Читать книгу Himmel, Arsch und Hölle! - Elke Bulenda - Страница 10

Glatte Worte und schmeichelnde Mienen vereinen sich selten mit einem anständigen Charakter.

Оглавление

(Konfuzius)

Da saß ich nun, und das leere Blatt schien mich regelrecht zu verhöhnen. Zum Glück besaß ich einen ausreichend großen Stapel Kopierpapier. Erst wenn ich diese verdammten Worte mit der richtigen Bedeutung gesetzt hatte, würde ich das feine florentinische Briefpapier benutzen. Alles andere wäre die reinste Verschwendung gewesen. Obwohl ich der Besitzer einer kardialen Nulllinie bin, erschien es mir, als würde mein Herz bis zum Hals klopfen.

Meine hochverehrte, liebe Amanda,

bevor du erzürnt diesen Brief wegwirfst, solltest du zuerst meine an dich gerichteten Worte lesen. Ich habe mich dir gegenüber nie besonders anständig benommen. Da mir in deiner Gegenwart die richtigen Worte fehlen, möchte ich auf diesem Wege dich gnädigst um Verzeihung bitten. Ich hoffe du kannst mir vergeben. Um das dir geschehene Unrecht wieder gutzumachen, wäre es eine Ehre für mich, dich zum Essen einzuladen. Wir können uns unverbindlich auf neutralem Terrain treffen, doch würde es mir eine unermessliche Freude sein, für dich etwas Schönes zu kochen.

Hochachtungsvoll deine Antwort erwartend:

Ritter Ragnor Attila Septimus invictus belliperitus emigrare barbarus nunc cornus

»Ernestine, runter vom Schreibtisch! Geh ´ne Runde Staubsaugen!«, donnerte ich. Das fehlte mir gerade, auch noch von einem Socken-Monster kontrolliert zu werden!

Ja, so musste es gehen.

...Und nun kennt ihr neugierigen Nasen auch meinen Zweit- und Drittnamen. Ja, den dämlichen Attila hatte ich meiner Mutter zu verdanken, die es auch nicht ausließ, mich bei vollem Namen zu rufen, wenn ich mal wieder etwas ausgefressen hatte. Sie entstammte einen Reitervolk der Zentralasiatischen Steppe, tief im Osten. Wenn es bei uns zuhause Schnitzel gab, konnten wir davon ausgehen, dass Mutter das Fleisch unter dem Sattel mürbe geritten hatte. Sie sagte, sie gehöre dem Stamm der Skythen an. Doch als sie geboren wurde, war der Glanz dieses einst so einflussreichen Volkes schon lange verblasst. Mutter war ein echter Zugvogel, das habe ich von ihr geerbt. Na ja, sie zog gerne umher, ich dagegen vögle lieber. Ich hasse den Namen Attila, deshalb behalte ich ihn gern für mich. Tja, den Septimus bekam ich obendrauf gepackt, weil ich das siebte Kind war. Für mich ist er ebenso peinlich, - wer will schon gern Seppel gerufen werden? Ich nicht! Aber reden wir nicht mehr davon...

Nachdem ich ungefähr die Hälfte des Kopierpapiers verbrauchte und das Zimmer wie der Austragungsort einer Origami-Schneeballschlacht aussah, gab ich mich zufrieden und übertrug meine mir mühsam abgerungenen Worte ins Reine. Obwohl es nahezu lächerlich erscheint, meine Schrift mit irgendetwas Reinem zu vergleichen. Zumindest hatte ich da keine Schmierbatzen auf dem Papier hinterlassen. Den feinen Büttenpapier-Umschlag verschloss ich mit Wachs und drückte mein Siegel drauf. So, fertig. Da ich diesen Brief Amanda nicht persönlich überreichen wollte und obendrein befürchtete, er könne auf dem postalischem Weg verloren gehen, beschloss ich, ihn selbst in den Türbriefkasten bei ihr zuhause einzuwerfen. Da ich nicht verpassen wollte wie Sascha zu Bett gebracht wurde, schnappte ich mir meine Jacke und schwang mich aufs Motorrad. Wie immer parkte ich die Maschine auf dem Parkplatz des kleinen Freibades um die Ecke und schlich zu Amandas Haus.

