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Zur Psychologie des Schafes: Der sichtbar gestaltete Ausdruck hoher Zustände ist dem der Blödheit nicht unähnlich.

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(Robert Musil)

»Ah, schön dich zu sehen, Ragnor. Es freut mich, dass du gekommen bist«, begrüßte mich der Doc. Wie jedes Mal, musste ich mich überwinden, ihm die Hand zu geben.

… Einem Menschen die Hand zu geben, ist für Vampire ungefähr so, als tätschele man ein Schwein, um zu überprüfen, welche Qualität das Kotelett haben würde. Es klingt augenscheinlich ein wenig arrogant, aber wenn man so wie ich an der Spitze der Nahrungskette steht, fällt für den edlen Menschen schon mal der Begriff Langschwein. Natürlich benutzten wir Vampire diese Redewendung vor langer Zeit. Seit Sal mich mit seinem Humanismus-Kram vollquatschte, hat er mir solche Flausen gründlich ausgetrieben. Die Menschenjagd war für mich schon fast ein Jahr lang ein Tabuthema. Bei Nichtbeachtung dieser Regeln, würde ich auf Nimmerwiedersehen von der Oberfläche verschwinden und in einem unterirdischen Gefängnis vergammeln. Meine Fähigkeiten wurden seit meinem fatalen Erwachen in die Dämonenjagd kanalisiert, der sich die Organisation Salomons Ring verschrieben hatte. Aber nicht nur Dämonen sind unsere Feinde. Jeder, der mit Magie Schandtaten betreibt und sie gegen die Menschen einsetzt, ist eine potenzielle Zielperson. Unsere Organisation ist sozusagen das letzte Bollwerk gegen das Böse. Und mit meinem miesen Charakter dem Bösen den Arsch zu versohlen, ist schon ein wenig schizophren. Trotzdem finde ich es dufte, auf der richtigen Seite zu stehen. Vielleicht gehe ich deshalb zum Irrenarzt ...

Die Eulenaugen des Therapeuten musterten mich. Zum Glück machte mir der Doc nie irgendwelche Vorhaltungen.

»Ragnor, ich habe gehört, dass es dir in letzter Zeit nicht so gut ging. Barbiel erzählte mir schon, dass man euch in Paris ziemlich übel mitgespielt hatte. Wie wäre es, wenn du mir davon erzählst?«, schlug der Doc vor. Wie immer war ich völlig gebannt von seinem Äußeren. Die Brille vergrößerte seine Augen so stark, dass er schon fast wie ein Außerirdischer wirkte.

»Ja, Paris war echt scheiße! Ich bin sehr traurig. Dort wurden alle meine Hoffnungen begraben. Ich denke nicht, dass ich sie umbetten werde«, brummelte ich. »Dort traf ich auf den Mörder meiner ersten Frau. Ich machte ihn platt und seitdem fühle ich mich immer noch nicht besser. Dann erfuhr ich vom Verbleib meiner zweiten Frau und den Töchtern. Das gab mir den Rest. Die Mädchen sind verloren und meine Frau annullierte unsere Ehe, um mit jemand anderen zu paktieren! Sie entehrte mich und meine Kinder!« Außerhalb Gütigers Blickwinkel, genauer gesagt, unter seinem Schreibtisch, ballte ich meine Fäuste. Liebend gern hätte ich jetzt etwas zerstört.

»Hm, mir scheint, du bist eher wütend und nicht traurig. Du erwähntest dich an erster Stelle und danach erst deine Kinder. Höre ich etwa gekränkte Gefühle aus deinen Worten? Vergiss nicht, deine Ex-Frau musste sich und zwei kleine Kinder durchbringen. Sie wird es wirklich nicht leicht gehabt haben. Dass sie die Ehe für null und nichtig erklären ließ, wundert mich nicht. Schließlich wurdest du im Nachhinein zur persona non grata erklärt«, orakelte der Therapeut.

