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3. Das Jahr 312 in der antiken zeitgenössischen Überlieferung
ОглавлениеNach dem feierlichen Einzug (adventus) in die Stadt Rom, der von einem Triumph sehr deutlich zu unterscheiden ist, da Konstantin Sieger in einem Bürgerkrieg (bellum civile) war,41 traf der Kaiser, der erstmals in der alten Hauptstadt weilte, die ersten notwendigen Maßnahmen für den bisherigen Herrschaftsbereich des Maxentius, das heißt für Rom, Italien und Nordafrika. Dem überraschenden Sieger zog die Bevölkerung in Dankbarkeit entgegen: „Vor dem Wagen (Konstantins) wurden freilich nicht gefesselte Generäle geführt, vielmehr schritt endlich die befreite Nobilität einher; nicht in den Kerker geworfene Barbaren, sondern aus den Kerkern befreite Konsulare. Nicht kriegsgefangene Fremde gaben jenem Einzug das Ehrengeleit, sondern die jetzt wieder freie Stadt Rom. … Sie hat ihre Herrschaft zurückerhalten – sie, die die Unterjochung ertrug.“42 Die Stadt schien die Befreiung von einem Tyrannen zu feiern, so vermitteln es jedenfalls die zeitgenössischen Quellen. Konstantin hatte seinen Konkurrenten besiegt und seinen Machtbereich so erweitert, dass er nun als der Augustus aller westlichen Provinzen zu gelten hatte. Dem trug der Senat Rechnung, indem er ihn zum Maximus Augustus akklamierte, eine Legitimation, die weit über die bisherige dynastische Konstantins selbst sowie die tetrarchische seiner Mitaugusti hinausging. Außerdem beschlossen die Senatoren zum Gedächtnis an die Befreiung der Stadt einen Ehrenbogen mit triumphaler Ikonographie und einer entsprechenden Ehreninschrift sowie eine Ehrenstatue, die der Sieger selbst beschriften durfte.43
Die Zeugnisse berichten nichts von einem Opfer beim Iuppiter Optimus Maximus auf dem Kapitol. Es gibt mehrere Erklärungsmöglichkeiten für diese Lücke. Entweder war ein solches Opfer beim adventus nicht mehr Usus – oder es war so selbstverständlich, dass man es nicht eigens zu erwähnen brauchte. Da keiner der späteren Berichterstatter bei den Ereignissen dabei war, ist es schwer zu entscheiden, ob es sich um eine vorsätzliche oder um eine unbewusste Auslassung handelt. Weitreichende Schlussfolgerungen daraus zu ziehen, ist mithin problematisch.44
In Anknüpfung an die tetrarchische Politik des Galerius, aber auch im eigenen Interesse löste Konstantin die Prätorianergarde auf, die an der Seite des Maxentius gegen ihn gekämpft hatte. Wahrscheinlich ist ihr Lager geschleift worden und an seiner Stelle ein kaiserlicher Palast auf dem Lateran entstanden, der später dem Bischof Silvester zur Nutzung als Kirche übergeben wurde.45 Die übrigen Beamten des Maxentius jedoch übernahm der Sieger ohne Probleme, woraus allerdings nicht geschlossen werden darf, dass der bisherige Herrscher im Zerwürfnis mit Senat, Aristokratie und Bevölkerung gelebt hatte. Er war nur der Verlierer und wurde typologisch zum Tyrannen umstilisiert. Allein auf diesem Hintergrund konnte aus dem Machtkampf zweier Konkurrenten der Befreiungskampf Konstantins für die Stadt Rom werden, wofür es genügend Vorbilder in der Geschichte gab, an die man anknüpfen konnte.46
Nachdem der Kaiser zu Beginn des Jahres 313 das Konsulat angetreten hatte, verließ er Rom und kehrte über Mailand nach Gallien zurück. In der norditalischen Stadt traf er mit seinem zukünftigen Schwager Licinius zusammen, um mit ihm die weitere Politik abzusprechen, in die auch Maximinus Daia mit einbezogen wurde. Offiziell im Sinne der Tetrarchie hatte Konstantin den nie anerkannten Usurpator Maxentius beseitigt. Die Mailänder Vereinbarungen, die fälschlicherweise als Mailänder Edikt bezeichnet werden, waren für alle drei Augusti verpflichtend. Konstantin, der vom Senat als Maximus Augustus akklamiert worden war, womit ihm das leitende Gesetzgebungsrecht und die Konsulernennung zukamen, erkannte sehr schnell, dass dieser Akt von dem bisherigen Senior Augustus Maximinus Daia als Zurücksetzung und Brüskierung empfunden werden konnte. Vor dessen Ausschaltung durch Licinius scheint er denn auch den Titel „Maximus“ sehr selten geführt zu haben.47 Konstantin vermied sorgfältig alle Provokationen, die einen Zusammenschluss der beiden kaiserlichen Kollegen gegen ihn hätten herbeiführen können. Er versuchte, sich beide Augusti gewogen zu machen, indem er Licinius nun mit seiner Halbschwester Constantia verheiratete, Maximus Daia aber als Kollegen in das Konsulat aufnahm. So hatte er den Rücken frei, sich erneut den Barbareneinfällen an der gallischen Grenze entgegenzustellen und aus der Distanz des neutralen Dritten die Entwicklung der Verhältnisse im Osten zu beobachten. Was berichten uns nun die zeitgenössischen Quellen?
