Читать книгу Gehalten - Elisabeth Bührer-Astfalk - Страница 14

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7. Rufe um Hilfe

Mein Klinikaufenthalt liegt nun schon etliche Monate zurück und meine Kinder halten mich Tag für Tag auf Trab. Ich brauche dringend wieder einmal ein freies Wochenende. Meine Mutter will ich nicht schon wieder fragen, ob sie kommen kann, war sie doch in der letzten Zeit sehr oft hier. Ich nehme allen Mut zusammen und rufe unseren Pfarrer an. Er weiß Rat: »In meiner anderen Gemeinde auf dem Zürichberg gibt es demnächst ein Bastelwochenende für Kinder.« Zwei Tage später halte ich den Flyer in der Hand. Ich versammle meine Kinder im Wohnzimmer und versuche, ihnen dieses Wochenende schmackhaft zu machen. Dazu lese ich vor, was auf dem Flyer steht: »Wir basteln nicht nur mit Perlen und Pinkfarben.« Doch das reicht schon. Meine zehnjährige Tochter fährt auf: Perlen und Pinkfarben sind für sie Reizwörter, und so verkündet sie lautstark: »Auf keinen Fall gehe ich dahin!« Ihre drei Brüder stimmen sogleich mit ein in das Protestgeschrei. Meine Überredungsversuche, dass es eben nicht um Perlen und Pinkfarben gehe und es ein tolles Angebot sei, verhallen im Nirgendwo. Ebenso meine Erklärungen dazu, warum ich am Wochenende einmal wieder allein sein möchte. Ich habe ein sehr schlechtes Gewissen, als ich sie trotzdem anmelde. Ein noch schlechteres Gewissen habe ich, als ich erfahre, dass der Vierjährige eigentlich noch zu klein ist, er aber aufgrund meiner speziellen Situation mitkommen darf.

Am darauffolgenden Freitagnachmittag fahre ich dann mit unserem VW-Bus auf den Zürichberg. Abgesehen vom Jüngsten, der wahrscheinlich noch gar nicht so ganz genau begriffen hat, wohin es geht, wird im Auto kein Wort geredet. Am Treffpunkt angekommen laden wir aus, beziehungsweise um. Denn die Leiter und Leiterinnen wollen noch weiterfahren, hinauf in eine Waldhütte. Meine Tochter raunt mir noch zu: »Du schiebst uns ab.« Die Jungs ergeben sich ihrem Schicksal. Schnell bemühe ich mich noch zu sagen, sie sollten doch auch ein bisschen nach dem Jüngsten schauen. Dann fahre ich wieder zurück, hilflos, müde und mit mittlerweile rabenschwarzem Gewissen. Zu Hause gehe ich ziemlich bald zu Bett und schlafe bis weit in den nächsten Morgen hinein. Die Sonne scheint dann auch freundlich in mein Schlafzimmer hinein, als ich aufstehe. Ich frühstücke gemütlich, betätige mich danach an meinem Fitnessgerät und gehe am Nachmittag zu einer Massage, die ich mir noch organisiert hatte. Ich merke, wie die »Lebensgeister« wieder zurückkehren. Bin froh. Immer wieder gehen meine Gedanken zu meinen Kindern und zur »Kinderabschiebung«. Ich befehle sie Gott an.


In der Bibel lese ich von einer Witwe, deren Mann gerade gestorben ist und die nun ebenfalls mit ihren beiden Söhnen allein dasteht (vgl. 2. Könige 4,1-4). Doch dem nicht genug. Ihr Mann hat ihr Schulden hinterlassen, und der Gläubiger droht nun, ihre beiden Söhne als Sklaven mitzunehmen. Damit hätte sie niemanden mehr, der für sie sorgen könnte.

Eine aussichtslose Lage, die in ihrer Dramatik und Not bei Weitem meine Situation übersteigt. Doch die Frau in der Geschichte ergibt sich nicht ihrem Schicksal, sondern sie wird aktiv und wendet sich an den Propheten Elisa, dem sie ihr Leid klagt. In einigen Übersetzungen steht sogar, sie »schreit« zu Elisa. Sie weiß, wo es jetzt die richtige Hilfe gibt, und sie weiß auch, warum: Elisa ist ein Prophet Gottes.

