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Kapitel 2

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Montag, der 01. August

Er sah die Nummer auf dem Display seines Telefons. Reichte es nicht, dass sie ihn eine Woche zu früh aus dem wohlverdienten Urlaub geholt hatten? Seit Tagen schob er Überstunden ohne Ende. Es war schon schlimm genug dass nicht weniger als fünf Kollegen aus dem Kommissariat mit einer schweren Sommergrippe im Bett lagen.

Wenigstens das Mittagessen konnte man ihm doch gönnen, oder?

Zacharias Weinfeld seufzte laut und erhob sich von seinem Küchenstuhl. Gerade hatte er sich ein leckeres Steak in die Pfanne gehauen, das er jetzt erst zur Hälfte gegessen hatte. Er aß bei geschlossenen Jalousien um die Hitze draußen zu lassen.

„Weinfeld.”

„Chef, es gibt einen neuen Fall. Tut mir leid, aber ich..., ach Entschuldigung, hier ist Steffen Döber, ich…”

„Ich kenne deine Stimme, Steffen. Also, was gibt’s?”

„Ja, es wäre mir auch lieber wenn….” Steffen Döber hatte wohl den genervten Tonfall seines Vorgesetzen bemerkt.

„Nun rede schon. Du kannst ja nichts dafür. Oder hast du jemanden umgebracht?”

„Sehr witzig, wirklich.”

„Also, ein Mord?”

„Ja. Sieht so aus.”

„Oder ist die Sache unklar? Kann nicht erst mal der Kriminaldauerdienst vorbei kommen?”

„Ist schon da. Es ist eindeutig Mord.”

„Wo soll ich hinkommen?” Zacharias Weinfeld hielt Block und einen Stift bereit, um sich Notizen zu machen.

Es raschelte. Sein Kollege Döber blätterte in irgendwelchen Zetteln:

„Tannenweg 40.”

„Oh, schicke Gegend. Hab Verwandte dort.”

„War ja klar.”

„Wie bitte?”

„Schon gut. Du kannst den Tatort nicht verfehlen. Da muss es schon vor Einsatzwagen wimmeln. Spurensicherung und Gerichtsmedizin sind auch schon da, beziehungsweise unterwegs.”

„Und du?”

„Ich? Ich bleibe hier. Einer muss ja die Stellung im Büro halten.”

„Also werde ich der einzige sein vor Ort?”

„So siehst momentan aus. Wir sind nur noch zu zweit. Jedenfalls so lange, bis mich die Grippe auch noch nieder streckt.”

Zacharias grummelte. „Mal bloß nicht den Teufel an die Wand. Wer ist denn der Tote?”

„Die Tote!”

„Eine Frau?”

„Ja, und eine sehr bekannte noch dazu.”

„Ich versteh nicht.”

„Fahr erst mal hin, dort werden sie dir alles Weitere erklären.”

„O.K.” Zacharias klemmte sich den Hörer unters Kinn, schleppte seinen halbvollen Teller zurück in die Küche und stellte ihn in den Kühlschrank. „Bin schon unterwegs!”

Er musste nicht lange suchen, bis er das Haus, eine eckige kleine Stadtvilla, fand. Zwar war das Wohnhaus durch einen mächtigen Bestand an alten Bäumen und großen Büschen und Sträuchern vor den Blicken der Passanten relativ gut geschützt, aber die noch immer eingeschalteten Blaulichter wiesen ihm den Weg.

Er parkte seinen Wagen zirka zehn Meter weiter am Straßenrand und ging an zahlreichen Schaulustigen, neugierigen Nachbarn in kurzen Hosen und den üblichen Vertretern der Presse, die wahrscheinlich wieder den Polizeifunk abgehört hatten, vorbei zu einem Streifenbeamten, der ihm bereitwillig das Absperrband hoch hielt.

„Die Spurensicherung ist hoffentlich schon da?”, fragte Zacharias.

Der Beamte nickte stumm.

Zacharias nestelte an einem Hemdknopf herum und lockerte seine Krawatte. Sein Hemdkragen war jetzt schon durchnässt. Die Temperatur änderte sich kaum, als er durch die geöffnete Haustür ging. Hier drinnen war es genauso stickig wie draußen.