Pirschend näherte ich mich der Haustür, hob vorsichtig die Kastenklappe an und warf den Brief ein. Er lag noch nicht einmal richtig im Kasten, als ich Stimmen hörte. Ich vernahm noch, wie Sascha sich stürmisch von jemandem namens Ron verabschiedete. Wie der geölte Blitz flitzte ich ins Gebüsch und verbarg mich. Das Bild welches sich mir daraufhin bot, verschlug mir beinahe die Sinne! Arm in Arm verließ meine Angebetete mit einem Kerl im Schlepptau ihren Wohnsitz! Annie winkten den beiden hinterher und meinte, er solle bald wieder vorbeikommen. Amandas Begleiter winkte zurück und versprach es. Er sah gut aus, mit brünettem Haar und sehr sportlich. Verdammt Ron, wie ich dich hasse! Mir schien es, als sei er ein Soldat, denn so etwas erkenne ich an der Art wie sich jemand bewegt. Sie lachten und Amanda gab ihm einen Kuss auf die Wange! Sie stiegen gemeinsam in den Meriva und fuhren davon. Um nicht vor Eifersucht zu vergehen und enttäuscht aufzuschreien, biss ich mir vor Verzweiflung in die Faust. Wie konnte ich nur so dumm sein, zu glauben, eine so attraktive Frau wie Amanda habe keinen Liebhaber? Nur weil ich bisher niemals einen sah, bedeutete es noch lange nicht, dass es keinen gab. Ich Vollpfosten hätte doch ihre Telefonanlage anzapfen sollen! All meine Träume, Wünsche und Hoffnungen, bezüglich Amandas, fielen wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Und dann schoss es mir ein, dass ich zuvor diesen verdammten Brief in den Kasten geworfen hatte! Mit diesem Zugeständnis meiner Schwäche würde ich mich glatt zum Gespött machen! Ich fühlte mich wie ein Fallschirmspringer im freien Fall, dem unterwegs einfiel, seinen Fallschirm vergessen zu haben. Das nächste Mal werde ich einen Bindfaden an den Brief kleben, damit ich ihn gegebenenfalls wieder herausbekomme! Umgehend musste ich mir diesen Brief wieder zurückholen. Vorsichtig huschte ich aus dem Immergrün und hob wieder leise die Klappe des Türbriefkastens an. Nach einem prüfenden Blick stellte ich fest, dass das Ding verdammt tief war. Ist klar, denn selbst Zeitungen konnte dieser Kasten schlucken. Wie Anfangs erwähnt, bin ich sehr groß und besitze dementsprechend große Hände, die es mir ermöglichen, mit nur einer Hand spielend leicht eine menschliche Gurgel zu umfassen. Das Problem daran ist allerdings, an meinen Händen sind auch die passend großen Arme angewachsen. Trotz meiner Bedenken griff ich beherzt - durch den zugegeben recht engen Briefschlitz - und blieb prompt stecken. Natürlich besitze ich die dunkle Gabe der Telekinese. Nur muss ich das Objekt, das ich bewegen will dabei vor Augen haben, oder zumindest sehen können. Das Dumme an der Sache war, dass ich den Brief nicht ausmachen konnte, weil der Kasten zwar recht tief, dafür doch sehr flach war. Leise fluchend versuchte ich meine Hand wieder aus diesem vermaledeiten Schlitz zu befreien, schaffte es letztendlich auch und zog sie mit einem kräftigen Ruck wieder heraus. Erleichtert meine Hand wieder für mich zu haben, achtete ich nicht darauf, die Klappe leise zu schließen, die mit einem hörbar lauten »Klonk« zufiel. Gerade wollte ich unmittelbar das Weite zu suchen, doch öffnete sich schon die Tür und Annie stand vor mir. Wahrscheinlich wunderte sie sich, wer da zu dieser späten Zeit, wie ein Pilgersmann vor ihrer Tür kniete. Es passiert selten, doch ich war perplex und völlig sprachlos. Annie dagegen weniger.

