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Mittwoch, 10.10.2012

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Der Schultag verlief deutlich weniger aufregend als der Dienstag – die Neunte jammerte nur verhalten, als Doro das Ex auspackte, der Rest arbeitete recht ordentlich mit, und Dramen im Lehrerzimmer gab es auch nicht – oder Doro verpasste die spannenden Momente, weil sie kaum Freistunden hatte. Ausnahme: Trattner, der sich anscheinend für Gottes Geschenk an die Weiber hielt, baggerte Katja Herzberger an, die ihn ziemlich kurz abfertigte. Doro freute sich – sie kannte Trattner kaum, aber sie fand ihn affig, die Solariumsbräune, das Goldkettchen, die blendend weißen Zähne, den leichten Tiroler Zungenschlag, den knalltürkis und lila gemusterten Trainingsanzug und die Tatsache, dass er Luis hieß wie der olle Trenker. Außerdem hegte sie wie viele Kollegen das beliebte Vorurteil, dass es bei Lehrern für Sport und Englisch wohl zu mehr Wissenschaft nicht gereicht habe.

Von diesem kurzen Intermezzo abgesehen konnte Doro höchstens den Kleidungsstil der Kollegen studieren und ihre Nutzanwendungen daraus ziehen.

Richtig schick waren wirklich nur die drei Mädels, dieser Pütz (Harris-Tweed!), der Chef, dann die Körner, die es zumindest versuchte (ab und ein schwarzer Blazer zu grauen Jeans) und die Echterding, die aber eher Kostüme zu favorisieren schien. Auch nicht schlecht. Und wirklich schöne Schuhe. Der Rest bevorzugte eben Jeans oder ausgebeulte Cordhosen und dazu Hemden oder Pullis, wobei die Pullis gerne abscheulich gemustert waren. Doro, die heute eine schwarze Hose und eine schwarz-weiß gemusterte Bluse trug, fand sich damit schon relativ schick. Einen Blazer hatte sie irgendwo sicher auch noch. Der graue Pfeffer-und-Salz musste doch in einer Kiste sein – oder hatte sie den noch in München weggeschmissen?

Sie seufzte. Es wurde wirklich Zeit für vernünftige Möbel! Vielleicht hatte sie die absolute Karrierekleidung in irgendeiner Kiste und lief hier herum wie ein Bürolehrling?

Ach Quatsch! Wenn sie Klamotten hätte wie die drei Grazien, dann wüsste sie das aber. Der Pfeffer-und-Salz-Blazer war schon das Höchste der Gefühle. Wenn es ihn noch gab, hieß das.

Und mit Superklamotten wurde man hier doch auch nicht schneller befördert. Sie überlegte, ob die hysterische Mendel im Nadelstreifenkostüm einen besseren Eindruck machen würde, und kicherte vor sich hin: Die würde wohl höchstens finden, dass der Staat ihr Arbeitskleidung zu stellen hätte…

Aber solche Gedanken waren ja eigentlich die reinste Zeitverschwendung – sie hätte schon mit dem Ex anfangen können, aber jetzt war die Freistunde praktisch vorbei, und nach den nächsten beiden Stunden konnte sie nach Hause – halt, nein, erst zum Baumarkt. Wenigstens ein Regal – und das Ex!

Schlechte Planung, tadelte sie sich selbst und raffte ihren Kram zusammen – Geschichte 12 und Deutsch 9.

Als sie durch die Tür in den Trakt der Oberstufe eilte, stieß sie mit einer Kollegin zusammen und entschuldigte sich verlegen. „Macht nichts“, antwortete die. „Ist ja nichts passiert. Sie sind Frau Fiedler, nicht?“

„Ja… aber ich weiß jetzt gerade nicht…“ Wie sollte man sich auch in so kurzer Zeit fast hundert Kollegen merken?

„Woher auch? Ich bin Petra Bittl. Sport, Spanisch, Französisch. Gefällt´s Ihnen bei uns?“

„Doch, ja. Viel besser als an den Schulen während des Referendariats. Ein so sympathisches Kollegium! Aber ich muss jetzt leider…“ Frau Bittl lächelte verständnisvoll, während Doro die Treppe hinauf eilte und im linken Gang verschwand.