Auch in der heutigen Zeit entsteht oft materielle Not, wenn auf einmal ein Elternteil wegfällt, und auch in unserer westlichen und modernen Welt gibt es noch das Leben am Limit. Doch richtig zu schaffen macht uns heutigen Alleinerziehenden oft vielmehr das Leben am Limit der Kraftreserven.

Vielleicht bist auch du gerade am Limit deiner Kräfte? Dann ist eines gleich geblieben, nämlich die Möglichkeit, zu Gott zu rufen (vgl. Psalm 50,15). Er kann helfen. Doch nicht nur zu Gott darfst du rufen, sondern auch zu den Menschen, die er dir zur Seite gestellt hat.

Der Prophet Elisa in unserer Geschichte startet jetzt nicht einen Spendenaufruf an alle Gläubigen für diese Frau, sondern er klärt erst einmal ab, was die Frau selbst noch im Haus hat. Eine erstaunliche Reaktion. Er muss doch wissen, dass sie wirklich fast nichts mehr hat! Tatsächlich ist es nur noch eine Flasche Öl.

Doch genau diese letzte Reserve bekommt jetzt eine große Bedeutung. Auf die Anweisung des Propheten und durch den Glauben der Witwe lassen sich durch diese eine Flasche Öl viele Gefäße füllen. Jetzt ist auf einmal wieder genug da, um zu leben, und sogar genug, um alle Schulden zu bezahlen, denn das übrige Öl kann verkauft werden (vgl. 2. Könige 4,5-7). Aus dieser belanglosen kleinen Reserve, dem bisschen, das die Witwe vielleicht schon fast abgeschrieben hat, geschieht das Wunder.

Im Leben eines jeden von uns gibt es sie, diese »letzte Flasche Öl«. Sie steht für unsere Kraftquellen, unsere Ressourcen.

Was sind deine Ressourcen? Deine persönlichen Kraftquellen? Kennst du sie? Ist es, wieder einmal allein zu sein, frei von allen Verpflichtungen? Oder eine Freundin in einem Café zu treffen? Einen Spaziergang oder eine Massage, ein regelmäßiger Sport? Musik machen, zeichnen? Manchmal sind wir versucht, diese kleinen Kraftquellen mitten im Alltag zu unterschätzen. Was bringt schon ein freies Wochenende, das uns jemand ermöglicht? Mehr Stress mit den Kindern als Nutzen? Was bringt schon eine Massage? Ich bräuchte mehr. Ist doch nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Mit diesem Denken geraten wir in einen negativen Strudel und rechnen nicht mit Gottes Möglichkeiten. Doch wenn wir unsere Ressourcen nutzen und dabei mit Gott rechnen, werden daraus unerschöpfliche Kraftquellen, die helfen, den Alltag zu bestreiten.

Das Öl (gewonnen aus Oliven, den Früchten des Ölbaumes) diente zu biblischen Zeiten als wichtige Ernährungsgrundlage. Doch das Öl steht in der Bibel auch als Symbol für den Heiligen Geist. Diesen hat Jesus uns als Beistand zurückgelassen. Der Heilige Geist wohnt in uns. Mit dieser Kraft dürfen wir rechnen, sie versiegt nie.

Die Geschichte der Witwe macht mir Mut. Denn Gott ist über alle Zeiten derselbe. Er kennt die kritischen Punkte jeder Gesellschaft. Er weiß, dass unsere Kräfte heute oft ein Wunder brauchen. Und er will dieses Wunder tun. Wir müssen ihn nur darum bitten.


Frisch gestärkt und ausgeschlafen hole ich meine Kinder am folgenden Sonntagnachmittag wieder ab. Stolz präsentiert mir meine Tochter wunderschöne, aus PET-Flaschen gebastelte Plastikblumen, die noch jahrelang unser Wohnzimmer zieren. Die Jungen wirken auch zufrieden. Der Älteste führt mir ein solarbetriebenes Fahrzeug vor, das er gebastelt hat. Ich bin erleichtert. Wir bleiben noch zum Abendgottesdienst. Die Predigt handelt heute von Psalm 50,15. »Rufe mich an in der Not.« Wir dürfen – nicht nur in der Not – zu Gott rufen, predigt der Pfarrer. Oh ja, wie recht hat er, denke ich und bin dankbar für dieses Wochenende.

Mutmach-Tipp:

Habe Mut, andere Menschen um Hilfe zu bitten. Entdecke deine persönlichen Kraftquellen.

Zum Nachlesen:

2. Könige 4,1-7; Psalm 50,15

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