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Morgenstund hat Gold im Mund …

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Das zumindest besagt das alte Sprichwort. Nur scherte sich so ein Sprichwort nicht im Geringsten über mein Befinden, am heutigen Morgen, nach einer mit Zwergen durchzechten Nacht. Ebenso wenig, wie sich die Zwerge um das Deutsche Reinheitsgebot scherten. Jedenfalls hatte ich einen Geschmack im Mund, als wäre darin jemand gestorben – ein sehr pelziger jemand. Okay, durch meinen Biss waren schon viele umgekommen, nur schmeckten sie nicht annähernd so widerlich. Wie nannten die Kerle das Gebräu? Atom-Pils? Ha, ha! Und mein Schädel war das spaltbare Material, oder was? Und da ich sowieso schon ein Morgenmuffel bin, der am liebsten diese Scheiß-Sonne ausknipsen würde, wurde meine Stimmung auch noch durch diesen überaus netten Weckruf gereizt. Um ein völlig neues Bewusstsein zu erlangen, müsste ich erst einmal mit diesem elendigen Saufen aufhören. Gut, morgen wäre der richtige Termin dafür.

»Grmpf?!«, sabberte ich in den Hörer und zog mir die Decke über den Kopf.

»Guten Morgen, Ragnor. Es ist sechs Uhr und die Sonne lacht!«, flötete Jimmy, das Eichhörnchen, durch die Leitung. Wenn ich telepathische Kräfte gehabt hätte, würde er nur noch röcheln. Das tat er leider nicht, sondern ich.

»Urgh, gmblfx!«, schnaubte ich wütend.

»Hey, und denk dran! Es ist unfair, den Boten zu töten! Auf Anraten Dr. Dr. Gütigers und meiner Mutter, Trixie Eisenfausts…, soll ich dich wecken. Da du schon wieder undefinierbare Töne von dir geben kannst, gehe ich mal davon aus, meine Aufgabe ist hiermit erfüllt. Ich bin sowieso schon spät dran, muss meine Durchsage machen. Schönen Tag noch!«, sprach´s und legte auf.

Hölle auch! Alle wussten, dass ich an Schlafstörungen litt und nur besoffen, oder todmüde einschlafen bzw. durchschlafen konnte. Nun war ich wach und es war ihre Schuld!

Mürrisch schwang ich meine Beine aus dem Bett, um unmittelbar mit dem rechten Fuß in etwas Nasses, Schleimiges zu treten.

»Arrrgh! Wo bist du, du verfluchtes Katzenvieh!?«, brüllte ich durch das Gebäude. Habe ich erwähnt wie sehr ich Katzen hasse? Vor allem, wenn sie Gras gefressen haben und mir vor meinem Bett ein Fellknäuel auskotzen? Natürlich hatten wir damals in unserer herrschaftlichen Villa Walhalla auch Katzen, oder eher gesagt, in den Stallungen. Doch dort blieben diese auch und betraten nie unser trautes Heim. Wenn die Katzenschwämme zunahm, entsorgte ich die Jungkatzen mittels Weitwurf über den Zaun. So ist es nun mal: Nur die Harten kommen durch! Na ja, später unterließ ich das dann, weil meine Tochter Jule so herzzerreißend weinte. Dafür durfte sie durch die Nachbarschaft pilgern, bewaffnet mit einem Korb voller Kätzchen, und schaffte es jedes Mal, mit ihrem niedlichen und einnehmenden Wesen, für alle ihre Katzenkinder einen Abnehmer zu finden. Dabei war meine Methode doch wesentlich zeitsparender. Falls ich es noch nicht erwähnt habe, ich bin ein waschechter Nordmann. Selbstverständlich hatten wir in unseren Dörfern und auf den Schiffen auch Katzen. Nur waren es Norwegische Waldkatzen. Von ihrem Wesen her waren es aber eher Hunde, also fand ich mich mit diesen langen Katzenhaaren ab und ignorierte sie. Aber was dieser Joey sich geleistet hatte, stieß dem Fass den Boden aus. Nochmals fluchte ich.

