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II. Der Befreier Roms 1. Die Konkurrenz der Kaisersöhne
ОглавлениеNichts in den bisherigen Handlungen und Taten Konstantins hat darauf hingewiesen, dass dieser römische Kaiser auch noch nach zwei Jahrtausenden der Nachwelt im Gedächtnis sein würde. Er unterschied sich nicht von früheren Usurpatoren, die ihre Macht zu legitimieren und weiter auszubauen versuchten. Das sollte auch in den kommenden Jahren nicht anders werden.
Mit der Hinrichtung des Maximianus Herculius und der „Tilgung seines Gedächtnisses“ (damnatio memoriae)1 war der Machtkampf zwischen den beiden leiblichen Söhnen der verstorbenen und divinisierten Augusti – Konstantin und Maxentius – eingeleitet. Denn eine der ersten Handlungen des Maxentius nach dem Tod seines Vaters war, auf den Senat einzuwirken, den Alt-Augustus zum Gott zu erheben. Willig beschloss das Gremium die Konsekration. Von diesem Zeitpunkt an nannte sich Maxentius Sohn des Gottes, Divi filius. Die früher so heftigen Zerwürfnisse zwischen Vater und Sohn wurden nun für fiktiv erklärt; möglicherweise waren sie auch tatsächlich bereits beim Putschversuch beigelegt. Maximianus hatte nämlich in Massilia (Marseille) auf die Landung der Truppen seines Sohnes und deren Invasion in das schutzlose Gallien gehofft. Mit Hilfe des Sohnes hätte er so erneut gegen den Schwiegersohn zur Macht gelangen können.2 Wie real oder irreal auch immer diese Pläne gewesen sein mögen – Maxentius hatte nun einen Grund, gegen Konstantin, den er früher so sehr umworben hatte, vorzugehen. Die Ehrerbietung des Sohnes gegenüber dem Vater, die pietas, gab ihm dazu eine sakral-politische Legitimation in die Hand: Er konnte nun gegen Konstantin zu Felde ziehen, ihm den Krieg erklären, um den Mord an seinem Vater – als solchen betrachtete Maxentius die Hinrichtung des Unschuldigen durch Konstantin – zu rächen. Er ließ die Statuen Konstantins in seinem Machtbereich umstürzen.3 Das Bildnis des verhassten Schwagers verschwand von seinen Münzen. Stattdessen ließ er Gedenkmünzen für seinen divinisierten Vater prägen.4
Maxentius (Abb. 8) fühlte sich Konstantin durchaus gewachsen. Seine Truppen hatten mehrmals ihre Loyalität bewiesen. Seit dem Sieg über den Usurpator Lucius Domitius Alexander durch seinen Gardepräfekten, Gaius Ceionius Rufius Volusianus, und der Rückeroberung Afrikas war nun auch die Getreideversorgung der Stadt Rom wieder gesichert.5 Allerdings folgten diesen propagandistischen Aktionen keine Taten. Dazu bestand für Maxentius auch keine Eile, weil durch den Tod des Galerius im Jahre 311 zunächst der gesamte Osten in Unordnung geraten war und die beiden dortigen Herrscher, Licinius und Maximinus Daia, um das Erbe des Galerius kämpften. Während dieser Auseinandersetzungen brauchte Maxentius keinen Zugriff auf Italien zu befürchten, und Konstantin war weiter an der Rheinfront beschäftigt. Maxentius konnte in aller Ruhe beobachten, ob und wie die drei legitimen Augusti sich in der Macht arrangieren würden. Er selbst war in Italien und vor allem in Rom, das er noch weiter befestigen ließ, sicher und konnte den richtigen Augenblick zur Machterweiterung – die Rache war nur vorgeschoben – abwarten. Nach der Rückgewinnung seiner abtrünnigen Provinz Afrika war es durchaus möglich, dass er eine Besetzung der Donauprovinzen plante, um von dort aus nach Gallien gegen Konstantin oder zum Illyricum gegen Licinius vorzurücken.6
Abb. 8: Maxentiuskopf (Kolossalkopf, um 310)
Der Machtkampf zwischen den beiden Augusti des Ostens, die man im Vergleich mit den Kaisersöhnen Maxentius und Konstantin als Emporkömmlinge – homines novi – bezeichnen kann, schien auf eine ernste militärische Auseinandersetzung hinauszulaufen.7 Jeder von ihnen versuchte, so viel wie möglich vom Gebiet des Galerius an sich zu ziehen. Am Bosporus standen sich die feindlichen Heere gegenüber. Maximinus Daia hatte die ganze asiatische und pontische Diözese einschließlich der Residenzstadt Nikomedien besetzt, und Licinius hatte die gesamte Balkanhalbinsel unter seine Kontrolle gebracht. Für einen Waffengang schienen beide noch nicht stark genug; die erworbenen Ländermassen waren darüber hinaus noch nicht genügend unter ihrer Herrschaft gesichert. Außerdem gab es innenpolitische Schwierigkeiten mit der Umsetzung des Christenediktes des Galerius. Es kam zu einer Verständigung, in der Licinius dem Maximinus Daia als dienstältestem Augustus den ersten Rang zuerkannte, während er selbst sich mit dem dritten Rang hinter Konstantin zufriedengab. Maxentius wurde weiterhin nicht anerkannt.8