»Wer sind Sie? Und wenn mir die Frage gestattet ist, was machen Sie da?«, fragte sie sachlich.

Völlig verdattert zeigte ich auf mich, dann auf den Briefkasten und danach wieder auf mich. »Äh, ich bin Ragnor McClane, ein Arbeitskollege von Amanda ... ich habe einen Brief eingeworfen ... nur es war ein Fehler ... deshalb wollte ich ihn mir wieder zurückholen«, stammelte ich.

»Sie sind Ragnor McClane? Sascha erzählte mir schon von Ihnen. Sie redet überhaupt viel von Ihnen. Jedem zeigt sie stolz die Kette mit dem Bärenzahn, die Sie ihr schenkten. Und noch etwas: Obwohl Amanda nicht über ihre Arbeit reden darf, bin ich aber noch nicht so senil, um nicht festzustellen, dass meine Enkeltochter damals entführt wurde. Sie sind also der Mann, der Sascha das Leben rettete. Bitte, es ist kühl draußen, kommen Sie doch herein. Ich mache Ihnen eine schöne Tasse heißen Tees«, entgegnete sie und lud mich ins Haus ein. Noch immer war ich wie vom Donner gerührt und hatte den peinlichen Brief noch immer nicht zurück. Doch wenn sie mich so nett einlud, warum nicht?

… Jetzt hört mir auf mit dem Quatsch, ein Vampir könne nur ein Haus betreten, wenn er eingeladen wurde hereinzukommen. Jederzeit kann ich mir Zutritt zu jedem x-beliebigen Haus verschaffen, selbst mittels Tür auftreten. Das mit dem Vampir einladen ist Humbug! Merkt euch das! Sonst komme ich auch euch besuchen …

Also bückte ich mich durch die Tür und betrat das von mir so lange obsessiv observierte Haus. Die Dame des Hauses blickte mich erst verwundert, dann reichlich amüsiert an.

»Du meine Güte, Sie sind wirklich groß! Da hat Sascha mir also doch keinen Bären aufgebunden. Sie sagte nämlich, Sie wären ein Riese. Ich schätze mal, wenn man bei einem Spezialkommando arbeitet, darf man kein Zwerg sein.«

»Doch, aber nur wenn man Ehrenzwerg ist!«, meinte ich trocken.

»Ha, das ist gut! Kommen Sie doch mit in die Küche, da können wir uns unterhalten, solange ich den Tee zubereite«, sagte sie und ich nickte. Auf dem Weg zur Küche checkte ich die Fotos, die ich von draußen nur von hinten betrachten konnte. Amanda, ein mir unbekannter Mann und eine noch ziemlich kleine Sascha. Die späteren Bilder zeigten nur noch Sascha, Amanda und Annie. Deshalb ging ich davon aus, dass der Kerl auf den Fotos Amandas verstorbener Mann war und folglich Annies Sohn. Aber sein Gesicht kam mir irgendwie schon bekannt vor.

»Ragnor, hm?«, fuhr Annie fort. »Das ist doch ein skandinavischer Name, richtig? Nehmen Sie doch Platz«, forderte sie mich auf.

»Ja, Ma´am«, antwortete ich und suchte mir einen stabilen Platz auf einer Bank. Die Stühle sahen mir ein wenig instabil aus. Irgendetwas lag unter dem Tisch und seufzte. Es war der Hund, den ich sofort hinter den Ohren kraulte.

»Sie mögen wohl Hunde?«, fragte Annie, während sie in der Küche herumwuselte.

»Ja, Ma´am. Ich hatte selbst zwei. Einer hieß Alter Sack, der andere Trottelgesicht. Zwei sehr nette ... so etwas Ähnliches wie Dobermänner.«

»Lustige Namen. Ja, ich überlege auch, ob wir uns nicht einen zweiten Hund anschaffen sollten. Sozusagen einen Bediensteten für Prince Charles. Einer, der für ihn anschlägt. Manchmal glaube ich, Charlie hat Depressionen. Dann sind sie also Skandinavier? Und haben wohl als Kind mächtig viel Elchfleisch gegessen, was?«, fragte sie so nebenbei.