Hier waren echt alle so nett, geradezu paradiesisch! Auch der Kurs war reizend. Zum ersten waren von sechsundzwanzig Leuten schon vierundzwanzig da, als sie eintrat, und die fehlenden zwei kamen unmittelbar nach ihr in den Raum gestürzt und entschuldigten sich atemlos, obwohl es kaum geläutet hatte. Ob das so blieb? Zum zweiten hatten sie sogar Geschichtsbücher dabei, so dass Quellenarbeit möglich war, und arbeiteten auch eifrig mit. Doro lobte sie entsprechend, stellte am Ende noch einige Verständnisfragen und beschloss, nächstes Mal ein Ex mit einer kleinen Auswahl genau dieser Fragen zu schreiben. Wenn alle so gut aufgepasst hatten, musste da doch ein Schnitt von 15,00 herauskommen?

Die Neunte fragte natürlich sofort, ob sie das Ex schon korrigiert habe, und Doro seufzte. „Leute, wann denn? Wenn ich ganz toll bin, kriegt ihr sie in der nächsten Geschichtsstunde wieder – also am Montag.“

Lange Gesichter, aber mit der Aufforderung, in Gruppen nach Argumenten für einen Kleiderzuschuss zum Taschengeld zu suchen, lenkte sie sie ab. Sie suchten und trugen hinterher begeistert vor, wollten aber nicht so recht einsehen, dass das Argument „Dann kann ich mir mal echt coole Sachen kaufen, mit eurem peinlichen Kram werde ich ja doch bloß gemobbt“ ganz schlechte Verkaufe war. Dass man Eltern in der Argumentation etwas entgegenkommen musste, war ihnen noch schwer zu vermitteln, aber sie bemühten sich und jammerten auch nicht allzu laut, als die Hausaufgabe gestellt wurde: Ein überzeugendes Argument korrekt auszuformulieren, mit Behauptung, Begründung, Beweis und Zusammenfassung. „Schickt es mir als Mail-Attachment, dann füge ich alles zu einem Blatt zusammen und wir können schauen, was schon funktioniert und was noch nicht.“

In diesem Moment läutete es, und nach kurzem lautem Aufräumen trampelten alle in die Freiheit. Doro sah ihnen nach. Nette Bande. Noch ein bisschen hormongesteuert, aber schon ziemlich vernünftig.

Die einzige echt lästige Klasse war diese Siebte, bei denen sie Geographie hatte. Aber die konnten eigentlich auch nichts dafür, die waren eben mitten in der Pubertät. So, und jetzt würde sie ihren übrigen Kram einsammeln und sich zum Baumarkt aufmachen. Außerdem knurrte ihr der Magen.

Im Lehrerzimmer war nicht mehr viel los, um kurz vor drei vielleicht auch nicht so erstaunlich. Merkwürdigerweise saß die Mendel in einer Ecke und schniefte. Das Schniefen wunderte Doro weniger, aber wieso war diese wehleidige Weib überhaupt noch da? Ließ die nicht spätestens um eins den Hammer fallen? War Nachmittagsunterricht nicht eine perfide Idee des KM, um speziell sie auszubeuten?

Neben der Mendel saß diese brave Steinleitner und murmelte Beruhigendes. Die Steinleitner sah aus, als gebe sie Handarbeiten, fand Doro, dabei waren ihre Fächer Deutsch und Französisch. Mitte dreißig, die Haare ordentlich aufgesteckt, Jackenkleider aus Jersey in gedeckten Farben (oder biedere Twinsets), keinerlei Make-up. Man konnte sie sich richtig vorstellen, wie sie den Kreuzstich an einem Stück überdimensionalen Stramins demonstrierte. Aber immerhin war es nett von ihr, dass sie versuchte, die dämliche Mendel vom Ausrasten abzuhalten.

In der nächsten Ecke saßen Trattner und Pütz und ignorierten sich nach Kräften.

„Für heute erlöst?“, fragte Pütz sie und Doro nickte. „Haken dran und ab nach Hause.“ Trattner schaute neidisch. Tja – mit Sport hing man noch länger hier herum, aber dafür war er ja wohl auch nicht um Viertel vor acht hier angetreten. Außerdem: Augen auf bei der Fächerwahl!