»Ich hasse Katzen! Außer Schrödingers Katze! Und wenn ich dich in die Finger bekomme, wirst ebenfalls eine werden!«

Wutschnaubend wischte ich mir den Kotz vom Fuß und schlurfte ins Bad, um mir Wasser ins Gesicht zu schütten, die Zähne zu putzen und meine obligatorische Morgenlatte niederzukämpfen. Später öffnete ich meine allmorgendliche Glückskapsel:

»Und frag ich und sinn ich,

Wieso mir geschehn?: -

Mein Liebchen herzinnig,

Das soll ich heut sehn!

(Joseph von Eichendorff)«

Was für eine gequirlte Scheiße!

»Tja, Jupp, wenn du das sagst? ...«, brummte ich noch immer kopfschüttelnd und warf mich in meine Sportkluft, griff nach meinem Handy und Schlüssel.

Auf allen Vieren freudig hüpfend, kam Ernestine ins Zimmer, ihre Leine hatte sie im Maul und sah mich erwartungsvoll Schwanz wedelnd an.

»Nee, tut mir leid, Ernestine, ich gehe außerhalb laufen. Wenn ich wieder da bin, nehme ich dich mit zu diesem Hat-Schi, oder wie das heißt, okay?«

Enttäuscht spuckte das Socken-Monster die Leine wieder aus und blickte mich aus vorwurfsvollen Augen an, grummelte undefinierbare Laute und nickte. Dafür durfte sie in mein Bett schlüpfen und eine Runde knacken. Wenigstens eine, die noch ein bisschen im Bett bleiben durfte. Vor der Haustür machte ich ein wenig Stretching und lief bis zum Tor, das, - ich glaube der Kerl hieß Carl-, für mich öffnete. Unser Grundstück ist für die Öffentlichkeit gesperrt und hochgesichert. Wer ein-, oder ausgelassen werden will, muss entweder einen guten Grund, oder einen Firmenausweis haben. Nachdem ich das Gelände verlassen hatte, schlug ich einen Wanderweg ein und lief durch die Buchenwälder. Da ich nicht preisgeben darf, wo sich unsere Zentrale befindet, sage ich nur so viel, dass sich gleich in der Nähe ein Kurort befindet, umgeben von flauschigen Buchenwäldern, die wie Broccoli aussehen, und etlichen Kurkliniken für gehobene Ansprüche. In dieser Gegend gehen so viele Fremde ein und aus, da fällt meine Visage auch nicht weiter auf.

Der nächste, größere Flughafen befindet sich nicht einmal eine Stunde Fahrzeit entfernt. Bei eiligem Bedarf, werden wir direkt mit einem Helikopter ausgeflogen. Und wer glaubt, dass so eine Organisation wie unsere, sich nur in unmittelbarer Nähe einer Großstadt befinden kann, der darf uns mal suchen.

Die Luft war herrlich und noch kühl. Ab und an sah ich ein Reh oder einen Hirsch. Wildschweine sah ich ebenfalls und kämpfte meine Instinkte nieder, sofort auf die Jagd zu gehen. Obwohl – Schwein habe ich schon lange keins mehr gehabt. Doch ließ ich mich nicht ablenken und lief weiter. Langsam zeigten sich die ersten verfärbten Blätter im Laub. Nicht mehr lange und der Herbst würde hier Einzug halten. Aber zuerst gäbe es noch einen heiteren September, den ich in vollen Zügen genießen würde. Äh, nein - ich habe keine BahnCard, wie kommt ihr denn darauf? Langsam wurde ich müde vom Laufen, hielt aber durch. So in Gedanken versunken, überquerte ich die Straße, die das Waldgebiet durchschnitt, als sich ein blauer Opel Meriva näherte. Weil ich schon auf der anderen Seite war, vergaß ich ihn gleich wieder. Weswegen ich ziemlich ungehalten wurde, als er mir hinterher hupte und anhielt. Wütend drehte ich mich um und wollte meinen Stinkefinger zeigen, bremste jedoch diesen Vorgang, weil ich erkannte, dass sich eine Dame in dem Fahrzeug befand. Ach, so. Wahrscheinlich bewunderte sie meine ansprechende Rückseite. Immerhin war ich nur mit Boxershorts und einem Muscle-Shirt bekleidet. Als sich das Fahrerfenster absenkte, erkannte ich Amanda. Und schon meldete sich wieder mein kleiner Sportsfreund zu Wort. Ach, verflucht! Was wollte die denn von mir? Und wollte mir vorhin der Eichendorff etwas orakelnd mitteilen?