»Wäre ich nicht ein noch größerer Idiot, wenn ich nicht gekränkt sein dürfte? Natürlich ist es durch meine dumme Tat, den Lord zu ermorden, alles meine Schuld - und dafür hasse ich mich! Durch mein Handeln habe ich sie einem ungewissen Schicksal preisgegeben. Das Leben ist ein Jammertal! Alles was mir etwas bedeutet, wird mir entzogen. Es ist wie eine Bestrafung! Außerdem fehlt mir die Action mit den Jungs. Verdammt, ich wurde kaltgestellt! Nur weil ich ab und zu Kopfschmerzen habe. Okay, ich gebe es zu, ich habe mich in letzter Zeit ein wenig gehen lassen. Aber ist es ein Wunder? Mein Leben hat keine Bedeutung mehr, alles ist öde und leer. Ach Kacke, ich weiß nichts mit mir anzustellen. Solch eine Situation bin ich einfach nicht gewöhnt. Meistens habe ich nicht mal Zeit, einen klaren Gedanken zu fassen, weil ich mich auf der Jagd befinde. Nun ist alles sinnentleert. Ich falle in ein tiefes Loch, und diesen Fall kann ich nicht stoppen!«

Der Doc schob mir eine Schachtel mit Kosmetiktüchern zu, doch ich lehnte ab, denn ich hatte keine Tränen mehr. Doch Doc Gütiger räusperte sich und zeigte auf meine Nase. »Ragnor, du läufst aus!«

Schnell wischte ich mit der Hand einen Tropfen weg. Es war mein Blut.

»Seit mich in New York diese Dämonin angegriffen hat, laufe ich öfters aus«, wiegelte ich ab und nahm mir jetzt doch ein Kleenex. Ferdi nickte und fuhr fort: »Weißt du, was der Begriff Bewusstsein bedeutet?«

Natürlich nickte ich, wer kennt nicht die Bedeutung. Ich denke, also bin ich.

»Du nickst, als würde ich nur brabbeln. Bewusstsein bedeutet, dass man sich etwas bewusst ist. Wenn du behauptest, du könntest keinen klaren Gedanken fassen, bedeutet das für mich, dass du immer einen Grund suchst, dich nicht mit irgendetwas Unangenehmen auseinandersetzen zu müssen. Du musst dir bewusst werden, dass das Leben auch viel Schönes für dich bereithalten kann. Du blickst immer nur zurück in die Vergangenheit und beschwerst dich, dass alles Mist war.«

Am liebsten wäre ich aufgesprungen und hätte: »Stimmt ja gar nicht!« gerufen. Aber wenn man sich die Worte des Doc auf der Hirnrinde zergehen lässt, dann war doch ein ganzer Batzen Wahrheit dabei. Der Kerl war schlicht und einfach entwaffnend.

»Okay, aber wenn man so alt ist wie ich, dann hat man wirklich mehr Vergangenheit, als Gegenwart oder Zukunft. Und ich dachte, ich könnte wieder dort anknüpfen, zumindest was meine Ehe betrifft«, bemerkte ich kleinlaut.

»Und würdest du auf jemanden 600 Jahre warten? Ich glaube nicht. Zwar gebe ich nicht allzu viel auf Gerüchte, doch hörte ich, dass du dich bisher nicht gerade wie ein Klosterbruder verhalten hast. Das soll nicht heißen, dass ich das verurteile, denn die Sexualität ist eine ganz natürliche Sache«, meinte der Doc und machte sich weiterhin seine Notizen. Seine krakelige Schrift machte es mir schier unmöglich auch nur das Mindeste davon zu entziffern, schon mal, weil es auf dem Kopf stand.