Das früheste antike Zeugnis, das über die uns hier interessierenden Ereignisse des Feldzuges und des Sieges von 312 und der unmittelbaren Zeit danach berichtet, ist eine Lobrede, die aller Wahrscheinlichkeit nach im Jahr 313 am Hof in der Residenzstadt Trier gehalten wurde. Der uns nicht namentlich bekannte gallische Panegyriker preist jedenfalls Konstantins Eroberung Roms und seinen Sieg über die Franken, beides brandneue freudige Ereignisse, die sich kurz hintereinander zugetragen hatten. So könnte die Rede im Herbst des Jahres 313 gehalten worden sein. Alle anderen Berichte und Zeugnisse sind später zu datieren. Die frühesten von ihnen fallen in das Jahr 315, in dem Konstantin sein zehnjähriges Regierungsjubiläum in Rom feierte. Zu diesem Zweck wurden die Statue des Kaisers sowie der Konstantinbogen eingeweiht, dessen Konzeption wahrscheinlich mit den Senatoren beim ersten Romaufenthalt Konstantins nach seinem Sieg im Winter 312/313 abgesprochen worden war. Aus dem Jahr 315 stammen das berühmte Silbermedaillon aus Ticinum mit den christlichen und nichtchristlichen Zeichen (Abb. 10) sowie das große Goldmedaillon mit dem Sonnengott als Gefährten des Kaisers (s.o., Abb. 6). Ab 313 arbeitete Eusebius an seiner zweiten Auflage der Kirchengeschichte, die er mit der diokletianischen Christenverfolgung bereits abgeschlossen hatte und die er nun fortschreiben konnte. In die Zeit zwischen 313 und 316 ist auch die Abfassung der Schrift Über die Todesarten der Verfolger zu datieren, die Laktanz – zum Prinzenerzieher an den Hof nach Trier berufen – dort verfasste oder zumindest fertigstellte, falls er schon Vorarbeiten besaß. Als weitere zeitgenössische Quellen, die sich direkt mit den Vorfällen beschäftigen, sind noch ein späterer Panegyricus aus dem Jahr 321 und die Vita Constantini des Eusebius zu nennen, die aber erst nach dem Tode des Kaisers veröffentlicht wurde. Andere Zeugnisse – wie Briefe und Gesetze des Kaisers, die beiläufig auf die Ereignisse von 312 Bezug nehmen – werden im Kontext ihrer Entstehung berücksichtigt.48 Nach dieser kurzen Sichtung der antiken Überlieferungslage ist der Panegyricus von 313 als ältestes zeitgenössisches Zeugnis sehr ernst zu nehmen. Der Lobredner, der bei den Ereignissen in Rom wohl nicht dabei gewesen und auf Erzählungen aus der Umgebung des Kaisers angewiesen war, stand vor vielen, für ihn nicht auflösbaren Rätseln. Seine Verwunderung brachte er in seiner Rede auch klar zum Ausdruck49:
Abb. 10: Silbermedaillon aus Ticinum (Pavia, 315): Imp(erator) Constantinus P(ius) F(elix) Aug(ustus) (Vorderseite); Allocutio Konstantins (Rückseite)
„Sage mir, ich bitte dich, welcher Gott also, welche so gegenwärtige Hoheit hat dir Mut gemacht, dass du selbst, obwohl nahezu alle deine Begleiter und Generäle nicht nur im Stillen bangten, sondern offen ihre Furcht äußerten, gegen die Ratschläge der Menschen, gegen die Ermahnungen der Opferschauer, von dir aus fühltest, die Zeit zur Befreiung der Stadt sei gekommen? Gewiss hast du, Constantin, irgendein Geheimnis mit jenem göttlichen Geist, der allein dir sich zu offenbaren geruht, wohingegen er die Sorgen um uns niederen Gottheiten übertragen hat.“