»Ragnor?«, fragte sie. Und mir blieb nichts anderes übrig als umzukehren. Ich bückte mich, damit mir die Tür ausreichend Deckung für mein morgendliches Ärgernis bot, lugte in den Wagen, sog den warmen Mandelduft ein und hoffte, dass die Tür hinterher keine Delle abbekam.

»Äh, gibt´s Probleme?«, fragte ich ganz unschuldig.

»So wie du dich durch die Gegend schleppst, könnte man es glatt vermuten. Geht es dir gut? Wo warst du die ganze Zeit?«, wollte Amanda wissen.

»Mir geht es gut, danke der Nachfrage. Wo ich war? Im Wald, mit Igeln kegeln«, meinte ich kurz angebunden.

»Vergiss nicht die Untersuchung. Trotzdem, schön zu sehen, dass du aus deiner Lethargie wieder aufgetaucht bist«, nickte sie mir zu und fuhr an.

»Wie könnte ich diese Untersuchung vergessen? Ja, war auch schön, dich zu sehen«, grinste ich ihr verlegen hinterher wie ein Erstklässler. Selbstverständlich in der Haltung eines Fußballers, der beim Freistoß das Tor deckte, versteht sich. Als das Gefährt außer Sichtweite war, grummelte ich verärgert meinem Ständer an.

»Wenn du das noch mal machst, binde ich dich in Zukunft an meinem Bein fest! ... Nee, lieber nicht, sonst kriege ich nachher das scheiß Bein nicht mehr runter!«

Zumindest wusste ich jetzt, welchen Wagen Amanda fuhr. Spontan beschloss ich in näherer Zukunft, meine Laufroute ein wenig abzuändern, und wenn ich wieder etwas Freizeit hätte, mal etwas zu basteln. Was meinte Amanda mit Lethargie? Unweigerlich musste mal wieder jemand gequatscht haben. Natürlich kam nur Trixie dafür in Betracht.

Dann schlug ich die Richtung meiner Behausung ein, blickte mich aber immer wieder um, weil ich mich beobachtet fühlte. Kurz lachte ich auf und schüttelte den Kopf, weil ein Eichhörnchen durch die Bäume sprang. Scheiß Paranoia ... Aber wie lautet eine alte Kriegerweisheit? Nur weil mal paranoid ist, muss es noch lange nicht bedeuten, dass du nicht von jemanden verfolgt wirst ...

***

Die Luft flimmerte, und von der Optik wirkte es, als würde ein Loch in die wunderschöne Landschaft gebrannt. Fast so, als liefe ein Film in einem Kino, der urplötzlich Feuer fängt, vor der Projektorlinse verschmurgelt und dabei ein imaginäres Brandloch auf die Leinwand zaubert. Heraus trat ein Eichhörnchen. Ja, es heißt ja immer: … und der Teufel ist ein Eichkätzchen. Nun, es gibt wahrscheinlich mehr als nur einen Teufel. Gefallene Engel galten im Allgemeinen als Höllendämonen, ihr Name war Legion und ihrer Zahl viele. Das rote Fell gab noch eine gewisse Resthitze ab, die als dampfende Schwaden den possierlichen Nager umwallte. Nach der Akklimatisierung erklomm Nelchael den nächsten Baum und sprang dem joggenden Vampir hinterher. Leider kam er ein paar Tage zu spät, so wie er dem Gespräch mit der Frau entnehmen konnte. Zu schade, dass Zaphiel sich nicht eher blicken ließ, um ihm diesen Auftrag zukommen zu lassen. Doch Zaphiel hatte neuerdings sehr viel zu tun. Noch immer suchte er nach einem würdigen Ersatz für seine ihm abhanden gekommene Nase. Tagelang wartete er auf die Rückkehr seines abspenstigen Organs, doch vergebens. Selbst als er eigenhändig in den Gewölben von Versailles danach suchte, fand er sie nicht. Sie blieb nach wie vor aushäusig. Der gefallene Engel in Nagergestalt, saß nun auf einem anderen Baum und beobachtete, wie der Große im Gebäude verschwand. Sollte er nur gehen, irgendwann würde er schon wieder herauskommen. Ja, und dann, dann würde er ihm den Garaus machen. Zwar riet Zaphiel davon ab, eine zu gewagte Aktion gegen den Vampir zu tätigen, doch damit wäre wenigstens der Verursacher von Zaphiels Unmut beseitigt. Sein Boss wäre entzückt, empfände sogar eine gewisse Genugtuung und wäre ein wenig von seinem Leid abgelenkt und er, Nelchael, würde mit Lob überschüttet werden. Vielleicht dürfte er sogar bei Lucifer vorsprechen, oder noch besser, von Satan persönlich empfangen, um für diese Tat eine Belobigung entgegenzunehmen. Und den depperten Barbiel könnten sie sich immer noch später holen. Weiß der Geier, wo sich dieser Bagalute herumtrieb. Geduldig saß der böse Nager auf seinem Beobachtungsposten und blickte konzentriert auf den Ausgang. Aber wer sagt denn, dass das Böse nicht auch ein wenig dumm sein konnte? Jedenfalls bemerkte Nelchael den Schatten nicht, der sich ihm von hinten näherte. Und da er nur die Gestalt eines überaus überraschten Eichhörnchens besaß, hatte er gegen die Raben, die ihn sich als Mahlzeit auserkoren hatten, nichts entgegenzusetzen. Schade! Dann wird es wohl nichts mehr mit der Belobigung!, dachte er noch flüchtig, ehe ihm der Schnabel des Raben den Schädel spaltete und das Hirn wegfraß. Tja, was soll man sagen? Die Moral von der Geschicht: Bosheit schützt vor Dummheit nicht ...

