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2. Die moderne Forschungskontroverse

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„Als am 28. Oktober 312 Gaius Flavius Valerius Constantinus seinen Rivalen Marcus Aurelius Valerius Maxentius an der Milvischen Brücke vor den Toren Roms besiegte, setzte sich der erfahrene Feldherr mit einem kampferprobten, treu ergebenen Heer gegen einen im entscheidenden Moment unsicheren, in verschiedener Hinsicht unterlegenen Gegner durch. Die Propaganda des Siegers fiel auf so fruchtbaren Boden, dass diesem in der damaligen Zeit keineswegs ungewöhnlichen Ereignis schon nach kurzem weltgeschichtliche Bedeutung beigemessen wurde: Aus der Auseinandersetzung zweier römischer Augusti um die Vorherrschaft im Westen des Reiches war der Triumph eines Verehrers des Christengottes über einen Christenverfolger geworden. Maßgeblich trug zu dieser Überzeugung die fromme Legende von der Vision des Konstantin bei, er werde im Zeichen des Kreuzes siegen: Hoc signo victor eris.“17

Mit dieser kurzen, die Gesamtsituation treffend umreißenden Skizzierung leitet Alfons Städle seine Übersetzung eines der Hauptwerke zur konstantinischen Zeit, nämlich der Schrift Über die Todesarten der Verfolger (De mortibus persecutorum) des nordafrikanischen Rhetors und Kirchenlehrers Lucius Caelius Firmianus Lactantius ein. Städle macht zwei Dinge deutlich: zum einen, dass die Propaganda des Siegers diesem zu weltgeschichtlichem Ruhm verholfen habe, zum anderen, dass dieser Ruhm auf dem Glauben an eine fromme Legende beruhe.

Mit Recht bezweifelt Klaus Girardet in seinem unlängst erschienenen Buch Die Konstantinische Wende,18 dass die conversio des Kaisers im Jahre 312 „als bloße Tatsache kein Problem mehr darstelle“, wie dies Thomas Grünewald noch 1990 in seinem Konstantinbuch behauptet hatte19 und wie auch Hartwin Brandt in seiner Konstantinbiographie von 2006 unterstreicht. Brandt zufolge ist Konstantin seit 312 Christ, auch wenn er die christlichen Visionsberichte ähnlich wie Steidle „liquidiert“. Sie seien alle erst später erfunden worden. Den Sprung, die „qualitative Wende“, macht Brandt zwischen dem Sieg über Maxentius und dem Einzug Konstantins in Rom fest. Sichtbar wird dieser Wandel nicht am unterlassenen Opfer für den Iuppiter Optimus Maximus auf dem Kapitol, in dem Girardet die conversio Konstantins fokussiert sieht.20 Nach Brandt offenbart Konstantin dagegen seine Hinwendung zum Christentum – übrigens einem „Christentum light“, also einem Christentum ohne den intoleranten Ausschließlichkeitscharakter – in seinen ersten Briefen im Rahmen des Donatistenstreites.21 In einem noch früher beginnenden Zeitabschnitt, nämlich zwischen 311 und 314, bewertet Girardet in seinen neuesten Untersuchungen die Hinwendung Konstantins zum Christentum als vollzogen und abgeschlossen. Bestätigt sieht er seine These durch eine neue Auslegung des Galeriusediktes sowie die Frühdatierung der Rede Konstantins An die Versammlung der Heiligen.22 Klaus Rosen dagegen schiebt alle Äußerungen eines persönlichen christlichen Bekenntnisses des Kaisers vor dem Jahr 321 als spätere Interpolationen in die bei Eusebius überlieferten Texte beiseite und hält an Spätdatierungen fest. Er sieht zwischen 312 und 321 einen langsamen Entwicklungsprozess des Kaisers, der sich erst von diesem Zeitpunkt an in Ost und West öffentlich zum Christengott bekennt, während 326 ein Visionsbericht nötig wird – wegen der moralischen Belastung Konstantins durch die Verwandtenmorde –, den Eusebius denn auch konsequent ausarbeitet.23