Der Lobredner muss gehört haben, dass Konstantin den Feldzug und die Eroberung Roms gegen göttlichen und menschlichen Rat geplant und durchgeführt hatte. Er konnte dem Kaiser zwar nicht vorwerfen, er habe Gallien ungeschützt zurückgelassen, da zwei Drittel der Truppen dort verblieben waren; auch war der Krieg ein gerechter, da Maxentius ein Tyrann gewesen war, der die römische Bevölkerung mit Mord, Terror, zu hohen Steuern und vielem anderen mehr drangsaliert hatte. Außerdem war er ein Bastard, der unrechtmäßigerweise die Nachfolge des Herkuliers in Rom angetreten hatte. Aber dass Konstantin Gallien so schnell verlassen, dass er sich der Todesgefahr in vorderster Schlachtreihe ausgesetzt hatte und dass er auch jetzt ohne Ruhe weitere Schlachten suchte, das alles war dem Lobredner unverständlich und konnte – seiner Meinung nach – nur auf einen göttlichen Ratschlag (consilium) zurückgeführt werden, auf ein Einvernehmen des Kaisers mit einer Gottheit, die über allen anderen Göttern stand.50
Den Beweis hierfür sah der Lobredner in dem rational nicht erklärbaren Verhalten des Maxentius, sich aus dem sicheren Schutz der römischen Stadtmauern auf das offene Feld zum Kampf mit Konstantin herauszuwagen. Dabei war für ihn nicht ausschlaggebend, dass Maxentius sein bisheriges strategisches Konzept einer völligen Konzeptlosigkeit opferte, sondern dass er durch tage- und nächtelang durchlittene Angstzustände bereits vorher wusste, dass mit Konstantin sein Bezwinger gekommen war. Sein Tod in den Fluten des Tiber war nur die Folge einer Zwangsläufigkeit, die auf einem höheren, göttlichen Ratschluss beruhte.51
Von einer namentlichen Bezeichnung dieser Gottheit hielt der Lobredner sich auffälligerweise fern. Er meinte sogar, dass sie viele Namen in unterschiedlichen Sprachen habe. Er sprach von einem göttlichen Geist (mens divina), einem Schöpfer aller Dinge (summus sator rerum), von dem Schöpfer der Welt (creator mundi), dem Gott und Herrn (deus et dominus). Erstaunlich ist, dass der gallische Lobredner weder an den Sonnengott (= Apoll) erinnerte, den sein Vorredner 310 gepriesen hatte, noch dass er auf die konstantinische göttliche Dynastie einging – abgesehen von einem kurzen Hinweis auf den Divus Constantius.52
Hinweise auf den Sonnengott aber finden sich umso deutlicher in Rom. Zwar spricht auch die Inschrift am Konstantinbogen zunächst unbestimmt von der Eingebung einer Gottheit (instinctu divinitatis), aber ikonographisch wird diese Inschrift kommentiert durch Darstellungen eines Opfers beim Apoll, das einer der Kaiser – Konstantin oder sein Vater Constantius Chlorus – darbringt (Abb. 11). Die Siegesgöttin ist auf dem Sonnenwagen dargestellt und solare Zeichen tragen die Schilde und Standarten der Soldaten. Der siegreich in die Stadt einziehende Kaiser wird von der Victoria bekränzt und der Stadtgöttin Roma geleitet.53 Victoria ist auch auf der Rückseite des berühmten Silbermedaillons von Ticinum dargestellt bei der Ansprache des Kaisers, die unter dem Motto des öffentlichen Heils steht54 (Abb. 10).
Abb. 11: Medaillon auf dem Konstantinbogen: Konstantin oder sein Vater Constantius Chlorus bringen Apoll ein Opfer dar.