***

Zuhause angekommen, empfing mich Ernestine wieder begeistert, nahezu euphorisch. Nach einer kühlen Dusche brachen wir gemeinsam auf. Großzügigerweise ließ ich das Socken-Monster von der Leine, damit sie auf dem Weg zum Hauptgebäude ein wenig im Unterholz nach okkulten Socken stöbern konnte. Um den Umstand zu verhindern, sie könne mir in irgendeiner Weise abhanden kommen, hatte ich ihrem Laufgeschirr einen GPS-Sender verpasst. Schließlich sollte mir Barbiel beim Verlust von Ernestine nicht die Ohren voll jammern. Heutzutage gibt es für alles Mögliche eine Smartphone App. Und mit diesem GPS-Sender konnte man jederzeit ermitteln, wo sich das geliebte Haustier befand. Aber nicht nur Haustiere; wenn man diesen Sender nur geschickt irgendwo verbarg, konnte alles wiedergefunden werden, selbst Amandas Auto. Als wir die Zentrale erreichten, sparte ich mir das Basteln, löste den Sender von Ernestines Geschirr und versteckte ihn im Motorraum des blauen Meriva. Zufrieden besuchte ich erst einmal die Kantine, wo Ernestine ausgiebig von vielen Händen getätschelt wurde, was ihren Motor zum Dauer-Schnurren anregte. Von allen Monstern war sie das eindeutig beliebteste. Nach dem Frühstück musste ich sie regelrecht von den vielen streichelnden Händen loseisen und zur Eile antreiben. Wo dieser komische Tai Chi Lehrgang stattfinden sollte wusste ich noch nicht, nur dass wir uns vor den Räumlichkeiten des Asiatischen Kampfsports einfinden sollten. Dort warteten elf weitere Leute aller Couleur auf den Beginn des Kurses. Darunter auch eine mir unbekannte Zwergin. Sie war recht hübsch; nie zuvor sah ich eine so attraktive Kleinwüchsige. Im Gegensatz zu anderen Zwergen, hatte sie fast perfekte Proportionen, was die Länge ihrer Gliedmaßen betraf. Obendrein war diese zierliche Blondine verdammt gut gebaut. Mit anderen Worten: Sie hatte mächtig Holz vor der Hütte. Sie nickte mir freundlich zu und schaute gebannt auf die Tür. Und schon schwante mir Übles. Kurz darauf öffnete sich die Wandluke. Meister Chen zuckte kurz zusammen und verzog ärgerlich die Brauen, als er mich unvermitteltbar wiedererkannte.

