Читать книгу Tödliche Gier in Bansin - Elke Pupke - Страница 12

Sonntag, 14. Juni

Оглавление

Seit Jahrzehnten zieht es die Bansiner Männer am Sonntagvormittag zum Strand. Früher verteilten sie sich in den Buden, jeder hatte »seinen« Fischer. Jetzt kommen die meisten zu Paul Plötz, um Neues zu erfahren und Meinungen auszutauschen.

Auch heute hocken fünf oder sechs alte Bansiner auf den Kistenstapeln, trinken Bier aus Flaschen und schimpfen auf die Urlauber. »Sind schon wieder viel zu viele hier«, mault Enno Labahn. »Kannst kaum treten auf der Promenade. Am schlimmsten sind die ganzen Räder, die fahren dich glatt um, wenn du nicht zur Seite springst.«

Sein Sitznachbar grinst. Er ist klein und dürr, trägt trotz der Hitze eine blaue Bommelmütze, unter der seine wasserblauen Augen listig blitzen. Er stellt sich gerade bildlich vor, wie Enno, der seinen gewaltigen Bauch auf den Knien abstützt, über die Promenade hüpft.

»Was soll der Quatsch mit dem Fischermuseum eigentlich?«, fragt er dann.

»Wollen die das wirklich in dem »Haus des Gastes« einrichten? Das passt doch gar nicht, das Haus ist viel zu groß und zu modern.«

»Kokolores«, knurrt Plötz. »Wir haben doch hier genug Museum – Freilandmuseum, sozusagen. Alte Boote, Netze, Anker, alles da.«

»Das ganze Haus hätten sie sich sparen können«, mischt sich der Dicke ein. Das passt da überhaupt nicht hin, zerstört die ganze Harmonie von unserer Promenade.«

»Harmonie unserer Promenade«, wiederholt Paul und lässt sich den Begriff auf der Zunge zergehen. »Hast eigentlich recht. Zu groß, zu modern. Und es hätte weiter unten am Strand stehen müssen. Jetzt ist die Strandpromenade an der Stelle zu schmal. Deswegen gibt es da auch dauernd Unfälle mit Radfahrern und Fußgängern.«

»Die hätten mal lieber die Hütten stehen lassen sollen. Dann hätten sie jetzt ihr Museum. Wie du sagst, Paul.«

Zustimmendes Gemurmel. »Darauf sollten wir einen trinken.« Einer der jüngeren Männer zieht eine Flasche Korn aus einer Plastiktüte, die er dann nachdenklich betrachtet. »Ach so, ja, ich soll ein paar Fische mitbringen. Flundern, wenn du hast.« Er sieht zu Arno, der nickt und nimmt ihm den Beutel ab. »Gib her, ich pack dir was ein.«

Paul stellt kleine Gläser auf die kalte Ofenplatte neben seinem Sessel, sein Gast füllt sie. »Na denn Prost, auf dass unsere Kinder lange Hälse kriegen!«

Gegen Mittag, als Paul und Arno allein in der Bude sind, reden sie wieder über das geplante Fischermuseum. »Ob Fux was damit zu tun hat?«, rätselt der Ältere.

»Glaub ich nicht.« Arno schüttelt ungläubig den Kopf. »Damit ist doch kein Geld zu verdienen. Der will irgendwas Gastronomisches machen, denk ich.«

»Hm«, Paul überlegt. »Aber das mit dem Museum ist gar keine so schlechte Idee. Es stehen doch genügend Buden leer. Und altes Gerümpel findet sich auch noch. Ich weiß sogar wo,« fällt ihm ein.

Zwei ältere Männer kommen herein. »Sind schon alle weg? Habt ihr noch ein Bier oder zwei?«

»Setz dich hin, Horst. Kannst den Stuhl nehmen«, bietet Paul dem einen, der am Stock geht, an. »Und du setz dich auf die Kisten. Arno gibt euch was zu trinken. Ich muss mal kurz weg, will bloß was gucken. Ich komm gleich wieder.«

Ohne weitere Erklärungen kramt er einen alten, rostigen Schlüssel aus der Tischschublade, nimmt eine Taschenlampe und geht aus der Hütte.

»Wo willst du denn hin?« Beinahe wäre er mit Andreas zusammengestoßen, der gerade vor der Tür steht. An jeder Hand hat er eines der Zwillingsmädchen, die Vierjährige dreht sich um und will durch die Dünen zum Strand laufen. »Bleibst du wohl mal hier!«, ruft Andreas ihr nach, ohne auf Pauls Antwort zu warten.

»Und du?« Paul mag Kinder, aber nicht in seiner Bude. Da liegt zu viel gefährliches Zeug herum, Angelhaken, Messer und Schnapsflaschen.

»Wir machen einen kleinen Spaziergang vor dem Essen, damit sie Appetit kriegen. Dann schlafen sie nachher auch besser und«, fährt er schnell fort, als der Fischer ungeduldig nickt, »ich dachte, vielleicht habt ihr gerade ein bisschen frischen Räucherfisch. Für Simone, weißt du, dann freut sie sich, wenn sie heute Abend nach Hause kommt.« Er fängt schnell seine größere Tochter ein, die schon wieder abhauen will und nimmt eine der Kleinen auf den Arm.

Natürlich hätte er den Fisch auch am Stand von Ruben kaufen können, aber da weiß man nie genau, ob der wirklich frisch ist. Außerdem ist er bei Arno erheblich billiger, eigentlich bekommt er ihn fast geschenkt. Arno regelt seine Preise sehr individuell. Manchmal richten sie sich danach, welches Auto sein Kunde fährt.

»Na, denn geht mal rein, Arno gibt dir was. Ich komm auch gleich, will bloß mal kurz nach da hinten.« Er weist zur anderen Seite der Langbude.

