Читать книгу Gehalten - Elisabeth Bührer-Astfalk - Страница 8

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1. Zerbrochene Herzen

Immer wieder taucht sie in mir auf, die letzte Zeit meines Mannes, die schwere Krankheitszeit. Sie quält mich, lässt mich nicht in Ruhe. Vor meinem inneren Auge sehe ich, wie ich an seinem Bett im Krankenhaus sitze. Es ist ein Einzelzimmer, das »Sterbezimmer«, wie ich eine Schwester hatte sagen hören. An einem Tag streichelt er mir noch sanft das Haar und flüstert leise: »Ich liebe dich.« Doch dann werden die Tage immer beschwerlicher, das Atmen anstrengend. Eines Abends flüstert er kaum hörbar: »Kannst du mir den Sauerstoff höherstellen?« »Oh ja, klar, mache ich.« Tief besorgt betätige ich die Apparatur. Meine Hand zittert. Dann setze ich mich wieder an sein Bett, schaue ihn an, höre seinen schweren Atem. Es geht ihm sehr schlecht. Mein Herz klopft laut vor Angst. Als ich ihn anspreche, reagiert er kaum noch. Ich drücke den Notfallknopf, aber es kommt niemand. Dann springe ich auf den Flur hinaus und suche die Schwester. Sie eilt herbei, fühlt seinen Puls und sagt dann, langsam zu mir aufschauend: »Er ist tot.« Fassungslos starre ich sie an. In mir schreit es: »Nein, bitte, nein!« Dann drehe ich mich weg zum Fenster, schaue in die Dunkelheit hinaus und spüre, wie sich langsam, aber unaufhaltsam ein Riss quer durch mein Herz zu ziehen beginnt.

Seither sind einige Wochen vergangen, die Kinder halten mich tagsüber am Leben. Doch in der Nacht kommt der Schmerz. Er fühlt sich an, als könnte ich darin versinken. Ich liebe meinen Mann noch immer. Doch die Liebe, die ich für ihn empfinde, bleibt einseitig. Er kann und wird sie nie mehr erwidern. Das ist kaum auszuhalten. Zum ersten Mal in meinem Leben verstehe ich den Ausdruck: »Mein Herz ist gebrochen.« In dieser Zeit bekomme ich viel Post. Eines Tages liegt ein Brief aus Deutschland im Briefkasten. Eine Frau, die ich gar nicht kenne, hat ihn mir geschrieben. Ich öffne ihn und lese: »Im letzten Jahr habe auch ich einen geliebten Menschen verloren. Mir hat es geholfen zu schreiben. Denn Schreiben schlägt eine Brücke.« Der Brief und die Anteilnahme dieser Frau tun mir gut. Ich denke lange über diese Zeilen nach. Dann probiere ich es aus und nutze nun fortan meine schlaflosen Stunden zum Schreiben. Ich schreibe Erinnerungen auf, schreibe auf, wie sehr mir mein Mann fehlt, wie weh mir sein Tod tut. Und an Gott schreibe ich ein großes »Warum?«


In meiner Stillen Zeit lese ich oft Verse aus dem Buch Hiob, obwohl das Leid, das Hiob erlebt hat, meine Vorstellungskraft übersteigt. »Schlimmer geht’s nimmer«, fällt mir dazu nur ein. Zuerst verliert Hiob seinen gesamten Besitz und dann noch alle seine Kinder. Danach wird er schwer krank, und damit nicht genug, wendet sich auch noch seine Frau von ihm ab. Er hat treue Freunde, das scheint ein Lichtblick zu sein, doch leider verstehen sie seine Situation falsch und machen durch ihre Reden seine Not nur noch schlimmer.

