Читать книгу Konstantin der Große - Elisabeth Herrmann-Otto - Страница 10
Prolog
ОглавлениеAm 22. Mai 337, am Pfingstsonntag, starb Konstantin nach kurzer Krankheit im Alter von über 60 Jahren in der Kaiservilla Anchyrona vor den Toren der Residenzstadt Nikomedien in der Provinz Bithynien, dem heutigen Izmit in der Westtürkei.
Der Kaiser war zu einem lange geplanten Feldzug gegen die Perser aufgebrochen, dem einzigen wirklich ernst zu nehmenden Feind des Römerreiches, als ihn körperliche Schwäche und Unwohlsein übermannten. Auch ein Besuch in den heilenden Quellen von Pythia Therma brachte keine Besserung. So entschloss er sich, den Vormarsch für seine Person zunächst zu unterbrechen. Er reiste über Helenopolis, das ehemals Drepanon hieß und heute wahrscheinlich mit Karamürsel identifiziert werden kann, zum Grab des von seiner Mutter Helena verehrten Märtyrers Lukianos.1 Von dort begab er sich – nach kurzem Gebet – zur kaiserlichen Villa Anchyrona. Auf seinen Wunsch hin taufte ihn Bischof Eusebius von Nikomedien, ein Arianer, der mit der Konstantinfamilie über Basilina, die Mutter des späteren Kaisers Julian Apostata, verwandt war. Wenige Tage danach starb der Kaiser, der einunddreißig Jahre lang die Geschicke des Römischen Reiches bestimmt hatte. Nach Augustus hatte niemand mehr so lange die kaiserliche Alleinherrschaft innegehabt.
Obwohl sein Tod überraschend kam, starb der Kaiser nicht unbemerkt und alleingelassen. Umgeben war er von seiner germanischen Leibgarde, von seinem Hofstaat, den Kämmerern und seinen Kanzleibeamten sowie mehreren vertrauten Freunden und Priestern, die ihn auf dem Feldzug begleiteten. Die Familie allerdings scheint nicht anwesend gewesen zu sein. Seine drei Söhne Constantinus, Constantius und Constans weilten an den Brennpunkten des Reiches zur Grenzsicherung, denn mit dem bevorstehenden Perserkrieg war eine enorme Truppenkonzentration im Osten verbunden. Die Halbgeschwister Konstantins wie auch seine Neffen scheinen sich überwiegend in Konstantinopel aufgehalten zu haben.
So brachte denn auch die Leibgarde sofort nach dem Eintritt des Todes den kaiserlichen Leichnam unter großem Wehklagen in einem Trauerzug in die Stadt Konstantins, Konstantinopel. In den purpurnen kaiserlichen Ornat gehüllt, geschmückt mit dem Perlendiadem, wurde der tote Kaiser im goldenen Sarkophag mitten im kaiserlichen Palast auf einem hohen Podest für alle sichtbar aufgebahrt. Links und rechts von ihm wurden Lichter auf goldenen Leuchtern entzündet. Und da vollzog sich, wenn wir Bischof Eusebius von Caesarea, dem zeitgenössischen Biographen des Kaisers, vertrauen dürfen, das völlig Unglaubliche: „Die Führer des ganzen Heeres, die Comites und die ganze Schar der Beamten, für die es früher Brauch gewesen war, vor dem Kaiser niederzufallen, änderten auch jetzt nichts an der gewohnten Sitte; sie traten zu bestimmten Stunden ein, um dem Kaiser auf der Bahre – wie bei seinen Lebzeiten, so auch nach seinem Tode – auf die Knie gesunken ihre Huldigung darzubringen. Nach diesen, die die ersten waren, traten die Senatoren und Würdenträger ein, um dasselbe zu tun, und danach kamen die Scharen jeglichen Volkes, auch Frauen und Kinder, um den Kaiser zu schauen. Es geschah dies aber so lange Zeit, weil das Heer beschlossen hatte, den Leichnam so zu belassen und zu bewachen, bis seine Söhne kämen, um ihrem Vater die letzte Ehre erweisen zu können. So war der Selige der einzige unter den Sterblichen, der auch nach seinem Tode noch Kaiser war.“2
In den Formen des Hofzeremoniells verkehrten die Senatoren, die zivilen und die militärischen Beamten mit dem toten Kaiser wie mit einem Lebenden. Sie näherten sich ihm in den Formen des Kniefalls, der Proskynese, und der stehend vollzogenen Begrüßung, der salutatio, ihrer Ranghierarchie entsprechend. Und auch das Volk, die städtische Bevölkerung, war in seiner Gesamtheit in das sich zu bestimmten Stunden des Tages vollziehende Begrüßungszeremoniell eingebunden.