Er geht an vielen verschlossenen Türen vorbei und öffnet dann die vorletzte. Es dauert eine Weile, das Schloss ist rostig und die Tür klemmt. Paul Plötz weiß selbst nicht, warum er sich bemüht, leise zu sein und sich umsieht, bevor er hineingeht. Er tut doch nichts Verbotenes.

Trotzdem zieht er die Brettertür wieder hinter sich zu. Es ist halbdunkel, schummrig, wie Paul denkt, durch das verschmutzte Fenster fällt nur wenig Licht. Gut, dass er die Taschenlampe dabeihat.

Er leuchtet auf einen Stapel alter Baumwollnetze und zieht eines heraus. »Guck an«, denkt er, »was die für enge Maschen hatten.«

Plötzlich hört er Gelächter. Es kommt aus der Bude nebenan, der letzten in der Reihe. Da wird gesprochen, aber er kann nichts verstehen, es ist nur Gemurmel. Mit dem Lichtstrahl sucht er die Bretterwand ab, findet ein Astloch. So leise er kann, steigt er über einen Berg Gerümpel und sieht hindurch. Viel kann er nicht erkennen, sein Blickwinkel ist zu klein. Aber er weiß, wie es darin aussieht. In der entgegengesetzten Ecke, an der Außenwand, stehen ein großes altes Ecksofa aus grünem Kunstleder und ein dazu passender Sessel. Dazwischen ein niedriger Tisch und an der Wand ein kleiner Kühlschrank.

Drei oder vier Männer sitzen auf dem Sofa, Paul sieht sie nur von hinten, kennt aber ihre Stimmen. Es sind alles Kollegen von ihm, aber nicht seine Freunde. Nicht mehr, seit sie die Freunde von Ruben Fux sind. Der hat es sich im Sessel bequem gemacht. Er war es, der eben dröhnend gelacht hat.

Paul hält sein Ohr an das Loch in der Wand und versucht, etwas zu verstehen. Viel ist es nicht, doch für den alten Fischer schon zu viel.

Nachdem er fast eine halbe Stunde lang gelauscht hat, geht er vorsichtig zurück. Er muss sich dabei an der Wand abstützen, es dauert eine Weile, bis er den Rücken wieder gerade machen kann. Sein Herz klopft bis zum Hals vor Anstrengung und vor Wut. Oder vor Angst? Bricht seine Welt demnächst zusammen?

Die Tür knarrt leise, als er sie heran drückt. Er wirft einen Blick zur Nachbarbude und nimmt sich nicht die Zeit abzuschließen. Hier gibt es sowieso nichts zu stehlen. So schnell er kann, geht er zurück zu seiner Seite der Langbude.

Zu Pauls Erleichterung ist Andreas mit seinen Kindern schon verschwunden, auch die beiden Alten verabschieden sich gerade. »Siehst gar nicht gut aus, Paul,« stellt der eine fest.

Der Fischer greift sich an den Rücken. »Das Kreuz macht mir zu schaffen«, erklärt er.

»Ja, ja, das macht die schwere Arbeit, du wirst eben auch alt.«

Pauls Antwort ist ein Knurren, er schließt energisch die Tür hinter den beiden, nicht, bevor er noch einmal aufmerksam nach rechts und links gesehen hat.

»Arno, du glaubst nicht, was ich eben gehört habe«. Er spricht aufgeregt, aber leise und sieht dabei aus dem Fenster, ob nicht doch noch jemand da ist.

»Nun mach es nicht so spannend. Ich will dann auch nach Hause.«

»Setz dich jetzt da hin und hör mir zu.«

Kopfschüttelnd folgt der Jüngere der Aufforderung und setzt sich auf den Küchenstuhl, der eigentlich Bertas Platz ist. Paul lässt sich in seinen Sessel fallen, lehnt sich stöhnend zurück und richtet sich gleich wieder auf, um sich eine Zigarette anzustecken. Etwas erschrocken bemerkt Arno, wie seine Hände dabei zittern. »Was ist denn los?«

Paul atmet den Rauch erst einmal tief ein und wieder aus. »Weißt du, was Fux vorhat?«, stößt er dann hervor. »Der will die ganze Langbude abreißen und eine riesige Gaststätte hierhin bauen. Nicht nur ein Museum, das ist nur ein kleiner Teil davon, ein Alibi sozusagen. Einen ›Fischererlebnisbereich‹ hat er gesagt. Offene Küche, wo Fisch gebraten wird, Räucherei, Heringssalzerei. Und vielleicht noch ein paar Ferienwohnungen direkt am Strand. Kannst du dir das vorstellen?«

»Fux war schon immer ein Spinner«, erklärt Arno kategorisch. »Du glaubst diesen Blödsinn doch wohl nicht? Das kriegt der niemals genehmigt.«

»Und wenn doch? Du, der hat Beziehungen bis sonst wohin. Wenn die Gemeinde das nicht will, holt er sich die Genehmigung eben von Anklam. Das Schlimmste hab ich dir noch gar nicht erzählt: Der plant eine Robbenstation. Wo man die jungen und kranken Viecher aufpäppelt. Er meint, dafür kriegt er auf jeden Fall grünes Licht und das wäre auch ein Anziehungspunkt für Gäste.«

Arno lacht laut. »Paul, der hat dich verarscht. Der hat wahrscheinlich gemerkt, dass du lauschst. Das ist so ein Blödsinn – und genau das, was dich auf die Palme bringt. Das Beste ist, du vergisst ganz schnell, was du gehört hast und lässt dir nichts anmerken. Tu ihm bloß nicht den Gefallen und reg dich darüber auf. Ich denke, hier passiert gar nichts. Nicht in den nächsten zehn Jahren.«

Tödliche Gier in Bansin

Подняться наверх