»Wenn die Gerüchte Barbiel heißen, dann kannst du ihnen ruhig Glauben schenken. Er führt bestimmt hinter meinem Rücken eine Liste mit meinen moralischen Verfehlungen. Na und? Ich bin nun mal ein Kerl. Wenn man Tinte auf dem Füller hat, muss man eben ab und zu ein Rohr verlegen. Das hat noch lange nichts mit Liebe zu tun. Die einzige, große Liebe habe ich verloren, dabei wurde ich verraten und verkauft. Ich schenkte ihr mein Herz und sie nahm es ohne mit der Wimper zu zucken, schnitt es in Streifen und verleibte es sich ein!«, empörte ich mich.

»Ragnor, du darfst nicht immer nur das Negative sehen. Nimm die Erinnerung an die glücklichen Zeiten mit in dein jetziges Leben und bewahre sie gut auf. Du verdirbst dir selbst alles, wenn du im Zorn zurückblickst. Du hattest das Glück, eine liebe Frau und reizende Kinder zu haben. Doch die Zeiten sind vorüber. Du wirst deinen Verlust verkraften. Und höre auf, immer den alten Zeiten hinterher zu hängen. Du solltest deine Aufmerksamkeit auf die Gegenwart fokussieren. Einer deiner großen Stärken ist, dass du extrem anpassungsfähig bist. Nicht einmal ein ganzes Jahr bist du jetzt bei uns, und du bedienst die technischen Gerätschaften besser als ich. Bis heute ist mir der Computer und seine Bedienung immer noch ein Rätsel«, schmunzelte der Doc und schaute mich aus klugen Eulenaugen an.

»Ja, aber was soll ich jetzt mit meiner inneren Leere anfangen? Es erscheint mir alles so sinnlos und zur Untersuchung mag ich jetzt noch nicht gehen. Zuvor muss ich erst einmal mein psychisches Trümmerfeld aufräumen«, entgegnete ich verwirrt und zuckte hilflos mit den Achseln.

»Du solltest erst einmal deine negativen Erinnerungen mit etwas Positivem überschreiben. Dabei wirst du merken, dass du auch wieder Freude empfinden kannst. Und wenn du Freude empfindest, dann lass diese Empfindung einfach zu und habe deshalb kein schlechtes Gewissen. Hier ist eine Liste, ich habe dich in verschiedene Kurse eingetragen. Da wären z. B. Kreatives Töpfern, eine Mal-Therapie, Yoga, ein bisschen Tai Chi. Das wird dir gut tun und dich mental wieder aufbauen«, meinte der Doc und schob mir das Blatt rüber. »Außerdem solltest du morgens ein wenig joggen, du siehst aus, als bräuchtest du ein wenig Training. Schwimmen und den Kraftraum empfehle ich dir ebenfalls. Du siehst mager aus und hast Muskelmasse verloren«, stellte Dr. Dr. Gütiger fest.

Ich überflog die ellenlange Liste und blies die Backen auf.

»Hm, okay, solange ich nicht mit dem Hintern meditatives Glasblasen veranstalten muss, geht das in Ordnung. Eigentlich halte ich von diesem Meditations-Kram überhaupt nichts! Meinen Namen tanzen und den Mond anbeten.«

Über Dr. Dr. Ferdinand Gütigers Gesicht huschte der Anflug eines Grinsens.

»Du hast Glück gehabt, der Glasbläser-Kurs war schon voll belegt. Sprich nicht so, Meditation klärt den Geist und befreit vom Verlangen. Du musst nicht wie Siddhartha Gautama 49 Tage unter einem Bodhi-Baum meditieren, um geistig zu erwachen. Durch bewusstes Handeln kannst du ebenfalls einen geistig reinen Zustand erreichen. Frei von Kummer und vereint mit deiner Umwelt. Ja, das wäre es dann für heute. Wir sehen uns zum nächsten Termin. Falls es dir schlecht geht, ruf mich an. Jederzeit. Bis dahin, alles Gute.«

Beim Verlassen seines Büros spechtete ich durch den Türschlitz und guckte direkt in Molly Flannigans türkisfarbenes Auge. Wie sich gegenseitig abstoßende Magnete, stob jeder von uns rückwärts. Doch als ich die neugierigen Eulenaugen des Docs auf mir ruhen fühlte, schloss ich hinter mir die Tür und schritt zur Rezeption.