Auf der Inschrift am Konstantinbogen aber heißt es: „Für Kaiser Flavius Constantinus, dem größten, frommen (und) glücklichen Augustus, haben Senat und Volk von Rom, weil er auf Eingebung der Gottheit mit Geistesgröße zusammen mit seinem Heer das Gemeinwesen gleichzeitig sowohl vom Tyrannen als auch von dessen ganzer Anhängerschaft in einem gerechten Waffengang befreit hat, diesen Bogen, geschmückt mit Triumphdarstellungen, geweiht. Dem Befreier der Stadt …“55
In ihrer Diktion erinnert die Inschrift sehr an den Tatenbericht des Augustus, in dem auch erwähnt wird, dass Augustus den Staat von einer Partei, einer factio, befreit hat. Der Panegyriker von 313 betont, bei den Verhandlungen im Senat sei er zwar nicht dabei gewesen. Aber auch ihm schweben Augustus und seine Ehrungen vor, wenn er von dem Tugendschild, dem Kranz für die Ehrfurcht und Frömmigkeit – man denkt an den Bürgerkranz, die corona civica des Augustus – und schließlich von dem Zeichen Gottes, dem signum dei, spricht, das er wahrscheinlich mit dem goldenen Bild der Gottheit gleichsetzte.56 Woran der Lobredner konkret dachte, ist ungewiss, da der Konstantinbogen und eventuell die bei Eusebius erwähnte Ehrenstatue Konstantins noch nicht fertiggestellt waren. Außerdem war er auf die Berichte anderer angewiesen. Vorstellbar wäre, dass er in Analogie zu den Ehrungen des Augustus an die beiden Lorbeerbäumchen als signum dei dachte, nämlich als Zeichen für Apoll, den Gott des Augustus, der zumindest zwei Jahre zuvor noch der Gott Konstantins war. Ein göttliches Bildnis lag sicherlich in dem bereits erwähnten Goldmedaillon mit dem Sonnengott als Gefährten Konstantins vor, eine Münzprägung, die bis zur Alleinherrschaft des Kaisers in unterschiedlichsten Variationen beibehalten wurde. Dennoch schwankt der Lobredner zwischen signum (Zeichen) und simulacrum (Bild), weil er auch hier den Gott nicht zu benennen wagt.57
Im Jahr 315 hat Eusebius seine bereits abgeschlossene Kirchengeschichte um ein weiteres Buch ergänzt. Zur nämlichen Zeit war er auch zum Bischof von Caesarea gewählt worden.58 Wahrscheinlich kannte er zu diesem Zeitpunkt weder Konstantin noch Licinius persönlich.59 Er stellte beide völlig gleichwertig als von Gott geliebte und beauftragte Männer dar, welche die gottlosen, den falschen Göttern und Zauberkünsten anhängenden Tyrannen Maxentius und Maximinus Daia besiegt hatten. Ähnlich wie die nichtchristlichen Quellen stellt auch Eusebius den Konstantin in eine direkte Beziehung zu Gott, den er um Hilfe in der Schlacht anfleht, die ihm auch gewährt wird. Die höchste Gottheit, sei sie nun Apoll oder Sol oder der Christengott, sie alle sind je nach Überlieferung Schlachtenhelfer für Konstantin. Auch der unerklärliche Entschluss des Maxentius, die Schlacht vor der Stadt zu suchen, wird von Eusebius auf die göttliche Vorsehung zurückgeführt: „Um Konstantin den Kampf mit den Römern, der ihm wegen des Tyrannen bevorstand, zu ersparen, zog Gott selbst den Tyrannen wie an Ketten weit aus den Toren der Stadt hinaus.“ Die göttliche Einwirkung ist hier noch deutlicher als beim Panegyriker eingefangen. Eusebius verbindet dieses Ereignis sofort mit dem Untergang des ägyptischen Pharao in den Fluten des Roten Meeres. Die Verbindung zwischen Moses, dem Befreier der Hebräer, und Konstantin, dem Befreier der Römer, wird noch nicht gezogen. Hier geht es mehr um die göttliche Bestrafung zweier gottloser Tyrannen. So kann Konstantin einen unblutigen Kampf führen. Von einer Vision aber ist in allen Berichten bisher noch keine Rede.60