Es ist hier bisher nur die neuere und neueste Konstantinforschung zur Sprache gekommen und auch nur diejenige, für die eine conversio Konstantins – ob in einem Saulus-Paulus-Erlebnis oder in einem längeren Entwicklungsprozess vollzogen, was ja eine Frage der Verhältnismäßigkeit und der Akzentuierung darstellt – unumstößlich ist. Trotzdem gibt es auch in dieser traditionell breiten und breitgefächerten Forschungsrichtung Unterschiede, die tiefergreifender, substanzieller Art sind. Es geht dabei um die Art des konstantinischen Christentums. Die Duldung nichtchristlicher Symbole und Kulte wird entweder auf den realpolitischen Pragmatismus des Kaisers oder auf sein mangelndes Verständnis des Christentums zurückgeführt.24 Andere unterstellen ihm seit 312 ein rigides Christentum, das er aber erst als Alleinherrscher 324 voll durchsetzen konnte.25 Will man den Kaiser entlasten, indem man ihn weder des politischen Zweckrationalismus noch des theologischen Dilettantentums zeihen will, dann bleibt nur noch der rein ornamentale, sinnentleerte Charakter nichtchristlicher Symbole und Ausdrucksweisen übrig, was auf einen explosionsartigen Christianisierungsprozess des Römischen Reiches innerhalb von ganz wenigen Jahren hinweisen würde – eine historisch und auch religionsgeschichtlich wohl ziemlich gewagte Vorstellung.26

Die These von der Bekehrung Konstantins hat eine lange Forschungstradition, die hier nur kurz skizziert werden kann. Auf der Grundlage einer differenzierten Quellenanalyse haben Hermann Doerries und Heinrich Kraft in den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts die Voraussetzungen quellengestützter Untersuchungen geschaffen. Sie haben vor allem in Paolo Silli und Volkmar Keil Nachahmer gefunden, deren Ziele jedoch anderer Art waren.27 Obwohl die Auffindung des Papyrus London 878 (Edikt an die Provinzialen in Palästina vom Jahr 324) eine Bestätigung der Historizität der Urkunden mit sich brachte, die in die Vita Constantini von Eusebius aufgenommen worden sind, so wird heute erneut Quellenkritik auf Interpolationsbasis laut. Zugleich ist eine Erweiterung der Quellenbasis um epigraphisches und numismatisches Material und spätere literarische christliche Quellen in der neueren Forschung erfolgt.28 Alle diese Autoren zweifeln nicht an der Religiosität des Kaisers, die aber durchaus unterschiedlich ausgeprägt sein kann und vom religiösen Sendungsbewusstsein bis hin zum zweckbestimmten, politisch dominierten Pragmatismus reicht.29

„Die zuverlässigsten Quellen sind Konstantins eigene Briefe. Aus ihnen entnehmen wir, dass an der Aufrichtigkeit von Konstantins Christentum nicht zu zweifeln ist, während von einer Bekehrung nicht die Rede sein kann. Es liegt nicht an Konstantins Christentum, sondern an unserem Bekehrungsbegriff, dass wir vergeblich nach Konstantins Bekehrung fragen, vergeblich das Datum suchen, an dem aus dem Saulus ein Paulus wurde. Es gibt diesen Augenblick nicht in Konstantins Geschichte.“30

Diese eher distanziert vorsichtige Äußerung des langjährigen Konstantinforschers Heinrich Kraft aus dem Beginn der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts weist in drei Richtungen. Mit der Feststellung der religiösen Aufrichtigkeit Konstantins wendet er sich gegen all diejenigen, die – in der Tradition Jacob Burckhardts stehend – in der konstantinischen Religionspolitik nur eine machtstrategische Maßnahme eines zutiefst irreligiösen Politikers sehen wollen. Heinrich Krafts Zweifel an der Bekehrung weist dagegen in zwei andere Richtungen: Benötigen wir überhaupt eine Bekehrung Konstantins, und ist unser Bekehrungsbegriff nicht inadäquat und so auf Konstantin nicht anwendbar? Kraft macht auf ein Phänomen aufmerksam, dem in etwas anderer Form auch in der neuesten Forschung nachgegangen wird, nämlich dem der Eigenart der spätantiken Religiosität einschließlich der des Christentums, die eine grundlegend andere zu sein scheint als die, von der wir gemeinhin auf dem Hintergrund einer zweitausendjährigen Christentumsgeschichte meinen ausgehen zu müssen. Bevor ich mich dieser hoch interessanten jüngeren Forschungsrichtung zuwende, möchte ich kurz die anderen beiden Positionen kennzeichnen, die, wenn auch aus ganz unterschiedlichen Gründen, eine Konversion des Kaisers „liquidieren“.