»Molly Flannigan, hast du etwa an der Tür gelauscht?«, fragte ich drohend.

»Ach, wie kommst du darauf? Außerdem heißt es: ›Hallo Molly, schön dich zu sehen!‹ Du Rüpel! Wo hast du solange gesteckt und wie siehst du eigentlich aus?«

»Hallo, du Rüpel! Ob es schön ist dich zu sehen, kann ich erst sagen, wenn du mir meine Frage beantwortet hast. Hast du da gerade an der Tür gelauscht? Wo ich war und wie ich aussehe, das geht dich gar nichts an«, knurrte ich ungehalten. Trotz meines Widerwillens Molly zu sehen, musste ich eine Erektion niederkämpfen. Sie sah wirklich wunderschön aus und sie duftete so herrlich. Wie immer fühlte sich mein Körper von diesen Reizen sofort angesprochen. Trotzig schaute Molly zu mir auf.

»Nein, diese Tür ist Schalldicht, ich wollte nur dem Doc Bescheid sagen, dass der Neuzugang seinen Test abgeschlossen hat. Den dürftest du auch kennen, es ist Link Rattus aus Paris, er macht hier seine Grundausbildung«, meinte Molly pikiert und zeigte mir darauf das Klemmbrett mit den Testergebnissen Und ich kam mir wieder wie ein paranoides Arschloch vor.

»Link Rattus? Da fragt man sich immer, wer hier die Ratte in unserer Organisation ist. Damit wäre die Frage wohl beantwortet. Okay, es war schön dich zu sehen!«, knirschte ich und wollte die Rezeption verlassen. Molly hielt mich an der Hand fest.

»Ragnor, warte! Hast du heute Abend schon etwas vor? Ich würde mir gerne deine neue Bleibe ansehen.«

Habe ich es gewusst, oder habe ich es gewusst? Jetzt drängte sie sich schon wieder auf. Ihr Puls raste, ihre Haut war angenehm kühl und ich verlor beinahe meine Beherrschung. »Tut mir leid Molly, heute Abend bin ich nicht zuhause. Ein anderes Mal, okay?«, flunkerte ich ganz ungeniert. Das Mädchen hingegen konnte seine Enttäuschung kaum verbergen. »Hm, na dann, ich nehme dich beim Wort!«, grinste sie schließlich doch noch.

»Ja, ja!«, grunzte ich, verdrehte hinter ihrem Rücken die Augen und entschwand. Ich hörte noch, wie sie rief, ich solle nicht immer die Augen verdrehen. Verdammt, woher wusste dieses kleine Luder davon?!

Und da wir gerade beim Thema sind, wartete schon das Nächste auf mich. Also Luder, nicht Thema ... Trixie grinste, als hätte sie sich gerade einen Witz erzählt.

»Was grinst du so blöde? Ist das eine Gesichtslähmung, oder hat dir jemand ins Knie geschossen?«, fragte ich unwirsch.

»Hey, so langsam kommst du wieder in Schwung! Du pöbelst schon wieder ganz formidabel«, bemerkte die Zwergin. »Nein, heute ist dein echter Glückstag! Gerade traf ich rein zufällig Simon, von dem ich dich übrigens grüßen soll. Er sagte, dass eine neue Lieferung mit Jeeps eingetroffen wäre. Hast du ja natürlich nicht mitbekommen, bist ja zu sehr mit deinem Trübsal blasen beschäftigt«, schmunzelte sie.

»Ja und? Was hat das mit mir zu tun?«, fragte ich leicht irritiert.