Leute der Spurensicherung kamen ihm entgegen und nickten ihm mit ihren schweißnassen Gesichtern zu.

„Wie lange seid ihr schon hier?”, fragte Zacharias.

„Schon über eine Stunde.”, sagte einer.

Die blonde Inge Braukmann hatte ihre langen Haare zu einem raffinierten Knoten hochgesteckt und beugte sich gerade konzentriert über den Körper der Ermordeten. Zacharias mochte die junge Rechtsmedizinerin, die es mit Fleiß und Ehrgeiz recht schnell geschafft hatte, sich auf der Karriereleiter nach oben zu kämpfen, trotz einiger Widerstände ihrer männlichen Kollegen.

Ihrer verbindlichen Art und der fachlichen Kompetenz konnte man recht schnell vertrauen.

„Tag, Herr Weinfeld!” Sie strich sich mit dem Unterarm eine verschwitzte Haarsträhne aus dem Gesicht, peinlich darauf bedacht, nicht mit den Händen ihren Kopf zu berühren.

Die medizinischen Handschuhe waren voller Blut.

„Verdammt heiß heute, nicht wahr?”

Sie nickte gequält.

„Weiß man schon wer die Tote ist.” Zacharias stand jetzt in unmittelbarer Nähe der Leiche. Ein fürchterlicher Anblick, dachte er. Die arme Frau war von einer riesigen Lache Blut umgeben, ihr Gesicht war kaum zu erkennen. Auch der Oberkörper wies zahlreiche Wunden auf, die stark geblutet hatten. Hier hatte jemand mit äußerst brutaler Gewalt agiert.

Sie hatte keinen leichten Tod gehabt.

Inge Braukmann hatte nicht auf seine Frage geantwortet, so konzentriert war sie bei der Sache.

„Es ist wohl die Dame des Hauses.”, kam ihr ein Mann der Spurensicherung zur Hilfe. „Patricia Bahran. 56 Jahre alt. Ihre Haushälterin hat sie gegen Mittag gefunden.”

„Ist sonst noch jemand im Haus gewesen?”

„Nein, die Frau lebte alleine hier.”

Er sah sich um. Die Wohnung war hell und freundlich eingerichtet. Insgesamt überwiegten zarte Pastelltöne, Farben, die sich nicht zu sehr dem Auge aufdrängten aber trotzdem eine heimelige Gemütlichkeit zauberten. Wäre da nicht das viele Blut gewesen.

„Und die Haushälterin?”

„Wohnt in einem anderen Viertel. Sie kommt jeden Morgen hier hin und hat einen eigenen Schlüssel.”

Zacharias kratzte sich nachdenklich am Kopf. „Aha, und wo ist sie jetzt?”

„Im Krankenhaus. Sie steht unter Schock. Kein Wunder bei dem Anblick.” Der Mann von der Spurensicherung nickte in Richtung der Leiche. „Nachbarn haben sich um sie gekümmert und die haben auch die Polizei gerufen. Zuerst war der Kriminaldauerdienst da, aber die sind schon wieder weg. Sie wurden zu einem neuen Fall gerufen. Ein Rentner, der schon mehrere Wochen tot in seiner Wohnung lag. Das hier ist eindeutig ein Fall für die Mordkommission.”

Einer seiner Kollegen kam mit einer Plastiktüte auf sie zu. „Hier.”, sagte er und hielt die Tüte direkt vor Zacharias Gesicht. „Das sollten Sie sich ansehen!”

„Was ist das?” Zacharias Weinfeld betrachtete neugierig die zwei blutverschmierten großen Gegenstände, die aussahen wie unförmige schwere Steine.

„Vielleicht die Tatwaffe. Eine Skulptur, wahrscheinlich aus Sandstein. Der Täter hat wohl so fest zugeschlagen, dass sie in zwei Teile gebrochen ist. Sieht nach einer Menge Hass aus. Bei dem vielen Blut kann man nicht viel erkennen, aber es scheint so, als wenn es sich dabei um eine Darstellung eines Paares handelt, wenn man die Steine zusammensetzt. Aber fragen Sie mich nicht.“ Er hob seine linke Hand und machte eine abwehrende Bewegung. „Ich habe keine Ahnung von Kunst.”