… Wir beide waren uns nicht gerade grün. Als ich noch ein Neuling war, sollte ich von ihm in Asiatischer Kampfkunst unterrichtet werden. Chen drehte mächtig an der Orgel und meinte, er könne mir nichts beibringen, weil ich viel zu groß und klobig wäre. Und obendrein viel zu langsam. Diese Behauptung wollte er mit einer Demonstration seiner Schnelligkeit untermauern. Daraufhin sollte ich versuchen, ihn mit einem Stock zu schlagen, und er somit seine Überlegenheit beweisen. Mehrere Tage lag er mit einer Gehirnerschütterung in der Krankenstation. Dabei hatte ich noch nicht einmal fest zugeschlagen. Seit diesem denkwürdigen Tag, waren wir uns eigentlich immer taktisch geschickt aus dem Weg gegangen, bis heute ...

»Was willst du mit diesem Socken-Monster?«, fragte Meister Chen und ließ missmutig seinen Blick die Leine hoch wandern, der darauf unruhig auf mir haften blieb.

»Sie wollte so gern mitkommen, da habe ich es ihr versprochen.«

»So, so. Gehen wir nach draußen«, meinte der Chinese und führte unsere Gruppe zum kleinen See. Doch ehe wir loslegen konnten, hielt uns Meister Chen noch ein kleines Referat.

»Taijiquan wurde im Chinesischen Kaiserreich entwickelt und ist eigentlich eine Kampfkunst. Man nennt sie auch Schattenboxen. Sie wird von mehreren Millionen Menschen praktiziert und kann als eine der am häufigsten ausgeübten Kampftechniken benannt werden. Man bezeichnet Taijiquan auch als Innere Kampfkunst, anzuwenden beim taktischen Nahkampf mit und ohne Waffe. Die Bewegungsabläufe sind geschmeidig und dienen ebenfalls der Gesundheit, dem Wohlbefinden und zur Meditation. Und das wollen wir jetzt zelebrieren«, nickte der Meister und gab uns damit zu verstehen, dass er unsere volle Aufmerksamkeit erwartete. Im eigentlichen Sinne war es ganz einfach. Die Übungen bestehen aus Formen, zusammengesetzt aus Bildern, die seltsame Namen trugen wie: Der weiße Kranich breitet seine Flügel aus, usw. Nur konnte ich mir diese Bilder einfach nicht einprägen, um einen ordentlichen Film daraus zu frickeln. Wie eine schlechte - oder noch besser - falsche Revuetänzerin, hing ich der Gruppe immer ein wenig hinterher. Selbst durch schnellere Bewegungsabläufe, war dieses Defizit nicht aufzuholen, weil ich danach wieder ins Stocken geriet. Wenn das Gedächtnis wie ein Tisch ist, auf dem immer mehr angehäuft wird, muss unweigerlich irgendetwas herunterfallen. Im meinem Falle war der Tisch wohl eher ein Beistelltischchen. Am Ende der Tai Chi-Stunde war ich nicht nur frustriert, sondern einem Selbstmord nahe. Meister Chen benutzte diesen Moment meiner Schwäche dafür, um mir eine Retourkutsche zu verpassen.

»Gut, dass du das Socken-Monster mitgebracht hast. Von dem kannst du noch viel lernen!«, meinte er und schaute stolz auf die gelehrige Ernestine, die in meinen Augen definitiv mogelte, weil sie sich permanent bei den schwierigen Balanceakten mit ihrem Stummelschwanz abstütze.

»Wenigstens kann ich so reden, als würde ich nicht die telefonische Bestellung in einem China-Restaurant annehmen«, grollte ich zurück. Schulterzuckend verließ ich die Spielwiese, brummelte etwas davon, morgen wieder einen Stock mitzubringen und trat aus Versehen die blonde Zwergin, weil ich dem Meister noch ein paar Tod bringende Blicke hinterher schickte.

»Heh! Pass doch auf, du Trottel!«, blaffte sie mich an.

»Huch, ich habe dich gar nicht gesehen. Hey, dich kenne ich noch gar nicht. Bist du neu hier?«, fragte ich neugierig und hatte meinen Groll schon wieder vergessen. Die Zwergin tätschelte Ernestine und verrenkte sich fast den Nacken, als sie so zu mir aufsehen musste. Deshalb setzte ich mich ins Gras.