»Mann, Alter! Du raffst es aber auch keinen Meter, was? Das bedeutet, dass die anderen Jeeps, die nicht älter als fünf Jahre sind, ausrangiert werden. Da habe ich ganz kackfrech einen für dich reservieren lassen! Los, trödele nicht herum, die Jungs lackieren die alten Dinger um, und da wollen sie natürlich wissen, welche Farbe du haben willst!«

Ja, durch die energische Trixie wurde mir die Entscheidung abgenommen. Ohnehin waren es überaus robuste Fahrzeuge mit Allradantrieb. Obendrein konnte man dem Wagen noch ein Hardtop oder ein Planen-Verdeck aufsetzen, was vorteilhaft bei ungünstigen Wetterbedingungen ist. Warum also nicht? Diesmal brauchte mich Trixie nicht zu schieben, oder an mir herum zerren. Oben, im Hangar, herrschte reges Treiben. Die Jeeps waren heiß begehrt und hätte Trixie mir keinen reserviert, dann wäre ich leer ausgegangen. Unsere Organisation verfügt über reichlich Kapital, weswegen die Gebrauchtwagen wirklich nur für einen Apfel und ein Ei über den Tisch gereicht wurden. Für zweitausend Euro war ich nun stolzer Besitzer eines Jeeps. Jochen, vom Fuhrpark, reichte mir einen Farbfächer. Wieder konnte ich mich nur schwer entscheiden. So tendierte ich zu einem stinknormalen Klavierlack-Schwarz. Trixie schüttelte den Kopf.

»Junge, Junge. Soll das vielleicht ein Leichenwagen werden? Wage doch mal ein bisschen Farbe. Mir persönlich gefällt das Princeton-Rot am besten«, meinte sie und hielt den Farbfächer an das olivfarbige Auto, was zur Folge hatte, dass die beiden Farben sofort aufeinander los gingen und sich in einer wilden Beißerei miteinander anlegten. Aber dieses Rot hatte etwas. Es sah so schön lebendig aus, und warum eigentlich nicht? Ich hörte schon, wie die Jungs ablästerten, wenn sie das Auto zu sehen bekommen würden. Wahrscheinlich kämen dann wieder solche Sprüche wie: »Ah, da kommt Ragnor mit seinem Feuerwehr-Auto.« Egal, wenn es mir auf den Keks ging, konnte ich den Wagen immer noch schwarz umlackieren. Also ließ ich mich mehr oder weniger, von Trixie zu diesem Wagnis überreden. Das Geschäft wurde klargemacht und den Wagen würde ich über die Versicherung der Organisation laufen lassen, was für mich günstigere Konditionen bedeutete.

Nach diesem freudigen Ereignis gingen die Zwergin und ich in die Kantine, wo ich wie ein verlorener Sohn, von meinen Bekannten begrüßt wurde. Anna Stolz, die gute Seele und meine persönliche Diätberaterin, machte mir schwere Vorwürfe, weil ich solange durch Abwesenheit glänzte. »Ich hoffe, es liegt nicht an den Blutkonserven. Wenn du willst, besorge ich dir Vegetarische Kost. Blut von echten Vegetariern. Du musst es mir nur sagen«, schmollte die dralle Anna.

Ich zog sie über die Theke und gab ihr einen dicken Kuss auf die Wange.

»Nein Anna, dich trifft keine Schuld, und geh mir weg mit diesem Vegetarierzeug, sehe ich vielleicht aus, als würde ich Gänseblümchen essen wollen?«

Sie lachte und knuffte mich freundschaftlich, dann stellte ich sie wieder an ihren gewohnten Ort, hinter die Ausgabetheke.

»Du siehst abgemagert aus! Versprich mir, dass du keine Mahlzeit mehr versäumst. Und wenn du nicht hier in der Kantine speisen möchtest, dann nimm dir wenigstens deine Rationen mit nach Hause«, riet sie mir und stellte noch eine zweite Kanne aufs Tablett. Wieder musste ich ein Versprechen geben. Heute verlangten alle Leute irgendwelche Lippenbekenntnisse von mir. Darauf fiel mir etwas spontan ein.