„Ja, o.k. Das ist ja schon ziemlich viel.”, lobte Zacharias ihn. Er wandte sich wieder der Gerichtsmedizinerin zu. „Glauben Sie auch, dass eine schwere Steinskulptur das Tatwerkzeug gewesen sein könnte?”

Dr. Inge Braukmann schaute kurz hoch. „Schon möglich. Bei den Wunden. Der Kollege von der Spurensicherung hat sie unter dem Sofa gefunden. Da hat sich jemand keine besondere Mühe gemacht, das Ding verschwinden zu lassen, wenn Sie mich fragen.”

„Was können Sie sonst zur Leiche sagen?”

„Todesursache sind mit Sicherheit die schweren Schläge auf den Kopf und auf den Brustbereich. Sie sehen ja das viele Blut. Aber wir müssen die Leiche im Institut zuerst säubern, vorher kann ich nichts Genaues sagen. Eins ist klar, der Täter muss wie in Raserei immer wieder zugeschlagen haben.” Sie schüttelte sich, so als würde sie erst in diesem Moment bemerken, an welch grausigem Tatort sie sich gerade befand.

Zacharias gab ihr Recht. „Ja, es immer wieder unvorstellbar, was Menschen anderen Menschen antun. Man gewöhnt sich nie an diesen Anblick.”

„Chef!”

Zacharias blickte sich um. „Ach, der Klaus, hallo, hast du noch etwas für mich?” Er kannte Klaus Bültmann schon einige Jahre. Er war der Dienstälteste im Team der Spurensicherung. „Wir haben den Fotografen gesagt, dass er sich besonders die Blutflecken vornimmt, so dass man hinterher genau…” Er wurde unterbrochen von einem lauten und schrillen Gekreische einer Frauenstimme, die von draußen kam. Die Beamten verstanden nichts von dem, was die Frau von sich gab, aber es klang völlig verzweifelt, fast panisch.

„Moment!”, sagte Zacharias. „Merk dir, was du mir sagen wolltest. Ich schaue mal kurz draußen nach.” Mit schnellen Schritten ging er zur Haustür.

Draußen klammerte sich eine weinende Frau in einem weiß-geblümten Sommerkleid an den Arm eines Streifenpolizisten, die Schaulustigen verfolgten die Szene mit schweißroten und gierigen Gesichtern. Zacharias ging zu ihr und versuchte vorsichtig, sie anzusprechen. „Wer sind Sie, so hören Sie doch!” Sein Kollege von der Streife hatte seine liebe Not, die Frau davon abzuhalten, ins Haus zu stürmen.

„Sie können da jetzt nicht rein. Es geht nicht.” Zacharias fasste die Frau am Arm und übte leichten Druck aus. „Sie können jetzt nicht hinein.” wiederholte er immer wieder gebetsmühlenartig Wort für Wort, so lange, bis die Frau es endlich zu kapieren schien. „Frau Bahran!”, murmelte sie immer wieder, als sie sich nur langsam beruhigte. „Frau Bahran!” Und: „Was mach ich bloß? Was mach ich jetzt bloß?”

„Ist Frau Bahran eine Verwandte von Ihnen?” Zacharias hielt nach wie vor den Arm der Frau fest. Der Schweiß rann ihm in Strömen von der Stirn.

Sie schüttelte kaum merklich mit dem Kopf. „Nein, nein!”

„Woher kannten Sie sie?”

„Nein, nein, ich verstehe es nicht.”

„Was verstehen Sie nicht?”

„Sie ist tot, nicht wahr, tot?”

Zacharias nickte betroffen. „Ja.”

„Ich habe es gehört, von den Nachbarn.”, flüsterte sie.

„Wohnen Sie auch hier? Wie ist Ihr Name?”

„Wer macht so etwas? Wer bringt so eine Frau um? Wer?”, weinte sie.

„Wohnen Sie auch hier?”, fragte Zacharias noch einmal.

„Wer, wer macht so etwas?”, stammelte sie. Ihre Beine knickten weg und sie fiel mit den Knien auf die Steinplatten.

„Haben wir einen psychologischen Betreuer vor Ort?” Zacharias ließ die Frau keine Sekunde aus den Augen.

