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4. REAKTIVES GLÜCK UND UNGLÜCK

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Batthyány: Wir können ja beides: am Leid vorbeigehen oder im Rahmen unserer Möglichkeiten zu helfen versuchen. Denn das Gegenbild zu dem, was Sie „samariterhafte Haltung“ nennen, wenn ich Ihren Gedanken nochmals aufgreifen und weiterspinnen darf, ist auf der anderen Seite, dass Undankbarkeit und geringes Wohlwollen in sehr unmittelbarer Weise miteinander zusammenhängen: dass man in einer innerlich unreifen Anspruchshaltung für das eigene Glück ebenso erblindet („es steht mir ja zu!“) wie für die Not in der Welt („was geht mich das an?“). Ersteres wird als selbstverständlich hingenommen und Letztes geht einen dann scheinbar nichts an. Frankls Satz vom Glück als das, was einem erspart bleibt, und Ihre Worte über generalisierte Einstellungswerte und die samariterhafte Einstellung decken so gesehen beide Seiten der Medaille ab: Das eigene Glück ist ebenso wenig selbstverständlich wie die Not des anderen, an der man nicht schulterzuckend vorübergehen soll, sofern man Ressourcen hat, diese Not zu lindern oder zu beheben.

Wobei wir es nebenbei gesagt dem Realismus schulden, dass wir nicht vergessen sollten, dass wir ja tatsächlich nie wissen, wann wir uns auf welcher Seite befinden werden: ob und wann und für wie lange wir also das Glück haben, teilen zu können, oder ob und wann wir darauf angewiesen sein werden, dass sich ein anderer unserer annimmt und uns aufrichtet.

Lukas: Gut, dass Sie bei Ihren Überlegungen zum sinnorientierten Miteinander den Aspekt der Freiheit betont haben. In der Psychopathologie basieren viele Probleme auf falschen bzw. sinnwidrigen Reaktionen auf gewisse Lebensvorgaben. Frankl hat in seiner „Theorie und Therapie der Neurosen“9 ein ausführliches Kapitel den „reaktiven Neurosen“ gewidmet. Solche wurden sonst nirgendwo diagnostiziert und sind heute von der Begrifflichkeit her veraltet. Trotzdem ist das reaktive Element bei einer Menge an seelischen Störungen ausschlaggebend.

Der eine wird am Schulweg von einem Hund angesprungen und entwickelt eine Hundephobie – der andere wird am Schulweg von einem Hund angesprungen und lernt, mit Hunden geschickt umzugehen. Die eine entdeckt, dass sie durch Vorgabe von Halsschmerzen oder Magengrimmen die zärtliche Fürsorge ihrer Mutter herbeirufen kann, und übt sich daraufhin im histrionischen Manipulieren ihrer Mitwelt ein. Die andere macht dieselbe Entdeckung, verzichtet aber auf weiteres „Theaterspielen“. Zahlreiche psychologische Krankheitsbilder sind von ihrer Entstehungsgeschichte her Kombipakete: nicht nur die psychosomatischen Krankheiten mit ihrer typischen Kombination von körperlicher Vorschädigung plus Auslösestressor, sondern auch viele Abhängigkeitsprobleme, bei denen auf kurzfristig erzeugbaren Emotionalgewinn mit „Mehr desselben“ statt mit vorsichtiger Zurückhaltung reagiert wird, oder iatrogene (also durch ärztliche Einwirkung erst entstandene) Störungsformen, bei denen unbedachte Äußerungen von Ärzten und sonstigen Autoritätspersonen zu ernst genommen bzw. als drohendes Unheil ausgelegt werden.

In diese Aufzählung passt, was wir soeben diskutiert haben, nämlich die inadäquate (statt adäquate) Reaktion auf eigenes Glück und auf fremdes Leid.

Logotherapie und Existenzanalyse heute

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