»Okay, ich verspreche es dir hoch und heilig. Aber Vorsicht, ich bin Heide, was aber nicht heißen soll, dass man mit mir nicht einen Heidenspaß haben kann. Sag mal Anna, hast du noch die Transportkiste für Ernestine? Barbiel brachte mir Ernestine so vorbei, an der Leine. Aber falls sie mal zum Arzt muss, wäre es ganz schön, wenn ich ein Behältnis für sie hätte. Du weißt doch, Viecher und Tierärzte. Die Tierchen ahnen doch schon im Voraus, wenn ein Besuch ansteht und dann kann es ziemlich heftig werden.«

Anna nickte und versprach mir, die Transportkiste am nächsten Tag mitzubringen. Was niemand ahnte war, dass ich mitnichten Ernestine dort verbunkern wollte, sondern den räudigen Kater. Wenn ich ihn fangen sollte, würde er sofort seinem Ende entgegensehen und die Todesspritze bekommen.

Der Tag ging seinem Ende entgegen. Dank Trixie war ich aus meiner schlimmen Krise wieder an die Oberfläche getaucht und sah nun meine Zukunft in etwas anderen Farben. Nur, wie sollte ich meinen Abend und die Nacht gestalten? Noch immer hatte ich keinen festen Plan. Wäre mein Team nicht in geheimer Mission unterwegs, hätte ich sie einfach zu einer Runde Poker, oder X-Box eingeladen. Im Grunde fühlte ich mich noch immer ziemlich ziellos, außer, dass der morgige Tag mit allen möglichen und unmöglichen Tätigkeiten vollgestopft war. Gut, dann würde ich mich um meine E-Mails kümmern und den einen oder anderen Brief schreiben. Alles auf die lange Bank zu schieben, machte ohnehin keinen Sinn.

Da ich allein im Gebäude wohnte, ließ ich die Türen meiner Wohnräume offen stehen, machte die Fenster auf, um die laue Sommerbrise hereinzulassen und schaltete meinen PC an. Dann beackerte ich meine E-Mails, ignorierte die von Molly und warf diese ungelesen in den Müllkorb. Weder von Barbiel, noch von den anderen Teamkollegen war eine Mail für mich vorhanden. Klar, sie befanden sich auf einer Mission, und darum war es ihnen sicherlich untersagt worden, mit mir Informationen auszutauschen. Enttäuscht registrierte ich, dass Sal ebenfalls nicht schrieb. Der Typ zog es wirklich durch. Also gab ich meinem Sohn Gungnir Bescheid, dass ich die Antwort auf seine Anfrage verpasste, weil ich eine Trinkkur gemacht hatte. Selbstverständlich hüllte ich mich in Euphemismen, um meiner sinnlosen Sauftor einen medizinischen Anstrich zu geben, kam mir aber lächerlich vor und schickte die Mail letztendlich doch nicht ab. Ernestine saß brummelnd unter dem Tisch und rippelte mir eine meiner Socken auf; ich ließ es mir gefallen, weil so ein intelligentes Wesen beschäftigt sein wollte. Ich spielte noch ein actiongeladenes Shooting Game und stellte dabei fest, wie irgendetwas auf meinem Nacken kribbelte. Jemand beobachtete mich! Vorsichtig griff ich in den Ablagekorb und zog ganz beiläufig mein Wurfmesser unter dem Papierstapel hervor. Blitzschnell drehte ich mich um, - und zielte. Das passierte innerhalb von Millisekunden, so dass das Socken-Monster Ernestine unter dem Tisch einen entsetzten Ton von sich gab, und schlagartig Hals über Kopf, in wilder Panik in die sich ihr nächst bietende Zimmerecke flüchtete. Das Dumme daran war, sie hatte dabei noch immer meine Socke im Maul. Einer ihrer mächtigen Eckzähne verhakte sich wohl darin. Was zur Folge hatte, dass ich mit meinem Schreibtischstuhl nach vorn gezogen wurde und zwischen Stuhl und Tisch klemmte, weil ich eben nicht gerade klein bin. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie der Kater mit gesträubtem Fell davon sauste, als das Messer ihn nur um Haaresbreite verfehlte und federnd in der Tür stecken blieb.