„Es ist ein Seelsorger hier, aus der hiesigen Pfarrei.”, antwortete der Beamte der Streifenpolizei.

„Gut, holen Sie ihn. Es soll sich um die Frau kümmern.”

Der Beamte stimmte zu, wohl auch froh, dass er das Problem bald los war.

„Und wenn sich der Zustand der Frau nicht bessert, rufen Sie einen Krankenwagen. Der Pfarrer soll mal versuchen rauszubekommen, wer sie ist, und wie sie heißt. Vergessen Sie nicht, sich dann die Adresse der Frau aufzuschreiben.”

Der Beamte gab sich Mühe gewissenhaft zu nicken. Der Kommissar hielt ihn wohl für dumm.

Zacharias ging zurück zur Haustür. Aus den Augenwinkeln sah er einen älteren Mann heraneilen, der trotz der Hitze einen schwarzen Anzug trug mit einem weißen Hemd und steifem Stehkragen darunter.

Eindeutig der Pfarrer. Liebevoll nahm er sich der auf den Steinen hockenden Frau an, die immer noch vor sich hin wimmerte. Er half ihr hoch, legte schützend einen Arm um sie und führte sie fort, um sie vor den Blicken der Neugierigen abzuschirmen.

Die Frau hatte sich auf den Steinplatten die Knie aufgeschlagen, sie schien den Schmerz der aufgeschürften Haut noch nicht einmal zu bemerken.

Im Haus suchte Zacharias Weinfeld nach Klaus Bültmann. Er fand ihn im ersten Stock, wo er einem Kollegen zusah, der versuchte, Fingerabdrücke von dem Treppengeländer zu sichern.

„Eins steht fest.”, nuschelte er in seiner weißen Montur. „So eine Putzfrau, wie die von Frau Bahran kann sich nur jeder wünschen.”

Zacharias blickte ihn fragend an.

„Sie war ja mit dem Putzen fast fertig, als sie die Tote fand. Die Frau hat ganze Arbeit geleistet, das kann ich dir sagen.”

Zacharias zog die Krawatte endgültig von seinem Hals und stopfte sie in die Hosentasche. „Ihr habt keine Fingerabdrücke gefunden?”

„Bis jetzt keinen einzigen. Wie gesagt, die Haushälterin hat keinen Winkel ausgelassen, alles blitzblank.”

„Hatte die Tote ein Handy?”

„Keine Ahnung, wir haben keins gefunden! Aber jeder hat doch heute ein Handy.”

Ungeduldig fuhr sich Zacharias mit der Hand durch sein, von der Hitze, mittlerweile angeklatschtes Haar. „Irgendetwas wird sich doch wohl finden lassen!”

„Lass uns Zeit. Noch sind wir nicht fertig. Das Haus ist groß.”, bat Klaus Bültmann ihn.

„Was wolltest du mir eben über den Fotografen sagen?”, fragte Zacharias nach.

„Ach ja, richtig. Er hat genügend Fotos gemacht von den Blutspuren, so dass ihr die Sache gut auswerten könnt.”

„Ja, das ist super, danke. Ich werde jetzt noch einmal nach unten gehen, also bis gleich!”

Klaus Bültmann nickte ihm zu.

Vor dem erfahrenen Kollegen der Spurensicherung wollte Zacharias es nicht zugeben, aber er musste sich eingestehen, dass diese verzweifelte Frau ihn eben ein wenig aus dem Konzept gerissen hatte und davon abgehalten hatte, sich das Muster der Blutflecke noch einmal genau anzusehen. Inge Braukmann kam ihm mit ihrem großen Metallkoffer in der Tür zum Wohnzimmer entgegen.

Ihr Gesicht war vor lauter Anspannung und Hitze puterrot.

„Fertig, Frau Doktor?”, fragte Zacharias sie und lächelte.

Sie gab sich nicht die Mühe zurück zu lächeln. „Ja, endlich!”, antwortete sie erschöpft. „Den Bericht haben Sie frühestens übermorgen. Wir sind auch unterbesetzt. Es ist Urlaubszeit.”

Er seufzte. „Ja, Urlaub. Musste ich schon abbrechen!”

