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Kapitel 9

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»Willkommen in Oberlimberg.« Wenn das mal keine freundliche Einladung war. In behäbigem Tempo steuerte Kullmann seinen Wagen über die schma­le Straße.

»Hier hat sich einiges verändert«, murmelte er.

»Überrascht dich das?«, fragte Martha. »Das ist ein schöner Ort. Ein guter Grund, hier zu bauen.«

»Oskar Lafontaine hat das auch erkannt. Er wohnt hier.« Kullmann zeigte auf ein großes Anwesen zu seiner Rechten. Ein geöffnetes Eisentor mit spitzen Stahlstreben gewährte gute Sicht auf ein gelbes Haus, das mit flachem Walmdach über Erkern und Giebeln ganz typisch im Baustil der Toskana gehalten war. Hohe Fenster und eine Glasgalerie im Dachgeschoss ließen auf angenehmen Komfort schließen. Kullmann interessierte sich jedoch mehr für die halbhohe Mauer aus Naturstein mit ihrem gusseisernen Aufsatz. »Jetzt sehe ich endlich einmal diesen umstrittenen Gartenzaun.«

»Die Tatsache, dass dieser Gartenzaun ein öffentlicher Streitgegenstand ist, macht ihn erst interessant«, erkannte sie. »Sonst würde wohl keinem auffallen, wie schön er ist.«

Wenige Meter weiter beeindruckte eine Villa in Terrakotta mit weißen Balkonen. Häuser ganz aus Holz zogen ebenfalls ihre Aufmerksamkeit auf sich.

An der Kreuzung bogen sie rechts ab. Dort trafen sie auf die Hostellerie Waldesruh.

Die rustikale Einrichtung gefiel Kullmann sofort. Die Tür zum Jagdzimmer stand offen. Die Wände waren übersät mit Geweihen von Böcken, die wie heimische Trophäen anmuteten. Die Gedecke waren alle in Jägergrün.

Jürgen Schnur und Esther Weis warteten im Restaurant nebenan. Sie saßen direkt am ersten Tisch vor einem Schrank mit aufwendigen Schnitzereien. Dort zierten neben antiken Bauernmöbeln Hirschgeweihe die Wände. Eine große Theke in der Mitte beherrschte das Speiselokal.

»Schön, dass ihr noch auf meine Hilfe zählt. Das neue Informations­system wird mich bald überflüssig machen.« Mit diesen Worten trat Kullmann auf den Tisch zu. Schnur erhob sich, um seinen ehemaligen Chef zu begrüßen.

»Du wirst niemals überflüssig«, meinte er. »Ein Computer kann keine Erfahrungen sammeln.«

Kullmann lachte.

Sie ließen sich die Speisekarte reichen.

»Ihr wollt Informationen über Eduard Zimmer haben«, kam der Alte auf den Grund des Treffens zu sprechen. Als Vorspeise wählte er Wildrahm­suppe mit frischen Pfifferlingen.

Schnur nickte.

»Ich kann mich noch gut an den Fall erinnern. Eduard Zimmer hatte sich mit seiner wertvollen Repetierbüchse erschossen – eine unübliche Methode, weil es sich dabei um eine Langwaffe handelt. Also mussten wir rekonstruieren und haben feststellt, dass Zimmer groß und seine Arme lang genug waren, um sich selbst aus diesem Winkel einen Schuss zu setzen.«

»Aber es wurde keine Waffe gefunden.«

»Stimmt. Otto Siebert fand Eduard Zimmer – aber keine Waffe.«

»Otto Siebert?«, stutzte Schnur. »Das ist doch der Vater des entführten Kindes?«

»Richtig.«

»Er ist zufällig auch der Besitzer des Nachbarwaldes vom Limberg.«

»Die Hessmühle«, bemerkte Schnur.

»Nach der Entführung trat er freiwillig von seinem Amt als Staatssekretär zurück. Angeblich brauchte er Zeit, um sich von dem Schrecken zu erholen. Das tat er, indem er sich in die Abgeschiedenheit zurückzog. Dabei stieß er auf den Toten.«

»Darauf stoßen ist ein bisschen übertrieben. Die Leiche lag zweihundert Meter tiefer«, korrigierte Schnur. »Ich staune, wie er sie überhaupt sehen konnte.«

»Willst du die Aussage dieses Mannes anzweifeln?«

»Ich sehe nur Ungereimtheiten.«

»Du siehst Gespenster! Eduard Zimmer starb durch ein Projektil aus seiner eigenen Waffe. Es steckte in seinem Körper, weshalb wir es genau überprüfen konnten.«

»Heißt das nicht, dass er aus großer Entfernung erschossen wurde?«

»Nein. Der Schuss war aufgesetzt. Die Kugel blieb im Körper, weil sie auf einen Knochen prallte.«

Die Vorspeisen wurden serviert.