»Äh, die Ahnen meines Vaters kommen aus Norwegen. Ja, Elchfleisch bekamen wir genug, für mich blieb leider immer nur das Geweih übrig«, witzelte ich. Annie lachte nicht wie eine feine englische Lady, sondern eher wie ein texanischer Cowboy.

»Sie sind ein Witzbold, obwohl Sie nicht lachen. Ein sehr ernsthafter junger Mann. Ein Lächeln würde Ihnen gut zu Gesicht stehen. Und was ist noch in Ihnen drin? Eine interessante Mischung, aus der Sie bestehen. Hohe Wangenknochen. Hm, etwas Östliches, das sagen mir Ihre Augen, sehr schön, ein sogenannter Schlafzimmerblick!«, fuhr sie fort.

… Flirtete diese ältere Lady etwa mit mir? ... Und nannte sie mich einen jungen Mann? Ha! - Ich bin mehr als 1200 Jahre alt! ...

»Ja, Ma´am. Ich sehe grundsätzlich immer ein wenig müde aus«, antwortete ich etwas lahm. »Meine Mutter stammte aus der Steppe, deshalb hasse ich Camping«, erwiderte ich, in der Hoffnung ein anständiges Gespräch zu führen. Nur wirklich sicher war ich mir nicht.

»Ja, das ist interessant. Entschuldigen Sie meine Neugier, ich bin Anthropologin, deshalb mein Interesse an ihrer Zusammensetzung. Ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten. Unter uns, ich hasse Camping ebenfalls. Keinen Tag würde ich es ohne die Annehmlichkeiten von fließend Wasser aushalten. Und damit meine ich nicht fließend Wasser von den Zeltwänden. Ich habe viele Grabungen mitgemacht, doch würde ich jederzeit ein anständiges Hotelzimmer einem Zelt vorziehen«, gab sie zu. »Nehmen Sie Milch in den Tee? Ach, ich stelle sie einfach mal hier auf den Tisch, dann können Sie sie nehmen, oder es sein lassen. Ich setze Ihnen mal einen Becher vor, Kerle trinken lieber aus Bechern, das weiß ich von meinem Sohn«, plauderte sie und stellte zwei große Becher auf den Tisch.

Und ich merkte schon, wie sich erneut ein Drama anbahnte. Leicht entsetzt sah ich die Milch an und sie mich. Wie gesagt, Milch wird in meiner Gegenwart grundsätzlich sauer. Das ist mein schlechtes Karma.

... Es war für mich damals eine herbe Enttäuschung, meiner kleinen Tochter Jule nicht die Flasche geben zu können. Ständig wurde die Milch sauer. Aber meine Frau meinte, wenn ich etwas für Jule tun wolle, könne ich ihr die Windeln wechseln. Es ist doch immer das Gleiche: Du willst jemandem deine Zuneigung schenken und bekommst dafür nur Scheiße zurück ...

Während Annie munter schwatzte und ich nur mein »Ja, Ma´am« von mir gab, wurde die Milch sofort im Kännchen steif. Aber hier schien es sich um ein enorm ängstliches Exemplar zu handeln, denn sie schob sich aus dem Gefäß und robbte in Kriechbewegungen über den Tisch. Entsetzt und zugleich fasziniert, beobachtete ich diesen Vorgang und vergaß für einen Augenblick, die Ma´am im Auge zu behalten. Als sie sich gerade umdrehen wollte, gab ich der sauer kriechenden Milchspeise einen telekinetischen Schubs, so dass sie über die Tischkante herunterfiel. Mein Komplize saß unter dem Tisch und freute sich über seinen Nachtisch und vertilgte den frischen Jogurt. Annie bekam große Augen.

»Huch, wo ist denn die Milch?«

Mit gespielter Beschämung wischte ich mir über den Mund.