Sie stopfte ihre übrigen Mappen und Bücher in die Tasche, wünschte allseits einen schönen Restnachmittag und entfloh, bevor sich die Mendel womöglich noch verarscht fühlte. Merkwürdig, dass sie offenbar erst seit diesem Jahr so durchdrehte. Und für Wegheiraten und Kinderkriegen war sie wohl schon zu alt.

Doro parkte vor dem Baumarkt und eilte die Gänge entlang. Wo hatten die hier die Regale? Und wie schwer waren die wohl? Ihr ältlicher Kleinwagen fasste nicht unbegrenzt viel, aber notfalls würde sie eben täglich hier vorbeischauen.

Vor den Regalen traf sie Maja Körner, die letztes Jahr am Mariengymnasium angefangen hatte. „Aha, willst du auch mal Ordnung in die Bude bringen?“, begrüßte diese sie. Doro nickte. „Ich hab die Wohnung ja erst seit ein paar Wochen, und immerzu aus Kisten leben…“

„Schöne Wohnung?“

„Och – ja. Ein Zimmer halt. In Selling. Aber ganz in Ordnung, finde ich. Gute Infrastruktur.“

„Selling ist nicht schlecht, da hast du Recht. Haufenweise normale Läden und an jeder Ecke eine Bushaltestelle.“

„Normale Läden?“

„Solche, die man brauchen kann“, erläuterte Maja. „Lebensmittel, Klamotten, Schreibwaren, Apotheke… An der Uni gibt´s praktisch nur noch Cafés und Copyshops, was soll einem das, wenn man mit dem Studium fertig ist? Und in der Altstadt… schick schon, aber Designerklamotten braucht man ja auch nicht täglich!“ Doro lachte. „Stimmt. Obwohl, das Schaufenstergucken macht bei Designerklamotten natürlich mehr Spaß.“

„Auf der Suche nach schicken Blazern…“ Maja seufzte.

„Woher weißt du?“

„Luise, Hilde und Katja haben schon eine starke Vorbildfunktion, findest du nicht?“

„Doch… vor allem, wenn man manche andere danebenhält…“

„Den fettigen Ederer… oder die Trautenwolf?“

„Trautenwolf… ist das diese Dicke?“

„Ja. Mit der Figur ist es wohl echt schwierig, sich gut anzuziehen… Größe 56 ist das bestimmt.“

„Aber dafür kann sie ja wohl nichts… ich meine, wer so viel Speck angesammelt hat, hat doch bestimmt irgendein gesundheitliches Problem, eine Stoffwechselstörung oder so was?“

„Meinst du?“

„Weiß ich nicht, ich denke mir das halt so… Aber an dieser Schule laufen eigentlich viele recht gut gekleidet rum. An meiner Seminarschule hatte nicht mal der Chef einen Anzug an, sondern Cordhosen und ganz unglaubliche Pullis. Die hat ihm seine Alte offenbar selbst gestrickt. Und soo eine Wampe!“ Sie deutete das mit einer entsprechenden Geste an, und Maja lachte. „Wie der Ederer, das alte Ferkel! Die Trautenwolf ist immerhin Kult bei den Schülern, die hat einen wahnsinnig trockenen Humor. Ich hab bloß Angst, dass sie eines Tages tot umfällt – die muss doch unglaubliche Werte haben. Und rauchen tut sie auch noch, wie ein Schlot!“

„Was? Huch, wo kann man denn am Mariengymnasium rauchen? Etwa vor der Tür, mit den Schülern? Geht ja gar nicht!“

„Entweder dort, aber das hat wirklich was von Anbiederung. Oder um die Ecke im Georgenweg, da ist so eine ganz kleine Anlage. Da hängen die Kollegen dann gerne herum.“

„Zur Freude der Anwohner?“

„Genau. Und, was willst du hier kaufen?“

Doro erzählte, ließ sich beraten und schleifte schließlich mit Maja zusammen die Bauteile für zwei Regale zur Kasse. Soviel würde in ihr Auto passen, hatten sie beschlossen. Und ein ganz hohes und ein fast ganz hohes Regal, das müsste doch ein guter Anfang für eine interessant gestaltete Regalwand sein?

Leider verabschiedete sich Maja schon auf dem Parkplatz, also musste Doro den Kram alleine nach oben schleppen. Gut, dann war für heute die Fitness abgehakt!