Jacob Burckhardt schreibt 1853 in seinem Buch Die Zeit Constantins des Großen31: „In einem genialen Menschen, dem der Ehrgeiz und die Herrschsucht keine ruhige Stunde gönnen, kann von Christentum und Heidentum, bewusster Religiosität und Irreligiosität gar nicht die Rede sein; ein solcher ist ganz wesentlich unreligiös. … Es ist eine traurige … Tatsache, dass … die Stimmen der Kirche … die wahre Stellung Constantins nicht verrieten, dass sie kein Wort des Unwillens hatten gegen den mörderischen Egoisten, der das große Verdienst besaß, das Christentum als Weltmacht begriffen und danach behandelt zu haben …, der alles, was er tut und geschehen lässt, auf die Erhöhung seiner eigenen Macht bezieht und berechnet.“ Mit Eusebius von Caesarea sei der Kaiser außerdem noch dem „widerlichsten aller Lobredner“ in die Hände gefallen, einem Mann der Heuchelei und Verstellung zu dem Zweck, „der von Constantin so stark und so reichlich etablierten Hierarchie“ die ideologisch-christliche Untermauerung und Rechtfertigung zu geben.

Dass Jacob Burckhardt mit dieser seiner scharfen Trennung zwischen Religion und Politik der Antike, ihrem Denken und Handeln nicht gerecht wurde, liegt auf der Hand. Er dachte ganz aus seiner eigenen Zeit der Trennung beider Bereiche und bedauerte die von Konstantin bewirkte Verschmelzung von Staat und Kirche als das „notwendige Resultat eines weltgeschichtlichen Prozesses“.

Weniger weltgeschichtlich, aber nicht weniger kritisch betrachtete der belgische Byzantinist Henri Grégoire32 die religiöse Konversion, in der er – wie alle Forscher dieser Richtung – eine politisch zweckmäßige Handlung sah, die aus rein politischem Kalkül und nicht aus religiöser Überzeugung erfolgte. So erklärte er auch die Hinwendung zum Christentum mit machtpolitischen Erwägungen der Teilkaiser. Folglich kann auch das Jahr 312 keine religionspolitische Zäsur darstellen. Grégoire „liquidierte“ sozusagen die „Bekehrung“ Konstantins. Den Ausgangspunkt für eine religionspolitische Wende sah er ausschließlich im Osten des Reiches gegeben, in dem der Anteil der christlichen Bevölkerung groß war. Aus diesem Grunde wies er Licinius den Part zu, den die übrige Forschung bisher Konstantin zugesprochen hatte.

Jochen Bleicken hat 50 Jahre später an diese eigenwillige These des belgischen Byzantinisten, die von der Forschung nie rezipiert worden ist, angeknüpft. Er schreibt hierzu in seiner Abhandlung Constantin der Große und die Christen33: „Wenn die christlichen Zeitgenossen Constantins und ihre nachlebenden Glaubensgenossen über die Ursachen dieses schier unglaublichen Wandels nachdachten, der sie von unmittelbarer Todesfurcht befreite und aus verachteten und gejagten Staatsfeinden zu geachteten, ja bevorzugten Staatsbürgern machte, mussten sie sie mit dem oder denen verbinden, die damals die Geschicke der Welt lenkten … In Constantin erkannte man daher denjenigen, der als Gefäß eines göttlichen Willens den Umschwung herbeigeführt hatte, und es erschien allen Christen selbstverständlich, dass er das nur als ein auch innerlich zum Christengott Bekehrter hätte durchführen können. Sind das Ergebnis dieser christlichen Ursachenforschung und ebenso die sich etwa daraus bildenden Legenden unmittelbar einsichtig und bedürfen sie daher keiner weiteren Rechtfertigung, gilt dies nicht für die Übernahme dieser christlichen Sicht durch den größten Teil auch der modernen Forscher … Es fehlt durchwegs die Auseinandersetzung mit der Grundsatzfrage, nämlich der Begründung beziehungsweise Erklärung der ‚Bekehrung‘ Constantins zum christlichen Glauben und der Bedeutung der Visionen für sie.“

Angeregt von den Thesen Grégoires, aber zugleich in Distanz zu ihnen kommt Bleicken zu folgenden Ergebnissen: Die Hinwendung Konstantins zum Christentum sei erst seit 315 erfolgt. Alle vorher einsetzenden Tendenzen beruhten auf späterer christlicher Interpretation der Vorgänge von 312. Diese seien erst christianisiert worden mit dem beginnenden Konflikt zwischen Konstantin und Licinius in der Mitte des Jahrzehnts. Die rein machtpolitische Auseinandersetzung wurde christlich verbrämt. Die dezidiert christliche Politik Konstantins auf der Grundlage der Toleranzedikte wurde der eher gleichgültigen Politik des Licinius gegenübergestellt. Die Symbole, die die Historiker mit 312 verbunden haben – wie das Christogramm oder auch die Standarte, das Labarum –, waren Zeichen, die mehrdeutig gewesen seien und die erst mit der Zeit eine ausschließlich christliche Konnotation erhielten. So erfolgte nach Bleicken die Bekehrung Konstantins, die durchaus echt gewesen sei, einige Jahre später und sei nicht mit der spektakulären Wende von 312 zu verbinden.