»Sie müssen verzeihen, Ma´am, bei frischer Vollmilch kann ich nicht widerstehen. Die war so frisch, da denkt man glatt, da würde noch eine Kuh dran hängen«, meinte ich und schlug die Augen nieder.

»Ach, nun hören Sie doch auf, Sie brauchen sich nicht zu genieren! Und unterlassen Sie es, mich ständig Ma´am zu nennen. Ich sage Ragnor zu Ihnen und sie dürfen Annie zu mir sagen. Hätte ich gewusst, dass sie gerne einen Schluck Milch trinken wollten, hätte ich Ihnen eine warme Milch gemacht. Möchten Sie noch welche? Wie heißt es so schön? Milch macht müde Männer munter!«, gluckste sie amüsiert.

»Nein danke, Ma ... Äh, Annie, für heute reicht mir die Milch«, lehnte ich ab.

Sie nickte königlich, stellte die Teekanne auf den Tisch und setzte sich mir gegenüber. Seelenruhig befüllte sie die Becher mit englischer Teemischung. Eigentlich mag ich keinen schwarzen Tee, davon bekomme ich eine so pelzige Zunge, dass ich kaum der Versuchung widerstehen kann, sie mir zu rasieren. Als mich die Dame ernst ins Auge fasste, schwante mir sofort Böses.

»So, nun erzählen Sie mir doch bitte, warum es ein Fehler war, einen Brief für Amanda in unseren Briefkasten zu werfen«, fragte sie mich aus.

… Au Kacke, der Brief! Mir wurde sehr warm und meine Ohren schienen zu glühen ...

»Als ich die Einladung für ein Essen einwarf, kam Amanda mit ihrem Freund zur Tür heraus. Nur, wenn sie meine Freundin wäre, hätte ich auch etwas dagegen, sie mit einem anderen Kerl essen gehen zu sehen. Deshalb wollte ich den Brief wieder an mich bringen. Hören Sie, ich will nicht das Glück anderer Leute zerstören. Wenn Amanda schon vergeben ist, dann muss ich das akzeptieren. Wahrscheinlich finden Sie es ohnehin geschmacklos, weil Amanda mit Ihrem Sohn verheiratet war, der jetzt nicht mehr unter uns weilt.« Warum hätte ich dieser Dame etwas vormachen sollen? Wer gut lügen will, muss ein verdammt gutes Gedächtnis haben. Doch daran haperte es bei mir neuerdings. Statt eine eisige Miene an den Tag zu legen, verzog es Annie die Mundwinkel bis zu den Ohren.

»Oh, jetzt verstehe ich. Sie sind in Amanda verliebt? Nein, bestreiten Sie es nicht, ich sehe es Ihnen an der Nasenspitze an. Und nein, ich mache mich nicht über Sie lustig, aber ich muss lächeln, weil sie denken, der junge Mann, der das Haus verließ, sei Amandas Freund. Das ist doch Unsinn. Das ist mein jüngerer Sohn Ron. Früher war er bei der Royal Airforce, nun ist er Pilot bei einem großen medizinischen Unternehmen. Ich weiß nicht, ob Ihnen der Name Guni-Med etwas sagt?«, lächelte sie noch immer.

Ich nickte, denn ich kannte nicht nur diese Firma, sondern auch deren Eigentümer. Es war mein Sohn Gungnir, der sich aber im Moment Rollo Gunnarson nannte, und in so ziemlich jedem Geschäft seine Finger hatte. Selbstverständlich ist er auch ein Vampir, einer von Zweien die ich einst wandelte. Guni-Med versorgte alle Vampire rund um den Globus mit Blut. Ganimed war einst der Mundschenk des Jupiter. Nun ist Guni-Med der Mundschenk der Vampire. Und endlich kapierte ich es. Annie sah es mir an und nahm mir quasi die Worte aus dem Mund.

»Nicht wegen Amanda war er hier. Sobald Ron am nahegelegenen Flughafen einen Zwischenstopp einlegt, kommt er vorbei, um seine alte und gebrechliche Mutter zu besuchen«, zwinkerte sie mir zu. Diese ältere Dame gefiel mir immer besser. Sie schaffte es, sich ihre Jugendlichkeit auf unerklärliche Weise zu erhalten.