Oben zog sie den klapprigen Tisch von der Wand, saugte den Boden an der Wand entlang sorgfältigst ab, räumte auch alle Bücherkisten aus der Nähe weg und ging an die Arbeit. Die hohen Regale außen, dann nach innen absinkend bis zum Tisch, hatten sie sich überlegt.

Sie begann mit dem ganz hohen Regal an der Wand zur Küche, fröhlich die Songs aus dem Radio mitpfeifend. Schwierig war das nicht – oberstes und unterstes Brett mit den Seitenleitern verschrauben, Stützkreuz anschrauben, alles korrekt aufstellen, übrige Bretter an den richtigen Stellen einhängen, alles säubern, um das Sägemehl zu entfernen, die Schrauben noch einmal nachziehen…

Maja war nett, fand sie. Alle waren nett, außer dem dämlichen Trattner, diesem eitlen Affen, und natürlich der hysterischen Mendel.

Mit diesem Ederer hatte sie noch nie ein Wort gewechselt – und mit einer Menge anderer aus dem Kollegium auch nicht. Bestimmt brauchte sie ein Jahr, bis sie alle kannte. Und bei einigen von den Referendaren lohnte es sich wahrscheinlich auch gar nicht. Bis sie deren Namen drauf hatte, kehrten sie an die Seminarschule zurück oder wechselten an eine andere Einsatzschule.

So, das erste Regal stand!

Ein bisschen korrigieren?

Nein, erst das zweite Regal. Das Ex hatte wirklich Zeit bis Montag. Das Regal, dann beide schön einräumen, einige leere Kisten in den Keller, den Unterricht für morgen vorbereiten – und dann korrigieren. Wenn sie dann noch Lust hatte, hieß das!

Konnte es eigentlich sein, dass es an dieser Schule so harmonisch zuging? Sie kannte ja nur zwei andere Schulen, aber dort waren Cliquenbildung und richtig giftige Zänkereien im Lehrerzimmer gang und gäbe gewesen, die Kollegen hängten sich gegenseitig beim Schulleiter hin und da, wo sie im Zweigschuleinsatz gewesen war, hatte die Chefin das auch ausgenutzt – divide et impera, offensichtlich. Und hier war alles Friede, Freude, Eierkuchen?

Wahrscheinlich blickte sie nur noch nicht richtig durch, überlegte sie, während sie das zweite Regal fertig aufbaute und es mit dem ersten verband. Probehalber rüttelte sie an der Konstruktion: stabil. Vor allem, wenn sie jetzt noch ihre Ordner ins unterste Fach stellte.

Das Einräumen war ein Genuss – plötzlich war ihr ganzer Schulkrempel übersichtlich untergebracht und sie fand beim Leeren der letzten Kisten noch Klarsichthüllen, Eckspanner und den Klebestift, den sie letzte Woche vergeblich gesucht hatte. Und die Bücher waren auch alle wieder da!

Sie faltete die überflüssigen Kisten zusammen und lehnte sie im Flur an die Wand. Was jetzt?

Vorbereiten.

Ach nein, später. Neben dem Bett konnte sie doch zwei Kisten als Regalersatz aufbauen und ihre Pullis und T-Shirts darin stapeln… vielleicht tauchte dabei ja auch der ominöse Blazer wieder auf?

Die einzige Zimtzicke, die an die Schulen aus der Referendarzeit erinnerte, war die Mendel. Aber die hatte dafür schon krass einen an der Waffel, fand Doro, während sie ungeahnte Schätze aus einer Kleiderkiste holte, alles auf dem Bett aufstapelte, die Deckflächen nach innen drückte und die Kiste mit dem Boden zur Wand und der Öffnung nach vorne neben dem Bett platzierte. Burnout reichte da wirklich nicht – vielleicht ein Schicksalsschlag? Oder ein Gehirntumor? Oder ein Suchtproblem?

Dass der Mendel nicht wirklich mal einer eins überzog? Musste es da nicht manche dauernd im Handgelenk jucken, bei dem dummen Geschwätz? Oder dachten sich Leute wie Hilde Suttner dann doch nur Leck mich und fragten andere, ob sie eine Aufsicht übernehmen könnten?

Unfair wäre das aber wirklich – so käme die Mendel völlig ohne Arbeit davon! Man müsste sie in eine Situation bringen, wo Dr. Eisler nicht mehr anders konnte als ein Disziplinarverfahren einzuleiten… Also, wenn sie eine Möglichkeit sah, jemandem wie Luise Wintrich dabei zu helfen, dann würde sie es auch tun – aber hallo!