Bleickens Kritik galt vorrangig der eigenen Zunft und nicht dem Kaiser oder seinem Hoftheologen wie noch die Jacob Burckhardts. Die sehr bald folgende Widerlegung durch Klaus Bringmann gab der ordnungspolitischen Rücksichtnahme in der Christenpolitik seit 311 den Vorzug vor einer machtpolitischen Betrachtungsweise. Obwohl er Konstantin seit 312 ein fundamentalistisches Christentum zusprach,34 sparte er die Bekehrung Konstantins „aus methodischen Gründen einer Mystifikation als Leerstelle“ bewusst aus.

In ähnlicher Weise gehen auch die Forscher vor, die die machtpolitischmilitärische Auseinandersetzung genau rekonstruieren wollen. Eine persönliche conversio wird als möglich eingeräumt, zugleich aber wird bewusst eine Grenze der historischen Erkenntnismöglichkeiten gezogen. In diesem Sinne konstatiert Pedro Barceló: „Gleichgültig, von welchen Prämissen dieses Phänomen zu ergründen versucht wird, ab einem gewissen Punkt stößt die Geschichtswissenschaft unweigerlich auf einen undurchdringlichen Schleier, der dem historischen Erkenntnisinteresse Grenzen setzt.“35

Mit diesen Schwierigkeiten haben diejenigen nichts zu tun, die eine Konversion des Kaisers gar nicht mehr benötigen, weil Konstantin bereits in einem christlichen Elternhaus aufgewachsen sei und immer schon Christ war. Die provokative These von Thomas George Elliott Constantine’s Conversion: Do we really need it?, die auch von anderen englischen Forschern vertreten wird, kann so die Visionserzählungen der Kirchenväter als Fiktionen im Auftrag des Kaisers genauso beiseite schieben wie die gesamte nichtchristliche Propaganda auf Münzen, Inschriften und in den panegyrischen Schriften. Sie sei kein Spiegel der wahren Überzeugung des Kaisers, sondern aus Zweckopportunismus weiter verwendet, wenn nicht sogar im Sinne einer bereits entleerten Konvention.36 Schlussfolgerung dieser These ist dann zugleich, dass Konstantin bereits seit 306 mit seiner Erhebung zum Nachfolger seines Vaters die Christenverfolgungen in Gallien per Gesetz eingestellt habe und den Christen die beschlagnahmten Güter zurückgegeben habe – eine These, die Timothy David Barnes unlängst erneut vertreten hat.37

Der Gang der bisherigen Konstantinforschung ist kein gradliniger, sondern ein mäandrierender: Einmal steht mehr der Machtmensch und Politiker, einmal der Gott Suchende und aus einem religiösen Sendungsbewusstsein heraus Handelnde im Vordergrund, je nach Interpretation der widersprüchlichen antiken Quellen. Die Diskussion zwischen diesen beiden großen Richtungen, die sich zuweilen in kleinere Unterabteilungen aufspalten, ist kompliziert, teilweise festgefahren und sehr oft nicht mehr gegeben. Eine neue Forschungsrichtung, die unser Verständnis von Bekehrung und Vision auf dem Hintergrund der Eigenart spätantiker Religiosität kritisch hinterfragt, vermag eventuell die verhärteten Fronten zwischen den beiden großen Hauptrichtungen aufzubrechen.38 Sie geht aus von der monotheistischen Struktur des Sonnenkultes und den zunehmend solaren Elementen des spätantiken Christentums, die Konstantin miteinander problemlos zu verbinden verstand. Den Ausschließlichkeitsanspruch des Christentums habe der Kaiser, so Martin Wallraff in seinem Buch Christus Verus Sol, bis zum Schluss seines Lebens nicht erkannt oder nicht erkennen wollen. Er wäre seiner religiösen Integrationspolitik nur abträglich gewesen. Die Bischöfe allerdings – auch Eusebius, der die gesamte solare Staatstheologie Konstantins entwickelte – haben an einigen Unvereinbarkeiten versteckt Kritik geübt.39 Der Vorzug dieser neuen Forschungsrichtung, der Manfred Clauss, Rudolf Leeb und Peter Weiß zuzurechnen sind,40 liegt darin, die Gemeinsamkeiten zwischen den spätantiken monotheistischen Religionen aufzudecken, wodurch eventuell die Möglichkeit gegeben ist, die Ereignisse von 312 – sowohl die realen wie auch die fiktiven – besser zu verstehen. Dafür bedarf es aber vorrangig einer Rückbesinnung auf die antiken Quellen.

Konstantin der Große

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