»Ja! Hau bloß ab, du Höllenkreatur! Und lass dich nie wieder blicken!«, fauchte ich ihm hinterher. Nur schien er Abhauen mit Herkommen zu verwechseln, denn er streckte nochmal seinen Kopf mit dem Knickohr ins Zimmer und zwinkerte mir mit einem Auge zu. Das ist doch wohl die Höhe! Man erzählte mir mal, Katzen würden mit den Augen lachen. Ein Zwinkern wäre so etwas wie ein Lachen.

»Ja, genau! Verschwinde und lache nicht auch noch über mich! Wenn ich dich erwische, wird es dir schlecht ergehen!«, drohte ich dem Katervieh. Doch er war schon weg. Okay, ich hatte Trixie mein Versprechen gegeben, dem Kater nichts zu tun. Um ganz ehrlich zu sein, wollte ich ihm auch nichts zuleide tun, sondern nur verjagen.

Und nun schellte es auch noch an der Haustür! Wenn das wieder der doofe Kater ist, werde ich eine Bärenfalle aufstellen. Aber wie sollte er einen Klingelstreich veranstalten? Langsam wurde ich wohl wirklich ein bisschen verrückt. Ich kann mir auch nicht vorstellen, das Böse klingele erst an der Tür, bevor es Einlass begehrte. So doof konnte das Böse nicht sein, sonst gäbe es nicht so viel davon. Gereizt kämpfte ich mich aus meiner misslichen Lage, verschoss in Ernestines Richtung noch einen strengen Blick und nahm den Telefonhörer ab. Jepp, genau, da ich nicht immer lange Wege gehen wollte, konnte ich die Türsprechanlage und den Türöffner mittels Telefonanlage bedienen.

»Wer sagte: Noli turbare circulos meos?«, fragte ich genervt in den Hörer und beschloss, mir eine Kameraanlage anzuschaffen.

»Das sagte Archimedes, du Sphinx! Wir werden jetzt nicht von dir gefressen! Dürfen wir reinkommen? Schließlich haben wir die Frage richtig beantwortet! Und falls du eine Übersetzung erwartest, es bedeutet: Störe meine Kreise nicht!«, meinte einer von Trixies Söhnen. Es klang wie Tutnix, er war nämlich der Klugscheißer von den Zwergen.

»Was wollt ihr?«, interviewte ich ihn, nicht gerade freundlich.

»Wir haben ein Fass Atom-Pils dabei, besteht Interesse?«, fragte er listig.

»Nö, ich habe genug zu trinken! Kratzt die Kurve!«, pöbelte ich zurück.

»Bist du dir sicher? Mama sagte nämlich, sie habe deine Vorräte weggekippt! Guck mal lieber nach, ist ja nicht so, als würden wir dir keine zweite Chance geben«, klugscheißerte Tutnix aus dem Hörer.

»Kleinen Moment!«, gab ich zur Antwort und riss meine Hausbar auf. Nichts! Gähnende Leere! Oh, diese infame Zwergin! Dann durchsuchte ich noch ein paar Verstecke, doch auch diese waren geplündert worden! Nur die kostbare Flasche Chateau d´Yquem, Baujahr 1954, lag noch in der Kühlung. - Jetzt kommt mir mal nicht dumm! Von wegen Baujahr, es müsste stattdessen offiziell bei Weinen Jahrgang heißen. Mir doch egal! Steht auf der Flasche nun Chateau drauf und ist das vielleicht kein Bau, oder was?

… Mit dem Mut der Verzweiflung betätigte ich den Türöffner …

Himmel, Arsch und Hölle!

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