»Oh, äh … Dann war er gar nicht Amandas Liebhaber, sondern Ihr Sohn, richtig?«, fragte ich vorsichtig. »Und Ihnen würde es nichts ausmachen, wenn ich Amanda zum Essen einladen würde? Auch richtig?«, fragte ich noch einmal nach und Annie nickte wieder. Kein Wunder, dass mir Amandas verstorbener Mann so bekannt vorkam. Ron sah ihm sehr ähnlich.

… Gesichter konnte ich mir noch nie gut merken. Als ich damals für die Soldaten von Lord Seraphim zuständig war, waren die Menschen noch so klein, dass ich mir teilweise die einzelnen Leute nur anhand der Beulen in ihren Helmen merken konnte, die ich zuvor selbst dort hineingeschlagen hatte. Im Mittelalter waren 1.65 m bis 1.75 m für einen Mann schon eine enorme Körpergröße. Der Grund dafür dürfte wohl der Mangelernährung zuzusprechen sein. Damals gab es noch keine Fertigmenüs. In der Burg der Michaeler wurde auch nicht besonders gut gekocht. Manchmal war ich mir nicht einmal sicher, ob ich gerade in der Küche, oder in der Latrine stand ...

»Ragnor, Sie scheinen ein feiner Kerl zu sein. Und Amanda hat in meinen Augen jetzt lange genug wie eine Nonne gelebt. Und glauben Sie mir, ich spreche aus Erfahrung: Trauer ist zwar sinnvoll, aber man kann nicht für ewig nur einen einzigen Menschen lieben, schon gar nicht, wenn er tot ist. Wenn Sie mir versprechen, ihr nicht weh zu tun, dann fände ich die Idee, sie beide zu verkuppeln wirklich annehmbar. Übrigens, ich war drei Mal verheiratet und erst der Letzte war der Richtige für mich. Wenn Sie mich fragen, wäre ich dafür, Ihnen den Brief nicht zurückzugeben, sondern ihn an Amanda weiterzureichen. Nur, ob sie die Einladung annimmt, kann ich Ihnen nicht garantieren«, meinte Annie. Schweigend nickte ich. Aber ich konnte ihr nicht wirklich in allen Punkten zustimmen. Ich war untot und bereit für ewig nur die eine zu lieben. Die ältere Frau drehte sich um. Genau wie ich, starrte sie auf die Küchenuhr, die eine lustige Kuh darstellte, die mit den Augen mal nach links und dann wieder nach rechts schielte.

»Oh, ich muss mal nach Sascha sehen, es sind Ferien und sie darf etwas länger wach bleiben. Normalerweise könnte ich mit Ihnen wetten, dass sie gleich selbst herunterkommt und jammert, sie habe Durst ...«, grinste Annie und gut, dass ich nicht mit ihr gewettet habe. Oben öffnete sich die Tür und Sascha rief nach ihrer Nana.

»Nana? Ich habe Durst, kann ich ein Glas Saft bekommen?«, dann spähte sie über das Treppengeländer und bekam große Augen. »Hä, Ragnor? Hey, das finde ich aber toll, du kommst uns besuchen!«

Ein wilder Wirbelwind namens Sascha fegte die Treppe hinunter. Kurz blieb sie unschlüssig vor mir stehen, grinste mich schließlich an, und boxte mich in den Bizeps. Ich tat schwer verletzt.

»Oh, autsch! Du bist verdammt stark! Hallo Sascha«, grinste ich zurück, weil ich mich wirklich freute sie zu sehen. So ein pfiffiges Mädchen.