„Sie Ärmster!”

„Bei uns ist es eine Grippewelle!”

„Jetzt, bei dieser Hitze?”

„Fragen Sie mich nicht, wie das kommt. Ich vermute, ein Virus.”

Jetzt lächelte sie. „Na, dann wollen wir hoffen, dass wir verschont bleiben. Die Mörder machen ja leider auch keinen Urlaub.”

Sie nickte ihm aufmunternd zu und ging an ihm vorbei nach draußen. Zacharias hörte, wie zahlreiche Kameras klickten, als sie raus kam und wie ein paar Reporter sie mit Fragen bestürmten. Allerdings war sie klug genug, nicht zu antworten.

Schon die ganze Zeit hatte sich Zacharias über das übermäßige Interesse der Menschen, die draußen standen, gewundert. Als Klaus Bültmann erneut das Wohnzimmer betrat, sprach er seine Verwunderung darüber aus und erntete erstaunte Blicke.

„Du weißt nicht, wer die Frau ist?”

„Natürlich weiß ich das. Die Frau heißt Patricia Bahran und wohnte hier alleine.”

Herr Bültmann schwieg.

„Nun sag schon. Du weißt doch etwas. Ehrlich gesagt, der Name des Opfers kam mir schon etwas bekannt vor. Irgendwo habe ich ihn schon mal gehört.”

„Meine Mutter war auch schon mal bei ihr!”

„Wo, hier?”

Er nickte.

„Klaus, wir kennen uns doch schon lange. Willst du, dass ich hier der einzige bin, der nicht über die Frau Bescheid weiß? Was machen die ganzen Leute da draußen? Warum sind so viele von der Presse da? Und dann diese weinende Frau. Ich hoffe, es wird sich um sie gekümmert.”

„Ja, ja, die wird versorgt. So viel ich mitbekommen habe, hat sie der Pfarrer zu einem Arzt gefahren.”

„Gut! Also, ich höre!”

„Na, ja, Madame Bahran hat vielen geholfen.”

„Madame Bahran?”

„So nannten sie alle”

„Wer alle?”

„Die Menschen, die sie aufsuchten.”

„Klaus!”

„Ja, schon gut. Menschen suchten bei ihr Hilfe. In gesundheitlichen Fragen, oder Trost.”

„Aber sie war doch keine Ärztin?”

„Sie war eine Geistheilerin!”

„Eine Geistheilerin?”

„Ja, jemand, der seine heilende Energie an die Menschen abgibt. Erst kürzlich war ein Bericht über sie in der Zeitung.”

„Also eine von diesen so genannten Wunderheilern?” Zacharias sah ihn skeptisch an.

„Sie hat vielen Menschen geholfen, auch meiner Mutter.”, antwortete er mit ein wenig Trotz in der Stimme.

Dass Zacharias solche Geschichten grundsätzlich für Hokuspokus hielt und dass er der Meinung war, das so genannte Wunderheiler meist durch das Wunder reich wurden, dass sie den Menschen das Geld aus der Tasche schwatzten, behielt er in diesem Moment für sich.

„Gut danke, Klaus. Ich will euch nicht weiter stören.”

Zacharias ging zu Sofa des hellen Wohnzimmers, wo gerade die Leiche der Madame Bahran, jetzt nannte er sie schon selber so, abtransportiert wurde. Die Frau war zwar klein aber sehr füllig, so dass die zwei Männer vom gerichtsmedizinischen Institut ihre Mühe hatten, den schweren, schlaffen Körper in den Zinksarg zu legen.

Als sie den Sarg aus dem Raum trugen, blieb eine riesige Menge Blut auf dem Boden zurück.

Zacharias betrachtete die Blutspuren an den Wänden. In kleinen Flüssen war das Blut herunter gelaufen und zum Teil in der Tapete versickert.

Auch an der Decke befanden sie nicht wenige dicke Spritzer.

Mit welch unvorstellbarer Wut musste der Täter den Schädel der Frau zertrümmert haben, dachte er.

Trotz der Hitze lief es Zacharias plötzlich eiskalt den Rücken herunter.