Einen Wermutstropfen gab es allerdings für Licinius: Frau und Tochter Diokletians, die beide am Hof des Galerius gelebt hatten – Prisca war Schwiegermutter, Galeria Valeria Ehefrau des Letzteren –, hatten sich unter den Schutz des Maximinus Daia gestellt. Galerius hatte beide Frauen Licinius anvertraut. Vermutlich erschien der altgediente Augustus Maximinus Daia, der Neffe des Galerius, der Augusta Valeria Galeria und ihrer Mutter Prisca vertrauenswürdiger. Oder es handelte sich um eine Frage des Ranges und zugleich der Macht, die vorzugsweise bei dem dienstältesten Augustus lag, der die ehemals diokletianischen Provinzen verwaltete. Warum die Frauen nicht zu Diokletian in seinen Alterssitz nach Spalato gingen, ist unklar.9
Konstantin blieb auch in dieser angespannten Situation der Jahre 311/312 seiner ausgewogenen Politik treu. Allerdings versuchte er, beide Augusti, die ihn in ihren Vereinbarungen als Augustus auf dem zweiten Rang mit einbezogen hatten, durch Abmachungen und Entgegenkommen zur Neutralität zu veranlassen. Denn die Auseinandersetzung mit Maxentius musste geführt werden, solange sich die beiden Augusti des Ostens gegenseitig in Schach hielten. Konstantin erkannte den höchsten Rang des Maximinus Daia an und verlobte seine Halbschwester Constantia mit Licinius. Dass Maximinus Daia daraufhin ein Bündnis mit Maxentius suchte, wie der christliche Rhetor Laktanz berichtet,10 ist eher unwahrscheinlich. Die Verbindung mit einem Usurpator wäre sicher nicht so vorteilhaft für das hohe Prestige des altgedienten Augustus gewesen. Jedenfalls haben sich beide Herrscher des Ostens in der Auseinandersetzung Konstantins mit Maxentius neutral verhalten.
Bevor Konstantin nach Italien zog, musste er zuerst die Rheinfront absichern, um keinen bedrohlichen Feind im Rücken zu haben. Daher beließ er die Grenztruppen – die limitanei – auf ihren Posten und nahm nur das bewegliche Heer – die comitatenses – mit. Es soll sich auf 25000 bis 30.000 Mann belaufen haben, ein Bruchteil des Heeres, das Maxentius zur Verfügung stand. Die antiken Quellen sprechen hier von 100.000 Fußsoldaten, eine sicher übertriebene Zahl, um Konstantins Leistung zu vergrößern.11
Mit seinem Heer überstieg er die Alpen und begann mit den ersten Eroberungen in der Poebene: zunächst Segusio (heute Susa), dann Turin und schließlich Mailand. Nach einer weiteren Schlacht um Brescia gelangte er nach Verona, dessen Erstürmung sich sehr schwierig gestaltete. Die Einnahme dieser Stadt, bei der der fähige Prätorianerpräfekt des Maxentius, Ruricius Pompeianus, fiel, hatte besondere Bedeutung für den gesamten Feldzug. Nicht ohne Grund ließ Konstantin ihre Eroberung später auf seinem Ehrenbogen in Rom abbilden (Abb. 9). Die hier stationierten Soldaten hielten dem Maxentius die Treue und ließen sich nicht – wie manche ihrer Gefährten in anderen Städten – in das Heer Konstantins eingliedern. Sie wurden als Gefangene in Handfesseln mitgeführt, die aus Schwertern umgeschmiedet worden waren, weil man sie nicht ohne Gefährdung für das Gelingen des Feldzuges hätte zurücklassen können. Der Marsch nach Rom führte über Aquileia, das sich freiwillig ergab, Ravenna und Ariminum an der Küste entlang, dann auf der Via Flaminia über den Appenin zur alten Metropole Rom, dem „Haupt der Welt“.12
Abb. 9: Detail aus der Südseite des Konstantinbogens: Eroberung von Verona
Nur selten wird in den antiken panegyrischen Quellen deutlich, dass der Vormarsch Konstantins in Norditalien nicht immer mühelos verlief. Die Heere des Maxentius waren in den letzten Jahren immer siegreich gewesen, und Norditalien war für den Angriffsfall gut gerüstet. Nach dem Panegyricus des Jahres 313 ist Konstantin eindeutig der Aggressor, während der Rhetor Nazarius im Jahr 321 Maxentius zum Angreifer stilisiert.13 Wir werden später noch sehen, wodurch dieser Wandel in der Darstellung bedingt ist. Schnelligkeit, Zielstrebigkeit und eine Mischung aus Härte und Güte bei der Behandlung der ansässigen Bevölkerung mögen zum Erfolg Konstantins beigetragen haben. Wenn man davon ausgeht, dass Konstantin im April die Alpen überquerte und erst gegen Ende Oktober vor Rom stand, kann man trotz aller Verbrämung der Quellen die Langwierigkeit der Kämpfe ermessen.