Sie arrangierte die Bücher noch etwas besser, faltete ihre beiden Strickjacken ordentlich, platzierte noch eine zweite stabile Kiste auf der ersten und faltete ihre paar Jeans – die dunkelblauen, die grauen, die braunen, die roten Cordjeans, die rehbraunen Chinos. Gar nicht so übel, fand sie.

Das reichte für heute! Sie schleifte die übrigen Kisten in den Keller – der war bei Gelegenheit auch mal fällig! – und setzte sich unlustig an den provisorischen Schreibtisch. Abendessen? Erst mal planen und ein bisschen vorbereiten, es war ja erst halb sechs. Morgen hatte sie sowieso bloß drei Stunden. Und Sprechstunde! Also fuhr sie ihren Rechner hoch, trug die Noten von dieser Woche ein, druckte die aktuellen Klassenlisten aus und packte sie in die Sprechstundenmappe. Immer das erste, was die Eltern wissen wollten: Wie steht er/sie denn jetzt? Sie nahm sich nun doch das Ex vor und blätterte ein bisschen darin herum. Okay, die erste Frage!

Nach der Hälfte verlor sie etwas die Lust. Lieber dachte sie sich ein neues Ex für morgen im Deutschkurs aus, wenn die schon so brav mitgearbeitet hatten!

Das ging flotter; zufrieden zog sie die fertige Angabe aus dem Drucker und tütete sie ein. Halb sieben… gut, etwas Gemüse, ein hartes Ei und eine kleine Scheibe Vollkornbrot. Abends wenig Kohlenhydrate, das war ihr in Fleisch und Blut übergegangen, und so war es auch nicht schwer, die Figur zu halten. Schwierig war es eher, während des Schultags das Essen nicht ganz zu vergessen.

Und danach lief sie am besten eine halbe Stunde durch die rührend altmodischen Innenhöfe, die es hier in Selling überall gab.

Während sie an Teppichklopfstangen und Garagenhöfen vorbeijoggte, überlegte sie weiter, ob sie das Kollegium eigentlich richtig einschätzte. Eigentlich war es mit ihrer Menschenkenntnis ja nicht arg weit her – immer schon hatte sie gestaunt, wenn ihr jemand erzählt hatte, wer es angeblich mit wem trieb…

Gab es am Mariengymnasium eigentlich Pärchen? Sie musste wirklich mal versuchen, auf so etwas zu achten!

Dieser Trattner war offenbar hinter Katja Herzberger her, aber die zeigte wenig Interesse. Ob die Mendel verheiratet war? Vielleicht ging der Alte fremd und sie war deshalb so durchgeknallt und fühlte sich von der ganzen Welt verfolgt?

Wahrscheinlich waren die meisten anderen brav und bieder verheiratet. Wintrich und Suttner waren bestimmt auch schon vergeben, die sahen ja auch schon so toll aus…

Obwohl, die Wintrich war so der Inbegriff der Karrierefrau. Und ein bisschen kaltschnäuzig. Klasse, aber hatten Männer vor solchen Frauen nicht Angst?

Vor ihr hatte noch nie einer Angst gehabt. So erfolgreich war sie eben nicht! Deswegen war sie aber trotzdem schon länger solo.

Huch, die Boutique in der Düsseldorfer Straße machte Räumungsverkauf? Gaben die auf? Wieso das denn - viel wichtiger: Gab´s da Schnäppchen? Doro drehte bei und spähte in die Schaufenster.

Ach, die hatten immer noch auf? Um die Zeit ging doch in dieser braven Gegend niemand mehr einkaufen, da saßen doch alle beim Abendessen? Oder schon vor den Fernsehnachrichten.

Sie trat ein und wurde von einem Ständer mit Blazern magisch angezogen. Die meisten waren riesig, Größe 46 und mehr, aber sie fand auch einige 38er. Der braune Tweedblazer war schön… nur 49 Euro? Gekauft! Und der beige-blau karierte? Scheußliche Knöpfe. Aber der camelfarbene Boucléblazer war tadellos. Sie schlüpfte hastig in beide – sie saßen auch gut. Und diese graue Flanellhose, ach, auch 38? Und von 129 auf 24 Euro runtergesetzt? Da musste man doch mal ganz schnell in die Kabine…

Perfekt!