Schnur begutachtete den Inhalt seines Tellers, während er fragte: »Was hat Otto Siebert in einem Revier zu suchen, das ihm nicht gehört?«

»Ein Mensch wird doch wohl noch im Wald spazieren dürfen. Er hatte ein schreckliches Erlebnis zu verarbeiten und wollte abschalten.«

In einem sachlichen Ton fügte Schnur an: »Ich habe erfahren, dass es zwischen Zimmer und Siebert Rivalitäten gegeben hat. Deshalb wundere ich mich, dass er in seiner schwersten Zeit seine Entspannung ausgerechnet dort suchte, wo er genau das Gegenteil zu erwarten hatte.«

»Du bist wirklich gut. Alles hinterfragen, nichts dem Zufall überlassen. Dich auf den Posten zu setzen war die richtige Entscheidung. Dir entgeht nichts.«

»Deine Überzeugung ehrt mich. Würdest du diese Worte bitte vor Kriminalrat Forseti wiederholen?«

Kullmann lachte.

»Wie wurde der Tote geborgen?«, fragte Esther.

»Mit einem Lichtmastkraftwagen mit Flutlicht«, antwortete Kullmann, rieb sich mit einer Serviette über das Kinn und schob die leere Suppenschale beiseite. Das Geschirr wurde abgeräumt. Erst als sich die Wirtin vom Tisch entfernte, fügte er sinnierend an: »War das ein Aufwand, ihn nach oben zu befördern.«

»Das verstärkt meine Zweifel an Ottos Sieberts Darstellung der Ereignisse«, bekannte Schnur. »Zimmer hatte über Jahre hinweg das Wild von Sieberts Hessmühle auf das eigene Stück – auf den Limberg- getrieben und dort geschossen. Das gehört nicht zum waidgerechten Verhalten eines Jägers. Und dann findet Otto Siebert seinen Widersacher zufällig in einer Schlucht, die sonst nur mit einem Lichtmastkraftwagen zu erreichen ist.«

»Deshalb bringt der damalige Staatssekretär des Innenministeriums und Leiter der Abteilung für Polizeiangelegenheiten einen Menschen um?«, hielt Kullmann dagegen. »Das ist nicht waidgerecht – und noch strafbar dazu. Otto Siebert ist Jurist. Er weiß, was Gerechtigkeit ist. Sollte ein Unbefugter auf sein Wild schießen, wird er schlauere Methoden anwenden, um es dem Kontrahenten beizubringen.«

Schnur trank sein Bierglas in einem Zug leer. Kullmann hatte ihn zurechtgewiesen. Obwohl er inzwischen pensioniert war, er war immer noch ein schlauer Fuchs.

»Du hast recht. Ich bin über das Ziel hinausgeschossen.«

Kullmann schüttelte den Kopf und meinte: »Du gehst unvoreingenommen an den Fall heran. Das ist gut so. Wenn ich immer vor der Obrigkeit den Bückling gemacht hätte, wäre so mancher Fall nicht aufgeklärt worden. Also brauchst du dich nicht zu entschuldigen – im Gegenteil: Mach weiter so!«

Die Hauptgerichte wurden serviert. Kullmanns Aufmerksamkeit galt seinem Rumpsteak in Pfeffersoße, Schnur probierte von seinen Schweine­filetspitzen in Rahmsoße. Eine Weile war nur das Klappern des Bestecks zu hören.

»Ich beabsichtige ein Gespräch mit Otto Siebert. Er kann mich aufklären, wie er bei seinem verträumten Spaziergang zufällig die Leiche entdecken, dabei aber dessen Waffe übersehen konnte, deren Wert heute über zwanzigtausend Euro geschätzt wird.«

»Otto Siebert hat keinen Grund, etwas zu stehlen. Er ist steinreich, wie ihr sehen werdet, wenn ihr ihm einen Besuch abstattet.«

Kullmann auf der Jagd

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