Einer der Leute der Spurensicherung kauerte hinter dem Sessel, der vor der blutverschmierten Wand stand. Mit einem Male streckte er seinen rechten Arm nach oben und machte sich bemerkbar.

Zacharias war sofort bei ihm. „Was gefunden?”, fragte er. Der Kollege hob vorsichtig einen blutigen Stift hoch, den er hinter dem Sessel gefunden hatte. Vielleicht ein Bleistift oder ein Kugelschreiber.

Klaus Bültmann kam wieder dazu. Die drei Männer musterten den blutverschmierten Stift. Bei genauerem Betrachten eindeutig als Bleistift zu erkennen.

„Wo hast du den gefunden?” fragte Klaus seinen Kollegen.

Dieser sah aus einem verschwitzen Gesicht zu ihnen hoch. „Hier, hinter dem Sessel. Und da ist noch was! Etwas, was ihr euch unbedingt ansehen müsst.”, fügte er keuchend hinzu.

Herr Bültmann und Zacharias Weinfeld zogen den schweren Sessel nach vorne, begaben sich beide in die Hocke und schauten angestrengt auf die mit Blutspritzern übersäte Wand.

„Was meinst du?”, fragte Klaus.

Auch Zacharias konnte beim besten Willen nichts Ungewöhnliches erkennen.

„Ihr müsst euch tiefer runterbeugen. Es ist unten, direkt über der Fußleiste.” Er hatte den Stift in eine Plastiktüte gelegt und deutete mit seinem Zeigefinger auf eine blutige Stelle ganz unten an der Wand. Die Blutflecke vermischten sich mit dem zarten Muster der Tapete.

Zacharias gab sich alle Mühe. „Ich sehe nichts.”

„Ihr müsst euch noch mehr nach unten beugen. Es ist nicht gleich zu erkennen.”

Erneut beugten sie ihre Rücken in Richtung Fußboden, obwohl hinter dem Sessel die Luft noch stickiger erschien, und dann hatten sie plötzlich das Gefühl, es beide gleichzeitig zu entdecken.

„Scheiße. Was ist das?” Zacharias Oberkörper schnellte nach oben. Durch die hektische Bewegung wurde ihm fast schwarz vor Augen. „Scheiße!” wiederholte er aufgeregt, obwohl das sonst gar nicht zu seinem Wortschatz gehörte, während die beiden Herren der Spurensicherung noch angestrengt an die Wand starrten.

Klaus Bültmann sprach es aus. „Da steht was geschrieben.”, sagte er nur.

Hektisch fuhr sich Zacharias durchs Haar. Er überlegte kurz, was zu tun sei, dann beugte er sich wieder zum Boden.

„Wer auch immer dieser Scheißmörder war, der die arme Frau umgebracht hat, er hat uns eine Nachricht hinterlassen.” Klaus Gesicht war rot vor Wut oder vor Hitze, den Unterschied konnte man nicht mehr genau erkennen. Schließlich hatte er die Frau gekannt, zumindest seine Mutter.

Zacharias erkannte ein paar undeutliche Buchstaben, von denen Blut in feinen Äderchen herunter gelaufen war und in den Ritzen der Fußleiste verschwand.

Der andere Kollege der Spurensicherung zeigte aufgeregt auf die Plastiktüte mit dem blutigen Bleistift, die noch neben ihm auf dem Fußboden lag. „Der Bleistift ist mit Blut getränkt. Der Täter muss den Stift in das Blut getaucht haben, das sich um die Leiche gebildet hat. Und dann hat er das hier geschrieben.”

„Echt pervers!”, sagte Klaus Bültmann.

„Könnt ihr es genau erkennen?” Zacharias wischte sich zum wiederholten Mal den Schweiß von der Stirn. „Was steht denn dort genau?”

Klaus rückte zur Seite und machte ihm Platz. „Sehe selbst nach!”, forderte er ihn auf.

Zacharias kroch auf dem Boden ganz nah an die Wand und beugte sich noch tiefer herunter, so dass er fast mit der Nase den Boden berührte. In sauberer Handschrift hatte der Täter sein blutiges Werk hinterlassen.

Mit dem Blut der Madame Bahran hat er nur ein einziges Wort an die Wand geschrieben:

N E I N

Der Fall Bahran

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