»Nein, ich bin nicht neu hier, war nur eine Weile weg. Mein Name ist Diemal e. J. w. s. Eisenfaust. Du musst Ragnor sein, quasi der Adoptivsohn meiner Mutter. Sie erzählte mir schon von ihrem neuen Problemfall«, streckte sie mir selbstbewusst ihre zierliche Hand entgegen.

»Äh, Problemfall? Gut, aber du kannst mich ruhig Ragnor nennen. Wenn du das so siehst, sind wir ja quasi Stiefgeschwister. Obwohl ich mich für eine Adoption schon wirklich zu alt fühle. Trotzdem bin ich deiner Mutter wirklich dankbar, dass sie mich als Problem..., äh, als ihr Familienmitglied ansieht, denn ich bin ein Ehrenzwerg. Und so wie sie immer sagt, kümmern Zwerge sich umeinander. Nichtsdestotrotz finde ich es ziemlich ätzend von ihr, wenn sie mir meine guten Spirituosen in den Abfluss kippt. Eine echt nette Familie«, brummelte ich etwas verdrossen und schüttelte ihr vorsichtig mit zwei Fingern das kleine Händchen. Diemal kicherte nur wissend.

»Diemal ist ein wirklich schöner Name. Etwas seltsam, aber sehr schön. Was bedeuten die vielen Buchstaben mit den Punkten. Sind das alles deine Zweit-, Dritt- und Viertnamen, deine Anthroponyme?«, fragte ich neugierig.

»Ja, schön seltsam, in der Tat. Eigentlich nannte mich meine Mutter: Die mal ein Junge werden sollte. Das dürfte dich nicht weiter überraschen, da du meine Brüder kennst, weißt du vom Geschmack meiner Mutter, vor allem was die Namensgebung betrifft. Ich kann wirklich froh sein, dass ich nicht Geplatztes Gummi heiße«, grinste die Blonde. Hey, die Kleine war wirklich witzig!

»Du hast es sicherlich auch nicht leicht gehabt, so als einziges Mädchen unter lauter Brüdern. Ich empfinde es als einfach herrlich, so viele Geschwister zu haben. Wir waren acht Kinder, ich war das siebte. Meine Eltern wurden mit vier Jungen und vier Mädchen gesegnet. Eigentlich nur mein Vater, denn meine Schwester Gundfreya und ich, waren aus seiner zweiten Ehe. Zugegebenermaßen beneidete ich meine Schwestern immer ein wenig, weil sie einen Bruder mehr als ich hatten«, grinste ich vor mich hin.

»Na ja, dafür hattest du aber auch eine Schwester mehr!«, stieg die Zwergin gleich auf den Witz ein, und schenkte mir ein süßes Lächeln.

»Du siehst ganz anders aus, als deine Mutter Trixie. So mondän und weltgewandt und zum Glück ohne Bart. Gehörst du auch zum Team von Salomons Ring?«

»Neuerdings ja, ich tat das einzig Vernünftige, was eine Frau tun kann, die nicht auf Kettenhemden und Frauenbärte steht«, meinte die Kleine.

»Heiraten und Kinderkriegen?«, fragte ich, weil mir nichts Besseres einfiel.

»Unter welchem Stein bist du denn hervorgekrochen? Nee, ich habe Geologie studiert. Apropos Gestein. Tut mir leid, ich muss jetzt zum Töpferkursus. War nett dich kennenzulernen. Äh, hab deinen Namen vergessen, ich sag mal salopp Problemfall. Wieso sollte es dir auch besser ergehen, als uns anderen Zwergenkindern«, kicherte sie und wollte sich vom Acker machen.

»Hey, warte, ich muss auch zum Töpfern, ich begleite dich, sonst finde ich die Kursräume nicht«, bot ich ihr an.

»Wenn es sich nicht verhindern lässt, dann kommt eben beide mit! Aber geh mir aus der Sonne, ich will noch etwas Bräune bekommen«, verdrehte sie theatralisch die Augen. »Mal sehen, ob Ernestine auch besser töpfert als du«, grinste sie sich in den nicht vorhandenen Bart.

Ha, ha? Von wegen, sie ist gar nicht so wie Trixie. Wenn ihr mich fragt, ist sie ganz die Mutter!...

Himmel, Arsch und Hölle!

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