Etwas später als Eusebius, aber vermutlich ohne die Kenntnis seines neuen Buches verfasste Laktanz seinen Bericht. Er kannte Konstantin, wahrscheinlich vom Hof Diokletians in Nikomedien her. Als Erzieher des jungen Crispus stand er in engstem Kontakt zur konstantinischen Familie und deren Beratern.61 Das Unerklärliche an dem Sieg führte auch Laktanz auf göttliche Einwirkung zurück, und zwar in konsequenter Fortführung des beim Panegyriker überlieferten göttlichen Rates. In einer Traumerscheinung wird dem Kaiser angeraten, das himmlische Zeichen Gottes, das caeleste signum dei, auf den Schilden der Soldaten anbringen zu lassen. Laktanz beschrieb das Zeichen, das ja auch beim Panegyriker ganz unbestimmt auftauchte, als Christogramm. Dessen Darstellung findet sich erstmals auf dem berühmten Silbermedaillon von Ticinum am Helm des Kaisers, geprägt 315 in Pavia. Woher Laktanz dieses Zeichen kannte, ob man ihm in Hofkreisen davon erzählte, ob er das Medaillon kannte, von dem aber nur eine ganz kleine Emission existiert – wir wissen es nicht.62 Nur eines ist klar: Konstantin kann einen Traum gehabt haben, er kann ihn weitererzählt haben und ihn als göttlichen Rat aufgefasst haben. Aber undenkbar ist, in nur wenigen Stunden ein kaum bekanntes Zeichen auf Tausenden von Schilden anbringen zu lassen. Außerdem war das Heer in der Minderzahl christlich. Dass Maxentius aus der Stadt herausging, wird mit Volksunruhen, falschen Orakeln und deren Missverständnis erklärt. Eine göttliche Einwirkung liegt hier nicht vor. Die Traumvision bei Laktanz ist die erste Verchristlichung des konstantinischen Sieges, die in Richtung „Bekehrung“ (conversio) des Kaisers ausdeutbar ist.63
Eine Reaktion auf die Vereinnahmung des Sieges durch die Christen schlägt sich sechs Jahre später bei dem Lobredner Nazarius nieder, der im Jahre 321 zu Ehren des fünfjährigen Regierungsjubiläums des Crispus, des ältesten Konstantinsohnes, eine Lobrede konzipiert hat. Ob sie in Rom gehalten wurde, ob Konstantin und seine Söhne anwesend waren, das alles ist ungewiss. Gewiss ist allerdings, dass der Gallier Nazarius in der Lobrede einen Drahtseilakt vollbringen musste, da er auf die aktuelle Politik nicht eingehen durfte. Im Jahr 321 spitzte sich der sogenannte „kalte Krieg“ zwischen Konstantin und Licinius zu. Man belauerte sich gegenseitig, wer als Erster einen Vorwand zum Krieg gab. Aus diesem Grunde erwähnte der Panegyriker die beiden Ostherrscher, Licinius und seinen kleinen Sohn, den Caesar Licinianus Licinius, überhaupt nicht. Stattdessen lobte er die wenigen ruhmreichen militärischen Erfolge des jungen Crispus und ließ alle Siege Konstantins Revue passieren, angefangen von seinen Kämpfen in Britannien und in Gallien bis hin zur Befreiung Roms. Nazarius zu Folge war es Maxentius, der den Krieg provozierte, sodass die Kriegsschuldfrage zu Gunsten Konstantins entschieden werden konnte. Das war in der augenblicklich angespannten politischen Situation wichtig. Von Anfang an hatte Konstantin göttliche Hilfe und Schutz: Es waren die himmlischen Heere, die sein vergöttlichter Vater Constantius Chlorus anführte. Der Öffentlichkeitscharakter dieser Vision wird deutlich hervorgehoben im Gegensatz zum Traum bei Laktanz, der nur dem Kaiser zugänglich war. Gegen die christliche Vereinnahmung des Sieges wurden die beiden traditionellen Götter Castor und Pollux als Schlachtenhelfer herausgestellt, die zusammen mit dem Geisterheer des Gottes Constantius von allen Soldaten als Mitkämpfer gesehen wurden.64 Angst und geistige Verwirrung führten Maxentius aus der Stadt in sein Verderben.65 Unter totaler Ausblendung der bevorstehenden Probleme mit Licinius pries Nazarius schon jetzt das Friedensreich Konstantins und seiner Dynastie.66