Maxentius hatte beim siegreichen Vormarsch des Gegners die Orakel befragt, die ihm geweissagt hatten, dass er die Schlacht verlieren werde, wenn er Rom verlasse. Daher erwartete er Konstantin zunächst in der Stadt, geschützt durch die Aurelianische Mauer. Er konnte dort sicher sein und war durch ausreichende Verproviantierung für eine lange Belagerung gerüstet. Konstantin scheint auf dem Weg zur Stadt eine Niederlage erlitten zu haben. Ob es nun diese Niederlage war, die Maxentius so siegessicher machte, ob es innere Unruhen der Bevölkerung von Rom waren, die den Kaiser bedrängten, oder ob das bevorstehende sechste Regierungsjubiläum am folgenden Tag ihm als Glück verheißendes Omen erschien – jedenfalls entschloss der Herrscher sich plötzlich, vor den Toren Roms zu kämpfen, weil die Sibyllinischen Bücher geweissagt hatten, dass ein Feind Roms fallen werde: Maxentius hatte dies auf Konstantin hin gedeutet. Er hoffte, so ein schnelles Ende des Bürgerkrieges – ohne langwierige Belagerung der Stadt – herbeiführen zu können. So jedenfalls berichtet es der christliche Schriftsteller Laktanz.14 Die anderen Geschichtsschreiber, heidnische wie christliche, wissen nichts von dem Orakel. Sie berichten nur von Schwierigkeiten des Maxentius, zu seinen Truppen zu gelangen, die sechs Meilen von Rom entfernt bei Saxa Rubra standen. Dort zog er sich seine entscheidende Niederlage zu. Weitere Kämpfe, wahrscheinlich relativ ungeordnete Rückzugsgefechte bis zur Milvischen Brücke, bei denen sich seine Truppenverbände auf Grund der Enge des Geländes nicht richtig entwickeln konnten, kosteten Maxentius schließlich das Leben: Die hochziehbare Schiffsbrücke, die er an Stelle des steinernen Pons Milvius hatte bauen lassen, um den Feind gar nicht erst zur Stadt vordringen zu lassen, stürzte unter der Last der zurückdrängenden eigenen Soldaten ein und riss viele – auch den Kaiser selbst – in den Tiber, in dessen Fluten er ertrank. Konstantin ließ den Leichnam bergen und den Kopf des Usurpators auf einer Lanze aufgespießt durch die Stadt tragen. Der Augustus Constantinus war der eindeutige Sieger.15
Es wäre nun ein Einfaches, die Darstellung des Machtkampfes zweier dynastisch und wahrscheinlich auch machtpolitisch gleichrangiger Kaisersöhne ohne vertiefte Interpretation abzuschließen. Bei keinem der beiden lag ein Mehr an Berechtigung für den Kampf vor: Maxentius rächte seinen Vater,16 Konstantin bekämpfte einen Usurpator. Maxentius war vom Senat und dem Volk von Rom anerkannt, Konstantin war von seinen Kollegen im Amt anerkannt. Keinem gebührte ein Vorzug. Beiden ging es im Letzten um die alleinige Macht im Westen.
Aber dennoch suggerieren uns alle antiken Quellen etwas anderes als einen bloßen Machtkampf zwischen zwei Kontrahenten. Und in dieser Grundtendenz unterscheiden sich die christlichen keineswegs von den nichtchristlichen Quellen. Sie alle stilisieren den Sieger Konstantin zum Befreier Roms und den Verlierer Maxentius zu einem monströsen Tyrannen und sogar zum Bastard, der die Herrschaft nur widerrechtlich innehatte.
Ein Teil der modernen Interpretationen hat sich diesen Sichtweisen angeschlossen und spricht im Zusammenhang mit dem Sieg Konstantins an der Milvischen Brücke von der „Konstantinischen Wende“ oder sogar von der Bekehrung Konstantins auf Grund einer Vision, die er vor den Toren Roms oder schon vor dem Feldzug gehabt haben soll.
Auf Grund dieser disparaten Ausgangslage müssen wir uns zunächst einen kurzen Überblick über die wichtigsten Forschungstendenzen verschaffen, um dann in einem zweiten Schritt die antike Überlieferung, auf der ja die Forschung beruht, nochmals genauer auf Chronologie und Tendenzen hin zu prüfen. Wie auch immer das Ergebnis dieser erneuten Prüfung ausfallen wird, es ist in jedem Fall zentral zumindest für die Bewertung der späteren (Religions-)Politik Konstantins, wenn nicht sogar in gewisser Hinsicht für seine Gesamtpersönlichkeit.