenn später künftige Arbeitgeber diese Fotos sehen und abwinken.“ Petra lachte, schluckte hastig ihren Bissen Proteinmasse herunter und fand: „Und dann sind sie total erpressbar.“

„Was? Wieso?“, fragte die Steinleitner rundäugig.

„Na, zahl oder ich leite die Fotos an interessierte Stellen weiter. Könnte ja sein, dass Freunde, Familie und Chefs die ganzen Peinlichkeiten noch nicht gefunden haben. Ich bin sicher, das ist ein lukratives Geschäft – meinst du nicht?“

Die Steinleitner guckte angesichts der Schlechtigkeit der Welt verkniffen und antwortete nicht.

Maja kramte auch einen Apfel aus der Tasche und biss herzhaft hinein. „Musch -“ sie schluckte hastig hinunter, „Muss gar kein Party- oder Pornofoto sein. Manchmal reicht ja schon, wie man früher ausgesehen hat… ich hab noch Moppelfotos von mir früher, die sind peinlich genug. Stehen aber glücklicherweise nicht im Netz.“ Sie überlegte einen Moment lang. „Na, hoffe ich wenigstens.“

„Apropos schlimme Fotos“, warf Hilde ein, „denkt doch bloß an die neuen Passfotos, auf denen man so giftig wie nur irgend möglich schauen soll. Noch mehr der Typ Verbrecherkartei geht ja wohl nicht mehr.“

Erika Steinleitner seufzte. „Wollen wir nicht von was Netterem reden, bevor die Freistunde gleich wieder vorbei ist? Was macht ihr am Wochenende?“

Doro war verlegen. „Weiß noch nicht. Spazierengehen vielleicht. Am Mönchensee, mal schauen.“

„Ich auch“, sagte Maja. „Wenn du Lust hast, gehen wir gemeinsam. So ein herbstlicher See ist schon was Schönes. Und so richtig durchgekühlt zu werden…“

„Und dann ein heißer Tee“, ergänzte Doro träumerisch. „Earl Grey oder Jasmin…“

„Abgemacht!“ Sie schüttelten sich die Hand. „Spazierengehen…“ Petra rümpfte die Nase. „Wäre mir zu langweilig. Wir machen eine Radltour rund um den Eulenburger See. Kennt ihr den?“ Maja schon, Doro hatte noch nie von ihm gehört. „Aber der ist doch ganz schön weit weg? Packst du da dein Rad in den Kofferraum und startest dort?“, wollte Maja wissen.

„Nicht so ganz“, antwortete Petra. „Wir starten um 10 an der Eulenburger Mole, in diesem Möchtegern-Yachthafen… ich werde bis Rothenwald mit dem Bus fahren und von da aus radeln.“

„Huch“, machte Erika Steinleitner, „wann musst du denn da aus dem Haus? Das hört sich doch recht anstrengend an.“

„Ach wo. Schließlich bin ich ja Sportlehrerin! Ich denke, ich brauche mit dem Rad eine halbe Stunde, mit dem Bus auch, zehn Minuten zum Bus… zehn vor neun werde ich aufbrechen, vermute ich. Hach, ich freue mich schon! Der frische Wind – und das Seewasser riecht so gut… und wenn wir rum sind, kehren wir ins Seehotel ein, die haben ein Salatbuffet, ich sag euch, zum Niederknien!“

„Klingt verlockend“, fand Maja. „Doro, einen üppigen Salat könnten wir uns hinterher auch gönnen. Kennst du das Salads&More? In der Floriansgasse?“

„Nur von außen… haben die sonntags auf?“

„Die haben immer auf“, behauptete Hilde. „Und nehmt euch unbedingt dieses leckere Parmesanbaguette!“

„Pfui“, machte Maja. „Weißmehl?“

„Gott, bist du konsequent“, stöhnte Hilde. „Hast du nicht bald genug abgenommen?“

„Fast. Drei, vier Kilos noch, dann bin ich zufrieden. Zucker macht nun mal dick. Und Weißmehl ist purer Zucker, das weißt du doch.“

„Sündigst du nie?“, fragte Doro neugierig. „Kaum“, antwortete Maja selbstzufrieden. „Lobenswert“, fand Erika Steinleitner. „Selbstdisziplin ist eine der wichtigsten Tugenden überhaupt, finde ich. Weiter so!“

Maja bedankte sich etwas erstaunt und sah dann auf die Uhr. „Mist, ich muss noch was kopieren, und in drei Minuten läutet es schon wieder!“

Die Runde löste sich prompt komplett auf – auch Doro hatte es nun eilig und wäre in der Tür fast gegen Trattner gerannt, der dort lässig lehnte. Sie entschuldigte sich etwas verkniffen und eilte in ihren Deutschkurs.

Tod auf den Gleisen

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