Der interessanteste der zeitgenössischen Berichte ist auch der späteste. Er stammt von Eusebius und wurde von ihm nach dem Tod des Kaisers zwischen 338 und 340 im Rahmen seiner Kaiserbiographie, die eine christliche Lobrede und zugleich ein christlicher Fürstenspiegel ist, geschrieben. Es ist sehr gut möglich, dass Eusebius noch zu Lebzeiten des Kaisers mit der Niederschrift der Vita, sicher aber mit der Recherche dafür begonnen hat. Eusebius hat den Kaiser erstmals im Umfeld des Konzils von Nicaea 324 genauer kennengelernt. Beide waren voneinander beeindruckt.67 Der Kaiser selbst hat Eusebius den folgenden Visionsbericht und seine Ausdeutung im Traum erzählt. Das geschah wahrscheinlich ein Jahrzehnt oder noch etwas später nach dem eigentlichen Ereignis. Wir können Eusebius glauben, dass es sich um eine offizielle Erzählung des Kaisers und nicht um eine Erfindung des Kirchenvaters handelt. Unterschwellig nämlich deutet Eusebius ein gewisses Unbehagen und seine Zweifel an dem Bericht an: „Während der Kaiser aber so betete und eifrig darum flehte, erschien ihm ein ganz unglaubliches Gotteszeichen, das man wohl nicht leichtgläubig hinnehmen würde, wenn ein anderer davon berichtete; da es aber der siegreiche Kaiser selbst uns, die wir die Darstellung schreiben, lange Zeit hernach, als wir seine Freundschaft und des Verkehrs mit ihm gewürdigt worden waren, erzählt und sein Wort mit Eiden bekräftigt hat, wer sollte da noch Bedenken tragen …? Um die Stunde der Mittagszeit, da sich der Tag schon neigte, habe er – so sagte der Kaiser – mit eigenen Augen oben am Himmel über der Sonne das Siegeszeichen des Kreuzes, aus Licht gebildet, und dabei die Worte gesehen: ‚Durch dieses siege!‘ Staunen aber habe bei diesem Gesicht ihn und das ganze Heer ergriffen, das ihm eben auf seinem Marsche, ich weiß nicht wohin, folgte und dieses Wunder schaute. Da sei er nun in Verlegenheit gewesen, was doch diese Erscheinung bedeute. Während er aber dieses erwogen und noch lange darüber nachgedacht habe, habe ihn die Nacht überrascht. Da habe sich ihm nun im Schlafe der Christus Gottes mit dem am Himmel erschienenen Zeichen gezeigt und ihm aufgetragen, das am Himmel geschaute Zeichen nachzubilden und es bei seinen Kämpfen mit den Feinden als Schutzpanier zu gebrauchen.“68
Konstantin hatte am helllichten Tage, als die Sonne sich gegen Nachmittag senkte, eine Himmelserscheinung gesehen, wahrscheinlich ein sogenanntes Halophänomen, ein für den modernen Menschen physikalisch erklärbares Naturphänomen, das sich der Kaiser allerdings nicht erklären konnte. Er hatte diese Erscheinung vermutlich in Gallien, lange bevor er gegen Maxentius zog. Peter Weiß hat in differenzierter Weise die Erzählung des Eusebius auf ihre naturwissenschaftliche Haltbarkeit überprüft und ist zu einem überzeugenden positiven Ergebnis gelangt.69 Die Bedeutung der Lichterscheinung wurde Konstantin, den dieses Erlebnis nicht losließ, in der darauffolgenden Nacht in einem Traum offenbart. Dieser Traum stimmt aber nicht mit dem bei Laktanz überlieferten überein. Der Kaiser erhielt den Befehl zur Nachbildung einer christlichen Standarte, des Labarum, das fortan in allen Schlachten als siegreiches Zeichen vorangetragen werden sollte. Das Labarum lässt sich aber nicht mit dem Sieg an der Milvischen Brücke in Verbindung bringen. Auf der Fahne sind nämlich mehrere Söhne Konstantins abgebildet. Im Jahre 312 hatte er aber nur einen Sohn, nämlich Crispus. Außerdem ist die Standarte erst ab 324 belegt. Vor diesem Zeitpunkt hat der Kaiser dem Eusebius auch nicht von seiner Vision erzählt, eher einige Zeit später. Es scheint jedoch ein Anliegen des Kaisers gewesen zu sein, das Feldzeichen, das er zwischenzeitig hatte anfertigen lassen, auf göttliche Weisung zurückführen zu können und dadurch zu sakralisieren.70