»Hey, cool! Du sitzt in unserer Küche«, kicherte sie und schob sich zu mir auf die Bank. Ihren Durst hatte sie inzwischen völlig vergessen. Sofort zog sie ihre Kette mit dem Bärenzahn aus ihrem Teddybären-Schlafanzug und zeigte sie mir. »Hab ich noch immer!«

Als Retoure zog ich meinen Kettenanhänger aus dem Kragen und zeigte ihn ihr ebenfalls. Amanda überbrachte ihn mir damals als Geschenk. Sascha wollte es so. Wenn man das kleine Oval aufklappte, zeigte es gravierte Bilder von Sascha und Amanda. Obwohl Amanda betonte, ich solle mir nichts drauf einbilden, ein Foto von ihr zu haben. Sie wollte nur das Bild von Sascha nicht allein mit mir lassen. »Ha, ich auch!«, konterte ich und Sascha nickte zufrieden. Annie checkte sofort die Chemie zwischen dem Kind und mir aus, schien aber mit dem Ergebnis zufrieden. Es hätte ein überaus harmonischer Abend werden können, wenn nicht zufällig jemand aufgetaucht wäre. Mir wurde mulmig zumute, als ich das Türschloss hörte. Nichtsahnend betrat Amanda die Küche und verfiel beinahe in eine Schockstarre.

»Was willst du denn hier?«, fragte sie mich überhaupt nicht erfreut.

»Äh, ich wollte gerade gehen«, gab ich zurück. Denn in diesem Moment dürstete es mich, wirklich nichts lieber zu tun.

Schnell verabschiedete ich mich von Annie und Sascha, Prince Charles seufzte, während Amanda mich unsanft zur Küchentür hinausschob. Kurz vor der Haustür bremste sie diese Aktion. Sie sah mächtig wütend aus.

»Verdammt! Was erlaubst du dir, hier einfach in mein Haus zu kommen und dich wie ein Großmogul in meine Küche zu platzieren?«, zischte sie mich leise an, so dass die anderen von unserer Konversation nichts mitbekamen.

»Amanda ... ich wollte gar nicht reinkommen! ... Aber Annie lud mich ein. Ich wollte nur den … Brief ... einwerfen und … ihn anschließend wieder herausholen!«, stammelte ich vor mich her.

»So, so Annie, ja? Jetzt kollaboriert sie schon mit dir? Was für einen Brief?«, fragte sie erstaunt, öffnete den Briefkasten und entnahm das Schriftstück. Nun war ich einer Ohnmacht nahe. Noch nie, seit ich auf Erden wandelte, fühlte ich mich so hilflos.

Amanda hingegen besah sich den Brief und ließ ihn in ihrer Handtasche verschwinden. - Oh, immer diese verfluchten Handtaschen!

»Hm, gut, ich werde ihn lesen. Und nun geh!«, ermahnte sie mich leise.

Sascha stand im Flur und grinste uns an.

»Küsst ihr euch jetzt und habt anschließend Geschlechtsverkehr? Und kriege ich einen kleinen Bruder?«, fragte sie mit einer süßen Schnute.

»Nein!«, fauchte Amanda. »Putz dir die Zähne und dann gehst du ins Bett! Aber zügig, Madame!«

Sascha winkte mir noch zu und trottete nach oben.

… Bei Odin! Diese neuzeitlichen Kinder! Was die nicht schon alles wissen! Ich kann mich gut erinnern, wie es meine Aufgabe war, meine herangewachsenen Söhne aufzuklären. Da ich nicht sonderlich gut im Referieren bin, schnappte ich mir meine Filii und ging mit ihnen ins Freudenhaus, um sie gleich von verständigem Fachpersonal in die Praxis einweisen zu lassen. Und nach der ersten Kerbe im Holz, wussten sie was Sache ist. Nur brach mir regelmäßig der kalte Schweiß aus, wenn ich überlegte, wie ich es zukünftig bei meinen beiden Töchtern bewerkstelligen sollte …

Unter Amandas giftigen Blick fühlte ich mich flüssiger als Wasser, genauer gesagt: Überflüssig.

Jedenfalls stürzte ich so schnell zur Tür hinaus, dass ich mir dabei den Kopf stieß und nur noch sagen konnte:

… Ich muss jetzt weg! …

Himmel, Arsch und Hölle!

Подняться наверх