Das Schlimmste für Hiob ist jedoch, dass er nicht weiß, warum er so leiden muss. Und so schreit er zu Gott: »Habe ich gesündigt? Was habe ich dir getan, du Wächter der Menschheit? Warum machst du mich zur Zielscheibe deiner Angriffe? Bin ich dir eine Last?« (Hiob 7,20). Doch Hiob bekommt darauf keine Antwort. Ja, es scheint so, als habe sich Gott vor ihm verborgen. Verzweifelt sagt er: »Ich wollte, ich wüsste, wie ich Gott finden und zu seiner Wohnung kommen könnte. (…) Doch gehe ich nach Osten, so ist er nicht da. Gehe ich nach Westen, merke ich nichts von ihm. Tut er sein Werk im Norden, fällt es mir nicht auf. Wende ich mich nach Süden, sehe ich ihn nicht« (Hiob 23,3; 8-9).

In Kapitel 30,16 spricht Hiob weiter von seiner Not: »Mein Herz ist gebrochen, ich bin meinem Elend völlig ausgeliefert.«

Diese Abgründe und Gefühle von tiefster menschlicher Not und Verlassenheit tauchen bei einem Mann auf, der sein Leben lang mit Gott unterwegs war. Ich bin froh, dass die Bibel davon berichtet, denn diese Fragen und Gefühle dürfen sein. Ja, sie müssen sein, weil sie ehrlich sind. Alles andere würde nicht dem entsprechen, was Hiob gerade durchleidet.

Vielleicht ähneln Hiobs Fragen auch deinen eigenen? Warum ich? Wo ist Gott? Vielleicht hat eine Lebenssituation auch dein Herz gebrochen?

Das Buch Hiob will dir Mut machen, all deine Fragen, Gedanken und Gefühle nicht für dich zu behalten, sondern sie mit Gott zu teilen. Gerade auch dann, wenn dein Umfeld deine Not zu wenig versteht, so wie das bei Hiob der Fall ist. Denn Gott hält alle Klagen aus, und er wünscht sich, dass du dich trotz allem an ihn wendest und an ihm festhältst. Dass du mit ihm in Beziehung bleibst.

Wie lange Hiob leiden muss, geht aus der Geschichte nicht hervor. Doch trotz seines großen Leides bleibt er an Gott dran und hält so lange durch, bis Gott ihm begegnet, in einem gewaltigen Sturm (Hiob 40,6). Nun erfährt Hiob: Gott ist tatsächlich real und er ist groß und mächtig. Er hat den Überblick über sein Leben und hält es in seiner Hand.

Eine Antwort auf die Frage nach dem Warum erhält Hiob nicht, zumindest noch nicht. Trotzdem erkennt Hiob Gottes Größe und Allmacht an und akzeptiert damit auch, keine Erklärung auf diese sinnlos erscheinende Tragödie seines Lebens zu bekommen. Doch dann tut Gott ein großes Wunder: Er schenkt Hiob Heilung und Wiederherstellung. Äußerlich und innerlich.

Am Schluss des Buches Hiob lesen wir in Kapitel 42,5, wie Hiob bekennt: »Bisher kannte ich dich (Gott) nur vom Hörensagen, doch jetzt habe ich dich mit eigenen Augen gesehen.« Das zeigt, dass jede Lebenskrise auch die Chance beinhaltet, Gott noch einmal ganz neu zu begegnen.


Gottesbegegnungen kommen heute meistens nicht mehr so spektakulär und plötzlich daher. Vielleicht zeigt er sich in kleinen Erlebnissen des Alltags. Doch diese können genauso wirksam sein. In meinem Fall ist es der Brief einer unbekannten Frau und die Entscheidung, ihren Rat anzunehmen. In den nun folgenden Wochen spüre ich mehr und mehr, wohin sich verbindende Brücken schlagen: zu meinem Mann, zu dieser schweren Krankheitszeit, zu meinem verwundeten Herzen und vor allem zu Gott, der das alles zugelassen hat. Und langsam, ganz langsam beginnt sich etwas zu ordnen, werde ich ruhiger, und der ganz große Schmerz lässt nach.

Mutmach-Tipp:

Bleibe mit Gott im Gespräch, auch wenn die Not groß ist. Stelle ihm alle deine Fragen. Er will dir begegnen.

Zum Nachlesen:

Hiob 23,2-9; Hiob 30,16-31; Psalm 147,3

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