Zur Überbrückung der kaiserlosen Zeit wurde die Fiktion des über seinen Tod hinaus regierenden Kaisers von allen mitgetragen: vom anwesenden Militär, von allen Zivilbeamten, vom Senat und der gesamten Stadtbevölkerung. Aber die Fiktion war auch noch nicht zu Ende, als der mittlere Kaisersohn Constantius in Konstantinopel eintraf und die Begräbnisfeierlichkeiten dem Herkommen gemäß durchführen ließ. Was Eusebius mit überschwänglichen Worten als eine von Gott gegebene unvergängliche und nie endende Herrschaft des Kaisers über den gesamten römischen Erdkreis preist, wird durch die Gesetzgebung nüchtern bestätigt. In den kommenden Monaten wurden die Gesetze noch alle im Namen des Augustus Konstantin und seiner Söhne als Caesaren erlassen.
Dies ist nicht allein aus Pietät der Söhne gegenüber ihrem übermächtigen Vater geschehen, sondern handfeste machtpolitische Konstellationen waren für die unklare Herrschaftssituation nach dem Tod des Kaisers verantwortlich, an der jener nicht ganz unschuldig war.3
Aber es gab auch noch einen anderen, religiös-politischen Hintergrund für die immerwährende Herrschaft des Kaisers. Eusebius berichtet von zwei Begräbniszeremonien in der Apostelkirche, dem Mausoleum, das sich Konstantin zu Lebzeiten hatte in seiner Stadt errichten lassen.
Der Leichenzug wurde von Constantius angeführt; ihm folgte der Sarg, getragen von der Leibgarde, dahinter gingen die verschiedenen Heeresabteilungen, die Würdenträger des Reiches und zuletzt das Volk. Zunächst wurde Konstantin mit allen Ehren bestattet, die einem römischen Kaiser zukamen. Trotz der Einsilbigkeit des eusebianischen Berichtes handelte es sich hier ganz eindeutig um eine im römischen Ritus vollzogene Konsekration und Divinisierung des toten Augustus. Entsprechende Münzen, die sowohl heidnisch wie christlich ausdeutbar sind, wurden anlässlich dieses Ereignisses geprägt (Abb. 1). Nach der Vergöttlichung aber zogen sich Constantius und die Militärs aus der Apostelkirche, dem kaiserlichen Mausoleum, zurück. Nun schloss sich die christliche Trauerfeierlichkeit mit den Priestern und der christlichen Bevölkerung an.4
Abb. 1: Konsekrationsmünze Konstantins (337–340 in Konstantinopel geprägt)
Das doppelte Bestattungsritual macht deutlich, wie sehr Konstantin sich an einer Zeitenwende befand. Als römischer Kaiser stand er in einer Tradition, die von Augustus, dem ersten Princeps her kam. Wie bereits sein Vater Constantius Chlorus und viele gute Kaiser vor ihm wurde er unter die Götter erhoben, er wurde zum Divus für alle römischen Bürger. Als getaufter Christ jedoch bedurfte er des Gebetes der Priester, der Gläubigen und der Heiligen. Dieses wurde ihm besonders zuteil in der Apostelkirche, seinem Mausoleum, in welcher er in der Mitte der zwölf Kenotaphe der Apostel sozusagen als ein dreizehnter Apostel, als Apostelgleicher, an ihren Gebeten teilhatte (siehe Epilog). Trotz dieser bedürftigen Teilhabe aber war seine Herrschaft auch aus christlicher Sicht eine nicht endende: „Er … lenkt den römischen Erdkreis mit seinem bloßen Namen als der Sieger, der Größte, der Kaiser.“5 Als solcher stand er überlebensgroß auf der bis heute in Istanbul erhaltenen Konstantinsäule in der Pose des Sonnengottes mit Strahlenkranz um den Kopf, Weltkugel und Lanze in den Händen, nach Osten blickend zum Bosporus. So bestimmte auch der tote Kaiser noch lange nachhaltig das Weichbild seiner Stadt, deren Bewohner ihn, den Sonnen- und Christusgleichen, kultisch zeremoniell verehrten.6 Heidnisches und Christliches, Römisches und Hellenistisch-Griechisches sind in Konstantin dem Großen unauflöslich verbunden.
Abb. 2: Kolossalkopf Konstantins aus Marmor. Rom, Konservatorenpalast