Mit dem solaren Visionsbericht bei Eusebius, den ihm der Kaiser selbst erzählt hatte, kommen wir zurück in das Jahr 310, dem Jahr der Apollovision. Diese ist es gewesen, die Konstantins religiöses Bewusstsein beeinflusst hat, unter dem Schutz eines Gottes zu stehen. In Gallien war es Apollo Grannus, dessen Tempel er mit Geschenken bedachte. Nach 312 verbanden sich der Sonnengott und seine Sieghaftigkeit, Sol invictus, zunehmend mit dem Christengott, der viele solare Elemente aufwies. Spätestens im Jahr 324, als Konstantin seinen Titel änderte und zum Augustus Victor wurde – nach der Ausschaltung des Licinius war er nämlich der Sieger schlechthin –, verschwanden der Sonnengott und seine Symbole und sein Titel Invictus langsam von den Münzen und Inschriften. Erst von dieser Zeit an war sich Konstantin klar geworden, dass er die Himmelserscheinung in Gallien auf den Christengott zurückführen wollte. Dieser war dem Sonnengott in seiner Erscheinung zum Verwechseln ähnlich. In seiner christlichen Herrscherideologie hielt Konstantin sein Leben lang an den solaren Elementen fest, die für ihn keinen Widerspruch mit dem Christentum darstellten. Denn die spätantike Religiosität verband verschiedene monotheistische Gottesvorstellungen problemlos miteinander.71
An dieser Stelle sei als Zwischenergebnis Folgendes festgehalten: Konstantin hatte eine Sonnenvision gehabt, aber nicht vor den Toren Roms, sondern schon zwei Jahre früher in Gallien. Sie bestimmte sein religiös-militärisch-politisches Selbstverständnis sein Leben lang. Die Verbindung der Vision mit dem Christentum vollzog sich nicht plötzlich, es gab keinen sogenannten Quantensprung, sondern sie verlief in einem kontinuierlichen Entwicklungsprozess, den man auch als eine fortschreitende Umorientierung bezeichnen kann. Dabei ist es nicht zwingend anzunehmen, dass seine christliche Umgebung ihn dazu überredet hätte, das Lichtzeichen mit dem Christengott zu verbinden.72 Konstantin kann selbstständig zu diesen Erkenntnissen, die vor allem propagandistisch für seine Politik zu nutzen waren, gelangt sein, teils durch die politischen Ereignisse, teils durch genauere Kenntnisse im Umgang mit dem Christentum und vor allem seinen Bischöfen. Denn dass er das Christentum, seine Organisation, den Mut seiner Anhänger und die Integrität seiner Priesterschaft von seinem Aufenthalt im Osten (in Nikomedien) her kannte, darauf lassen seine ersten christenfreundlichen Maßnahmen in Gallien nach seiner Erhebung und in Rom nach seinem Sieg schließen.
Der eigentliche Schlüssel für Konstantins frühere und spätere Politik (vor und nach 312) ist aber nicht in Visionen, Insinuationen oder komplizierten Studien des Kaisers über das Wesen des christlichen Gottes zu finden, sondern in der politischen Erkenntnis, dass die Christen, auch wenn sie immer noch eine Minderheit im Reich darstellten, weder durch Verfolgungsmaßnahmen auszurotten waren, noch dass man sie weiterhin ignorieren konnte, als wären sie und ihre reichsweite Organisation nicht existent. Wenn man das Christenproblem lösen wollte, an dem seit Decius alle Kaiser gescheitert waren, dann musste man die Christen in Gesellschaft und Staat integrieren, und zwar nicht halbherzig und teilweise, sondern voll und ganz wie alle anderen Religionen und deren Anhänger im Römischen Reich. Dass dieser Integrations- und Inkorporationsprozess ein langwieriger, von Rückschlägen, Enttäuschungen, aber auch Überraschungen und neuen Erkenntnissen geprägter Entwicklungsprozess war, in dem sich beide Seiten, der Kaiser und die Kirche veränderten, das soll in den folgenden Kapiteln gezeigt werden. Zu diesem Zweck müssen wir aber zunächst hundert Jahre zurückgehen, um zu erfassen, wie das Verhältnis zwischen Christentum und Römischem Staat war, das zu ändern Konstantin im Angesichte des Fiaskos der diokletianischen Christenpolitik als notwendig erkannt hatte.