Sie freute sich, dass sie die Karte dabeihatte, zahlte und joggte mit einer riesigen Papptüte nach Hause zurück.

Nein, da hatte das blöde Ex jetzt leider Pech gehabt: Jetzt musste sie ihre Neuerwerbungen aufhängen. Und das Pfeffer-und-Salz-Ding suchen.

Wohin aufhängen? Verflixt, sie brauchte einen Kleiderschrank! Sie wusste genau, wo er stehen sollte (gleich nachher ausmessen) – schließlich konnte ja nicht alles an ihren dürftigen zwei Türklinken baumeln.

Sie packte vergnügt aus, hängte so viel an die Türklinken wie irgend möglich, wühlte nach dem Blazer – und fand vergessene Schuhe, die dunkelbraune Strickjacke mit der Kaschmirbeimischung, zwei Seidentücher, eins mit Liberty-Blümchen und eins mit den üblichen Pferdemotiven, die beide verflixt muffig rochen, weichte sie schnell mit einem ohnehin schrecklichen Shampoorest im Waschbecken ein und suchte dann weiter.

Mehrere schöne Holzkleiderbügel (aufheben, für den neuen Kleiderschrank!), auch einige grottige Drahtbügel (ab in den Müll), ein Paar Winterstiefel – ach, die grauen, die so teuflisch kniffen – ein Fall für den Container. Ganz unten in der Kiste fand sie den Blazer, unglaublich verknüllt und an den Ärmelkanten arg angeschmuddelt. Okay, der kam morgen in die Reinigung. Und dann würde sie nach einem Kleiderschrank Ausschau halten.

Der Gedanke, Schrankteile auf einem wackligen Leihgepäckträger zu transportieren (womöglich auf der Autobahn zu verlieren und in den Verkehrsmeldungen vorzukommen – was könnte peinlicher sein?), sie dann die Treppen hoch zu schleifen und mühsam zusammenzubauen, rief tiefe Unlust bei ihr hervor. Wie teuer war es wohl, sich so was liefern und aufbauen zu lassen?

Ein bisschen Ex noch!

Sie machte die erste Aufgabe fertig, notierte die erzielten Bewertungseinheiten, nahm die zweite Aufgabe in Angriff (was manche Leutchen aus einer Quelle an Unsinn herauslasen!), ließ sich durch den Kopf gehen, wie morgen die Stunden in Deutsch 9, Geschichte 11 und Geographie 11 aussehen sollten, packte die Tasche und gönnte sich eine längere Überlegung, was sie morgen anziehen sollte, um mit den Ladies mitzuhalten. Sie fand sich zwar selbst reichlich albern, aber dennoch musterte sie ausgiebig, was an ihren Türklinken hing.

Den braunen Tweedblazer, beschloss sie dann. Dazu die helleren Jeans und ein hellbraunes T-Shirt. Kein Seidentuch, das wäre dann wohl doch zuviel des Guten.

Schuhe?

Nein, erst die zweite Aufgabe fertigmachen!

Danach stellte sie eine dritte leere Kiste als Regalersatz auf – gut, dass sie vorhin mehrere gefaltete Kisten übersehen hatte! – und sammelte darin alle Schuhe. Auch die braunen Loafers fielen ihr in die Hände. Genau richtig! Nur putzen musste sie sie noch – und wo zum Henker war das Schuhputzzeug?

Immer noch stapelten sich fünf Kisten an der Wand – aber die räumte sie jetzt nicht mehr vollständig aus. Sie konnte aber doch die Finger nicht davon lassen, sah sie flüchtig durch und zog einige Dinge dabei heraus – eine rosa Strickjacke (mal sehen, wozu die noch passte), ein Paar nagelneuer karierter Socken, zwei Bücher, die gut zu ihrem Unterricht passten und gleich ins Regal kamen – und wenigstens einen Schnellglanzschwamm für die Schuhe.

Sie fuhr damit über die Schuhe für morgen und war von ihrer Umsicht tief befriedigt. Damit konnte sie jetzt mit gutem Gewissen ins Bett gehen und diesen Krimi weiterschmökern: Hoffentlich tauchte nicht noch eine kopflose Leiche auf…

Tod auf den Gleisen

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